Nichtchirurgische Parodontaltherapie

Parodontitis erfolgreich stoppen

Parodontale Erkrankungen sind hierzulande eine wahre Volkskrankheit und immer noch der 
Hauptgrund für Zahnverlust. Entsprechend hoch ist der Behandlungsbedarf in den Praxen. Daher 
haben wir mit dem Parodontologen und Chefredakteur des Dental Online College, Dr. Markus Bechtold aus Köln, über die nichtchirurgische Parodontaltherapie, deren Ablauf und Erfolgsaussichten gesprochen. Die gute Nachricht vorweg: Die nichtchiurgische Parodontalbehandlung ist in der 
Regel immer von Erfolg gekrönt.



Was kann man von einer nicht-chirurgischen Parodontaltherapie grundsätzlich erwarten, Herr Dr. Bechtold?
Dr. Markus Bechtold: Dass die grundlegende Entzündung, die bei einer Parodontitis am Zahnhalteapparat vorliegt, vollständig behandelt wird und die Entzündung durch die Entfernung der Entzündungsbakterien beendet wird und dass wir dadurch die Entzündungsprozesse am Zahnhalteapparat sowie Zahnfleisch stoppen können, sodass es nicht weiter zu Knochenabbau aufgrund der Parodontitis kommt. Daher kann man – bei einer leichten bis mittelschweren Parodontitis – von der nichtchirurgischen Parodontaltherapie einen Stillstand der Progression erwarten.

Wie lässt sich eine parodontale Behandlungsbedürftigkeit zuverlässig und schnell diagnostizieren?
Bei einem parodontalen Befund werden bis zu zehn Messstellen pro Zahn gemessen. Ermittelt werden Taschentiefe, Rezessionen und Furkationsbefälle. Über den Bleeding on Probing (BOP)-Index wird festgestellt, ob eine aktive Entzündung besteht. Das ist der Fall, wenn es bei dieser Messung blutet. Liegt somit ein positiver BOP-Wert vor, sollte die Entzündung mit einer nichtchirurgischen Parodontalbehandlung beseitigt werden. Der BOP-Wert ist im Rahmen der Befundung ein sehr wichtiger Wert.
Geht es hingegen nur um eine Risikoeinschätzung, wird als Vorsorgeuntersuchung ein Parodontaler Screening Index (PSI) erhoben.

Welche Klassifizierungen gingivaler Erkrankungen sind in der Praxis gängig?
Es gibt die plaqueinduzierte und eine nicht plaqueinduzierte Gingivitis. Die plaqueinduzierte Ginigivitis beziehungsweise Gingivitis simplex ist eine sogenannte Schmutz-Gingivitis. Wenn also viele Entzündungsbakterien vorliegen, lösen diese auch eine gewisse Entzündung aus – analog zur unspezifischen Plaquehypothese. Diese gingivale Erkrankung kann man relativ einfach mit einer PZR und einer Mundhygiene-instruktion des Patienten in den Griff bekommen. Die nicht plaqueinduzierten gingivalen Erkrankungen können zum Beispiel hormonell bedingt sein oder auf Nebenwirkungen von Medikamenten beruhen.

Ist eine behandlungsbedürftige Parodontitis festgestellt. Welche weiterführende Diagnostik ist angesagt, um einen konkreten Befund zu erstellen?
Ein konkreter Befund setzt sich zusammen aus der Taschensondierungstiefe, dem BOP-Wert und einem röntgenologischen Befund, um den alveolären Knochen zu beurteilen. Daraus ergeben sich heute alle wichtigen Parameter für einen konkreten Befund und Diagnose.
Nicht mehr standardmäßig durchgeführt werden im Rahmen einer weitergehenden Diagnostik zum Beispiel ein MMP8-Test zur Feststellung der Gewebeentzündung und ein bakteriologischer Screening-Test im Labor.

Wie gehen Sie an die Behandlungsplanung heran?
Zunächst erfolgt die Befundung, danach kommt man über das Staging und Grading zur Klassifizierung und Diagnosefindung. Daraus wiederum ergibt sich die Therapie. Die aktuelle EFP-Leitlinie empfiehlt einen standardisierten, immer gleichen Behandlungsablauf: Stufe 1 ist die nichtchirurgische PA-Therapie. Danach muss eine Reevaluation stattfinden und nur die Stellen, an denen noch ein akuter Behandlungsbedarf besteht, sollten dann noch der regenerativen oder resektiven chirurgischen Parodontitistherapie zugeführt werden.
Konkret heißt das: Eine nichtchirurgische Parodontitisbehandlung ist immer der erste Schritt. Sind nach Befundevaluation noch Taschentiefen von 4/5 mm vorhanden, sollte eine chirurgische Folgebehandlung an einzelnen Zähnen stattfinden. Auf keinen Fall sind tiefe Taschen von vorneherein chirurgisch zu behandeln.

