Patientengerechte Implantologie

So lässt sich die Augmentation vermeiden

Vermeiden lassen sich Augmentationen zwar nicht immer, aber immer häufiger. Reduktionen der Implantatdimensionen, perfekte Nutzung des noch vorhandenen Knochens, All-on-four- oder All-on-six-Konzepte und spezielle Implantatgeometrien machen es möglich. Welche minimalinvasiven Lösungen sind wann indiziert? Eine Standortbestimmung liefern sechs namhafte Experten.


Augmentation vermeiden

Ananomtische Implantatdesigns wie das Profile-Implantasystem helfen dabei, Augmentation zu vermeiden.


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Invasive Augmentationsverfahren schrecken ab, der Knochenblock gilt heute nicht mehr als „sexy“, und auch Knochenersatzmaterialien bedürfen einer aufwendigen Patientenaufklärung. Fakt ist, die Anzahl der Augmentationen geht zurück. Das registrierte Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner, Mainz, bereits vor rund drei Jahren und führte diesen Rückgang auf Strategien zurück, mit denen sich Augmentation vermeiden lässt. Dazu zählen:

  • die Anpassung der Implantatgeometrie in der Länge, der Breite an den verfügbaren Knochen oder die Nutzung einer der Atrophie entsprechenden Abschrägung der Kopfform (anatomisches Implantatdesign),
  • das optimale Ausnutzen des Restknochens dank DVT-Diagnostik sowie die Nutzung des vorhandenen Angebots auch durch schräge Implantatpositionen und digitale Planung (All-on-four- und All-on-six-Konzepte),
  • die Sofortimplantation zum Erhalt des vorhandenen Angebots an Hart- und Weichgewebe in Menge, Qualität und Position.

Augmentation vermeiden mit anatomischen Implantatformen

Eine sehr häufige Atrophieform beim zahnlosen und teilbezahnten Patienten ist der nur mäßig, meist schräg nach vestibulär abfallende atrophierte Kieferkamm. Liegt die vestibuläre Seite etwa 1,5 bis 2 mm niedriger als die orale Seite, kann statt einer grundsätzlich auch möglichen oder auch gelegentlich nötigen Augmentation „ein im Kammbereich modifiziertes Implantatdesign dieser Anatomie heute Rechnung tragen“, sagte Wagner. Und: „Ein weiterer Vorteil ist: Der Alveolarkamm muss nicht dem Implantat angepasst werden, etwa durch Glättung oder Augmentation, denn das Implantat entspricht diesem Knochenverlauf.“

Als Hauptindikationen für diese anatomischen Implantatformen nannte Wagner:

  • die Sofortimplantation in der Oberkieferfront, die die physiologische Höhendifferenz der Alveole berücksichtigt,
  • den mäßig atrophierten Kiefer insbesondere im Seitenzahngebiet des Unterkiefers
  • und distal geneigte Implantate bei All-on-four- und All-on-six-Versorgungen, denn die Implantate mit abgeschrägter Schulter, die schräg eingesetzt werden, „sind plötzlich wieder entsprechend dem Kammverlauf gerade“. Das bringe bei diesen Konzepten Vorteile.

Positive Studienergebnisse

Dass sich Implantate mit abgeschrägter Schulter im Praxisalltag bewähren, belegt eine Feldstudie mit Beteiligung von mehr als 20 niedergelassenen Kollegen. Wagner: „Wir haben als Gruppe mehr als 200 Profile-Implantate gesetzt; nur zwei gingen verloren. Das ist ein extrem gutes Ergebnis.“ Zudem habe das Profile-Implantat einen beachtlichen positiven Einfluss auf das Weichgewebe, was aber nicht nur auf die Implantatgeometrie, sondern auch auf den Platform Shift zurückzuführen sei. „Rund 40 Prozent der Implantate von Dentsply Sirona, die wir im Unterkiefer-Seitenbereich und der Oberkieferfront setzen, sind inzwischen Profile-Implantate des Astra Tech Implant Systems.“

Selbstverständlich ist nicht in jedem Fall ein Profile-Implantat erforderlich, sondern nur dann, wenn sich mit ihm aufgrund der Anatomie des Kieferkamms Augmentate vermeiden lassen. Und das klappt nicht immer. Bei vertikalem Defizit und insbesondere bei ästhetischem Risiko werde es immer Augmentationen geben, betonen die Experten. Denn ob augmentiert werde oder nicht, hänge vom Therapieziel, den klinischen Voraussetzungen und dem Patientenwunsch ab.

Kurz: Lässt sich ein adäquates Behandlungsergebnis nur mit Augmentationen erreichen, weil es beispielsweise unter ästhetischen und funktionellen Gesichtspunkten eine bestimmte Implantatposition und/oder eine physiologische Kronenlänge braucht, ist ein Augmentat zwingend erforderlich. Steht dagegen die Minimalinvasivität im Fokus, etwa bei Patienten mit kompromittiertem Knochenangebot oder auch allgemeinmedizinischen Risiken, rücken die Strategien um Augmentation zu vermeiden in den Vordergrund.

