Wurzelkanalaufbereitung: Self-Adjusting Files vs. konventionelle Feilen

Welches System wird sich durchsetzen?

Ob mit Handfeilen, rotierenden, reziproken oder mit selbstadjustierenden Feilen – alle Wurzelkanalaufbereitungsphilosophien haben glühende Anhänger. Welches System wird sich durchsetzen? Was liebt der Praktiker, was der „Endofreak“?



Welche Feile ist für wen die beste?

Rieger: Prinzipiell lässt sich mit nahezu allen aktuellen rotierenden und reziproken Systemen eine vernünftige endodontische Behandlung durchführen – vorausgesetzt, man beachtet die Biologie des Zahns und befolgt die Regeln der jeweiligen Instrumente.

Lang: Objektiv betrachtet haben alle Systeme Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, ob der jeweilige Anwender mit dem System zurechtkommt, sicher die Arbeitslänge erreicht und keine Aufbereitungsfehler macht.

Ein ganz anderes Arbeiten als alle anderen Systeme ermöglichen Self-Adjusting Files (SAF). Was ist das Besondere?

Lang: Die SAF sind sicher die spannendste sinnvolle Neuentwicklung der letzten Jahre. Das Arbeitsprinzip wurde komplett neu erdacht, Formgebung und Reinigung erfolgen in einem Arbeitsschritt. Es gibt derzeit kein System auf dem Markt, das in puncto Wurzelkanalreinigung an die Ergebnisse des SAF-Systems herankommt und dabei auch noch so substanzschonend und risikolos arbeitet. Das zeigen mehr als 50 Peer-Reviews SAF-Studien.

Sehen Sie das ebenso, Herr Dr. Rieger?

Rieger: Die SAF ist sicherlich eine sehr interessante Variante und zeigt, dass die Entwicklung in der Endodontie nicht stillsteht. Aber auch die SAF ist sicher noch nicht am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeit. „One file fits all“ ist noch nicht erreicht. Da darf man gespannt sein, ob SAF das Feilensystem der Zukunft ist. In den USA ist es zwischenzeitlich vom Markt genommen worden. Auch deshalb kann ich die Euphorie nicht ganz teilen.

Zurzeit setzt man in der Endo auf Einfachheit …

Lang: Die Industrie versucht natürlich, dem Anwender durch Vereinfachung die Endodontie schmackhaft zu machen. Endodontie ist aber nicht standardisierbar, weil die Anatomie so mannigfaltig ist. Jedes Ein-Feilen-System benötigt mehrere Zusatzfeilen, um Sicherheit zu gewinnen oder eine größere Zahl von Fällen abzudecken.

Rieger: Endodontie und einfach – das ist ein Widerspruch, so sehe ich es auch. Mit nur einem Instrument wird man eine nahezu perfekte Reinigung des Wurzelkanals ohne Gefahr von Microcracks nicht hinbekommen. Schon allein das Erstellen des Gleitpfads erfordert oft mehrere Instrumente.

Lang: Am nächsten kommt dem Gedanken eines Ein-Feilen-Systems die Self-Adjusting File.

Warum?

Lang: Die SAF kann ihren Querschnitt zwischen ISO 20 und ISO 150 beliebig verändern und ist dadurch in der Lage, bis zu 80 Prozent der Kanalwände zu bearbeiten.

Können konventionelle Feilen das nicht?

Lang: Nein, sie schaffen es, allenfalls 40 Prozent der Kanalwände zu bearbeiten. Dazu kommt, dass rotierende Systeme sehr viel Debris im Wurzelkanal in die Isthmen und Rezessi verpressen. Dieser lässt sich dann, je weiter apikal er liegt, auch nicht mehr entfernen. Dieses Problem tritt bei der SAF systembedingt nicht auf. Aber auch die SAF braucht vor ihrer Anwendung weitere Instrumente für die Gleitpfadgestaltung und die Kanaleingangserweiterung. Ohne diese Schritte geht es zurzeit nicht.

Ist damit der Slogan „Nur eine Feile“ irreführend?

Rieger: Wie gesagt, „one file fits all“ ist noch nicht Realität. Ist der Gleitpfad erstellt, gilt es, auch eine in der Dimension korrekte apikale Arbeitsgröße zu erreichen. Und apikale Aufbereitungen bis Größe 20 oder 25 reichen nicht aus. Das zeigt schon ein Blick in die „Basisliteratur der Endodontie“. Die Untersuchungen von Huttler (1955), Kerekes und Trondstad (1977) oder Wu (2000) seien hier nur beispielhaft aufgeführt.

