Millerpreis 2020 geht an Leipziger Forscherteam
Der renommierte Millerpreis der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) geht in diesem Jahr an eine vierköpfige Leipziger Forschergruppe aus Herzchirurgen und Parodontologen. Sie hatten sich in ihrer gemeinsamen Arbeit dem komplexen Versorgungsproblem von Patienten mit schweren Herzerkrankungen gewidmet – denn diese weisen häufig einen hohen parodontalen Behandlungsbedarf auf.
„Mundgesundheit und zahnmedizinische Betreuungssituation von Patienten mit schweren Herzerkrankungen – Beschreibung einer Versorgungslücke und Konsequenzen für ein interdisziplinäres Behandlungskonzept“, lautet der Titel der mit dem Millerpreis 2020 prämierten wissenschaftlichen Arbeit. Für ihre Abhandlung erhalten Dr. Gerhard Schmalz und Prof. Dr. Dirk Ziebolz von der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Universität Leipzig sowie Dr. Christian Binner und Prof. Dr. Jens Garbade von der Klinik für Herzchirurgie des Herzzentrums Leipzig in diesem Jahr die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung.
Schwer Herzkranke nur unzureichend zahnärztlich versorgt
Im Mittelpunkt der von der DGZMK ausgezeichneten Arbeit steht die zahnärztliche Versorgungssituation von Patienten mit schweren Herzerkrankungen. Vor allem die Herzinsuffizienz tritt weltweit mit einer hohen Prävalenz und Inzidenz auf. Solch schwere Herzerkrankungen lassen sich mittlerweile erfolgreich und langfristig behandeln – etwa mit einer Herztransplantation (HTx) oder Herzunterstützungssystemen wie den „left ventricular assist devices“ (LVAD). Jedoch führt die Langzeittherapie zu einer immer größer werdenden Patientengruppe, die in vielerlei Hinsicht einer besonderen zahnmedizinischen Betreuung bedarf. Denn aufgrund der lebenslangen Immunsuppression nach HTx bzw. der Verbindung einer extrakorporalen Steuereinheit bei LVAD mit dem Thoraxinneren sind diese Patientengruppen als Risikopatienten in der zahnärztlichen Behandlung einzustufen. Eine frühzeitige zahnärztliche Rehabilitation mit langfristiger präventiver Betreuung dieser Patienten ist daher erforderlich.
Vier Teilprojekte beleuchten Situation umfassend
In ihrer Abhandlung hatten sich die Leipziger Forscher zum Ziel gesetzt, die aktuelle Situation durch vier Teilprojekte umfassend zu beleuchten. Auf diese Weise erhofften sie sich, die zahnärztliche Versorgungssituation von Patienten mit schweren Herzerkrankungen in Deutschland beurteilen zu können. Auch der möglicherweise bestehende Verbesserungsbedarf sollte so abschätzbar werden. Dazu erfassten die Wissenschaftler zunächst in zwei verschiedenen Querschnittstudien das Mundgesundheitsverhalten und den dentalen und parodontalen Zustand von Patienten mit Herzinsuffizienz, HTx und LVAD. Für ein tieferes Verständnis betrachteten die Leipziger Forscher in zwei weiteren Teilprojekten einige Aspekte gesondert. In Teilprojekt 3 etwa ermittelten sie in einer Querschnittstudie die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität (MLQ) von herzinsuffizienten Patienten und nach HTx. Im vierten Teilprojekt ging es darum, die aktuelle Versorgungssituation ganz konkret zu erfassen.
Hohe Parodontitis-Prävalenz, schlechte Mundhygiene
Das Ergebnis: Alle vier Teilprojekte wiesen auf ein komplexes Versorgungsproblem hin. So war der parodontale Behandlungsbedarf der untersuchten Patienten mit schweren Herzerkrankungen hoch, ebenso wie die Prävalenz moderater bis schwerer Parodontitis. Zudem zeigte sich in den Studien ein unzureichendes Mundgesundheitsverhalten der Probanden. Hierfür führten die Wissenschaftler zwei potenzielle Ursachen an: Einerseits eine subjektive Wahrnehmung der Patienten, die nicht der realen Mundgesundheitssituation entsprach. Der Grund dafür schien die physische und emotionale Belastung durch die Grunderkrankung zu sein. Sie führte zu einem reduzierten Mundgesundheitsverhalten. Andererseits deutet nach Meinung der Autoren einiges darauf hin, dass die Hausärzte unter den aktuellen Voraussetzungen nicht in der Lage sind, den aktuellen parodontalen Versorgungsbedarf von Patienten mit schweren Herzerkrankungen abzudecken.
Aufbau von interdisziplinären „Special care“-Einrichtungen angeregt
Die Leipziger Forscher empfehlen daher in ihrer Arbeit eine multidisziplinäre zahnmedizinische Betreuung durch den Aufbau von „Special care“-Einrichtungen mit spezialisierten Zahnärzten. Diese sollten als Teil eines interdisziplinären Teams mit Kardiologen oder Herzchirurgen und anderen Fachdisziplinen eine präventionsorientierte Versorgung sicherstellen, ohne dabei die Besonderheiten schwer Herzkranker aus dem Blick zu verlieren. Die Forschergruppe regt dazu fallorientierte Betreuungskonzepte an, die prospektiv evaluiert und validiert werden sollten. Langfristig könnten sie nach Meinung der Wissenschaftler eine Stabilisierung des mangelhaften zahnärztlichen Versorgungszustands dieser Patientengruppe ermöglichen.
Millerpreis 2020 wird im kommenden Jahr verliehen
„Diese Arbeit zeigt sehr anschaulich, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen Medizin und Zahnmedizin ist und wie sehr orale oft mit systemischen Erkrankungen verknüpft sind“, stellt der Präsident der DGZMK, Prof. Dr. Roland Frankenberger heraus. Der Millerpreis 2020 soll im kommenden Jahr beim wissenschaftlichen Kongress zum Deutschen Zahnärztetag feierlich verliehen werden.
Quelle: DGZMK