MIH, Erosionen & Co.

Was bei überempfindlichen Zähnen helfen kann

Die Karies haben Zahnärzte in Deutschland weitestgehend im Griff. Im Interview erklärt Prof. Dr. Johannes Einwag, ZFZ Stuttgart, welche neuen Herausforderungen anstehen und welche Rolle Fluoride bei ihrer Bekämpfung spielen.


Überempfindliche Zähne

Überempfindliche Zähne stellen – neben der Bekämpfung der Karies – eine der neuen Herausforderungen der Zahmedizin dar. © GlobalStock/istockphoto


Fluoride sind in der Kariesprophlyaxe bewährt, mit dem Rückgang der Karies treten andere Erkrankungen der Mundhöhle in den Vordergrund – welche Rolle spielt Fluorid dabei?

Einwag: Zunächst einmal: Der Rückgang der Karies in allen Altersgruppen ist offensichtlich. Dies darf jedoch nicht davon ablenken, dass die Bekämpfung der Karies – sowohl was die Prävention als auch was die Therapie betrifft – auch in dieser Dekade den Schwerpunkt der zahnärztlichen Tätigkeit bilden wird, eine Aussage, die durch aktuelle Publikationen eindrucksvoll belegt werden kann. Das heißt: Auch wenn derzeit Themen wie z. B. MIH (Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation) oder Erosionen vermehrt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden: Die Karies steht nach wie vor im Fokus unserer Bemühungen um eine Verbesserung der Zahngesundheit bezüglich der Zahnhartsubstanzen – Fluoride spielen nach wie vor eine zentrale Rolle!

Stichwort überempfindliche Zähne: Welche Effekte kann Fluorid bei der Behandlung der „neuen Herausforderungen“ haben?

Einwag: Die Ätiologie der MIH ist bis heute nicht geklärt. Eine Verhinderung oder Abschwächung der Entwicklung dieser Erkrankung durch den Einsatz von Fluorid ist nicht möglich! Dennoch ist der Einsatz von Produkten mit Fluorid im Inhalt auch bei MIH-Patienten aus zwei Gründen sinnvoll: zum einen – auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen – um überempfindliche Zähne zu vermeiden, zum anderen zur Reduktion des Kariesrisikos (die Zahnoberfläche bei MIH-Patienten ist vergleichsweise rauer – es lagert sich leichter Biofilm an, der schwieriger zu entfernen ist – verstärkter Schutz vor Karies durch eine wirksame fluoridhaltige Deckschicht ist erforderlich). Im Unterschied zur Karies entstehen Erosionen bei einem deutlich niedrigeren pH-Wert und unter stärkeren Säureeinwirkungen. Dies führt dazu, dass die kalziumfluoridhaltige Deckschicht leicht gelöst wird und kaum noch Schutzwirkung vor Säureangriffen besteht. Deutlich säureresistentere Schutzschichten werden gebildet nach Gabe von Fluorid in Kombination mit bestimmten Metallen, z. B. Titan oder Zinn. Besonders das Zinn-Ion ist von praktischer Bedeutung und wird (z. B. als Zinnfluorid) mittlerweile weltweit in Form von Zahnpasten, Mundspüllösungen und Gelen eingesetzt.


Kann Fluorid auch bei Wurzelkariesläsionen von Nutzen sein?

Einwag: Zur Prävention der Wurzelkaries haben sich insbesondere höher dosierte fluoridhaltige Zahnpasten mit Natriumfluorid oder silberdiaminfluoridhaltige (SDF) Produkte bewährt. So konnte gezeigt werden, dass tägliches Putzen mit einer natriumfluoridhaltigen Zahnpasta mit einem Fluoridgehalt von 5000 ppm das Auftreten von neuer Wurzelkaries um ca. 50 Prozent reduziert gegenüber einer Vergleichsgruppe, die eine natriumfluoridhaltige Zahnpasta mit 1450 ppm Fluorid verwendete. Die Anwendung von SDF konnte beispielsweise das Auftreten neuer Wurzelkariesläsionen um 67 Prozent im Vergleich zu einem Placebo-Lack reduzieren. (Jedoch kommt es nach der Applikation von SDF zu einer dauerhaften Schwarzfärbung der behandelten Zahnflächen, weshalb der Einsatz zumindest an bleibenden Zähnen im sichtbaren Bereich limitiert ist. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass SDF in Deutschland bisher nicht als Substanz zur Prävention und Arretierung von Wurzelkariesläsionen erhältlich ist und demnach kaum verwendet wird.)

An welcher Stelle in der Therapie verwenden Sie ein Gel wie Enamelon? Kann der Patient es in der Folge auch eigenständig zu Hause anwenden?

Einwag: Enamelon ist ein zinnfluoridhaltiges Gel zur täglichen häuslichen Anwendung, dem neben den klassischen bekannten Wirkungen der Zinnfluoride (u. a. Prophylaxe von Karies, Erosionen und Gingivitis) dank der Kombination mit amorphem Calciumphosphat eine besonders intensive Reduktion der Überempfindlichkeiten bescheinigt wird. Als weiterer klinisch bedeutender Inhaltsstoff ist Ultramulsion, eine Dispersion von hochviskösen Silikonen gegen Mundtrockenheit, enthalten. Wir verwenden Enamelon daher bevorzugt bei Patienten im Rahmen der unterstützenden parodontalen Therapie – Ausgangssituation ist in der Regel eine freiliegende Wurzeloberfläche – zur Reduktion des Wurzelkariesrisikos und von überempfindlichen Zähnen. Zudem erscheint uns Enamelon aufgrund des Vorhandenseins von Ultramulsion besonders indiziert bei Patienten mit reduziertem Speichelfluss.

Welche Resultate haben Sie bei der Verwendung von Enamelon Gel feststellen können?

Einwag: Besonders auffällig sowohl für unsere Patienten als auch für das betreuende Prophylaxeteam war die Verringerung der Überempfindlichkeiten, die bereits nach kurzer häuslicher Anwendung von Enamelon Gel eintrat. Die Reduktion der Überempfindlichkeiten war derart substanziell, dass in der Regel bereits bei der ersten UPT ohne begleitende Anästhesie maschinell subgingival gearbeitet werden konnte. Der Effekt ist allerdings wie bei allen oberflächlich und somit auch allen vom Patienten applizierten Medikationen nur von temporärer Wirkung. Bei Verzicht auf die Anwendung von Enamelon war daher ein zeitnaher Wiederanstieg der Überempfindlichkeiten zu verzeichnen. Für die Patienten ist ein Zusammenhang zwischen der Reduktion ihrer Überempfindlichkeiten und der Anwendung des Produkts offensichtlich; daher wenden sie das Gel mit Fluorid regelmäßig an, um überempfindliche Zähne zu schützen.