Abutmenthygiene – was ist praktikabel?
Individuelle Abutments sind Medizinprodukte, die als semikritisch und kritisch eingestuft werden. Eine valide Reinigung ist Pflicht, das oft noch verbreitete alleinige Abdampfen nicht genug. Welche Reinigungsprotokolle bieten sich an?
Herr Fischer, laut Professor Dr. Dr. Bilal Al-Nawas müssen Abutments allenfalls bei einer Sofortversorgung, wenn diese also mit Blut oder einer Wunde in Kontakt kommen, steril eingesetzt werden. Reicht in allen anderen Indikationen tatsächlich eine Reinigung?
Fischer: Ja, da Abutments in den meisten Fällen erst nach der Mukosaheilung eingebracht werden, haben sie keinen Kontakt zu Wunden und können daher als semikritische Medizinprodukte eingestuft werden. Das heißt, sie müssen gereinigt und desinfiziert, aber nicht sterilisiert werden wie kritische Medizinprodukte.
Aber das Eintauchen in Chlorhexidin reicht für die Abutmenthygiene nicht aus?
Fischer: Nein, das gilt auch für ein Bad in Alkohol. Damit lassen sich weder Fräsrückstände noch Verunreinigungen durch die Nachbearbeitung der Aufbauten mit rotierenden Instrumenten im Labor eliminieren. Es geht nicht nur um die Reduktion von pathogenen Mikroorganismen (Bakterien, Viren und Pilze), sondern auch um die Entfernung von verarbeitungsbedingten Kontaminationen auf der Abutmentoberfläche. Das muss allen Beteiligten klar sein.
Welche Gefahren drohen denn durch Verarbeitungsrückstände auf der Oberfläche?
Fischer: Zunächst könnten Fremdpartikel an der Implantat-Abutment-Verbindung die mechanische Stabilität des Aufbaus negativ beeinflussen. Studien konnten ebenfalls zeigen, dass Verunreinigungen auf einem Abutment zu entzündlichen Reaktionen des periimplantären Weichegewebes führen und dass beispielsweise Titanpartikel an der Abutmentschulter bzw. -plattform osteoklastische Mechanismen aktivieren. Obwohl kontrovers diskutiert, könnte das klinisch einer von zahlreichen Einflussfaktoren zur Entwicklung einer Periimplantitis und folgenden krestalen Knochenabbaus sein. Ein eindeutiger klinischer Zusammenhang zwischen der Reinheit des Abutments und der Aufrechterhaltung des periimplantären Knochenniveaus muss jedoch noch in kontrollierten Untersuchungen nachgewiesen werden.
Ist das belegt?
Fischer: Ja, unter anderem von Canulli et al., Gehrke et al. und Mehl et al., um nur einige zu nennen. Die Studien zeigen einen Einfluss der Abutmenthygiene auf die möglichen Hart- und Weichgewebereaktionen. Wir wissen, dass Abutments und CAD/CAM-Suprastrukturen durch die Laborarbeiten signifikant mit organischen und anorganischen Partikeln/Substanzen kontaminiert sein können; das geht bis hin zu Schwefelrückständen und Phosphorbestandteilen.
Was empfehlen Sie dem prothetischen Behandlerteam für eine korrekte Abutmenthygiene?
Fischer: Ein adäquates, standardisiertes Reinigungs- und Desinfektionsprotokoll mit dem Labor exakt festzulegen: Abutments und Suprakonstruktionen lassen sich im Ultraschallbad säubern und anschließend zusätzlich desinfizieren. Dafür gibt es Ablaufpläne vom Hersteller und/oder es wird die Standardarbeitsanweisung vom Zahnarzt und Labor implementiert. Dr. Peter Gehrke und ich arbeiten seit 2014 mit dem von uns entwickelten FINEVO-System, einem dreistufigen Ultraschall-Reinigungsprotokoll mit speziellen Reinigungsflüssigkeiten.
Wie funktioniert die dreistufige Ultraschallreinigung?
Fischer: Das Abutment wird nacheinander in drei verschiedenen Reinigungsflüssigkeiten für fünf Minuten bei 30 °C im Ultraschallgerät gereinigt und desinfiziert. Dieses Ultraschallbad muss auf jeden Fall 45 Hertz erreichen. Im ersten Schritt erfolgt die Desinfektion in einer antibakteriellen Reinigungsflüssigkeit (Finevo 01). Im Anschluss wird das Objekt in 80%igen Ethylalkohol gelegt – das ist genauso wirksam wie ein Bad in hochreinem 98-prozentigem Ethylalkohol – und anschließend erneut für fünf Minuten im Ultraschallbad gespült. Final erfolgt ein fünfminütiges Bad in medizinisch reinem Wasser mit einer Temperatur von 30 °C. Danach wird das Bauteil mit gereinigter Druckluft abgepustet. Ganz wichtig: Dafür braucht es Druckluft „aus der Dose“, Labor- oder Praxisluft ist aufgrund der Verunreinigung ein No-go. In-vitro-Studien bescheinigen unserem Protokoll deutlich bessere Reinigungsergebnisse als dem Reinigen per Dampfstrahler. Weiterhin zeigt sich bei polierten Zirkoniumdioxidoberflächen, die nach diesem dreistufigen Ultraschallprotokoll gereinigt wurden, eine signifikant erhöhte Fibroblastenanlagerung (Gehrke et al., In Vivo, 2019). Das spricht für die gute Biokompatibiliät der Oberflächen, die mit dem Drei-Stufen-Ultraschallprotokoll gereinigt wurden.
