Untersuchung zu SARS-CoV-2

Warum Parodontaltaschen ein Reservoir für Coronaviren sein könnten

Nicht nur über die Atemwege gelangen Coronaviren in den menschlichen Körper – auch die Mundhöhle bietet Angriffsflächen für eine Infektion mit SARS-CoV-2. Welche Rolle Parodontaltaschen bei der Verbreitung des Virus spielen könnten, untersuchte unlängst ein Team französischer Wissenschaftler von der Universität Nantes.


Parodontaltaschen Coronaviren

In den Parodontaltaschen der Mundhöhle siedeln nicht nur Bakterien: Auch Coronaviren könnten hier Reservoirs bilden und längere Zeit überdauern. Das vermuten französische Wissenschaftler von der Universität Nantes in einer aktuellen Veröffentlichung. © Maksym Yemelyanov – stock.adobe.com


Parodontaltaschen bieten eine ideale Umgebung für subgingivale bakterielle Biofilme. Diese interagieren mit der supragingivalen Mundhöhle, mit dem mukosalen Gewebe der Tasche, aber auch mit dem Blutkreislauf, sodass weit über die Mundhöhle hinaus systemische Effekte dieser Biofilme spürbar sind.

Auch Viren in Parodontaltaschen nachweisbar

Und nicht nur Bakterien besiedeln die Parodontaltaschen: Auch die Existenz von Viren konnten Forscher bereits in zahlreichen Untersuchungen nachweisen. Herpes-Simplex-Viren (HSV), Epstein-Barr-Viren (EBV) und humane Cytomegaloviren (HCMV) zählen neben Bakteriophagen zu den häufigsten viralen Bewohnern der Zahnfleischtaschen. Die Viren fanden sich im Gingivagewebe, in der Sulkusflüssigkeit und in der subgingivalen Plaque. Ihre Prävalenzen variierten je nach Schweregrad der Parodontitis.

SARS-CoV-2 in Sulkusflüssigkeit und Zahnfleischtaschen vermutet

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 gehört zu den Viren, die bereits im Speichel nachgewiesen werden konnten. In einer aktuellen Veröffentlichung stellen Forscher der Universität Nantes um Professor Zahi Badran daher die Hypothese auf, dass das Virus möglicherweise auch die Sulkusflüssigkeit und die Parodontaltaschen besiedeln könnte.

Für diese Hypothese spricht, dass das Angiotensin-Converting-Enzym-2 (ACE-2) als Hauptrezeptor für den Viruseintritt in die Zielzellen auch von Zellen aus der Mundhöhle – bespielsweise Speicheldrüsenzellen – exprimiert wird. Darüber hinaus konnten Forscher die Expression von ACE-2 in gingivalen und parodontalen Ligamentfibroblasten dokumentieren. Neuere Studien deuten darauf hin, dass als Infektionsweg auch die Übertragung über den Cluster of Differentiation (CD 147) auf Zellmembranen infrage kommt.



Parodontaltaschen als „anatomische Nischen“ für Coronaviren denkbar

Mittlerweile verzeichnet die Forschung immer mehr Fälle von COVID-19-Patienten, die nach ihrer Genesung abermals klinische Symptome der Erkrankung aufweisen. Den französischen Wissenschaftlern zufolge deute dies auf eine mögliche erneute Aktivierung von SARS-CoV-2 im menschlichen Organismus hin. Wo genau aber verbergen sich die Viren, die den nochmaligen Ausbruch der Erkrankung auslösen? Das Team um Professor Badran geht davon aus, dass im menschlichen Körper sogenannte „anatomische Nischen“ existieren. In diesen Nischen könnten SARS-CoV-2-Viren wie in einem „Reservoir“ überdauern – auch weit über die akute Erkrankungsphase hinaus. Eine dieser anatomischen Nischen könnten nach Ansicht der Wissenschaftler Parodontaltaschen sein.

Forschungsprojekt zu Coronaviren in Parodontaltaschen läuft

Um ihre Hypothese zu untermauern, untersuchen die französischen Wissenschaftler in einem laufenden Forschungsprojekt subgingivale Plaque und Sulkusflüssigkeit von COVID-19-Patienten. Dem Team ist klar: Sollte sich ihre Vermutung bewahrheiten, könnte sich nicht nur eine neue Möglichkeit der Testung auf COVID-19 ergeben. Auch der Parodontaltherapie käme dann künftig möglicherweise ein höherer Stellenwert als Behandlungsparameter im globalen klinischen Management von COVID-19-Patienten zu.


Quelle: Zahi Badran, Alexis Gaudin, Xavier Struillou, Gilles Amador, Assem Soueidan. Periodontal pockets: A potential reservoir for SARS-CoV-2? Medical Hypotheses, Volume 143, 2020, 109907. doi.org/10.1016/j.mehy.2020.109907.