Kieferorthopädie

Myofunktionelle Störungen: Therapie bei Erwachsenen

Oft entwickeln sich die in der Kind- und Jugendzeit kieferorthopädisch korrigierten Zahnfehlstellungen nach Jahren wieder zurück. Denn das ursächliche Problem – die myofunktionellen Habits – wurden nie behandelt. Doch die Therapie von Zungenpressen, Mundatmung und falschem Schlucken ist auch bei Erwachsenen erfolgreich, wie vier Fallbeispiele zeigen.


myofuntionelle Störungen

Abb. 2b Einsatz des BWS System, um mehr Kieferbogenerweiterung zu bekommen © Dijk


Relativ häufig sehe ich Patienten, deren Kieferknochen aufgrund enormer Größenunterschiede und ungünstiger Stellung zueinander nicht in der Lage sind, „alle Zähne zu halten“. Ein schlichtes „Geradestellen“ bewirkt da wenig. Es verbessert weder die Funktion noch beseitigt es die Eng- und Schiefstände dauerhaft. Denn: Aligner-Schienen korrigieren wie Zahnspangen nur die Symptome, begradigen also die schiefen Zähne. Doch die Ursachen-Behandlung für myofunktionelle Störungen bleibt auf der Strecke.

Dabei gibt es schon lange einen entsprechenden Therapieansatz, Prof. Rolf Fränkel, Zwickau, war der bekannteste Vertreter dieser Behandlungsmethode. Weil die aktiven Platten, die primär für Kinder gemacht worden waren, so groß waren, dass die Compliance gegen Null ging, hat sich das Konzept bislang nicht flächendeckend durchgesetzt. Mit Myobrace könnte sich das ändern, denn auch der Therapieansatz für Erwachsene überzeugt.

Wie Myobrace funktioniert

Myobrace korrigiert die falschen myofunktionellen Habits (Angewohnheiten im Mundbereich), wie z.B. eine falsche Zungenlage, ein falsches Schluckmuster und eine zu schwache orofaziale Muskulatur, die oft die Ursachen für schiefe Zähne und Mundatmung in der Nacht wie auch tagsüber sind.

Das Myobrace-System besteht aus einer Reihe von Intraoralschienen, die tagsüber für eine Stunde und nachts beim Schlafen getragen werden. Die Schienen unterstützen die Korrektur der schädlichen Angewohnheiten und erweitern den Zahnbogen; gleichzeitig üben sie leichte Kräfte aus, um Zähne und Kiefer korrekt auszurichten. Zusätzlich gibt es ein Programm zur Patientenführung („Übungen mit dem Myobrace“) zur weitergehenden Korrektur der myofunktionellen Habits, die zur fehlerhaften Zahn- und Kieferentwicklung geführt haben. Die Übungen müssen zweimal täglich neben dem Tragen der Myobrace-Apparatur durchgeführt werden und bestehen aus einer Reihe von Einzelübungen zum Atmen und Schlucken sowie für Zunge, Lippen und Wangen.

Neben der Korrektur von Habits kann eine zusätzliche Entwicklung des Zahnbogens erforderlich sein, um den Oberkiefer zu weiten und ausreichend Platz für Zähne und Zunge zu schaffen. Für die Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten empfehle ich Apparaturen und Techniken wie der Biobloc oder das Farrell Bent Wire System (BWS) in Kombination mit dem Myobrace-System, um eine zusätzliche Kieferentwicklung zu erreichen, was den Behandlungsverlauf beschleunigen kann.

Viele der erwachsenen Patientinnen und Patienten entscheiden sich für die Behandlung mit Myobrace, da sie bereits eine kieferorthopädische Behandlung in der Jugendzeit hatten und die korrigierte Zahnfehlstellung sich jedoch nach Jahren wieder zurück entwickelte, da das ursächliche Problem – die myofunktionellen Habits – nicht korrigiert wurde.

Natürlich kann es in einigen Fällen sein, dass nach der Behandlung mit Myobrace die Zahnfehlstellung noch nicht zu 100% korrigiert ist. Das lässt sich mit Zahnkorrekturschienen oder aber auch mit Brackets nachbehandeln. Aufgrund der Myobrace-Therapie verkürzt sich aber die Behandlungsdauer deutlich und es entstehen keine Rezidive.

Schwerwiegende Probleme

Einige meiner Patientinnen und Patienten konsultieren uns mit viel schwerwiegenderen Problemen, die durch die Mundatmung entstanden sind. Verbreitet ist das Schnarchen, das häufig schlafbezogene Atmungsstörungen mit sich bringt und tagsüber zu Konzentrationsstörungen oder Tagesmüdigkeit führen kann.

