Dental Magazin

Erstattungsproblematik Faktor 2,3 oder mehr?

Ergeben sich bei der Behandlung vom Durchschnitt abweichende Schwierigkeiten, dürfen höhere Steigerungsfaktoren verwendet werden. Die korrekte und nachvollziehbare Begründung ist das A und O für die Akzeptanz durch Patient und Krankenkasse.


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Der Zahnarzt ist gemäß § 5 Abs. 2 GOZ verpflichtet, jede seiner Leistungen zu bemessen und in einem Gebührenrahmen von Faktor 1,0 bis 3,5 zu bewerten. Dabei sind die folgenden Bemessungskriterien heranzuziehen: Der Zeitaufwand er einzelnen Leistung, die Schwierigkeit der einzelnen Leistung, die Umstände bei der Ausführung der einzelnen Leistung und die Schwierigkeit des Krankheitsfalls.

Wichtig für die Beweisführung im Streitfall ist die zahnärztliche Dokumentation. Hier sind gerade die Behandlungsteams gefordert, die notwendigen Informationen aufzuzeichnen, damit bei der Rechnungserstellung die Gründe angeführt werden, die in der Sitzung oder durch den Patienten bedingt tatsächlich zu einer höheren Honorarforderung führten. Gründe für eine vom Durchschnitt abweichende Honorierung können in der Person des Patienten, in Besonderheiten oder Schwierigkeiten bei der aktuellen Behandlung oder in der besonderen Ausführung der Behandlung liegen.

Die „schematische“ Begründung anhand mehr oder weniger willkürlich gewählter Formulierungen, die von der Zahnarztsoftware hinterlegt sind, führt häufig dazu, dass die Begründung nicht anerkannt wird, oder dazu, dass der Patient mit Unverständnis reagiert. Wichtig ist immer: Die Rechnungslegung sollte zu der erlebten Behandlung passen und den Patienten in Erinnerung rufen, dass tatsächlich eine Abweichung vom Durchschnittlichen vorlag. Kommunikation auch über solche Sachverhalte am Stuhl ist daher unabdingbar. Nicht nachvollziehbar für den Patienten ist ein hoher Steigerungssatz dann, wenn die Begründung mit „Extrem hoher Zeitaufwand beziehungsweise Schwierigkeitsgrad …“ eingeleitet wird, er selbst aber bei der Behandlung das Gefühl hatte, alles sei ganz „normal“ gewesen, nicht besonders schwierig oder zeitaufwendig.

Gründe für einen möglicherweise erhöhten Steigerungssatz lassen sich schon in der Anamnese erkennen und sollten im „Risikofenster“ des Patienten hinterlegt werden. Bei fast allen Abrechnungsprogrammen öffnet sich beim Aufrufen des Patienten das Risikofenster. Die Angaben „ASS100“, „Marcumar“ oder Ähnliches sind dann von Nutzen, wenn chirurgische Eingriffe stattgefunden haben. In diesen Fällen kann als „Standardbegründung“ hinterlegt werden: „Besonderer zeitlicher Mehraufwand bei der intraoperativen Blutstillung bei zeitgleicher Antikoagulantienbehandlung.“ Wenn beim Patienten bekannt ist, dass er nicht liegend behandelt werden kann, sollte dies auch im „Risikofenster“ hinterlegt werden, denn mit dieser Besonderheit werden alle Eingriffe im Oberkiefer erheblich erschwert. Als Standardbegründung kann dann angeführt werden: „Besondere Schwierigkeiten bei der Behandlung im Oberkiefer, weil der Patient nicht behandlungsgerecht gelagert werden konnte.“ Ebenso ist es schwierig und erheblich vom Durchschnitt abweichend, Patienten im Rollstuhl oder mit besonderen Behinderungen zu behandeln. Manche Patienten haben Kiefergelenkprobleme und müssen häufiger den Mund schließen, um das Gelenk oder die Muskulatur zu entlasten. Wenn dies der Fall ist, kann ein erhöhter Faktor so begründet werden: „Deutlicher zeitlicher Mehraufwand: Der Patient leidet unter Kiefergelenkbeschwerden und zur Entlastung der Muskulatur musste die Behandlung mehrfach unterbrochen werden.“

Mehr Aufwand, mehr Honorar

Gerade die Stuhlassistenz nimmt oft schicksalsergeben Besonderheiten bei der Behandlung in Kauf, ohne sie in der Dokumentation zu vermerken. So gibt es Patienten, die mit Kraft gegen die Behandlungsinstrumente arbeiten, insbesondere mit ihrer Wangenmuskulatur gegen den Sauger drücken. Wenn dies dokumentiert ist, kann als Begründung angeführt werden: „Erheblich erschwerte Behandlung wegen des hohen Wangendrucks; die Arbeitsinstrumente mussten häufig neu positioniert und das Arbeitsfeld neu eingestellt werden.“ Hat der Patient Mundwinkelrhaghaden oder Herpes, kann er den Mund nur eingeschränkt öffnen oder muss ihn ebenfalls häufiger wieder schließen. Diese Besonderheiten sollten ebenfalls in der Dokumentation aufgeführt werden.

