Vermischtes

Instrumentenaufbereitung: Verschärfte Hygiene-Richtlinien

Verschärfte Hygiene-Richtlinien speziell zur Instrumentenaufbereitung sorgen in so mancher Praxis für Kopfzerbrechen. Dabei haben die Landeszahnärztekammern Spielraum bei der Umsetzung der Empfehlungen – und erarbeiten gemeinsam mit den Prüfbehörden kreative und für die Zahnärzte praktikable Lösungen. Doch nicht alle Kammern nutzen diese Freiheit.



Hygienestandards für Zahnärzte sind in zahlreichen Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien festgehalten – so weit die Theorie. In der Praxis tobt der Nahkampf gegen die Mikroorganismen, die sich in Turbinen und Winkelstücken festsetzen. Damit Hygiene reibungslos funktioniert, müssen Theorie und Praxis erst zusammengebracht werden. „Zur Umsetzung aller Vorgaben braucht es Zeit, Hartnäckigkeit und Fleiß“, sagt Marc Diederich, Leiter des Produktmanagements Hygiene bei Dürr Dental, der sich täglich zwischen Regelwerk und Reinigungsgeräten bewegt. Seit 2006 gilt die Richtlinie des Robert Koch Instituts (RKI) zur „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“ – „die erste Richtlinie speziell für die hygienischen Anforderungen in Zahnarztpraxen“, erklärt Zahnarzt Dr. Richard Hilger aus Düsseldorf. Der Hygienespezialist hat an der Entwicklung dieser Empfehlung für Zahnärzte – übrigens die einzige Berufsgruppe mit eigener RKI-Richtlinie – mitgearbeitet.

Hand gegen Maschine

Seit der Aktualisierung der gemeinsamen Empfehlung der Kommission für Krankenhaus- und Infektionshygiene (KRINKO) und des Bundesinstituts für Arbeitsmittel und Medizinprodukte (BfArM) zu den „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ im Jahr 2012 rückt die maschinelle Aufbereitung von Instrumenten immer mehr in den Vordergrund, zum Leidwesen insbesondere kleinerer Praxen. Während in nahezu jedem Haushalt eine Spülmaschine steht, besitzt längst nicht jede Praxis ein Reinigungs- und Desinfektionsgerät (RDG). Laut KRINKO-BfArM-Empfehlung sollte bei Instrumenten der Kategorie „kritisch-B“, also solchen, die die Haut oder Schleimhaut durchdringen – vor allem rotierende oder oszillierende Instrumente für chirurgische, parodontologische oder endodontische Maßnahmen –, „grundsätzlich maschinelle Reinigung und thermische Desinfektion im RDG“ erfolgen. Das heißt auch, dass in Ausnahmen eine händische Aufbereitung zulässig ist, jedoch „standardisiert und reproduzierbar“ und der maschinellen Reinigung gleichwertig. „Dieser Äquivalenzbeweis ist unter praktischen Arbeitsbedingungen nahezu unmöglich – erst recht nicht in standardisierter Form“, sagt Diederich.

Hohe Kosten bei den Geräten

Doch die Umstellung auf maschinelle Verfahren funktioniert alles andere als reibungslos, „vor allem aufgrund der Kosten für die Geräte sowie der regelmäßigen Leistungsprüfungen, die ebenfalls kostenintensiv sind“, beklagt Hilger. Etwa 7000 bis 8000 Euro kostet ein Thermodesinfektor, inklusive Ausstattung und Erstvalidierung; Wartung und Validierung schlagen ebenfalls mit mehreren Tausend Euro im Jahr zu Buche – das ist nicht für alle Praxen leistbar. „Besonders auf dem Land ist das ein echtes Problem“, sagt Dr. Hendrik Schlegel, Geschäftsführender Zahnarzt und Stellvertretender Leiter der Abteilung Zahnärztliche Berufsausübung der Zahnärztekammer Westfalen Lippe. „Eventuell führen diese Ausgaben zu mehr Praxiszusammenschlüssen und Landflucht.“

