11. Experten-Symposiums des BDIZ EDI in Köln

„Kurze Implantate sind nichts für Ungeübte“

Die Kurzen haben sich etabliert, lautete der Titel des 11. Experten-Symposiums des BDIZ EDI in Köln. Doch was gilt heute als kurz? Vor einigen Jahren galten 10 mm als kurz, heute ist man bei 6 bis 8 mm. Aber es wäre falsch zu glauben, mit kurzen, angulierten oder durchmesserreduzierten Implantaten die eigenen chirurgischen Defizite ausgleichen zu können. Wie kurz darf es sein und wie steil ist die Lernkurve für Einsteiger? Im Interview beziehen beziehen der wissenschaftliche Leiter des Symposiums, PD Dr. Jörg Neugebauer, Landsberg, und Christian Berger, Präsident des BDIZ EDI und der Bayerischen Landeszahnärztekammer Stellung.



Sind noch kürzere Implantate als 6 bis 8 mm mit stabilen Implantat-Abutment-Verbindungen überhaupt herzustellen? Wo liegt die Grenze aus mechanischer und biologischer Sicht:
Neugebauer: Versuche, ganz flache Implantate zu entwickeln, sind in der Vergangenheit wieder aufgegeben worden, da diese bei biologischen Komplikationen große Kieferkammdefekte verursacht haben. Bei den heute gängigen zylinderförmigen Implantaten ist die Einstecktiefe der Implantataufbauverbindungen der wesentliche Faktor für die Langzeitstabilität. Gerade die konische Implantataufbauverbindung zeigt da Vorteile, und dementsprechend sind auch ultrakurze Implantate mit enossalen Verankerungslängen von 4 bis 5 mm denkbar. Was jedem, der kurze und ultrakurze Implantate anwenden möchte, klar sein muss: Dabei handelt es sich um andere Verankerungsmechanismen als bei den bisher angewendeten reinen Schraubenimplantaten – sowohl bei der Prothetik als auch im Knochen. Tiefe Rillen oder Flanken am Implantat und der sich verjüngende Implantathals bewirken eine hochwertige Osseintegration und damit eine für die Biomechanik günstige, physiologische Kraftübertragung, die sogar zu einer Verdichtung der Knochenstruktur bei geringer Knochenqualität führen kann.

Die Stabilität der Verbindung ist gerade bei großen vertikalen Defekten der limitierende Faktor. In welchen Fällen plädieren Sie für welche „Kurzen“ auch mit Blick auf die Innenverbindung?
Neugebauer: Auf dem Gebiet der Implantatprothetik wurde in den letzten Jahren sehr viel Aufmerksamkeit der Implantataufbauverbindung gewidmet. Dabei wurde leider relativ häufig ein kompliziertes Design gewählt, das industriell-technisch sicherlich eine Herausforderung darstellte, aber im praktischen Einsatz im Mund doch oftmals zu Komplikationen mit Abutment- und Schraubenlockerungen geführt hat. Der Wunsch, konische Aufbauverbindungen mit Schraubenfixierung zu verwenden, führt daher leider oft zu dem Phänomen „Gürtel und Hosenträger“, sodass letztlich keiner der beiden Verankerungsmechanismen eine volle Funktionalität trägt und es dann auch wieder zu prothetischen Komplikationen kommt. Das bedeutet, dass ein ausreichend dimensionierter Klemmkonus verwendet werden sollte. Dieser muss auch ganz und gar die Kaukraft übernehmen können. Gerade bei den ultrakurzen Implantaten müssten also wieder Implantatdurchmesser mit Größen von 4,5 mm und mehr verwendet werden, die bei langen zylindrischen Implantaten zu sehr voluminösen Implantatkörpern führen würden. Aber gerade bei den ultrakurzen Implantaten zeigen diese kleinen Implantatkörper, die das vorhandene Knochenangebot optimal ausnutzen, gute Langzeitergebnisse. Verschiedene Autoren zeigen, dass kurze Implantate mit einer mikrostrukturierten Implantatoberfläche auch bei einem hohen Kronen-Implantat-Längenverhältnis wenig Komplikationen zeigen.

