Kronenverlängerung plus Implantation im Abrasionsgebiss: So geht’s!
Chirurgische Kronenverlängerung wo machbar und Implantate wo nötig: Das Zusammenspiel beider Verfahren schafft eine hohe Patientenzufriedenheit und damit die erwünschte Loyalität zum Behandler.
Traumatisch bedingter Zahnverlust im Frontzahnbereich verlangt zunächst eine umgehende Sofortversorgung, ohne dabei spätere Therapieoptionen zu beschränken. Beim erwachsenen Patienten bietet sich als zuverlässige Option die implantatprothetische Versorgung an. Je nach Umfang des Defekts können dabei auch größere augmentative Eingriffe notwendig werden. Zeigt ein Patient zudem ein starkes Abrasionsgebiss, muss der Patient mit einer längeren Zeitspanne für eine entsprechende Therapie rechnen.
Wird dem Patienten jedoch das Therapieziel – Wiederherstellung von Form (Anatomie) und Funktion (Ästhetik, Okklusion, Sprechmotorik) – in geeigneter Form visualisiert und mit ihm über die Realisierung offen kommuniziert, ist das die beste Voraussetzung für seine Zustimmung und seine Compliance. Denn der Patient erhält auf diese Weise ausreichende fachliche Informationen, um dem Behandlungskonzept einschließlich der daraus folgenden Behandlungsdauer zustimmen zu können.
Ausgangssituation
Die Therapiefindung bei erheblichem Zahnhartsubstanzverlust setzt eine genaue Analyse und Diagnostik der vorliegenden biologischen, strukturellen und funktionellen Defizite voraus. Bei dem 53-jährigen Patienten waren in Folge eines Surfunfalls die Frontzähne 12 und 11 sowie partiell die vestibuläre Alveolenwand frakturiert, was eine sofortige Extraktion beider Zähne mit anschließender Interimsversorgung notwendig machte.
Die klinische Inspektion zeigte ein durch Bruxismus stark abgesunkenes Gebiss bei kongruenter horizontaler Bisslage. Für weitergehende muskuläre oder funktionale Störungen sowie beschränkte Mobilität des Unterkiefers gab es keinerlei Anzeichen. Zahnstellung, Muskulatur und Kiefergelenke waren unauffällig. Die Zähne 34 bis 44 waren zwar bis fast auf Knochenniveau abgekaut, jedoch noch vital. Der Grund für die vorliegenden Abrasionen war in der starken beruflichen Anspannung zu finden, der der erfolgreiche Unternehmer ständig ausgesetzt war. Einer systematischen Behandlung hatte er sich bisher aus Zeitgründen nicht unterzogen. Außerdem hatte er weder Beschwerden noch Einschränkungen seiner Kaufunktion verspürt.
Behandlungskonzept
Die therapeutischen Optionen mit ihrem jeweiligen Aufwand und Verfahren richten sich in einem solchen Fall nach dem Ausmaß des Substanzverlustes, der Anzahl, Prognose und Wertigkeit der vorhandenen Zähne sowie nach Alter, Allgemeinzustand, den persönlichen Bedürfnissen und vor allem auch nach den finanziellen Möglichkeiten des Patienten und seiner Bereitschaft, die therapiespezifisch anfallenden Kosten zu akzeptieren.
Anhand eines Wax-ups auf den Situationsmodellen konnte dem Patienten in einem ausführlichen Beratungsgespräch der Umfang der restaurativen Therapie mit den möglichen Veränderungen seines dentalen beziehungsweise fazialen ästhetischen Erscheinungsbildes und seiner Gesichtsmorphologie veranschaulicht werden. Dabei waren bis auf die beiden bereits extrahierten Frontzähne alle weiteren Zähne erhaltungswürdig und konnten in die Restauration einbezogen werden. Daraufhin stimmte der Patient dem umfangreichen und daher langfristigen Behandlungskonzept mit implantatprothetischer Versorgung der beiden Frontzähne nach Augmentation, Anhebung der Vertikaldimension unter Schienentherapie und vollkeramischer Überkronung seiner Zähne nach chirurgischer, zahnerhaltender Kronenverlängerung zu.