Experten: Validierung zu umfangreich

Die aufwendigen Prüfverfahren sind Praktikern und Standesvertretern ein Dorn im Auge: „Eine finanzielle Belastung stellt die von Aufsichtsbehörden geforderte Validierung von Geräten dar“, sagt Dr. Mathias Wunsch, Vorsitzender des Ausschusses Praxisführung der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die mit dem Deutschen Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ) einen Muster-Hygieneplan mit praktischen Arbeitsanweisungen entwickelt hat. „Zusätzlicher Aufwand für die Praxen entsteht durch ausgeweitete Dokumentationspflichten. Ein Nachweis für den Nutzen dieser kostspieligen Maßnahmen etwa bei Neugeräten existiert bisher nicht“, fügt Wunsch an.

Doch auch das Nichtbeachten der Vorschriften kann ins Geld gehen. Kritisch wird es für die Praxisbetreiber entweder, wenn eine Prüfbehörde eine unsachgemäße Aufbereitung feststellt – dann kann die Behörde die Praxis sogar schließen –, oder vor Gericht, bei einer Klage wegen unzulänglicher Hygiene. „Nicht vorausschauendes Handeln und das Weglassen von essenziellen Hygienemaßnahmen ist teuer oder kann teuer werden“, warnt Marc Thanheiser vom RKI. Im Kammerbereich Nordrhein befanden Gerichte die manuelle Aufbereitung für nicht zulässig. Bei händischer Reinigung kehrt sich die Beweislast um – der Zahnarzt muss zeigen, dass er ein geeignetes validiertes Verfahren angewendet hat. Um Genauigkeit und Machbarkeit manueller Reinigungsverfahren zu dokumentieren, haben die Kammern Westfalen-Lippe und Nordrhein sowie die BZÄK an der Technischen Universität Dresden die Studie zur „Manuellen Aufbereitung zahnärztlicher Instrumente“ (MAZI) in Auftrag gegeben. „Unser Fazit: Instrumente werden heute so sicher aufbereitet wie nie zuvor“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Lutz Jatzwauk. Auch die Industrie ist überzeugt: „Die Studie belegt, dass unsere Turbinen sowie unsere Hand- und Winkelstücke nach der manuellen Reinigung und Desinfektion zu nahezu 100 Prozent frei von Bakterien sind“, sagt Horst Willeweit von der Firma Morita.

2013 hat unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Sterilgutversorgung (DGSV) eine Leitlinie zur Validierung der manuellen Reinigung und manuellen chemischen Desinfektion von Medizinprodukten veröffentlicht. „Diese Leitlinie ist so umfangreich, dass sie nicht wirklich praktikabel ist“, beschreibt Ute Wurmstich, Vorstandsmitglied in der DGSV und Zahnmedizinische Fachangestellte in Wedemark nahe Hannover. Dort wird ausschließlich maschinell aufbereitet.

Wie Wurmstich favorisieren und empfehlen viele Experten trotz MAZI-Studie und Leitlinie zur manuellen Reinigung die maschinellen Verfahren. „Die Bezeichnung ,grundsätzlich‘ lässt immer auch begründete Ausnahmen zu“, erklärt Thanheiser. „Dabei ist zu bedenken, dass die Validierung manueller Teilschritte der Aufbereitung oft einen größeren Aufwand darstellt als die Anwendung maschineller Verfahrensschritte.“