Was ist vor Behandlungsbeginn im Rahmen der Aufklärung zu beachten?
Die Patienten werden während des Aufklärungs- und Therapiegesprächs über die Ätiologie einer Parodontitis informiert, idealerweise in Kombination mit einer Mundhygiene-Instruktion, in der man je nach Patient den Umgang mit Zahnbürste, Interdentalraumbürstchen, Zahnseide und Mundspüllösung erläutert. Aufzuklären ist über sämtliche Risiken, die mit der nichtchirurgischen Parodontalbehandlung und auch der Vorbehandlung einhergehen können. Zu nennen sind selbst die theoretisch möglichen Risiken. Konkret heißt das zum Beispiel, dass es bei der Luft-Pulver-Wasserstrahl-Politur theoretisch an manchen Stellen zu einem sogenannten Luftemphysem kommen kann.
Generell sollte aufgeklärt werden über gegebenenfalls auftretende postoperative Schmerzen, beispielsweise Heiß-Kalt-Empfindlichkeiten und über Rezessionen. Denn wenn eine zu Behandlungsbeginn 6 bis 7 mm tiefe Tasche, vielleicht sogar mit einem Antibiotikum, behandelt wird, dann wird die Tasche zulasten der Rezession kleiner. Im Heilungsprozess kann das Zahnfleisch dann optisch noch weiter zurückgehen. Das ist natürlich sichtbar und darüber sollte der Patient aufgeklärt werden.

Gibt es bei GKV-Patienten im Hinblick auf die Kosten Kommunikationsbedarf?
Es muss natürlich eine Kostenaufklärung stattfinden. Gerade aufgrund der aktuellen Budgetierung werden die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr für alle Situationen komplett übernommen. In einem Einzelgespräch mit dem Patienten muss besprochen werden, ob sein Fall im Rahmen der Richtlinie der GKV behandelt werden kann oder ob private Zusatzleistungen anfallen oder ob – wenn schwere Furkationsbefunde vorliegen – eventuell einzelne Zähne aus den Richtlinien der GKV rausfallen und auf GKV-Basis lediglich die Extraktion dieser Zähne bleibt. Eine Parodontaltherapie ist in diesen Fällen dann nur mit einer privaten Zuzahlung des Patienten möglich.

Wie sehen die konkreten Behandlungsschritte aus?

  • Schritt 1 ist immer die professionelle Zahnreinigung. Da sich eine Zahnfleischerkrankung in den meisten Fällen aus einer Parodontitis und einer Zahnbetterkrankung zusammensetzt, sollte zuerst die Gingivitis behandelt werden. Daher ist es sinnvoll, im Vorfeld einer Parodontitistherapie eine professionelle Zahnreinigung durchzuführen, um bereits die oberflächliche Entzündung zu behandeln.
  • Als Schritt 2 folgt die nicht chirurgische Parodontaltherapie und
  • Schritt 3 ist dann die Reevaluation nach rund 6 bis 10 Wochen, um den patientenindividuellen Heilungserfolg zu ermitteln.

Auch die konkreten Behandlungsschritte sind immer gleich und setzen sich zusammen aus Schritt 1, der Betäubung, danach supra- und subgingivaler Reinigung sowohl mit Handinstrumenten wie auch mit Ultraschall und Luft-Pulver-Wasserstrahl-Geräten, meist mit Glycin- oder Erythritolpulver.

Wie sieht es mit dem Einsatz von Antibiotika in der Parodontaltherapie aus?
Nach der sogenannten AB-Paro-Studie von Prof. Benjamin Ehmke et. al. lässt sich ganz klar sagen, dass Patienten mit einer Taschentiefe ab 7 mm an mindestens 30 Prozent der Messstellen von ­einer adjuvanten Antibiotikagabe profitieren. Man kombiniert heute regel­konform, auch anhand der aktuellen ­Literatur,
Amoxicillin 500 mg und Metronidazol 400 mg jeweils für 7 bis 8 Tage und ­jeweils 3 mal täglich.
Das ist der Goldstandard in der Antibiotikatherapie, wird jedoch nur in schweren Fällen eingesetzt. In der Regelbehandlung wird eine systematische Antibiotikatherapie in der Regel nicht eingesetzt.