In den Workshops „Begründen – aber richtig!“ ist vor dem Hintergrund der offensichtlich immer wieder auftretenden Schwierigkeiten bei der Formulierung zutreffender Begründungen ein „Begründungskatalog“ mit zahnärztlichem Sachverstand entstanden, der bereits von mehr als 1.000 Praxen mit Erfolg angewendet wird. Zu beziehen ist er bei der Autorin zum Preis von 19,50 Euro zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer.

Zur Erläuterung der Begründung der Überschreitung des Schwellenwerts ist der Arzt beziehungsweise Zahnarzt, als vertragliche Nebenpflicht des Behandlungsvertrags, im Rahmen des Zumutbaren grundsätzlich verpflichtet. Allerdings ist nicht gefordert, die Begründung schriftlich zu erläutern. Bei fachlich und sachlich nachvollziehbarer Begründung gibt es in der Regel kaum Erstattungsprobleme von Seiten privater Krankenversicherer. Eine besondere Erstattungsproblematik ergibt sich allerdings bei beihilfeberechtigten Patienten. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Beihilfe immer dann, wenn die Aufwendungen dem Grunde nach notwendig und wirtschaftlich angemessen sind sowie die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, werden Gebühren oft nur dann als wirtschaftlich angemessen beurteilt, wenn sie den 2,3-fachen Faktor des Gebührenrahmens nicht überschreiten.

Ärztliches Gutachten steigert Akzeptanz

Bestehen bei der Beihilfefestsetzungsstelle erhebliche Zweifel darüber, ob die in der Begründung dargelegten Umstände den Umfang der Überschreitung des Schwellenwerts rechtfertigen, soll sie den Beihilfeberechtigten bitten, die Begründung durch den Arzt oder Zahnarzt erläutern zu lassen. Werden die Zweifel nicht ausgeräumt, so soll mit Einverständniserklärung des Beihilfeberechtigten eine Stellungnahme der zuständigen Ärzte- beziehungsweise Zahnärztekammer oder eines medizinischen oder zahnmedizinischen Gutachters eingeholt werden – so sieht das auch der Bundesgerichtshof.

Darüber hinaus verkündet dieser: „… dass auch das Beihilferecht selbst davon ausgeht, dass die Richtigkeit der ärztlichen Rechnungsstellung von der Beihilfestelle nicht generell mit größerer Sachkompetenz als vom behandelnden Arzt beurteilt werden kann; nur so ist zu verstehen, dass bei Auftauchen bestimmter Zweifelsfragen ein ärztliches oder zahnärztliches Gutachten oder eine Stellungnahme der Ärzte- beziehungsweise Zahnärztekammer einzuholen ist.“ Außerdem heißt es in der bedeutsamen Entscheidung: „Da das Amtsgericht Hannover in dem rechtskräftig abgeschlossenen zivilgerichtlichen Verfahren gegen … festgestellt habe, dass die Erhebung des 3,5-fachen des Gebührensatzes berechtigt gewesen und damit auch in beihilferechtlicher Sicht eine angemessene Leistungsabrechnung anzunehmen sei, liege in der Ablehnung der vollständigen Erstattung der Zahnarztrechnung unter Rückgriff nur auf eigene Datenbanken eine zumindest fahrlässige Amtspflichtverletzung der Mitarbeiter der Beihilfestelle.“ So sieht das der Bundesgerichtshof – eine Entscheidung, die gerade im Umgang mit der Kürzung der Erstattung durch die Beihilfefestsetzungsstellen zu beachten ist.

 Christine Baumeister-Henning
ist seit 1982 im Praxismanagement aktiv und zertifizierte Z-PMS-Moderatorin, Business-, Team- und Konfliktcoach, Sachverständige für Gebührenrecht. Mit drei Mitarbeiterinnen bietet sie einen Vor-Ort- und einen Online-Service für Abrechnung, Schulung und Qualitätsma‧nagement. Kontakt: 02364 68541
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