2016
- September: Extraktion mit Interimsversorgung Oberkiefer
- November: Kronenverlängerung Unterkiefer
2017
- März: Präparationen, Langzeitprovisorium und Imaging Oberkiefer und Unterkiefer
- Juni: Augmentation Oberkiefer
- November: Implantation Oberkiefer
2018
- August: Eröffnung und Abformung Oberkiefer
- Oktober: Definitive Restauration Oberkiefer und Unterkiefer
Kronenverlängerung und Kurzzeitprovisorium
In regio 34 – 44 imponierte eine kompensatorische Eruption des Kieferkamms in Richtung Okklusionsebene, worauf auch die verbreiterte keratinisierte Gingiva hinwies. Zudem waren die Zahnwurzeln im Vergleich zu den klinischen Kronen noch ausreichend lang. Dies ermöglichte eine chirurgische Kronenverlängerung der Zähne 34 bis 44 mit genügend Retention und Raum für den gewünschten Ferrule-Effekt bei vollständigem Vitalitätserhalt und struktureller Integrität der Zahnkrone. Durch den Ferrule-Effekt werden die einwirkenden Kaukräfte in das Dentin abgeleitet und auf das Parodontalligament übertragen [8]. Dafür wurde auf dem Alveolenkamm zunächst überschüssige attached Gingiva entfernt, ein Gewebelappen nach apikal präpariert und der Knochen mit kleinen Rosenbohrern und Handinstrumenten ausreichend nach apikal reduziert, sodass eine für die Kronenpräparation ausreichende Zahnlänge erreicht werden konnte. Der Gewebelappen wurde leicht nach palatinal an den Zahnhälsen vernäht.
Parallel dazu wurde im Oberkiefer die Interimsprothese durch ein passgenaues Kurzzeitprovisorium (DMG, Hamburg) ersetzt, um mit einer Schienentherapie die neue Vertikaldimension bestimmen zu können.
Bisshebung
Da die Anhebung der vertikalen Kieferrelation gemäß Therapieplan final mit irreversibel festsitzenden Kronen erfolgen sollte, wurde als reversible Maßnahme eine Simulation der angestrebten Veränderung mit Okklusionsschienen durchgeführt [2]. Erste Orientierungen für die Einstellung der Vertikaldimension bietet dabei das statistische Mittelmaß mit 38 bis 42 mm Abstand von der unteren zur oberen Umschlagfalte, die Sprechmotorik sowie eine Analyse und Harmonisierung der Gesichtsproportionen [6]. Ziel war, das „funktionelle Dreieck“ aus zentrischer Kondylenposition, Front-Eckzahnführung sowie Seitenzahnokklusion in seiner ehemaligen zentrischen Okklusion bzw. habituellen lnterkuspidation mit interferenzfreien Unterkieferbewegungen zu rekonstruieren [4] und es zu ermöglichen, das okklusale Konzept für die definitive prothetische und restaurative Therapie nach Veränderung der Vertikaldimension zu erproben [3].
Schienentherapie
Nach achtwöchiger Tragezeit der Schiene, währenddessen die Okklusion in mehreren Sitzungen eingeschliffen und kontrolliert wurde, erfolgte die Vermessung mit dem HeadLines nach Rainer Schöttl (MediPlus, Unterleinleiter). Über das HeadLines Vermessungsgerät wird ein Bezug zwischen der Kauebene und den Schädelebenen hergestellt. Gesichtsmitte und Bipupillarlinie werden evaluiert und die Okklusionsebene über die Campersche Ebene als Referenz definiert. Die Campersche Ebene ist dabei durch die beiden Traguspunkte rechts und links am Ohr und durch die Spina nasalis anterior definiert, waagerecht bzw. parallel zur Stand- oder Sitzfläche des Patienten [9]. Damit ist ein gesicherter Bezug zur Okklusionsebene als Referenz für die Artikulatorsteuerung gegeben, wobei die Bissgabel des HeadLines die Tischebene des Artikulators repräsentiert und über ein Montageregistrat positioniert wird. Die Positionierung des Modells im Artikulator erfolgt systemimmanent mit dem HIP-Mount (MediPlus, Unterleinleiter).
