Kongress der European Association of Osseointegration (EAO)

Brånemarks Erben dominieren EAO-Kongress 2015

Auch wenn der 2015er Kongress der European Association of Osseointegration (EAO) die Herausforderungen der Implantologie zum Motto machte, war bei der erstmals in Stockholm stattfindenden Veranstaltung eine gehörige Portion Geschichte spürbar. Besonders im Fokus dabei: Per-Ingvar Brånemark.



In seiner Willkommensrede begrüßte der EAO-Vorsitzende Prof. Dr. Björn Klinge, Schweden, die an den drei Kongresstagen erwarteten rund 2500 Teilnehmer aus 72 Ländern. Klinge erklärte, dass der diesjährige Kongress im Gedenken an den 2014 verstorbenen Schweden und Begründer der modernen Implantologie, Per-Ingvar Brånemark, stattfinden werde. Zu Ehren Brånemarks verlängerte die EAO die Veranstaltung in Stockholm zudem um einen Tag.Am Sonntag, 27. September, wurde ein spezielles Symposium zu Ehren Brånemarks in der Aula Medica am Karolinska Institut in Stockholm ausgerichtet.

Und auch sonst war besonders am ersten Kongresstag fast überall in der Stockholmer Messe Brånemarks Geist zu spüren. Sogar sein Sohn, der Orthopäde Prof. Dr. med. Rickard Brånemark, hielt den „Blick-über-den-Tellerrand“-Vortrag zu „Osseointegration and brain control prosthesis“. Dabei zeigte er, wohin der Weg in der Orthopädie im Bereich Implantologie gehen könnte. Bereits jetzt werden Prothesen durch Osseointegration implantiert. Zukünftig sollen diese mithilfe von implantierten Elektroden durch das Gehirn gesteuert werden können. Der erste Patient hat eine solche Prothese bereits erhalten. Brånemark erwartet „wahre Wunder“ für die Zukunft der Implantologie.

Im Zeichen von 50 Jahren Osseointegration

Das Hauptprogramm stand am ersten Tag auch ganz im Zeichen von 50 Jahren Osseointegration. Prof. Dr. Thomas Albrektsson, Schweden, langjähriger Weggefährte Brånemarks, stellte die Brånemark-Methode vor und berichtete von den Anfängen der Implantologie, die er zum großen Teil selbst mitgestaltet hat. Brånemark ist und bleibt für Albrektsson ein Visionär. „Er hat sich bereits 1978 ein Patent für Nano-Technologien auf Implantatoberflächen eintragen lassen, obwohl diese Technologie in der Osseointegration damals noch gar nicht umsetzbar war.“

Erstaunlich war, dass fast zeitgleich in den 1970er Jahren mit Brånemark in Schweden auch in Deutschland und in der Schweiz unabhängig voneinander grundlegende Forschung im Bereich der Implantologie stattfand. Prof. Dr. Daniel Buser, Schweiz, berichtete über Prof. Dr. André Schroeder, der in Bern 1976 die erste histologische Osseointegration dokumentierte. „Erst Mitte der 80er Jahre realisierte Schroeder, dass in Schweden ein gewisser Brånemark Studien in diesem Bereich veröffentlichte“, erklärte Buser. „Damals gab es noch kein Internet oder Handys.“ Schroeder initiierte 1980 zudem das International Team of Implantology (ITI).

Auch der deutsche Forscher Prof. Dr. Dr. h.c. Willi Schulte betrieb in Tübingen zur selben Zeit wie Schroeder und Brånemark Pionierarbeit in der Implantologie, wie Prof. Dr. Jörg Meyle, Tübingen, berichtete. Schultes Ziel dabei: das Weichgewebe und das Implantat schützen.

25 000 Datensätze analysiert

In den Vorträgen des Hauptprogramms ging der Weg aber auch wieder zurück in die Gegenwart. Prof. Dr. Jan Derks, Göteborg, stellte brandaktuelle Ergebnisse eines landesweiten Forschungsprojekts aus Schweden vor. Darin wurden mehr als 25 000 Daten der schwedischen Sozialversicherung einbezogen, um Aufschluss über die Effektivität der Implantattherapie zu erlangen. Die Ergebnisse (teilweise noch nicht veröffentlicht) waren erstaunlich: So zeigten 45 Prozent der Implantate Zeichen einer Periimplantitis und 14,5 Prozent eine moderate Periimplantitis. Außerdem konnte die Studie einige patienten- und implantatbezogene Faktoren identifizieren, die für das Therapieergebnis ausschlaggebend sein können. Dazu gehören unter anderem die parodontale Gesundheit, die Zahl der gesetzten Implantate, der Hersteller des Implantats sowie die Kieferbehandlung und der Abstand des Abutments zum krestalen Knochen.

Mit dem Hart- und Weichgewebe befasste sich ein weiterer Programmpunkt. Den Fokus auf das Hartgewebe legte Dr. Luca Cordaro, Italien. Er konnte, was die Augmentationen betrifft, vor allem aus seinen eigenen Erfahrungen berichten. „Denn leider gibt es nur wenige Daten darüber, welche Methode der Augmentation zu bevorzugen ist“, bemängelte Cordaro. Er empfiehlt eine Methodenauswahl von Fall zu Fall. „Der Zahnarzt muss zudem wissen, dass diese Fälle eine Herausforderung sind, und sich gut überlegen, ob er diese einem Spezialisten übergibt oder es selbst versucht“, sagte der Italiener. Die klinische Erfahrung des Implantologen ist für ihn der entscheidende Faktor.

