Keine weitergehende Begründungspflicht
In einem erfreulichen Urteil hat das Oberlandesgericht Nürnberg am 20.11.2020 (Az: 8 O 861/17) entschieden, dass der behandelnde Zahnarzt das Überschreiten des durchschnittlichen Steigerungssatzes in der Abrechnung nicht gesondert begründen muss, wenn er mit dem Patienten eine schriftliche Vereinbarung über abweichende Gebührensätze getroffen hat (§ 2 Abs.1 und 2 GOZ).
Die Parteien stritten über die Leistungspflicht der beklagten Versicherung für eine bei dem Kläger durchgeführte Zahnbehandlung. Neben der medizinischen Notwendigkeit war strittig, ob das Überschreiten des Schwellenwertes trotz einer abweichenden Vereinbarung zwischen dem Kläger und seinem Zahnarzt gesondert eine Begründungspflicht notwendig machte. Darüber hinaus war zu klären, ob aufgrund der teilweise erheblichen Überschreitung des Schwellenwertes von einem auffälligen Missverhältnis zwischen den Kosten für die Heilbehandlung und den erbrachten Leistungen und damit vom Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers gemäß § 192 Abs. 2 VVG auszugehen war.
Keine zusätzliche Begründungspflicht
Dem Kläger wurde der Erstattungsanspruch gegen seine Versicherung weitestgehend zugesprochen. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die gewählte Behandlungsmethode wissenschaftlich zweifelsfrei anerkannt sei. Nach den Ausführungen des Gerichts sei wegen der Besonderheiten der Medizin und dem Fortschreiten ihrer Erkenntnisse einerseits und der Unsicherheiten bei der Diagnostik andererseits ein Behandlungskorridor eröffnet. Es bestehe auch kein Grundsatz, dass nur die kostengünstigere Behandlung notwendig ist, denn die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen stellen nicht auf die wirtschaftliche Notwendigkeit ab. Nach dem Gutachten sah das Gericht den Beweis der Notwendigkeit als erbracht an. Der Sachverständige legte dar, dass die zahnmedizinischen Maßnahmen zur Behandlung der Erkrankung des Klägers geeignet und erforderlich waren.
„Die Urteile stärken die Rechte der Patienten gegenüber ihren Versicherungen.“ RA Jens-Peter Jahn
Der behandelnde Zahnarzt hatte einen wirksamen und fälligen Vergütungsanspruch gegen den Kläger, sodass die Versicherung daraufhin erstatten musste. Insbesondere, so das Gericht, lag eine ordnungsgemäße Abrechnung der zahnärztlichen Vergütung vor. Diese entsprach den Regelungen der GOZ (§ 10 Abs. 1 und 2 GOZ). Auch soweit hinsichtlich einzelner Abrechnungspositionen der durchschnittliche Gebührensatz von 2,3 überschritten worden war, entfiele in diesem Fall eine weitergehende Begründungspflicht. Denn der Kläger hatte mit dem behandelnden Zahnarzt eine schriftliche Vereinbarung über abweichende Gebührensätze geschlossen. Das Überschreiten des Schwellenwertes musste daher in der Abrechnung nicht gesondert begründet werden.
Substanzielle Einwände der Versicherung notwendig
Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vereinbarung hatte das Gericht nicht, obwohl die Vereinbarung teilweise Steigerungssätze enthielt, die zum Teil deutlich über dem gesetzlichen Höchstsatz lagen. Der Sachverständige hatte eine hohe Qualität der Behandlung festgestellt. Substanzielle Einwendungen gegen die genannte Honorarvereinbarung hatte die Versicherung nicht vorgebracht. Soweit letztere die Rechtfertigung eines über das 2,3-fache hinausgehenden Steigerungssatzes pauschal bestritt, genügte dies nach Auffassung des Gerichts nicht der Darlegungspflicht der Versicherung. Es mangelte insbesondere der erforderlichen konkreten Darlegung, dass das abgerechnete Entgeld deutlich über dem üblichen Wert der erbrachten Leistung liegt. Mangels substantierter Darlegung musste das Gericht kein weiteres Sachverständigengutachten zu dieser Frage einholen.
Verhandlung vor OLG Köln
In ähnlicher Weise hatte sich in jüngerer Vergangenheit das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 14.01.2020 – 9 O 39/19) zur Begründungspflicht geäußert. Als weiteren rechtlich relevanten Aspekt musste das OLG Köln sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, ob die geschlossene Gebührenvereinbarung als Individualvereinbarung anzusehen war. Gemäß § 2 Abs. 2 GOZ kann eine abweichende Vereinbarung nur nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen Zahnarzt und Zahlungspflichtigem getroffen werden. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 25.10.2005, 1 BvR 1437/02) ist für die Annahme einer Individualvereinbarung nicht erforderlich, dass der Zahnarzt die Höhe der Steigerungsfaktoren ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner eine Gestaltungsmöglichkeit zur Wahrung der eigenen Interessen, dem Patienten also ein Mitspracherecht zur Angemessenheit der Bezahlung für die noch zu erbringende Leistung einräumt. Zudem darf ein Gericht dem Arzt nicht einseitig die Beweislast für den Vorgang des Aushandelns auferlegen, obwohl es keine Möglichkeit zu vertraglicher Fixierung des Vorgangs des Aushandelns gibt (Weitere Erklärungen darf die Vereinbarung gem. § 2 Abs. 2 S. 3 GOZ nicht enthalten).
