Chef und Gefühlsmanager zugleich

Praxisinhaber müssen ihren Gefühlshaushalt und ihr Verhalten steuern können. Nicht nur um ein persönliches Ausbrennen zu vermeiden, sondern auch damit ihr Verhalten für ihre Mitarbeiter berechenbar bleibt und sie dieses als gerecht empfinden.



Zahnarztpraxen sind soziale Systeme, weil dort Menschen arbeiten und sie auch für Menschen arbeiten. Sie alle sind über zahlreiche Kommunikations- und Arbeitsbeziehungen miteinander verbunden. Deshalb spielen im Praxisalltag auch Emotionen eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen das Arbeitsklima und die Arbeitsmotivation und somit die Effektivität der Zusammenarbeit. Das belegen zahlreiche Studien.
Doch ist es im Praxisalltag überhaupt erlaubt, Gefühle zu zeigen – speziell als Chef? Zweifellos ist es wichtig, dass im alltäglichen Miteinander eine weitgehend „gute Stimmung“ herrscht, weil zum Beispiel der Umgang miteinander von einer gegenseitigen Wertschätzung und einem wechselseitigen Respekt geprägt ist. Denn nur dann identifizieren sich die Mitarbeiter auf Dauer mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber, sind motiviert und haben eine gute Ausstrahlung nach Außen – zum Beispiel im Kontakt mit den Patienten.
Doch wovon hängt eine gute Arbeitsatmosphäre ab? Von äußeren Rahmenbedingungen, also ob es der Praxis wirtschaftlich gut geht oder ob diese unter einem massiven Veränderungsdruck steht. Doch weit entscheidender ist das Verhalten der Praxisinhaber. Sie prägen durch ihre Entscheidungen und ihr Verhalten weitgehend den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeitenden. Deshalb sollten sie ihren Gefühlshaushalt steuern können – und trotzdem auf ihr Gegenüber authentisch wirken. Denn beispielsweise ein maskenhaft zur Schau gestelltes Lächeln wird der Gegenüber schnell als unecht und aufgesetzt durchschauen. Das wiederum schafft oft eher Misstrauen und somit Distanz, bewirkt also häufig das Gegenteil der intendierten Wirkung.


Emotionen akzeptieren
Um den eigenen Gefühlshaushalt steuern zu können, muss man zunächst akzeptieren: Wir als Praxisinhaber sind emotionale Wesen mit Wünschen und Bedürfnissen, Ängsten und Befürchtungen, Vorlieben und Dingen, die uns widerstreben.
Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Denn wer führt, hat oftmals das Selbstbild: Ich handle und entscheide (rein) rational, muss manchmal die Zähne zusammenbeißen und darf keine Gefühle zeigen. Zum Beispiel, wenn den Mitarbeitern eine negative Nachricht zu überbringen ist. Dann werden nicht wenige zu einer Art Apparatschik, verkünden zwar die Fakten, zeigen aber keinerlei Emotion.
Die Folge: Die Mitarbeiter nehmen ihren Chef nicht mehr als Menschen mit Herz und Einfühlungsvermögen wahr. Das belastet ihre Beziehung zum Chef und wirkt sich wiederum auf ihre Arbeitsmotivation aus. So belegen zahllose Studien: Mitarbeiter engagieren sich umso stärker für ihre Arbeit, je mehr sie sich mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten (und Kollegen) identifizieren können. Stimmt die Beziehung zu ihnen, dann fühlen sie sich im Unternehmen wohl.

Ziel: Gerecht und berechenbar sein
Das gelingt nur, wenn Mitarbeiter ihren Vorgesetzten nicht nur als eine „Maschine“ erleben, sondern auch als Mensch, der zuhört, sie versteht und der gute sowie schlechte Tage hat. Deshalb sollten Praxisinhaber durchaus Emotionen zeigen und diese gezielt einsetzen. Dafür sollte man seine emotionalen Reaktionen kennen und wissen, welche Faktoren die jeweiligen Reaktionen auslösen, zum Beispiel:
Jetzt reagiere ich gereizt, weil ich gestresst bin.
Jetzt weiche ich aus, weil ich einen Konflikt scheue.
Denn sonst verhalten sie sich gegenüber Mitarbeitern schnell ungerecht.
Emotionen zeigen, heißt diese kontrolliert zu zeigen. Geäußerte negative Gefühle können in schwierigen Zeiten sogar ein Medium sein, um in einen persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern zu kommen und ihr Verständnis zu gewinnen.