Welches Equipment braucht es für das Protokoll?
Fischer: Wer ein technisch neuwertiges Ultraschallgerät besitzt, kann im Grunde sofort loslegen. Er ist lediglich auf die Verfahrensgläser und deren Drei-Loch-Halterung im Ultraschallgerät angewiesen. Alle weiteren Kosten beschränken sich auf die Verbrauchsflüssigkeiten. Für jeden Zyklus werden etwa 30 ml der Flüssigkeiten zur Einmalverwendung benötigt. Wir im Labor kalkulieren dafür mit der BEB-Position Ausgangsdesinfektion in Höhe von 11,20 Euro je Einheit.
Wer ist für die korrekte Reinigung denn letztlich verantwortlich, der Zahnarzt oder das Labor?
Fischer: Verantwortlich ist stets der Behandler. Wir machen uns selbstverständlich für eine teamorientierte Zusammenarbeit stark und unterstützen unsere Partner. Voraussetzung dafür ist allerdings ein abgestimmtes Handlungsprozedere, das die Verantwortlichkeiten festlegt. Fehlt dies, muss der Zahnarzt in Eigenregie reinigen.
Apropos abgestimmtes Handlungsprozedere – bei einem Abutment dürfte die Zuordnung kein Problem sein …
Fischer: Richtig, hat man nur ein Abutment, wird das gereinigte Abutment in eine Schlauchtüte eingeschweißt, beschriftet, versiegelt und angeliefert.
Wie gehen Sie in Sachen Abutmenthygiene bei sechs Implantaten pro Kiefer vor?
Fischer: Genauso, damit haben wir in unserem Laboralltag gute Erfahrungen gemacht.
Wie viele Abutmentteile lassen sich pro Zyklus reinigen?
Fischer: Pro Zyklus lassen sich bis zu acht Teile reinigen. Bei den Flüssigkeiten handelt es sich um einen Verbrauchsartikel zur Einmalverwendung. Die Bauteile dürfen im Glas nicht gestapelt werden.
Gibt es auch andere standardisierte Protokolle zur Abutmenthygiene?
Fischer: Der Gesetzgeber beschreibt hier die Sterilisation. Die Sterilisation von Metallabutments und Suprakonstruktionen führt, wie gesagt, nicht zur Reinigung von Fremdpartikeln. Und die Plasmareinigung ist kein validiertes Protokoll, zeigt aber in Untersuchungen vielversprechende Ergebnisse. Es ist aus meiner Sicht in dieser Gesamtthematik zu wünschen, dass es zu einer einfachen, praktikablen Lösung mit überschaubaren Kosten im Alltag kommt.
Alle Medizinprodukte, die z. B. im Rahmen einer Implantatversorgung „mit dem menschlichen Körper in Berührung gebracht oder in diesen ein‧gebracht werden“ (KRINKO 2012), müssen hygienisch aufbereitbar sein, und der Hersteller muss dazu konkrete Angaben machen. Dies setzt u. a. auch eine enge Abstimmung zwischen zahntechnischem Labor und Praxisteam voraus.
- Ein Medizinprodukt, das nur mit intakter Haut in Berührung kommt, wird als unkritisch eingestuft und muss gereinigt und desinfiziert werden.
- Ein Mediziprodukt, das mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut in Berührung kommt, wird als semikritisch eingestuft. Es sollte bevorzugt maschinell gereinigt werden. Zudem sollte es thermisch oder chemisch desinfiziert werden (bakterizid, fungizid, viruzid). Als letzter Schritt folgen die Prüfung, Verpackung und die Kennzeichnung „desinfiziert“.
- Ein Medizinprodukt, das Haut oder Schleimhaut durchdringt, wird als kritisch eingestuft. Es sollte bevorzugt maschinell gereinigt werden. Zudem sollte es thermisch oder chemisch desinfiziert werden (bakterizid, fungizid, viruzid). Nach Prüfung und Verpackung folgen die Sterilisation mit feuchter Hitze sowie die Kennzeichnung „steril“.
Der Experte
ZT Carsten Fischer
ist seit 1996 selbstständiger Zahntechniker mit seinem Fachbetrieb in Frankfurt am Main und seit 1994 als internationaler Referent tätig. Carsten Fischer ist Dozent der Steinbeis-Universität, Berlin, sowie Referent für verschiedene Organisationen (DGI) und Vizepräsident der EADT.
fischer@sirius-ceramics.com