„Durch enge gesetzliche Vorgaben bleibt für eine Individualisierung der Vereinbarung kaum Raum.“ RA Jens-Peter Jahn
Die Anforderungen, die im Zusammenhang von ärztlichen Vergütungsvereinbarungen an das Vorliegen einer Individualvereinbarung gestellt werden, dürfen insgesamt nicht so hoch sein, dass es praktisch kaum noch zu beweisbaren Vereinbarungen kommen kann, die einer Überprüfung durch die Gerichte standhalten.
Geringe Möglichkeiten für Individualisierung
Zu bedenken ist im Übrigen, dass für die Individualisierung bei solchen Vergütungsvereinbarungen zwischen Zahnärzten und Patienten ohnehin durch die gesetzliche Regelung nur sehr geringe Möglichkeiten für eine Individualisierung verbleiben. So ist es beispielsweise nicht gestattet, Pauschalhonorare zu vereinbaren. Vielmehr ist lediglich die Vereinbarung abweichender Steigerungsfaktoren möglich. Die Gestaltung der Vereinbarung in § 2 GOZ ist klar vorgegeben: Danach muss die Vereinbarung neben der Nummer und der Bezeichnung der Leistung, dem vereinbarten Steigerungssatz und dem sich daraus ergebenden Betrag, auch die Feststellung enthalten, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Damit liefert das enge gesetzliche Korsett schon so weitgehende Vorgaben, dass für die Individualisierungen im Ergebnis kein Raum verbleibt. Zumal die Vereinbarung weitere Erklärungen nicht enthalten darf.
Gestärkte Rechte der Patienten
Aus diesem Grund hat das OLG Köln in dem zitierten Urteil auch klargestellt, dass sich das Vorliegen allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht schon allein daraus herleiten lässt, dass der Zahnarzt inhaltsgleiche Gebührenvereinbarungen mit einer Vielzahl von Patienten abschließt. Aufgrund der engen gesetzlichen Vorgaben liegt es in der Natur der Sache, dass bei einem Abschluss der Gebührenvereinbarung vor Beginn der jeweiligen Behandlung eine Individualvereinbarung nicht unbegrenzt möglich ist.
Die beiden Urteile sind im Sinne der Zahnärzteschaft sehr erfreulich, verdeutlichen sie doch noch einmal die Anforderungen an abweichende Vereinbarungen im Sinne von § 2 Abs. 2 GOZ. Die Vereinbarung der Gebührenhöhe stellt also eine Möglichkeit dar, die Auseinandersetzung vom Zahnarzt-Patientenverhältnis in das Patienten-Versicherungsverhältnis zu verlagern. Auch wenn die beiden Urteile also das Zahnarzt-Patientenverhältnis nicht unmittelbar betrafen, so stärken sie doch die Rechte der Patienten gegenüber ihren Versicherungen. Somit kommen sie indirekt auch den Zahnärzten zugute.
„Verlangt der Patient eine Begründung, kann er ggf. eine Erstattung bei seiner Versicherung erreichen.“ RA Jens-Peter Jahn
Geregelte Begründungspflicht bleibt bestehen
Mit der Rechtssprechung macht das OLG Nürnberg bei Vorliegen einer Vereinbarung den Gebührenanspruch des Zahnarztes nicht von einer gesonderten Begründungspflicht der Überschreitung des Steigerungssatzes abhängig. Dennoch bleibt die in § 10 Abs. 3 GOZ geregelte Begründungspflicht für den Fall, dass die Überschreitung des Schwellenwertes auch ohne die getroffene Vereinbarung gerechtfertigt gewesen wäre und der Patient diese Begründung verlangt, bestehen. Als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dient diese Verpflichtung des Zahnarztes dazu, dem Patienten einen möglichen Erstattungsanspruch gegenüber seiner Krankenversicherung zu sichern. Sie hat allerdings im Hinblick auf das Entstehen des Vergütungsanspruches keine konstitutive Bedeutung.
Die Vereinbarung von Steigerungsfaktoren ist bei Überschreitung des Gebührenrahmens des § 5 Abs. 1 S. 1 GOZ (3,5-facher Satz) zwingend. Sie kann aber auch schon bei niedrigeren Steigerungsfaktoren sinnvoll sein. Ohne Vereinbarung setzt ein durchsetzbarer Gebührenanspruch über dem Schwellenwert drei Schritte voraus: Das Bemessen des Steigerungsfaktors, das Begründen der Überschreitung des Schwellenwertes und – auf Verlangen – das Erläutern des besonderen Aufwandes. Die Beweislast liegt in diesen Fällen beim Zahnarzt.
Vereinbart der Zahnarzt die Gebührenhöhe unter Berücksichtigung der vorstehend zitierten Rechtsprechung, reicht die Vereinbarung als alleinige Begründung für den Gebührenanspruch. Verlangt der Patient eine Begründung, kann er ggf. eine Erstattung bei seiner Versicherung erreichen. Wird die Angemessenheit infrage gestellt, liegt die Beweislast beim Patienten bzw. der Versicherung.
Der Experte
RA Jens-Peter Jahn
ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei michels.pmks Rechtsanwälte in Köln mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.
info@michelspmks.de