erklärte Ziel der Bisshebung. ZA Lucas Fahling
Diagnostisches Wax-up und Make-over
Nach Abschluss der Vermessung wurden die Modelle samt verschlüsselter Schiene an den Zahntechniker zur Herstellung eines diagnostischen Wax-ups und eines Makeovers übergeben. Für das Imaging wurde die neu eingestellte Bisslage mit chairside hergestellten Übertragungsschlüsseln aus transparentem Silikon und Luxatemp (DMG, Hamburg) auf den Ober- und Unterkiefer des Patienten übertragen. Damit erhält der Patient noch vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit einen realitätsnahen Eindruck der geplanten Restauration und kann noch eventuelle Änderungswünsche kommunizieren. Sprechproben anhand von Vokal-, Dentolabial- und Zischlauten („S“-, „I“-, „F“- und „W“-Laute) ergaben eine einwandfreie Phonetik. Zahnformen, Okklusion und Symmetrie fanden ebenfalls die volle Zustimmung des Patienten und seiner Frau, die zu diesem Termin anwesend war. Damit bildete die neue Bisslage die Grundlage für alle weiteren zahnmedizinischen und zahntechnischen Behandlungsschritte. Die Anfertigung der Langzeitprovisorien erfolgte zwei Monate später. Bis dahin trug der Patient im Oberkiefer das Kurzzeitprovisorium.
Provisorien
Vier Monate nach der chirurgischen Kronenverlängerung konnte davon ausgegangen werden, dass sich die biologische Breite soweit neu ausgebildet hat, um die Zähne für die provisorische Überkronung präparieren zu können.
Für die Präparation der Zähne wurde das Imaging als Übertragungsschiene genutzt. Die Präparation erfolgte in Sextanten beginnend mit den Seitenzähnen von 17 auf 15 über die Front von 14 bis 24 und abschließend von 25 auf 27. Im Unterkiefer entsprechend 37 auf 34, 33 auf 43 und 44 auf 47.
Schonende Präparation
Um die noch vorhandene Zahnhartsubstanz weitestgehend zu schonen, wurde nur so viel wie nötig abgetragen. Dazu wurde noch vor der eigentlichen Präparation der Mindestabtrag mit Hilfe eines Diamanten durch die Übertragungsschiene hindurch auf die Zähne übertragen. Um eine ständige Kontrolle über die Bisslage zu behalten und sie auch später einfach und präzise übertragen zu können, wurde nach jeder Präparation eines Sextanten mit einem Übertragungsschlüssel aus Futar (Kettenbach, Eschenburg) sofort ein temporäres Provisorium hergestellt.
Die Langzeitprovisorien wurden ebenfalls in Sextanten hergestellt und provisorisch zementiert. Das Segment von 14 auf 24 war auch im Hinblick auf die nachfolgende Augmentation und Implantation und deren Heilungsphasen metallunterstützt und mit Komposit verblendet, alle anderen Segmente aus Komposit gefräst.
Augmentation…
Im Oberkiefer machte der frakturbedingte Defekt der vestibulären Alveolenwand umfangreiche horizontale Augmentationen notwendig. Nach Extraktion der Zähne 18 und 48 wurde aus regio 48 ein Knochenblock entnommen, nach der „Splitted-Bone-Block-Technik“ [5] in zwei dünne Knochenschalen getrennt und über regio 12 und 11 mit Osteosyntheseschrauben verschraubt. Die Hohlräume wurden mit einem Gemisch aus Knochenersatzmaterial und autologen Knochenspänen aufgefüllt, der OP-Situs mit einer Membran abgedeckt und die periimplantäre Mukosa darüber speicheldicht vernäht.
Die ebenfalls zur Extraktion anstehenden Zähne 28 und 38 wurden zu diesem Zeitpunkt bewusst nicht entnommen, um während der Implantation noch auf intraorale Donorstellen zurückgreifen zu können, zumal Patienten bei intraoralen Donorstellen geringere postoperative Beschwerden angeben [7].
