Ein Thema, zwei Meinungen 

Sofortversorgung: Vom Trend zum Standard?

Die Verkürzung der Behandlungsdauer durch Sofortimplantation plus Sofortversorgung erhöht die Patientenzufriedenheit und den Patientenkomfort. Ist die gedeckte Einheilung bald Schnee von gestern?


Sofortversorgung: Prof. Stelzle und Dr. Bauersachs haben kontroverse Ansichten

Sofort implantieren oder doch lieber verzögert? Prof. Dr. Dr. Florian Stelzle und Dr. Anne Bauersachs im Schlagabtausch. © Schunk


Patienten wünschen sich kurze Behandlungszeiten, was spricht dafür, was dagegen?

Stelzle: Wenn man das patientenzentrierte Outcome in die Behandlungsstrategie miteinbezieht, ist die Sofortimplantation und Sofortversorgung fast unschlagbar. Funktion und Ästhetik sind unmittelbar nach der Behandlung wiederhergestellt.

Bauersachs: Das stimmt, doch leider kommen nur wenige Patienten für dieses Therapiekonzept in Betracht.

Verringert eine Sofortversorgung den Knochenabbau nach Explantationen?

Stelzle: Im Idealfall schont eine Sofortimplantation das Weichgewebe und erhält die vestibuläre Lamelle. Doch es gibt durchaus Situationen, die eine Augmentation vor der Implantation erforderlich machen, um die Knochensubstanz zu stabilisieren.

Bauersachs: Das sehe ich genauso. Dazu kommt: Bei der Sofortimplantion entsteht häufig ein Gap, der mit Knochenersatzmaterial gefüllt werden muss.

Wie sieht es im Seitenzahnbereich aus? Implantieren und versorgen Sie in dieser Region sofort oder verzögert?

Bauersachs: Verzögert – das Risiko, dort sofort zu implantieren, gehe ich nicht ein. Eine Sofortimplantation braucht eine primäre Stabilität, die im apikalen Knochen erreicht wird. Wichtige anatomische Strukturen – die Nerven, der Sinus – könnten verletzt werden. Eine Lücke im nicht sichtbaren Bereich ist meines Erachtens auch kein Problem für den Patienten.

Stelzle: Das sehe ich definitiv anders: Ich implantiere bis zum 4er-Bereich sofort. Das ist Praxisalltag, funktioniert super und die Patienten schätzen es. Denn eine 4er-Lücke ist sichtbar und stört. Im Bereich des 5., 6. und 7. Zahns bin aber auch ich zurückhaltender. Denn in dieser Region liegt die Hauptkaukraft. Reicht aber das Knochenvolumen aus, ist auch in diesem Bereich – aus meiner Sicht – eine Sofortimplantation kein Problem.

Ist das belegt?

Stelzle: Ja, es gibt durchaus Studien, die positive Ergebnisse für dieses Vorgehen zeigen.

Zurück zur Primärstabilität – wie hoch sollte sie denn bei einer Sofortversorgung sein?

Stelzle: 35 Ncm, weniger kann zwar funktionieren, ist aber nicht unbedingt sicher.

Bauersachs: Einverstanden! Die Literatur berichtet von einer Primärstabilität > 25 Ncm bei der Sofortimplantation. Daran sollte man sich in der Praxis orientieren.

Inwieweit kann eine Sofortimplantation plus Sofortversorgung das perimplantäre Weichgewebe erhalten?

Stelzle: Man kann mit dem passenden Emergenzprofil das Weichgewebe erhalten und stützen. Im Idealfall muss ich es gar nicht tangieren. Das ist eine sehr gute Option, die Ästhetik ohne zusätzlichen Aufwand für den Patienten zu erhalten.

Bauersachs: Aber es ist nur eine Option – und die setzt Idealbedingungen voraus. Natürlich kann man sehr schöne ästhetische Ergebnisse erzielen, wenn der Phänotyp und die bukkale Lamelle passen und der Behandler in der Lage ist, die bukkale Lamelle und die Platzierung des Implantats korrekt zu erhalten.

Was spricht definitiv gegen eine Sofortimplantation plus Sofortversorgung?

Stelzle: Zu wenig Knochen, zu geringe Primärstabilität und ein starker Weichgewebsabbau.

Warum ein starker Weichgewebsabbau?

Stelzle: Fehlt zu viel Weichgewebe, muss der Behandler es intraoperativ rekonstruieren. Das wird sehr komplex, der Behandler braucht sehr viel Erfahrung.

Was sind Ihre Erfolgsparameter für eine Sofortimplantation, Frau Dr. Bauersachs?

Bauersachs: Der richtige Phänotyp, ausreichendes Knochenvolumen, eine Primärstabilität von mehr als 25 Ncm, aber auch das Können des Behandlers und des Zahntechnikers.

Ein Blick in die Zukunft: Geht der Trend zur Sofortversorgung?

Stelzle: Definitiv! Der Paradigmenwechsel ist bereits eingeläutet. Die Humanmediziner machen es vor. Man denke nur an die früh-funktionelle Belastung in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Wer eine Hüftprothese erhält, steht am nächsten Tag auf und läuft.

Bauersachs: Von einem Paradigmenwechsel möchte ich noch nicht sprechen. Da braucht es schon noch ein paar Studien mit einheitlichen Kriterien. Ich vermisse definitiv randomisierte, kontrollierte Langzeitstudien. Erst wenn diese Daten vorliegen, können wir dem Behandler sichere Erfolgparameter nennen und ihm eine Erweiterung seines Behandlungskonzepts empfehlen.


Die Experten

+ Pro
Prof. Dr. Dr. Florian Stelzle
Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, München, spezialisiert auf die Implantatversorgung in schweren und komplexen Fällen.
info@facesurgery.de

– Contra
Dr. Anne Bauersachs
Oralchirurgin, studierte Zahnmedizin in Nürnberg/Erlangen, seit 2016 niedergelassen in eigener Praxis in Sonneberg.
info@oralchirurgie-sonneberg.de