Über den digitalen Gesichtsbogen zur Michigan-Schiene


21 – Perfekte Passung der Michigan-Schiene im 
Patientenmund


Digitale Kieferregistriersysteme sind heute in der Lage, ohne einen mechanischen Gesichtsbogen, schnell, berührungslos und präzise die Okklusion zu analysieren, die Position von Kondylen und Unterkiefer zu erfassen sowie die Bewegungen der Unterkieferfunktion zu registrieren. Die Daten aus Okklusionsanalyse und gegebenenfalls auch Spurschreibung werden in das CAD/CAM-System des Labors übertragen, um die Schiene zu designen und anschließend zu fertigen. Das entsprechende System errechnet aus ihnen außerdem die Einstellwerte der mechanischen und virtuellen Artikulatoren.
In meiner Praxis und Praxislabor arbeiten wir mit dem Ceramill System (Amann Girrbach, Pforzheim). Der Intraoralscanner Ceramill Map DRS und die Plattform AG.Live bilden das Connection Kit von Ceramill DRS, mit dem wir alle Workflows abbilden können und außerdem umfangreiche Möglichkeiten zur Abbildung der Funktion erhalten. Den digitalen Gesichtsbogen Zebris for Ceramill nutzen wir für die Funktionsanalyse sowohl in der restaurativen Zahnmedizin als auch bei der Behandlung craniomandibulärer Dysfunktionen. Zebris arbeitet im Außenbogen lichtoptisch mit Infrarot und nicht mehr mit Ultraschall, was ich sehr schätze, denn damit ist der Aufzeichnungsprozess unempfindlicher gegen Luftbewegungen und andere Störfaktoren. Das digitale System ist einfach zu handhaben und liefert präzise Ergebnisse. Sein Herzstück ist die Cloud-Plattform AG.Live mit einem sicheren, schnellen und flexiblen Datenaustausch zwischen Praxis und Labor. Im Falle unseres integrierten Meisterlabors überwinden wir beim Datentransfer physisch zwar nur wenige Meter, könnten jedoch, wenn nötig oder gewollt, mit europaweit jedem Labor unserer Wahl zusammenarbeiten.

Wann benötigen wir Funktionsdaten?
In welchen Fällen Funktionsdaten generiert werden, muss jeder Zahnarzt für sich entscheiden. Das Thema wird derzeit sehr kontrovers diskutiert, und die Grenzen sind fließend. In meiner Praxis haben wir klare Leitlinien, entscheiden aber zusätzlich immer auch anhand der individuellen Fallsituation. Bei umfangreichen restaurativen Maßnahmen und implantatgetragenem Zahnersatz – vor allem in der Freiend-
Situation – bestehe ich auf Funktionsdaten. Ausnahmen machen wir nur im Falle einer ausgeprägten Front-Eckzahnführung bei bis zu dreigliedrigen Brücken. Zwingend notwendig ist der Gesichtsbogen aus meiner Sicht bei einer Therapieschiene, da die Schiene über den gesamten Kieferbogen läuft und in Bezug auf die Passung ein schwieriges Objekt ist. Die Frage, ob hier eine komplette Spurschreibung (Jaw Motion) benötigt wird oder nur der Achsabstand zwischen Kiefer und Kiefergelenk, entscheiden wir in jedem Fall individuell. Wenn wir die Gelenkbahnneigung messen und die Bewegung des Unterkiefers aufzeichnen wollen, realisieren wir das über die Software Zebris Jaw Motion ganz einfach, indem wir an den paraokklusalen Löffel den LED Sender per Magnet klicken, welcher mit dem Gesichtsbogen via Infrarot kommuniziert.

Ein Fall mit ausgeprägter Parafunktion
Im vorliegenden Fall kam eine 18-jährige Patientin nach Beendigung ihrer kieferorthopädischen Behandlung mit ausgeprägten Parafunktionen zu uns in die Praxis. Der Befund legte nahe, dass die Fehlbelastungen stark in die Muskulatur ausstrahlten, da bereits eine Entzündungsreaktion des Kiefergelenks festgestellt werden konnte. Das Gebiss wies Attritionen an den natürlichen Zähnen sowie Abrasionen an vorhandenen Restaurationen auf. Die Untersuchung des okklusalen Führungsmusters zeigte eine beidseitige Gruppenführung.
Zur Entlastung der Kondylen und zum Schutz der Zähne entschieden wir, eine Michigan-Relaxierungsschiene mit Front-Eckzahnführung und punktuellem Kontakt der tragenden Höcker anzufertigen. Im Gegensatz zum klassischen OK-getragenen Modell, fertigen wir Michigan-Schienen in der Regel als Unterkiefermodelle. Nach unserer Erfahrung ist der Tragekomfort im Unterkiefer größer, z.B. bei der Artikulation, insbesondere der s-Laute. Aufgrund der dominierenden Stellung des lateralen Zahnkontakts von Ober- und Unterkieferzähnen bei der Kaubewegung wollten wir so viele Informationen wie möglich zur Herstellung der Schiene generieren. Unser Ziel war, mittels der Gelenkbahnneigung die Frontzahnführung besser einstellen zu können. Dazu sollten Okklusionsdaten gemessen sowie eine Spurschreibung über die Jaw Motion Software genommen werden.

