Fluoroseflecken auf den Zähnen behandeln
Blieb die Behandlung per Kariesinfiltration bislang vor allem auf kariesbedingte Veränderungen in proximalen Bereichen und glatte Oberflächen beschränkt, so lassen sich heute auch Fluoroseflecken damit in den Griff bekommen. Das Ergebnis überzeugt. Möglicherweise kann das Verfahren auch bei Problemen helfen, die im Zusammenhang mit Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation entstehen. Erste Versuche dazu laufen.
Wodurch wird Fluorose verursacht und welche Patientengruppen sind davon betroffen?
Dr. Jean-Pierre Attal: Fluorosen entstehen durch eine zu intensive Fluoridzufuhr bei Kindern im Alter zwischen 15 und 30 Monaten [1]. Das gilt vor allem für die Fluorosen, die die mittleren oberen Schneidezähne, also die sichtbarsten Zähne, betreffen.
Als Ursachen gelten vor allem Umwelteinflüsse: fluoridiertes Wasser, besonders in den Ländern Nordafrikas, fluoridhaltige Mineralwassersorten, fluoridiertes Speisesalz und Fluoridtabletten in der Kindheit. Entweder sind nur einige oder alle bleibenden Zähne betroffen.
Und wie kommt es zu den braunen Flecken?
Dr. Linda Helene Greenwall: Der Überfluss an Fluoriden verändert die Schmelzoberfläche während der Ausbildung des Schmelzes. Das Übermaß verursacht chemische Störungen in der Schmelzreifung und Störungen in der Schmelzsättigung. Der Schmelz wird poröser, so entstehen die braunen, orangen, gelben und weißen Verfärbungen.
Welche Patienten sind von Fluorose betroffen?
Dr. Linda Helene Greenwall: Das ist ganz unterschiedlich. Menschen, die in einem Gebiet mit stark fluoridhaltigen Trinkwasser leben, dürften besonders stark betroffen sein. Andere haben in jungen Jahren – verordnet durch den Kinderarzt – einfach zu viele Fluoridtabletten nehmen müssen. Auch die zu frühe Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta gilt als Ursache von Fluoroseflecken.
Sehen Sie in Ihrer Praxis überwiegend Patienten mit gering bis mäßig ausgeprägter Fluorose oder eher schwerwiegende Fälle?
Dr. Jean-Pierre Attal: In unsere Spezialpraxis kommen vor allem Patienten mit mittelschweren Fluorosen.
Lassen sich die Verfärbungen beseitigen?
Dr. Linda Helene Greenwall: Ja, und zwar mit der Kombination von Zahnaufhellung und Kariesinfiltration. Ich beschäftige mich seit 24 Jahren mit der Zahnaufhellung und kann klar sagen: Das ist das Erfolgsrezept gegen braune, gelbe und orange Fluoroseflecken.
Die Verfärbungen können auch den weißen kariogenen Flecken ähneln. Bitte nennen Sie Unterscheidungsmerkmale.
Dr. Jean-Pierre Attal: Kariogene weiße Flecken sind in der Regel viel kleiner und definierter abgegrenzt als die Markierungen von Fluorose. Fluoroseflecken sind diffuser und treten großflächig in Erscheinung.
Lässt sich das problemlos erkennen?
Dr. Jean-Pierre Attal: Mit etwas Übung fällt die Unterscheidung nicht schwer [2]: Das Vorhandensein von Fluorose ist durch weiße oder braune Flecken auf dem gesamten Zahn oder einem Teil des Zahns gekennzeichnet. Diese Flecken sind gegenüber der Mitte des Zahnbogens stets symmetrisch. Kariesbefall findet sich in den Bereichen, in denen sich Plaque ansammelt, zum Beispiel am Zahnhals oder um orthodontische Brackets herum.
Dr. Linda Helene Greenwall: Die richtige Diagnose hängt letztlich von einer gründlichen Anamnese ab. Denn auch Traumata im Milchgebiss können zu weißen Markierungen im Sekundärgebiss führen. Auch die Gabe von Antibiotika vor Abschluss der Denti‧tionsphase verursacht Zahnverfärbungen. Dazu kommen erblich bedingte weiße Flecken. Eltern und ihre Kinder weisen dabei nahezu exakt die gleichen Markierungen auf, auf den gleichen Zähnen, in der gleichen Position. Das betrifft immerhin zehn Prozent der Patienten.
Wird die Fluorose primär aus ästhetischen Erwägungen behandelt?
Dr. Jean-Pierre Attal: Definitiv. Auf biologischer Ebene betrachtet besteht bei Fluoridflecken auch keine Notwendigkeit, eine Behandlung durchzuführen. Bei Karies muss dagegen auch aus zahnmedizinischer Sicht unbedingt gehandelt werden, entweder mittels Remineralisierung oder mittels Infiltration.
Aus zahnmedizinischer Sicht muss Fluorose nicht zwingend behandelt werden?
Dr. Jean-Pierre Attal: Korrekt, aber man sollte die psychologische Komponente nicht unterschätzen. Betroffene Kinder leiden sehr. Sie werden in der Schule oft so gehänselt, dass sie sich kaum zu lächeln trauen [3]. Greenwall: Richtig, das ist zum Teil wirklich dramatisch. Die Kinder werden in der Schule gemobbt und gewöhnen sich an, beim Sprechen den Mund mit der Hand zu verdecken.
Kommen wir zur Zahnaufhellung. Ist sie die Therapie der Wahl bei Fluoroseflecken?