Grundsätzlich rate ich diesen Patientinnen und Patienten, eine Kontrolle durch ein Schlaflabor durchführen zu lassen. Sind die Atemaussetzer – Schlaf-Apnoe-Syndrom – unbedenklich, kann das MyOsa for Snorer Sortiment helfen, das Schnarchen zu lindern. Möglich ist auch ein Trainieren der Nasenatmung.

Diese speziellen Schienen dafür wurden so entwickelt, dass sie den Unterkiefer leicht vorschieben, die Zungenposition korrigieren und den Biss öffnen, wodurch auch die Atemwege geöffnet werden und ebenfalls die Überatmung durch den Mund kontrolliert werden kann. Anstatt sich nur auf die Linderung der Symptome zu konzentrieren, zielen die Schienen darauf ab, die oberen Atemwege und die neuromuskuläre Dysfunktion zu korrigieren, die zu einer schlafbezogenen Atmungsstörung führen kann. Die Schienen sind aus einem flexiblen Material mit einer seitlich eingearbeiteten Luftfederbasis gefertigt und eignen sich somit auch für Patienten mit Kiefergelenkproblemen.

Patienten mit kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) helfen die Schienen des TMJ-Systems, die Kiefer- und Nackenmuskulatur zu entspannen. Sie verringern den Druck auf das Kiefergelenk, schränken Bruxismus ein und können somit Kopf- und Nackenschmerzen reduzieren.

Leider werden diese Probleme nach wie vor häufig nicht diagnostiziert. Die Behandlung ist ein integraler Bestandteil der myofunktionellen Therapie. Denn wo eine Weichteildysfunktion vorliegt, ist fast immer auch eine CMD vorhanden.

Myofunktionelle Störungen: Fallbeispiel 1

Eine 69-jährige Patientin war mit ihrer Zahnstellung sehr unzufrieden. Vor allem der untere Frontzahn und der ausgeprägte Deckbiss störten sie am meisten. Sie war vom Myobrace Konzept überzeugt und startete die Behandlung. Nach nun bereits 14-monatiger Behandlungszeit sieht man schon deutliche Verbesserungen. Die Behandlung ist aber noch nicht abgeschlossen (Abb. 1a–1c).


Myofunktionelle Störungen: Fallbeispiel 2

Ein 20-jähriger Patient hatte vor Beginn der Behandlung einen zu schmalen Oberkiefer durch eine falsche Zungenlage und eine saggitale Stufe durch sein falsches Schluckmuster und seine zu schwache orofaziale Muskulatur. Während der 17-monatigen Behandlung mit den Myobrace Apparaturen kam bei diesem Patienten auch das Farrell Bent Wire System (BWS) zum Einsatz, da seine Zunge anfangs in dem viel zu schmalen Oberkiefer keinen Platz hatte (Abb. 2a–2c).


Myofunktionelle Störungen: Fallbeispiel 3

Ein 47-jähriger Patient kam wegen seiner Zahnfehlstellungen. Nach 22-monatiger Behandlung waren die Habits korrigiert, die Zahnstellung jedoch noch nicht zu 100%. Da der Patient mit dem Ergebnis aber mehr als zufrieden war, wurde keine Behandlung zur vollendeten Korrektur der Zahnstellung durchgeführt (Abb. 3a–3c).


Myofunktionelle Störungen: Fallbeispiel 4

Eine 30-jährige Patientin startete die Myobrace Behandlung wegen ihres offenen Bisses. Nach einer 29-monatigen Behandlung hat sich ihr Oberkiefer sogar noch ein wenig verbreitert. Durch das Lippentraining wurde der nötige Druck auf die Oberkiefer-Frontzähne aufgebaut und das Schlucktraining sorgt nun für eine korrekte Zungenposition (Abb. 4a–4c).


Fazit

Myobrace ist eine natürliche kieferorthopädische Behandlung, die die Zähne richten kann. Das Therapiekonzept eignet sich nicht nur für Kinder und Jugendliche. Auch bei erwachsenen Patienten lassen sich Erfolge erzielen. Das Tragen von Zahnkorrekturschienen lässt sich verkürzen, Rezidive werden vermieden – das alles dank der Kraft der Muskulatur von Zunge und Wangen durch ein gezieltes Training.


Der Experte

Dr. Chris van Dijk
niedergelassen in eigener Praxis in Everswinkel, Schwerpunkte: CMD und Schlafmedizin
info@zahnarztpraxis-vandijk.de