… und wie sind Probiotika zu bewerten?
Probiotika sind zwar generell mit vielversprechenden Studienergebnissen gut erforscht. Allerdings ist diese Studienlage aus Sicht der EFP-Leitlinie noch nicht umfassend genug, da Langzeitstudien fehlen. Daher gibt von dieser Seite zum aktuellen Zeitpunkt keine generelle Empfehlung für die Anwendung bei jedem Patienten.
Bei diesen Probiotika handelt es sich in den meisten Fällen um den Lacto­bacillus Reuteri. Dieser hemmt unspezifisch das Wachstum von Bakterien, ­Hefen und Pilzen in der Mundhöhle. Daher kann der Einsatz von Probiotika gerade nach einer nichtchirurgischen Parodontaltherapie zusätzlich zur konventionellen Mundhygiene ein probates Mittel sein, um die Reinfektion und das Wachs­tum der neuen Bakterien zu hemmen.

Wann sollte die Reevaluation nach erfolgter nicht chirurgischer Pardontalbehandlung stattfinden und warum ist diese so wichtig?
Man sollte immer reevaluieren, spätestens nach drei Monaten, weil dann der erste Heilungsabschnitt abgeschlossen ist. Behandelt man GKV-versicherte Patienten muss die Reevaluation in dem von der GKV vorgegebenen Intervall erfolgen, ansonsten kann es zu Erstattungsproblemen kommen.
Reevaluation ja, weil wir sehen wollen, ob die Therapie erfolgreich war. War sie erfolgreich, geht es mit der UPT weiter. Gibt es im Verlauf der UPT möglicherweise noch entzündliche Taschen, müssen diese möglicherweise mit einer chirurgischen PA-Therapie weiterbehandelt werden

Mit welchen Ergebnissen können wir uns nach eine nichtchirurgischen Parodontaltherapie zufriedengeben?
Ziel dieser Behandlung sollte ein Taschen­sondierungswert von weniger beziehungsweise gleich 4 mm sein, nicht blutend. Dann sprechen wir von einer stabilen Situation.

In welchen Fällen ist eine nicht- chirurgische PA-Behandlung gescheitert und wie geht es dann weiter?
In der Regel ist eine nichtchirurgische PA-Therapie immer von Erfolg gekrönt. Wenn bei der Reevaluierung jedoch immer noch Taschen von 5 bis 6 mm Tiefe feststellbar sind und der BOP-Test positiv ausfällt, ist die nichtchirurgische PA-Behandlung noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Das kann allgemeinmedizinische Ursachen haben. Daher ist es sinnvoll, diese Patienten an ihren Hausarzt zu verweisen, um dort zum Beispiel ein großes Blutbild machen zu lassen und abzuklären, ob der Patient einen unerkannten Diabetes oder vielleicht sogar eine Leukämie hat. Scheitern kann eine nichtchirurgische PA-Therapie natürlich auch dann, wenn die Patienten nicht mehr zu den Folgeuntersuchungen erscheinen und/oder seine Mundhygiene vernachlässigen.

Geht der Patient in die Erhaltungs- therapie über, worauf muss die Dentalhygienikerin (DH) achten?
Sie muss vor allem darauf achten, dass der Patient stabil bleibt. Daher sollte sie folgende Aspekte im Blick haben: konstante Sondierungstiefen, nur geringe BOP-Werte und niedriger approximaler Plaqueindex. Das ist das Ziel und nur über ein enges Intervall der UPT und ein regelmäßiges Mundhygienetraining mit dem Patienten erreicht.
Wichtig ist an dieser Stelle das gute Zusammenspiel zwischen Parodontologe und DH. Und natürlich muss auch dem Patienten klar sein, dass der langfristige Erfolg auf der Teamarbeit zwischen DH, dem behandelnden Zahnarzt und letztendlich ihm selbst beruht. Denn auch die Patienten müssen mit guter häuslicher Mundpflege und der Einhaltung der regelmäßigen Zahnarztbesuche an ihren stabilen parodontalen Zustand mitarbeiten.

Herzlichen Dank für das hoch informative Gespräch, Herr Dr. Bechtold.

Dr. Markus Bechtold
hat den Tätigkeitsschwerpunkt Parodontologie und ist Mitglied im geschäftsführenden Direktorium der APW der DGZMK. Er ist einer der ärztlichen Leiter der Gemeinschaftspraxis Zahnkultur in Köln, Chefredakteur des Dental Online College und als Referent sowie Autor von Fachpublikationen tätig. 

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Foto: privat