Dr. Jean-Pierre Attal: Grundsätzlich können braune Fluoroseflecken aber aufgehellt (weißer) werden. Handelt es sich um weiße Flecken, sorgt die Aufhellung dafür, dass der nicht betroffene Teil der Zähne strahlender wird und sich dadurch der Kontrast zu den weißen Flecken verringert. Dieses Ergebnis ist für den Patienten häufig ausreichend – jedoch nicht immer. Aber bei Kindern sicherlich nicht, denn eine EU-Kosmetik-Verordnung 1223/2009/EG von August 2013 untersagt bei Jugendlichen unter 18 Jahren die Zahnaufhellung.
In welchen Fällen empfehlen Sie bei Fluoroseflecken eine alleinige Kariesinfiltration?
Dr. Jean-Pierre Attal: Wenn der Patient mit dem Ergebnis der Aufhellung nicht zufrieden ist oder keine Aufhellung wünscht beziehungsweise eine Zahnaufhellung beim ihm kontraindiziert ist. Eigentlich favorisiere ich diese Kombination ICON/Bleaching, wann immer sie möglich ist.
Wann exakt ist sie nicht möglich? Bitte nennen Sie die Kontraindikationen für die kombinierte Anwendung?
Dr. Jean-Pierre Attal: Kontraindikationen zur Infiltration allein kenne ich nicht. Es sei denn, der Patient reagiert allergisch auf das Kunstharz TEGDMA. Für die Zahnaufhellung gilt wie bereits erwähnt: Keine Zahnaufhellungen bei Personen unter 18 Jahren.
Dr. Linda Helene Greenwall: Bei Bleaching zählen zudem natürlich eine mangelhafte Mundhygiene und aktive Karies zu den Kontraindikationen. Zudem muss der Zustand des Zahnfleischs in Ordnung sein, weder Infektionen und Schwellungen noch eine Gingivahyperplasie dürfen vorliegen. Bleaching ist natürlich grundsätzlich kontraindiziert bei schwangeren und stillenden Frauen.
Kann die Infiltration wiederholt werden, wenn das Ergebnis nicht optimal ist?
Dr. Linda Helene Greenwall: In Fällen von tiefen oder tiefsitzenden Läsionen kann der Ätzschritt wiederholt werden, um ein optimales ästhetisches Ergebnis zu erzielen. Eine Infiltration jedoch ist nicht mehrfach möglich.
Wie gehen Sie bei extremen White Spots vor?
Dr. Linda Helene Greenwall: Bei ihnen wenden wir ein erweitertes Behandlungsprotokoll an. Der Bereich wird zunächst sandgestrahlt. Danach behandeln wir mit Icon-Etch (15 Prozent Salzsäure) für zwei Minuten. Anschließend wird Icon-Dry aufgetragen, um eine Vorschau zu erhalten, ob die weißen Flecken verschwinden. So können wir prüfen, ob die Läsion für die Infiltration zugänglich ist. Anschließend infiltrieren wir nach dem üblichen Behandlungsprotokoll. Je nachdem, wie viel Substanz durch das Sandstrahlen entfernt wurde, wird dieser Abtrag nach der Infiltration durch ein transluzentes Schmelzkomposit ausgeglichen.
Bleiben die Ergebnisse über längere Zeit stabil?
Dr. Jean-Pierre Attal: Definitiv. Und: Es lässt sich im Lauf der Zeit sogar eine gewisse Verbesserung feststellen, wie manche Autoren aufgezeigt haben [6]. Wir haben jedoch festgestellt, dass das Kunstharz zur Infiltration – sofern es nicht von einem Komposit abgedeckt wurde – sich oberflächlich farblich etwa durch Nahrungsmittel etwas verändern kann. In solchen Fällen hilft ein einfaches Überpolieren, die Verfärbungen dauerhaft zu entfernen [7]. Wenn man eine gründliche Abschlusspolierung nach der Infiltration vorgenommen hat, sollte das Problem nicht auftreten.
Wie lassen sich unzureichende ästhetische Ergebnisse vermeiden?
Dr. Jean-Pierre Attal: Man braucht eine gute Ausbildung und ein gewisses Maß an Erfahrung.
Welche weiteren Indikationen eignen sich für eine Infiltration?
Dr. Jean-Pierre Attal: Da gibt es mehrere Möglichkeiten: zum einen die bereits veröffentlichten Indikationen – und zwar die Behandlung von Flecken auf bleibenden Zähnen in Verbindung mit einem Trauma an Primärzähnen – und zum anderen Flecken im Zusammenhang mit der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), die eine hohe Prävalenz aufweist [8]: 15 Prozent der Bevölkerung Frankreichs sind davon betroffen! Außerdem kann man sich den Einsatz der Infiltration vorstellen, um von Säuren angegriffenen Zahnschmelz zu schützen, was 29 Prozent der jungen Erwachsenen in Europa betrifft [9], und um die Fissuren bei Kindern [10] sowie hypomineralisierte Höcker von Backenzähnen bei der MIH zu versiegeln. An diesen drei Indikationen arbeiten wir momentan.
Die Experten
Dr. Linda Helene Greenwall
ist Fachzahnärztin für Zahnerhaltung und Prothetik und gilt als Koryphäe in puncto Zahnaufhellung und ästhetische Zahnheilkunde. Sie betreibt eine Privatpraxis in Hampstead, London.
Dr. Jean-Pierre Attal
führt seit 1990 eine privatärztliche Zahnarztpraxis in Paris. Zu seinen Schwerpunkten zählt u. a. die Ästhetische Zahnheilkunde. Zudem ist er als Dozent an der Pariser Universität tätig.