Viele Kammern – viele Sitten

Wie die Empfehlungen in der Praxis umgesetzt werden, obliegt den Ländern. So wie die Bayern ihr Weißbier und die Hessen ihren Äppelwoi lieben, so interpretieren die 17 Landeszahnärztekammern (LZÄK) die Hygienemaßgaben auf ihre Art und Weise, unter anderem hinsichtlich der Prüfung der Praxen: In Bayern kontrollieren die Gewerbeaufsichtsämter, in Hessen die Gesundheitsämter. Unabhängig vom Amt, das die Begehungen durchführt: Die Anzahl der Praxisbesuche nimmt zu. „Vor 2009 gab es nur vereinzelte Kontrollen“, erklärt Dr. Jürgen Reinstrom von der Zahnärztekammer Niedersachsen. „Zuerst wurden die operativ tätigen Praxen begangen; seit vergangenem Jahr immer mehr auch andere Praxen.“ Bei Ordnungswidrigkeiten, etwa einer fehlenden Validierung des Thermodesinfektors, verhängen die Behörden in Niedersachsen Bußgelder.

Selbst innerhalb der LZÄK variieren die Standards: „In Hamburg handhaben die sechs Bezirksämter Hygienekontrollen völlig unterschiedlich“, erklärt Konstantin von Laffert, Referent für Zahnärztliche Berufsausführung und Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Hamburg. Im Bezirk Altona etwa beschloss das Amt 2013 die Begehung aller ca. 350 Praxen und verpflichtete sie zur Anschaffung eines RDG. „So wird die Richtlinie zum Gesetz“, kritisiert von Laffert. „Zudem hatten die Kontrolleure, eine Ärztin und eine Krankenschwester, anfangs keine Ahnung von den Abläufen in Zahnarztpraxen, und das Amt schickte Hygieneformulare, die Rubriken ohne jeglichen Bezug zur Zahnarztpraxis enthielten. Die Praxen waren entsetzt.“

Ob die manuelle der maschinellen Aufbereitung gleichgestellt werden sollte, wird kontrovers diskutiert. „Wer in Sachen Aufbereitung von Medizinprodukten der Klasse kritisch-B auf der sicheren Seite sein möchte, sollte – so unsere Empfehlung – angesichts des derzeitigen Stands der Rechtsprechung mit einem validierbaren RDG maschinell aufbereiten“, rät Dr. Andreas Dehler, Referent für Hygiene im Vorstand der LZK Hessen. „Die manuelle Aufbereitung von Instrumenten der Klasse kritisch-B ist kompliziert und ebenfalls nicht billig“, gibt Dr. Michael Rottner, Referent für Praxisführung der Bayerischen Landeszahnärztekammer, zu bedenken. Andererseits berichten spezialisierte Praxen, dass oft ein RDG „aufgrund der langen Durchlaufzeiten“ nicht ausreiche. Daher sei auch eine Fremdaufbereitung in Betracht zu ziehen. „Seit 2012 kommen wir um eine maschinelle Reinigung von Kritisch-B-Instrumenten in vielen Fällen derzeit trotz MAZI-Studie nicht herum. Im Einzelfall muss die Praxis prüfen, ob eine manuelle Reinigung eingesetzt werden kann, doch der Aufwand ist meist sehr hoch“, so sein Fazit. „Es ist nicht erwiesen, dass der Thermodesinfektor besser reinigt als die manuelle Aufbereitung“, kontert Sabine Christmann von der LZÄK Rheinland-Pfalz, die die Praxen dort zur Hygiene berät. Zudem hätten die wenigsten Praxen Kritisch-B-Instrumente, weil sie nicht chirurgisch tätig seien. „Den Praxen wird von Seiten der Kammer nicht zur Anschaffung eines Thermodesinfektors geraten.“ Auch die Kammern in NRW erkennen die MAZI-Studie zur manuellen Aufbereitung an. In Niedersachsen müssen Kritisch-B-Instrumente dagegen grundsätzlich maschinell aufbereitet werden.