Funktionsanalyse mit Zebris
Früher haben wir Aufbissschienen analog über eine konventionelle Abformung und instrumentelle Funktionsanalyse hergestellt. Anstelle der digitalen Spurschreibung arbeiteten wir mit einem Protrusionsregistrat. Heute können wir die Funktionsdaten mit allen Positionen und Bewegungen des Kiefers mittels Kopplungslöffel, Sensor und Infrarotkamera digitalisieren und in die Software des Zebris Systems übertragen und weiterverarbeiten. Alle Daten werden in einem digitalen Workflow dargestellt und zur Herstellung von Schienen oder Restaurationen genutzt. Dadurch generieren wir weniger Fehlerquellen und machen die Behandlungsergebnisse planbarer und vorhersehbarer.
Vor Beginn der Messung mit Zebris wurden eine Bissgabel mit dem Silikonabdruck der Patientin zur Bestimmung der Kieferposition zu den Gelenken (Abb. 1–2) sowie ein patientenindividueller paraokklusaler Löffel (Abb. 3) zur Bestimmung der Gelenkbahn vorbereitet. Die Position des paraokklusalen Löffels orientieren wir an der Medianebene und positionieren ihn mittig am Inzisalpunkt. Da wir bei unserer Patientin nicht nur den Gesichtsbogen nehmen, sondern auch die Gelenkbahnneigung bestimmen wollten, wurde in der Software das entsprechende Modul mit einem Click ausgewählt.


Gesichtsbogen
Zur Aufnahme des Gesichtsbogens legten wir unserer Patientin den Zebris-Kopfbogen so an, dass die Halterung am Nasensattel aufsetzt (Abb. 4). Im ersten Schritt machten wir eine arbiträre Scharnierachsenbestimmung und nahmen die annähernden Kiefergelenkspositionen auf. Dazu nutzen wir den T-Zeiger mit Sensor, der erst ins linke, dann ins rechte Ohr eingesetzt wird, um die Positionen der Kiefergelenke zu identifizieren. Die vorbereitete Bissgabel mit dem aufgeklickten Sensor wurde dann im Mund der Patientin positioniert, hier wird die lagegerechte Position des OK fixiert und kann dann digital oder auch analog übertragen werden (Abb. 5).


Spurschreibung mit der Jaw Motion Software
Den vorbereiteten paraokklusalen Löffel positionierten wir vestibulär an den Unterkieferzähnen anliegend (Abb. 6). Auch hier wurde wieder der Sensor per Magnetverbindung aufgeklickt. Das geringe Gewicht des Sensors und die einfache Verbindung zum Löffel ermöglichen, dass die Patientin nicht beeinträchtigt wird und alle benötigten Bewegungen in ihrem natürlichen Muster ausführen kann. Dabei ist es unerheblich, ob der Bogen ganz gerade oder etwas schief am Kopf sitzt, denn die Infrarotkameras am Bogen referieren verwacklungssicher auf den Sensor und bestimmen den Winkel damit automatisch korrekt.
Um unseren Patienten die Möglichkeit zu geben, sich an die Kieferbewegung mit Löffel zu gewöhnen, machen wir immer einen kleinen Testlauf und gehen alle Bewegungen einmal durch. Da die Bewegungen der Patienten direkt auf das Schädelmodell am Bildschirm übertragen werden, bietet sich diese Situation auch gut zur weiteren Patientenaufklärung und Kommunikation an. Während der eigentlichen Vermessung fragt die Software nacheinander Protrusion, Laterotrusion auf beiden Seiten sowie Mundöffnung ab. Damit ist die Spurschreibung bereits abgeschlossen.

