Aktuelle Meta-Analyse der Harvard Medical School

SARS-CoV-2: Sind Aerosole wirklich so gefährlich?

Aerosole standen bislang im Verdacht, eine wichtige Rolle bei der Übertragung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu spielen. US-Wissenschaftler der Harvard Medical School in Boston sind dieser These in einer aktuellen Untersuchung nachgegangen – und kamen zu einem überraschenden Ergebnis.


SARS-CoV-2 Aerosole

Hauptübertragungsweg oder überschätzte Gefahr? Eine aktuelle US-amerikanische Meta-Analyse untersuchte den Stellenwert von Aerosolen bei der Übertragung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. © Ingo Bartussek – stock.adobe.com


Das Forscher-Team um den Infektiologen Dr. Michael Klompas machte in seiner Studie deutlich: Das alleinige Vorkommen von SARS-CoV-2-Viren durch ausgestoßene Aerosole in der Luft ist noch kein Beweis für eine tatsächliche Übertragung der Krankheitserreger. In ihrer Meta-Analyse im Journal of the American Medical Association (JAMA) stellten sie heraus, dass Aerosole zwar eine Übertragung des Virus ermöglichen. Dieser Weg führe aber nach Auswertung der existierenden Studiendaten in der Bevölkerung nur in seltenen Fällen zu einer Infektion. Damit sät das Team um Klompas Zweifel an der bisher in Forscherkreisen verbreiteten Auffassung, nach der die feinen Schwebepartikel einen wichtigen Übertragungsweg für das neuartige Coronavirus darstellen.

Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole eher unwahrscheinlich

In den für die Analyse ausgewerteten Untersuchungsgruppen ließ sich nur bei fünf Prozent der Kontaktpersonen von Infizierten eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 über Aerosole nachweisen. Den US-Wissenschaftlern zufolge stoßen Infizierte die Viren über Tröpfchen und Aerosole aus. Mehrheitlich bliebe das aber folgenlos und führe nicht zur Infektion weiterer Personen. Als primären und gefährlichsten Übertragungsweg identifizieren Klompas und seine Kollegen dagegen die Tröpfcheninfektion im Nahbereich – auch weil die Viruslast hier besonders hoch sein kann.

Vorsicht in engen Räumen mit schlechter Belüftung!

Ein enger räumlicher Kontakt mit SARS-CoV-2-Infizierten führt immer wieder zu Infektionsherden – beispielsweise in Restaurants, in Chorgruppen oder Bürogebäuden. Nicht zwangsläufig sei in diesen Fällen aber eine Luftübertragung des Virus die Ursache für die Ausbreitung, gaben die Wissenschaftler zu bedenken. So zitierten die US-Forscher den Fall eines Unternehmens, in dem sich das Infektionsgeschehen auf eine einzige mit Viren behaftete Türklinke zurückführen ließ. Dennoch sei nach Aussage der Autoren gerade in engen, schlecht belüfteten Räumen die Gefahr einer Übertragung durch Aerosole gegeben, selbst wenn die Viruslast nur gering ist.



Verständnis der Übertragungswege noch immer limitiert

Mit ihrer Veröffentlichung leisten die Autoren um Klompas einen weiteren Beitrag zu der Debatte um Abstandsregeln und Maskenpflicht. Sie schlussfolgern, dass die bisherige Datenlage – zumindest in ausreichend großen und belüfteten Räumlichkeitengegen eine aerosolbasierte Übertragung des Virus spricht. Noch immer aber sei das Verständnis darüber, wie sich das neuartige Coronavirus verbreitet, sehr begrenzt. Es sei daher aus Sicht der Autoren völlig nachvollziehbar, wenn insbesondere Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die im direkten Kontakt zu SARS-CoV-2-Verdachtsfällen oder infizierten Patienten stehen, weiterhin besondere Vorsicht walten lassen.


Quelle:

Klompas, M. et al: Airborne Transmission of SARS-CoV-2Theoretical Considerations and Available Evidence. JAMA 2020. doi:10.1001/jama.2020.12458