Ausgeglichen sein
In einem gewissen Umfang sind Gefühlsschwankungen für Mitarbeiter akzeptabel – insbesondere, wenn sie die Ursache kennen. Zum Problem werden Gefühlsschwankungen oder -ausbrüche erst, wenn das Verhalten des Chefs unberechenbar wird. Denn dann erfahren sie dieses oft als ungerecht oder unangemessen. Also gehen sie zu ihrem Chef emotional auf Distanz – auch weil sie nicht mehr wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Deshalb sollten Praxisinhaber ihren Gefühlshaushalt weitgehend in Balance halten. Hierfür muss ihnen bewusst sein, dass ihr Verhalten am Arbeitsplatz auch dadurch beeinflusst wird, wie zufrieden sie ansonsten mit ihrem Leben sind. Nach Nossrath Peseschkian lassen sich in unserem Leben vier Bereiche unterscheiden:
Neben dem Bereich „Arbeit/Beruf“ gibt es die Bereiche „Sinn/Kultur“, „Körper/Gesundheit“ und „Familie/Beziehung“ (Abb. 1). Zwischen diesen Lebensbereichen besteht eine Wechselbeziehung. Deshalb verliert, wer zum Beispiel den Bereich „Arbeit/Beruf“ langfristig überbetont, auf Dauer neben seiner Lebensfreude, auch seine Leistungskraft.
Daher ist es wichtig, für die richtige Balance zwischen den vier Lebensbereichen zu sorgen.

Ausgleich schaffen
In unserer modernen, von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Arbeitswelt können Praxisinhaber diese Balance in der Regel nicht Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat bewahren. Im Arbeitsleben gibt es immer wieder Phasen, die einfach stressig sind. Speziell in solchen Phasen, in denen Praxisinhaber auf die Unterstützung ihrer Mitarbeiter besonders angewiesen wären, neigen sie jedoch dazu, unberechenbar und ungerecht zu werden – weil sie selbst am Limit agieren. Die Folge: Ihre Mitarbeiter verweigern ihnen die Unterstützung.
Deshalb sollten sie gerade in Stresssituationen hochsensibel ihr eigenes Verhalten beobachten und darauf achten, dass sie aus Mitarbeitersicht nicht unmotiviert überreagieren. Das können sie nur, wenn sie selbst innerlich eine gewisse Ruhe bewahren und in der Lage sind, ihren Gefühlshaushalt zu steuern. Zu wissen, was einem in Stresssituationen „gut“ und „weniger gut“ tut, ist hilfreich.


Ziel: Gefühlsmanager werden
Dabei kann das Lebensbalance-Modell von Nossrath Peseschkian helfen. Da die vier Lebensbereiche in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen, können Chefs, die gerade unter einer hohen Belastung stehen, diese zumindest für eine gewisse Zeit durch ein entsprechendes Ausgleichsverhalten in den anderen Bereichen kompensieren. Zum Beispiel: Wer beruflich unter Strom steht, sollte darauf achten, dass nicht zudem noch private Probleme Energie rauben. Sonst schlägt das Gefordert-sein schnell in ein Überfordert-sein um. Oder: Wenn sich beruflich immer mehr Stress und Adrenalin aufbaut, ist dafür zu sorgen, dass im privaten Bereich die notwendige Entspannung erfolgt – zum Beispiel mit Joggen.
Auf dieser Ebene sollten Praxisinhaber ­eine höhere Sensibilität entwickeln und sozusagen ihr eigener Gefühlsmanager werden. Das ist nicht nur wichtig, damit sie selbst nicht „ausbrennen“. Das ist auch notwendig, damit sie selbst in Stresszeiten für ihre Mitarbeiter emotional relativ ausgeglichen und folglich berechenbar bleiben, denen diese – wenn ­zuweilen nicht gerne, so doch – bereit­willig folgen.

Sabine Machwürth 

ist geschäftsführende Gesell­schafterin der
Unter­neh­mens­beratung Machwürth Team International (MTI Consultancy),
in Visselhövede, die weltweit Unternehmen unterstützt,
auch bei der Entwickelung von Führungskräften und -teams.
www.mticonsultancy.com
Foto: privat