Lang: Genau dieser Missstand wird mit der SAF ausgeglichen. Die besondere Arbeitsweise schafft saubere Wurzelkanäle bei schonendster minimalinvasiver Abformung. Dies zeigt die neuere Literatur von Paque et al. (2012) über Siqueira et al. (2010) bis zu Neves et al. (2014)

Ist die Handfeile vor diesem Hintergrund ein Auslaufmodell?

Lang: Die Handfeile ist nach wie vor das wichtigste endodontische Instrument. Jedes maschinelle Endoinstrument benötigt einen manuellen Gleitpfad, um sicher zu arbeiten. Wir brauchen heute nach wie vor die Handinstrumente. Sie sind leichter vorzubiegen, schneidfreudiger und tor‧sionsfester als NiTi-Instrumente. Und genau diese Eigenschaften brauchen wir, wenn wir Wurzelkanäle darstellen. Jedes maschinelle System, das dann folgt, ist auf einen guten Gleitpfad angewiesen.

Rieger: Das sehe ich auch so. Jenseits der Normalgrößen der rotierenden Nickel-Titan-Feilen müssen nach wie vor Handfeilen „ran“. Stichwort Gleitpfad: Die Größen ISO 06 und 08 gibt es noch gar nicht als rotierende Instrumente. Hier ist die Entwicklung auch nicht stehengeblieben, hier gibt es auch Neuentwicklungen, angefangen bei gehärteten Spitzen bis hin zu innovativen Geometrien.

Wofür benötigt man größere Taper?

Lang: Für Spezialfälle sind sie ausgesprochen hilfreich. Ein größerer Taper erlaubt bei gleicher ISO-Größe eine bessere Reinigung des apikalen Drittels als ein kleinerer Taper, da die Spüllösung bei konventioneller Nadelspülung besser eindringen kann. Auch bei der Wurzelkanalfüllung ist ein größerer Taper für Warmfülltechniken von Vorteil. Allerdings birgt ein größerer Taper immer ein höheres Risiko von Dentin-Infraktionen.

Warum ist das Risiko höher?

Rieger: Je größer der Taper, desto starrer und unflexibler wird das Instrument. Dann besteht bei gleichzeitiger Anwendung von zu hohem Druck die Gefahr, dass sogenannte Microcracks entstehen. Dies kann langfristig zum Verlust des Zahns führen. Zudem führen starre Instrumente eher zur Kanalbegradigung. Große Taper entfernen eventuell zu viel Substanz.

Sollte nicht gerade die reziproke Bewegung den Microcracks entgegenwirken?

Rieger: Zunächst kann man dies mit ja beantworten. Jedoch wird der Vorteil durch zu forcierte Vorwärtsbewegung und große Taper ins Gegenteil umgewandelt.

Lang: Die reziproke Bewegung schützt nur die Feile vor dem Bruch, nicht den Zahn. Alle rotierenden Feilen produzieren Dentin-Infraktionen. Diese können bei Progression und bakterieller Besiedlung zu ernsthaften Erkrankungen führen. Dazu ist die Studienlage klar: Die SAF ist die einzige maschinelle Feile mit kurzer Instrumentensequenz, die keine Dentin-Infraktionen verursacht.

Gibt es weitere Ursachen für Kanalverlagerungen?

Rieger: Kanalverlagerungen sind eine typische Folge von Nickeltitanfeilen. Die meisten NiTi-Instrumente haben einen sogenannten Memory-Effekt. Das bedeutet, dass das Instrument im Wurzelkanal die Tendenz hat, sich aufzustellen, um in die „Originalform“ zurückzukehren. Das hat den Effekt, dass einige Kanalabschnitte zu stark, andere Kanalabschnitte zu wenig bearbeitet werden.

Warum ist die Verlagerung des Kanals überhaupt problematisch?

Lang: Aus zwei Gründen: Zum einen wird dadurch das Foramen vergrößert (Zip) und lässt sich dadurch nicht mehr gut obturieren, zum anderen entsteht der sogenannte „Elbow“, also eine künstliche Engstelle innerhalb des Kanals. Eine gute Reinigung und Obturation ist dann nur noch koronal zum „Elbow“ möglich und nicht mehr apikal davon.