Kurze Implantate machen aufwendige Augmentationen vielfach überflüssig. Wann aber kommt man auch mit Kurzen an aufwendigen Augmentationen nicht vorbei?
Neugebauer: In unserer Praxis werden in den letzten Jahren vermehrt kurze Implantate gesetzt. Dennoch ergibt sich eine nicht unwesentliche Zahl von Augmentationen, wenn das Knochenangebot zu gering ist, um eine Implantation mit kurzen Implantaten durchzuführen, z. B. im Unterkieferseitenzahnbereich < 4 mm oberhalb des Nervkanals. Das Gleiche gilt auch im Oberkieferseitenzahnbereich bei extrem extendierten Kieferhöhlen oder sehr häufig auch bei dem Verlust von Implantaten, sodass dann zunächst die Kieferkammkontur wiederhergestellt werden muss. Auch gerade beim jungen Patienten in der Oberkieferfront ist immer noch ein Knochenaugmentat notwendig, um nicht nur das Hart-, sondern auch das Weichgewebe optimal abstützen zu können.

Auch durchmesserreduzierte Implantate helfen, Augmentationen (laterale) zu vermeiden. Wie kurz dürfen bzw. sollten diese heute sein? Ab welcher Länge droht ein „Bruch“?
Neugebauer: Bei den durchmesserreduzierten Implantaten ist die Datenlage sehr kontrovers. 8-mm-Implantate mit 3,5 mm Durchmesser sollten nur in Ausnahmefällen verwendet werden, da die Mechanismen der ultrakurzen Implantate dann nicht greifen und die Verankerungsfläche relativ gering wird. Bei dünnen Implantaten entscheidet auch die Art der Versorgung. Da kann es sein, dass durchaus mehr Implantate eingebracht werden müssen, um eine ausreichende Stabilität des Gesamtsystems zu gewährleisten. Es geht nicht an, dass man bei ungünstigen Verhältnissen von jedem reduzierten Design genau das nimmt, was man haben möchte, ohne die jeweilige, speziell dafür vorgesehene Konzeption zu beachten.

Wann sollte man Kurze freihändig inserieren, wann besser mit 3D-Bohrschablone?

Berger: Eine gute Planung ist immer der Schlüssel zum Erfolg – auch bei „langen“ Implantaten. Ob dabei eine Bohrschablone notwendig ist oder die Insertion freihändig erfolgen kann, ist vor allem von der Erfahrung und Fertigkeit des Zahnarztes abhängig. Das bedeutet, ob „kurz“ oder „lang“, macht nicht den Unterschied, denn die Implantate müssen in jedem Fall an der richtigen Stelle und in der richtigen Achse eingesetzt werden, um einerseits den vorhandenen Knochen optimal zu nutzen und gleichzeitig eine spätere Versorgung problemlos zu ermöglichen. Dabei ist die Insertion auch für die spätere Implantatpflege von großer Bedeutung.

Zygoma-Implantate sind bekanntlich alles andere als kurz. Die Lernkurve ist steil. Ist das in letzter Konsequenz nur etwas für Oralchirurgen?
Berger: Es ist sicher eine intensive Ausbildung erforderlich, um 5 cm lange Implantate an der richtigen Stelle und in der korrekten Achse von der Mundhöhle aus im Jochbein zu verankern. Heute geschieht dies meist in Verbindung mit einem externen Sinuslift, um zu vermeiden, dass das Implantat später die Kieferhöhle und die Kieferhöhlenschleimhaut perforiert. Diese notwendige Fortbildung und Fertigkeit ist nicht von einer bestimmten chirurgischen Weiterbildung abhängig, aber eine solche Weiterbildung ist natürlich ein solides Fundament, um das für Zygoma-Implantate notwendige Wissen und Können zu erwerben.

Der implantierende Zahnarzt und der prothetische Behandler sollten eine angemessene Ausbildung vorweisen, um Patienten angemessen behandeln zu können, hieß es auf der 11. Europäischen Konsensuskonferenz. Gibt es da zurzeit Defizite?