Techniken für zu dünnes Weichgewebe

Dass die EAO-Veranstaltungen immer auch Gelegenheit sind, neue Methoden oder Ansätze zu präsentieren, für die vielleicht noch die wissenschaftlichen Daten fehlen, zeigten zwei weitere Vorträge. Dr. Tomas Linkevicius, Litauen, betonte die Wichtigkeit der vertikalen Weichgewebsdicke für den Implantaterfolg und die Vermeidung eines krestalen Knochenverlusts nach der Insertion. Dazu stellte er verschiedene Techniken vor, mit denen man einem zu dünnen Weichgewebe begegnen könnte. „Allerdings fehlen die passenden Studien noch“, sagte Linkevicius.

Erste Studien zur Methode, die Prof. Dr. Marc Quirynen und Dr. Andy Temmerman, Belgien, vorstellten, gibt es bereits. Trotzdem ist die Verwendung von L-PRF-Membranen (leuko‧cyte- and platelet-rich fibrin) für die Weichgewebsregeneration umstritten. Aus Eigenblut des Patienten wird über eine Zentrifuge eine Membran gewonnen. Zeit und Equipment spielen dabei laut Quirynen eine entscheidende Rolle. Er bezeichnete L-PRF als „living human tissue graft“. Die Einsatzmöglichkeiten der Membran seien vielfältig. Ebenso wie die Vorteile, die Temmerman vorstellte: weniger post-operativer Schmerz beim Patienten, bessere Knochenqualität, weniger Knochenabbau nach dem Ziehen des Zahns und antimikrobakterielle Eigenschaften von L-PRF. Doch bevor dieser Ansatz sich durchsetze, seien noch weitere klinische Studien nötig, betonten beide Referenten.

Klinische Forschung für den Praxisalltag

Auch der zweite und der dritte Kongresstag boten den Teilnehmern interessante Ansätze aus der klinischen Forschung für den Praxisalltag. Gerade für diesen Transfer sind Ergebnisse von Konsensuskonferenzen eine Unterstützung. Die EAO lud im Frühjahr 2015 führende Experten der verschiedenen Aspekte rund um die Osseointegration in die Schweiz. Insgesamt vier Gruppen befassten sich mit unterschiedlichen Themen der Implantologie. Die Ergebnisse der Konferenz wurden erstmals in Stockholm vorgestellt. Die Arbeitsgruppen sichteten Reviews, Meta-Studien und bestehende Konsensusaussagen. In einem zweiten Schritt sollen die Ergebnisse in Behandlungsempfehlungen übersetzt werden.

Prof. Dr. Christoph Hämmerle, Schweiz, stellte die Arbeit der Gruppe 2 (Digitale Technologien) vor. Tenor: Digitale Technologien können in Planung, Therapie und Ergebnis unterstützen, aber noch nicht alle sind ausgereift. So müsse beispielsweise die Genauigkeit verbessert werden. Ein Weg dazu könnte die Verringerung der Arbeitsschritte in der geführten Implantologiechirurgie sein.

Prof. Dr. Alberto Sicilia, Italien, sprach für Arbeitsgruppe drei und erklärte, dass es klare Anzeichen gebe, dass Weichgewebstransplantate die Weichgewebssituation sowie die Ästhetik verbessern. Allerdings gebe es keine Langzeitdaten. Daher empfahl Sicilia eine Entscheidung des Behandlers im Einzelfall. Was Titan- oder Keramikabutments betrifft, konnte die Gruppe keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden im klinischen Ergebnis feststellen. „Zirkonabutments könnten zu mehr biologischen Komplikationen führen, haben aber auch klare ästhetische Vorteile“, erklärte Sicilia.

Fehler offen ansprechen

Prof. Dr. Mariano Sanz zeigte, dass die Arbeitsgruppe 4 mit dem Problem zu kämpfen hatte, dass es mehr systematische Reviews als ursprüngliche Studien gab. Trotzdem gab es auch hier ein Ergebnis. Sanz erklärte, dass die vertikale Augmentation das Mittel der Wahl sei, wenn das Knochenangebot limitiert sei. Liegt das Knochenangebot zwischen fünf und acht Millimetern, sind für die Konsensuskonferenz sowohl kurze als auch lange Implantate nach Augmentation eine therapeutisch gute Wahl.

Einen eindrucksvollen Vortrag gab es zum Thema „Aus Komplikationen lernen“. Prof. Dr. Franck Renouard, Frankreich, schaffte es, die Aufmerksamkeit des gesamten Auditoriums mit provokanten Aussagen auf sich zu lenken. Dabei beschäftigte er sich mit dem Faktor Chirurg bei Komplikationen und Fehlern. „Wir reden lieber über Platform Switching, statt über unsere Fehler zu reden“, gab Renouard den Zuhörern zu bedenken. Nur wenn man über Fehler rede, könne man aus diesen lernen, so seine These. Erstmals beschäftigt sich Renouard auch in einer demnächst veröffentlichten Studie mit diesem Thema.