Wie lassen sich Kanalbegradigungen vermeiden?

Lang: Indem möglichst flexible Instrumente in gekrümmten Kanälen nur kurze Zeit eingesetzt werden. Hat man mit einem Instrument die gewünschte Arbeitslänge erreicht, sollte es sofort aus dem Kanal entfernt werden. Ist eine weitere Aufbereitung erwünscht, dann ist mit dem nächsten Instrument der Serie fortzufahren. Ganz wichtig: Niemals darf man mit einem rotierenden Instrument erneut in einen gekrümmten Kanal, wenn dieses schon einmal auf der vollen Arbeitslänge angekommen ist.

Rieger: Sauberes Arbeiten reduziert die Gefahr der Kanalverlagerung. Zunächst einmal wichtig sind die Gestaltung eines einwandfreien Gleitpfads, schnelles Arbeiten und kurzes Verweilen mit den rotierenden Instrumenten im Kanal sowie der Verzicht auf große Taper. Denn je geringer der Taper, desto flexibler das Instrument. Vor allem apikal sollte auf große Taper verzichtet werden.

Spülen, Spülen, Spülen lautet einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren einer Endobehandlung. Sowohl die reziproke als auch die rotierende Bewegung erfordert ein durchdachtes Spülkonzept. Ist zum Beispiel eine manuelle Spülung noch zeitgemäß?

Lang: Da das Dentin aus organischer und anorganischer Matrix besteht, sind in der Endodontie grundsätzlich zwei Spüllösungen essenziell: EDTA und NaOCl.

EDTA ist eine Säure. Sie löst die anorganische Matrix, entfernt die Schmierschicht und öffnet die Dentintubuli und die Seitenkanäle. Bei stark obliterierten Kanälen hilft es im Rahmen der manuellen Gleitpfadpräparation. EDTA sollte etwa eine Minute angewendet werden. Da während der maschinellen Aufbereitung ständig eine Schmierschicht produziert wird, wirkt EDTA vorrangig nach der Aufbereitung. Dadurch werden die Tubuli und Seitenkanäle wieder zugänglich für die anschließende Spülung mit NaOCL.

Das NaOCl ist eine starke Base und das zentrale Desinfektionsmittel in der Endodontie. Es wirkt gegen das komplette Keimspektrum: Bakterien haben keine Möglichkeit, Resistenzen zu entwickeln. Auch gegen E. faecalis wirkt NaOCl sehr gut. Dank der gewebs- und biofilmauflösenden Wirkung reinigt es Wurzelkanäle selbst in Bereichen, die nicht vollständig instrumentiert werden konnten.

Für welche Bereiche gilt das?

Lang: Für Seitenkanäle, Isthmen und Aussackungen zum Beispiel. NaOCl ist extrem wirksam, hat aber auch zwei grundlegende Nachteile:

  • Es zerfällt sehr schnell, daher muss es kontinuierlich frisch nachgeführt werden.
  • Es bildet Gasbläschen in Kontakt zu organischer Substanz und kann dadurch den Wirkort schlechter erreichen.

Was hilft?

Lang: Die konventionelle Spülkanüle nahe an die Arbeitslänge zu bringen, erhöht die Gefahr, das NaOCl zu überpressen. Daher sind sogenannte Agitationsverfahren essenziell, da diese die Gasbläschen entfernen und frisches NaOCl zuführen. Ein oft empfohlenes Agitationsverfahren ist die passive Ultraschallspülung.

Wann genau raten Sie zur passiven Ultraschallspülung?

Lang: Das Verfahren ist in geraden Kanälen oder im koronalen Drittel sehr effektiv, aber nicht im apikalen Drittel. Dort sind Systeme wie der EndoVac oder das SAF-System weit überlegen. Mit diesen Verfahren lässt sich NaOCL risikolos großvolumig auf die volle Arbeitslänge bringen.

Rieger: Ich favorisiere passiven Spüldruck mittels einer Unterdruckpumpe und da möchte ich ebenfalls das EndoVac-System hervorheben. Intensives Spülen ist der entscheidende Erfolgsfaktor in der Endodontie, hier braucht es stetige Weiterentwicklungen. Das Spülprotokoll sollte bezüglich der verwendeten chemischen Agenzien natürlich zeitgemäß sein. So hat zum Beispiel die EDTA-Lösung einen hohen Stellenwert, H2O2 stellt ein No-go dar.