… und Implantation
Fünf Monate nach dem augmentativen Eingriff wurden anhand einer chairside hergestellten Orientierungsschablone zwei CONELOG SCREW-LINE Implantate in regio 12 und 11 auf Knochenniveau eingebracht (3,8/11mm und 3,8/13mm). Noch nicht gänzlich verknöcherte Areale des Augmentats wurden entfernt und mit Eigenknochen nachaugmentiert, der bei der Osteotomie der Zähne 28 und 38 gewonnen wurde. Die Implantate heilten gedeckt ein.
Definitive Restaurationen
Für die definitive Versorgung wurden die Konturen der marginalen Gingiva an den Zähnen 13 und 21 bis 23 mit einem Elektrotom optimiert. Nach Abheilung wurden alle Zähne nachpräpariert und zusammen mit den Implantaten offen abgeformt. Die vollkeramischen Einzelkronen (e.max, Ivoclar, Ellwangen) für die Seitenzähne wurden monolithisch gefräst und maltechnisch individualisiert, während die Frontzähne im Ober- und Unterkiefer in polychromatischer Schichttechnik verblendet wurden. Die Einzelzahnversorgung bietet auch den Vorteil einer problemlosen Reparatur aufgrund eventueller Dezementierungen. Die Implantatkronen wurden auf individuellen Abutments verklebt und aus Stabilitätsgründen verblockt.
Für den langfristigen Erfolg der Therapie sind ein regelmäßiges Recall, Schienen mit Schutzfunktion sowie die anhaltende Compliance des Patienten mit sorgfältiger häuslicher Hygiene unerlässlich. Forderungen, denen der Patient aufgrund seiner zurückgewonnenen Ästhetik und der Zustimmung aus seinem persönlichen Umfeld mit Verve nachkommt.
Diskussion: Kronenverlängerung und Implantation im Abrasionsgebiss
Für eine implantatprothetische Versorgung der Unterkieferfront als Alternative zur chirurgischen Kronenverlängerung hätte – neben der Extraktion parodontologisch gesunder und vitaler Zähne – aufgrund der notwendigen Aufbauhöhe der Suprakonstruktion der Alveolarkamm ebenfalls gekürzt werden müssen, was die Behandlung im Vergleich zur zahnerhaltenden Kronenverlängerung obsolet macht. Das zeigt, wie wichtig es für den Behandler ist, eine mögliche Stumpfhöhe gegen die notwendige Aufbauhöhe einer Suprakonstruktion gegeneinander abzuwägen.
Gute Prognose für Langzeiterhalt mit Kronenverlängerung
Aufgrund der massiven Abrasion und der damit verbundenen Bisserhöhung sowie im Hinblick auf den bestehenden Bruxismus erschien daher eine Versorgung mit vollkeramischen Vollkronen als der richtige Weg zu einer funktionellen und natürlich-ästhetischen Restauration, zumal sich Bisshebungen mit bis zu 5 mm sicher und mit vorhersagbarem Erfolg durchführen lassen [1]. Ein mehrmonatiger Testlauf mit Schienen und Provisorien sichert dabei die Behandlung auch unter forensischen Aspekten ab. Die verblendeten Keramikkronen wiederum schaffen ein natürliches und homogenes Zahnbild in der ästhetischen Zone und gehen mit einer guten Prognose für den langfristigen Erhalt einher.
Danksagung
Für die „State of the Art“ endodontische Behandlung der Zähne 16 sowie 21 und 22 möchte ich mich bei meinem Praxiskollegen Moritz Holtmann bedanken ebenso wie für die perfekten zahntechnischen Arbeiten bei Kes Carpenter, Berlin.
Der Experte
ZA Lucas Fahling
Zahnmedizinstudium in Hannover, seit 2012 tätig in der Praxis Dr. Matthias Thuma & Kollegen in Berlin-Frohnau, Schwerpunkte: Implantologie und Implantatprothetik
info@dr-thuma.de