Berger: Implantologie ist auch ein Markt. Leider werden viele Innovationen mit dem unterschwelligen Versprechen auf den Markt gebracht, es ginge mit diesem Implantat oder mit jener Methode „leichter“ oder „problemlos“. Jede Therapie hat ihre Indikationen und damit auch ihre Möglichkeiten, Komplikationen und Grenzen. Es wäre also falsch zu glauben, mit kurzen, angulierten oder durchmesserreduzierten Implantaten die eigenen chirurgischen Defizite ausgleichen zu können. Solche Implantate sind nicht für Operateure entwickelt worden, die den externen Sinuslift und die Augmentation (noch) nicht beherrschen. Der erfahrene und langfristig erfolgreiche Implantologe zeichnet sich dadurch aus, dass er aus der heute vorliegenden breiten Palette von Implantaten für den jeweiligen Patienten diejenige Lösung herausfindet und anwendet, die im vorliegenden Fall optimal ist. Das sind in vielen Fällen die „normalen“ Implantate, manchmal der lange Weg der Augmentation und Sinusbodenelevation, immer häufiger aber der Weg über kurze, angulierte und durchmesserreduzierte Implantate. In jedem Fall braucht es einen fortgebildeten Operateur und ein geschultes Team.

Was konkret muss verbessert werden?

Berger: Ich will nicht von Verbesserung sprechen, sondern von Selbstverständlichkeiten in der Wissenschaft. Eine gute chirurgische und prothetische Aus- und Fortbildung ist immer die Voraussetzung für langfristig erfolgreiche Implantationen. Selbstverständlich werden Innovationen durch Firmen vorgestellt und Fortbildungen von diesen durchgeführt. Aufgabe der wissenschaftlichen Gesellschaften und des Berufsstandes ist es, diese Weiterentwicklungen auf Kongressen kritisch zu hinterfragen und mit anderen Methoden zu vergleichen. Also bitte nicht Implantatsystem A kaufen, dann lediglich Fortbildungskurse dieser Firma besuchen und später nur Veröffentlichungen von A lesen. Zahnmedizin ist auch eine Erfahrungswissenschaft, aber Wissenschaft ist immer der kritische Dialog und der Implantologe muss immer selbstkritisch bleiben.

Braucht es einen Fachzahnarzt für Implantologie und Implantatprothetik?
Berger: Wir brauchen immer mehr bestens geschulte und fortgebildete Implantologen. Den Fachzahnarzt für Implantologie, nein, den braucht es nicht, weil so ein Fachzahnarzt Gefahr liefe, sich nur auf sein Fachgebiet zu beschränken. Leider war es in der Kieferorthopädie lange so, dass Kieferorthopäden und Zahnärzte nur wenig im Dialog miteinander waren. Seit sich das geändert hat, profitieren alle. Ich denke als Implantologe nur an die kieferorthopädische Extrusion nicht erhaltungswürdiger Wurzeln und Zähne, um den Knochenverlauf für eine spätere Implantation zu optimieren. Heute brauchen wir immer mehr Zusammenarbeit von Zahnärzten, die sich auf verschiedenen Gebieten spezialisiert haben. Wir versuchen durch Prophylaxe möglichst lange möglichst viele Zähne naturgesund zu erhalten. Bei Zahnschäden wenden wir minimalinvasive Therapien an und auch bei fortschreitendem parodontalem Abbau setzen wir lange auf Zahnerhalt. Erst wenn Zähne entfernt und ersetzt werden müssen, kommen die Prothetik und die Implantologie ins Spiel. Dabei brauchen wir, wie gesagt, Vernetzung und nicht Vereinzelung der Disziplinen in der Zahnheilkunde. Und bei dieser Vernetzung spielt das Team aus Behandler, Assistenz und Zahntechniker eine immer wichtigere Rolle in Diagnostik, Therapie und Nachsorge.

11. BDIZ EDI-Leitfaden in Kürze

Insgesamt über 250 Teilnehmer waren am letzten Karnevalswochenende bei den Veranstaltungen des Bundesverbandes der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa (BDIZ EDI) in Köln dabei, um sich ein Update über kurze, angulierte und durchmesserreduzierte Implantate zu verschaffen und sich zum Antikorruptionsgesetz zu informieren. Dabei wurde viel diskutiert: während des 11. Experten Symposiums, in den Workshops und insbesondere in der Europäischen Konsensuskonferenz (EuCC). Die Ergebnisse der EuCC fließen in den neuen, inzwischen 11. Praxisleitfaden, den der BDIZ EDI in Kürze vorstellen wird.