Welche Studien belegen den Behandlungserfolg der unterschiedlichen Systeme und welches System ist Ihr persön‧licher Favorit hinsichtlich folgender Faktoren: Arbeitssicherheit, Häufigkeit von Feilenfrakturen, Extrusion von Debris über den Apex, Auftreten von Blockaden und Längenverlusten?

Lang: Das ist eine komplexe Frage. Tatsächlich ist es so, dass es keine Langzeitstudien zum Behandlungserfolg mit unterschiedlichen Systemen als Variable gibt. Untersucht wurde aber, welche Art der Ausführung zu Erfolgen oder Miss‧erfolgen führt. Zum Beispiel weiß man, dass die exakte Länge der Wurzelfüllung ein wichtiger Parameter für den klinischen Erfolg ist. Daher ist die Anschaffung eines elektrischen Längenmessgerätes zunächst wichtiger als die Wahl des besten Feilensystems.

Kommen wir zu den Instrumenten.

Lang: In Studien zu den einzelnen Systemen werden einzelne Parameter in vitro verglichen, etwa die zyklische Ermüdung durch Rotation in einer Krümmung. Instrumente, die dabei besser abschneiden, können dann sicherer in der Anwendung sein, da dies ein Parameter ist, der zu Feilenbrüchen führt. Ein weiterer Parameter ist die Flexibilität.

Ist diese bei den Instrumenten höher, dann ist das Risiko der Transportation des Wurzelkanals geringer. Instrumente, die spezielle Hitzebehandlungen erhalten, wie z. B. die HyFlex Feilen von COLTENE oder die Twisted Files von Sybron Endo, sind i. d. R. flexibler und zyklenfester. Allerdings sind direkte Vergleiche solcher Eigenschaften schwierig, da der Instrumentenquerschnitt und die Konizität auch eine große Rolle spielen und von Hersteller zu Hersteller sehr unterschiedlich sind.

Die Extrusion von Debris aus dem Wurzelkanal wird auch oft wissenschaftlich in vitro untersucht. Beim Überpressen von Debris können postoperative Be‧schwer‧den auftreten und Biofilm verschleppt werden. Da ist die Self-Adjusting File überlegen, da durch das Arbeitsprinzip kein Debris entsteht und aufgrund des fehlenden Innendrucks auch nichts aus dem Kanal austreten kann. Das führt zu deutlich weniger postoperativen Beschwerden. Rotierende Systeme sind in diesem Punkt schlechter als die SAF aber besser als reziprok arbeitende Systeme.

Blockaden können immer dann auftreten, wenn zuvor kein ausreichender Gleitpfad erstellt wurde oder die Aufbereitungsfeile in gekrümmten Kanälen nicht kontinuierlich bewegt wurde.

Rieger: Mein derzeitiges Favoritensystem ist das HyFlex EDM-System. Der Name steht für eine völlige neue Herstellungsmethode, das Electric Dis‧charge Machining. Dies führt zu einer verblüffenden Bruchsicherheit der Instrumente. Hauptvorteil für mich ist, dass der Memory-Effekt des Nickel-Titans quasi umprogrammiert ist.

Den Entwicklern ist es gelungen, zu verhindern, dass sich die Feilen bei normaler Arbeitstemperatur im Kanal gerade stellen. Das führt zu völlig stressfreiem Arbeiten im Kanal. Zipping, Transportation des Kanals, Microcracks sind praktisch ausgeschlossen. Und: Das Instrument lässt sich vorab biegen. Damit ist die Behandlung von schwer zugäng‧lichen Kanaleingängen, vor allem an distalen Molaren, sehr viel einfacher. Selbst die Behandlung von Perforationen oder gebrochenen Instrumenten – Alltag in einer Endo-Überweisungspraxis – ist dank dieses Faktors fast ein Kinderspiel.

Dr. Tomas Lang

arbeitet auf Überweiserbasis limitiert auf Endodontie in Essen. Er ist in der Forschung und Lehre im eigenen Institut an der Universität Witten-Herdecke engagiert.

www.dr-Lang.org

Dr. Thomas Rieger

ist seit 1996 niedergelassen in eigener Praxis in Memmingen, Hauptarbeitsgebiet ist die Endodontie. Er leitet die TEC2-Endodontics in Zusammenarbeit mit der Uni Pennsylvania.

www.tec2-endo.de