Intraoralscan
Flüssigkeiten im Mund erschweren oder verfälschen die digitale Abformung. Daher legen wir Wert auf relative Trockenlegung und arbeiteten mit einem Lippen-Wangenhalter (OptraGate, Ivoclar, L-Schaan) (Abb. 7). Außerdem legten wir Dry Tips (Microbrush International / Young Innovations Europe GmbH, Heidelberg) auf die Parotis, um zu verhindern, dass Speichel auf die Zahnflächen gelangt (Abb. 8). Unter Einhaltung der Scanstrategie wurde nun der komplette Kiefer der Patientin mit dem Ceramill Map DRS Intraorlascanner abgeformt (Abb. 9–11). Anschließend wurde der Scan mit den 
Zebris-Bewegungsdaten kombiniert und über AG.Live an 
unser Meisterlabor übertragen.


Der virtuelle Artikulator
Im Labor wurde der Scan nun im virtuellen Artikulator eingestellt. Zunächst erscheint der Kiefer in der Software ohne Zuordnung zu den Kondylen (Abb. 12), wandert dann aber, aufgrund Zebris-Daten, auf Knopfdruck in die patientenindividuelle Position (Abb. 13). Damit verändert sich auch der Frontzahnführungs-Teller entsprechend. Die Parameter, Neigungen und Winkel werden zusätzlich numerisch eingeblendet (Abb. 14). Diese patientenindividuelle Einstellung bestimmt nun das komplette folgende Procedere.


Konstruktion, Fertigung, Passung
Auf Grundlage der Werte aus der Jaw Motion Software konstruierte unser Zahntechniker die Michiganschiene über das Bite Splint Modul in der Ceramill Mind CAD Software (Abb. 15–19). Die Fertigung erfolgte im Fräsverfahren mit der Ceramill Motion 2 (Amann Girrbach) aus einem transparenten PMMA-Rohling (Ceramill A-Splint, Amann Girrbach), (Abb. 20).
Auch wenn wir konsequent digital arbeiten, überträgt unser Zahntechniker die Werte aus der Zebris-Aufnahme grundsätzlich auch in den physischen Artikulator. In unserem Fall fertigte er im CAD/CAM Verfahren und per 3D-Druck (3D Systems, Mörfelden-Walldorf) ein Kunststoffmodell (NextDent Model 2.0, Amann Girrbach), auch um die Passung der digital entstandenen Arbeiten noch vor der Einprobe an der Patientin haptisch und physisch überprüfen zu können. Er programmierte den Artikulator mit den Funktionsdaten und konnte sicherstellen, dass die Führung so gelungen war, wie wir sie haben wollten. Die Passung der Schiene war perfekt und die Patientin sichtlich zufrieden (Abb. 21–22).


Fazit
Mit einem digitalen Kieferregistriersystem können wir schnell, berührungslos und präzise alle Bewegungsfreiheitsgrade des Unterkiefers erfassen. Insbesondere bei Patienten mit craniomandibulärer Dysfunktion erleichtert das digitale Verfahren wesentlich die funktionsanalytischen Untersuchungen, die Bestimmung von Diskoordinationen, Bewegungslimitationen sowie der neuromuskulären Kieferrelation. Dabei errechnet die Software aus den erfassten Daten die Einstellwerte aller gängigen mechanischen und virtuellen Artikulatoren und bietet damit eine sichere Grundlage für die Fertigung passgenauer patientenindividueller Schienen und Restaurationen im CAD/CAM-Verfahren. Im Falle des Ceramill Systems genießen wir den Vorteil, dass vom Scanner über die Funktionssoftware bis zur Fertigungsmaschine alle Komponenten perfekt ineinandergreifen. Über die Plattform AG.Live gelingt die sichere Übertragung aller relevanten Daten in Echtzeit an das Labor. Uns gefällt dabei besonders, dass die Cloud-Server der Plattform AG.Live in Deutschland stehen und die Daten unserer Patienten besonders gut geschützt sind. Ab welchem Schritt im Workflow wir unser Labor einschalten oder ob wir kleine Arbeiten komplett chairside fertigen, bleibt im offenen Ceramill-System unsere freie Entscheidung.

Weiterführende Informationen
zu Ceramill DRS unter:
https://www.amanngirrbach.com/de-de/ceramill-drs

Dr. Ernst Vöpel
ist seit 1992 mit eigener Zahnarztpraxis in Remscheid niedergelassen.
Mit zwei weiteren Zahnärztinnen sowie einem zahntechnischen Team
im eigenen Meisterlabor bietet er ein umfassendes Behandlungsspektrum
mit Schwerpunkt auf der digitalen Zahnmedizin.
www.dr-voepel.de