Schulung statt Zensur

Dass Praxishygiene in Kooperation mit allen Beteiligten besser funktioniert, zeigt ein Projekt der LZK Hessen, um in „allen hessischen Zahnarztpraxen dieselben hohen Hygienestandards dauerhaft zu gewährleisten“, erklärt Dehler, der das Projekt seitens der LZK Hessen leitete. Gemeinsam mit dem Sozialministerium und der Kammer haben 19 der 24 hessischen Gesundheitsämter die teilnehmenden Zahnarztpraxen zur Umsetzung der RKI-Richtlinien von 2006 und 2012 beraten. „Für jede Praxis wäre es eine große Herausforderung, die zahlreichen relevanten Gesetze, Normen und Richtlinien selbst zu überblicken und sicher zu handhaben. Wir helfen durch Publikationen, Projekte und unser Qualitätsmanagementsystem Z-QMS.“ Seit Jahren, sagt Dehler, sei in Hessen kein Infektionsfall in einer Zahnarztpraxis bekannt. Durch die umfangreiche Schulung werden die teilnehmenden Praxen begleitend zu dem Projekt nur noch stichprobenartig kontrolliert. Die Teilnahme kostete die Praxis 160 Euro für fünf Jahre. Einzelberatungen zu Hygiene bieten zahlreiche Kammern an, jedoch meist zu höheren Preisen. In Westfalen-Lippe kostet eine Hygieneberatung durch einen Kammervertreter 299 Euro, die Kammer in Rheinland-Pfalz stellt einen Stundensatz von 150 Euro in Rechnung.

Auch anderorts kooperieren die Kammern mit den Landesbehörden, vor allem um die Praxen finanziell zu entlasten: „Anschaffung und Unterhalt der RDGs stellen besonders für Einzelpraxen ein Problem dar“, erklärt Dr. Karsten Heegewaldt von der ZÄK Berlin. „Gemeinsam mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales und den Prüfbehörden arbeiten wir an einer alternativen Lösung, mit der wir den immens steigenden Hygienekosten begegnen können.“ In Westfalen-Lippe und Nordrhein übernehmen die Kammern sogar selbst die Kontrolle der Praxen. „Unser Sachverständiger besucht 100 Praxen pro Jahr, also zwei Prozent aller niedergelassenen Zahnärzte, und berichtet an die Bezirksregierung“, erklärt Dr. Hendrik Schlegel von der ZÄK Westfalen-Lippe. „Dadurch verbessert sich die Akzeptanz der Kontrollen bei den Zahnärzten.“ Dabei gibt es Zahnärzte, die statt auf die Kontrolleure zu warten, die Prüfbehörde selbst einladen, wie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg Dr. Klaus Wefers aus Emsdetten im Münsterland. „Unsere Gemeinschaftspraxis erfüllt alle Hygienebedingungen – das wollte ich dem Gesundheitsamt demonstrieren.“

So mancher Hygiene-Experte lehnt Praxisbegehungen gänzlich ab und baut stattdessen auf Bildung: „Sachverständige der Prüfbehörden haben häufig keine Fachkompetenz hinsichtlich Hygiene“, bemängelt Jatzwauk. „Die Hygiene in den Praxen sollte nicht durch flächendeckende Kontrollen, sondern durch eine bessere Ausbildung der Zahnärzte und ZFA verbessert werden.“ Auch Thanheiser führt Mängel in der Aufbereitung sehr oft auf „reine Unkenntnis“ zurück. „Das wichtigste Hilfsmittel, um die Ressourcen zielorientiert und sinnvoll einzusetzen, ist das Wissen.“

Neue Wege bei der Umsetzung der Empfehlungen diskutierte die BZÄK mit den LZÄK am 26. März (nach Redaktionsschluss) in einer Planungsrunde zur Praxishygiene.

Medizinprodukte

Nach der Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu den „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ sind

  • semikritische Medizinprodukte Medizinprodukte, die mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut in Berührung kommen,
  • kritische Medizinprodukte Medizinprodukte, die bestimmungsgemäß die Haut oder Schleimhaut durchdringen und dabei in Kontakt mit Blut bzw. an inneren Geweben oder Organen zur Anwendung kommen einschließlich Wunden.