Anteil an zusätzlich notwendiger Augmentation sinkend

Dazu zählen nach Ansicht der Experten neben der Reduktion von Implantatdurchmesser und -längen auch bestimmte Implantatdesigns und -geometrien, aber selbstverständlich auch prothetische Alternativen bzw. Modifikationen des Therapiekonzepts wie Brückenversorgungen und abnehmbare Lösungen etwa als Doppelkronenkonzepte.

Sowohl bei Wagner als auch bei Dr. Dr. Rainer S. R. Buch, Mainz/Ingelheim, reduziert sich seit 2005/2006 der relative Anteil an zusätzlich notwendigen Augmentationen, das heißt, die „persönlichen Augmentationskurven“ sinken kontinuierlich.

Buch kann in seiner Praxis Augmentationen immer häufiger vermeiden, weil ein Portfolio an verschiedenen Implantatdesigns zur Verfügung steht – durchmesser- und längenreduzierte Implantate und heute auch Implantate mit abgeschrägter Schulter. In seiner Praxis sind mittlerweile 40 Prozent der bei Dentsply Sirona bestellten Astra-Implantate abgeschrägte Profile-EV-Implantate.

In vielen Indikationen einsetzbar

Die Indikationsausweitungen seien enorm, berichtete er. Nicht nur der seitliche Unterkiefer mit seiner durch Atrophie bedingten typischen Geometrie diene als Einsatzbereich, sondern auch die Oberkieferfront und der zahnlose Unterkiefer. Buch: „Wir können den zahnlosen Unterkiefer mit der neuen Generation der Profile-Implantate jetzt auch im Doppelkronenkonzept versorgen und damit vor allem Patienten in höherem Alter, die oft multimorbide sind, minimalinvasiv zu suffizientem Zahnersatz verhelfen.“ Insbesondere ältere Patienten und Fälle mit kompromittiertem Knochenlager, die vielfach gar nicht augmentiert werden dürften, profitierten davon.


Augmentation vermeiden für mehr Patientenakzeptanz

Der Rückgang aufwendiger Augmentationen kommt an. Seit es kurze Implantate gebe, sagten viel mehr Patienten Ja zum Eingriff. PD Dr. Paul Weigl, Frankfurt: „Wenn ich zehn Patienten in Frankfurt über die unterschiedlichen Behandlungsalternativen aufkläre, entscheiden sich höchstens zwei für eine Augmentation.“ Als kurz gelten heute Implantate mit weniger als 8 mm Länge, waren sich die Experten einig. Bei 4- und 5-mm-Implantaten ist die Datenlage derzeit noch zu schwach. Kurze Implantate – indiziert, wenn vertikal zu wenig Knochenangebot im Seitenzahnbereich besteht – bewirken nachweislich eine für den Knochen bessere Lastverteilung und damit einen geringeren krestalen Knochenabbau.

Es gibt in der Langzeitüberlebensrate keine Unterschiede zwischen kurzen und Standardimplantaten, wie Metaanalysen zeigen. Allerdings bestehen Kontraindikationen für kurze Implantate, etwa im Frontzahnbereich. Aufgrund des großen Abstands zum Antagonisten entstehen viel zu lange Kronen, was stets zu unästhetischen Ergebnissen führt. „Selbst wenn der Patient dies wünscht, lehnen wir das in Frankfurt ab“, sagte Weigl.

Seit es kurze Implantate gibt, sagen viel mehr Patienten „ja“ zum Eingriff. <span class="su-quote-cite">PD Dr. Paul Weigl</span>

Mit kurzen Implantaten lässt sich allerdings nicht immer eine Augmentation vermeiden. Bei sehr stark ausgeprägter Alveolarkammatrophie beispielsweise ist das Augmentat ein Muss. Auch Knochenhöhen von 4 bis 5 mm im Unterkiefer verlangen ein Hartgewebsmanagement, andernfalls drohen Weichgewebsprobleme, so die Experten.

Ist keine Primärstabilität zu erwarten, muss in der Regel augmentiert werden; das machte Prof. Dr. Dr. Jürgen Hoffmann, Heidelberg, klar. Mit angepassten Implantatgeometrien die Augmentationen zu reduzieren, hält auch er für den richtigen Weg.

Alternativen zur Augmentation: Aufklärung ist entscheidend

Welche Behandlungsalternativen muss das Aufklärungsgespräch enthalten? Das ist unbestritten ein ganz wichtiger Aspekt: Alle Maßnahmen und Verfahren – sowohl die Möglichkeiten als auch die Strategien eine Augmentation zu vermeiden – gelte es deutlich darzulegen, war die einstimmige Meinung in der Runde. Nur nach umfassender Aufklärung der gesamten Bandbreite sei der Patient in der Lage, seine Entscheidung selbstständig und sicher zu treffen. Der Behandler müsse das ganze Spektrum der Therapiemöglichkeiten kennen und wissen, bei welchen Indikationen er welches Verfahren versiert anwenden kann.

Auf Kongressen werden inzwischen Fallberichte moniert, in denen Situationen aufwendig augmentiert werden, die sich auch mit kurzen Implantaten hätten lösen lassen. „Das musste ich mir auch schon von Kollegen anhören“, berichtete Wagner. Deshalb gehören für ihn

  • die Vor- und Nachteile von Augmentationen,
  • die Vor- und Nachteile kurzer Implantate
  • und auch die Vor- und Nachteile des konventionellen Zahnersatzes zwingend ins Aufklärungsgespräch.

Der Prothetikexperte Prof. Dr. Philipp Kohorst, Bremen/Hannover, stellte die Bedeutung des Therapieziels für die Patientenaufklärung heraus. „Ich muss eine Vision haben, die ich in der Planungsphase mit dem Patienten bespreche. Denn nur wenn ich das Ziel der Therapie vor Augen habe, kann ich effektiv auf die geeigneten Bestandteile meines Behandlungsportfolios zurückgreifen.“ Patienten wollten bekanntlich primär keine Implantate, sondern einen funktionell und ästhetisch hochwertigen Zahnersatz, der langfristig stabil sei und eine geeignete Mundhygiene zulasse. Sollten Implantate die beste Lösung darstellen, würden die Patienten dann verständlicherweise eine Behandlung ohne Augmentation präferieren.

Planungstools nutzen

Kritisch sieht er die mangelhafte Kommunikation zwischen Implantologen und Prothetikern. Ohne ein klares Bild der späteren prothetischen Versorgung und der patientenindividuellen Begleitumstände werde eine implantatchirurgische Therapie in Angriff genommen oder es erfolgten Überweisungen mit lapidaren Hinweisen wie „Aufklärung und Durchführung einer Implantation, zahnloser Kiefer“, beklagte der Prothetiker. „Es wird ohne eingehende Kommunikation zwischen den Fachdisziplinen implantiert, der Patient kommt zurück zum Behandler, der die Abformung durchführt und diese zum Zahntechniker mit der gleichen lapidaren Instruktion ‚Da muss was drauf‘ schickt.“ Und dann „geht die Bastelei los, mit enormen prothetischen Problemen in der Folge“.

Auf Überweisungen heißt es in der Tat „Komplexer Fall, Bitte um Implantatberatung“ oder „Implantat rechter Oberkiefer“, so die Erfahrung der Runde. Buch: „Und dann weiß man, dass sich noch kein Mensch Gedanken über eine Versorgung, ein Konzept und den antagonistischen Kiefer gemacht hat.“ Eine stärkere Nutzung computergestützter Planungstools, die unter anderem Daten einer dreidimensionalen Bildgebung oder auch eine Simulation der angestrebten Rehabilitation umfassen, könnte helfen, solche Planungsmängel zu beheben, meinte Kohorst. „Wir müssen einfach wegkommen von planlosen implantologischen Therapien, die in unzumutbaren prothetischen Kompromissen enden.“

Lösungen für Risikopatienten

Dass die Zahnmedizin sich in Richtung individualisierter bzw. personalisierter Medizin bewegt, steht für Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz, Wiesbaden, außer Frage und dieses Statement erhielt Zustimmung von den anderen Experten. Designoptimierte Implantatlösungen, z. B. mit abgeschrägter Implantatschulter, die den Alveolarfortsatz halten, senken das chirurgische Risiko und verkürzen die Gesamtbehandlung. Davon profitieren auch die Patienten, die aufgrund einer Erkrankung nicht augmentiert, aber implantiert werden dürfen.



<strong>Zusammenfassung</strong>

+ Der Anteil an umfassenden Augmentationen ist rückläufig. Reduktion der Implantatdimensionen, die optimale Nutzung des noch vorhandenen Knochens durch 3D-Diagnostik, All-on-four- oder All-on-six-Konzepte sowie designoptimierte Implantate helfen, augmentative Maßnahmen und Zweit‧eingriffe auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.

+ Eine Augmentation darf nicht dem ausschließlichen Ziel dienen, eine Verankerung für ein 8-mm-Implantat oder länger zu schaffen.

+ Eine patientengerechte Versorgung setzt die Individualisierung voraus. Doch diese Individualisierung braucht eine hohe Expertise des Behandlers.

+ Die personalisierte Medizin hat die Implantologie erreicht. Patientenindividuelle Behandlungen gelingen mit speziellen Implantatgeometrien (schmal, kurz, abgeschrägte Schulter). Auf Augmentation kann verzichtet werden, ein Vorteil auch für viele Patienten mit einem reduzierten Knochenlager.


Die Experten

Eine Standortbestimmung zum Thema minimalinvasive Implantation liefern

Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner

PD Dr. Paul Weigl

Dr. Dr. Rainer S. R. Buch

Prof. Dr. Dr. Jürgen Hoffmann

Prof. Dr. Philipp Kohorst

Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz.