Vermischtes

Zehn Jahre Zwang zur Fortbildung

Während in der Medizin die Anwesenheit auf Fortbildungsveranstaltungen kontrolliert wird, setzt man bei den Zahnärzten mehr auf Vertrauen. Ein täglich neues Einchecken bei mehrtägigen Kongressen wird ebenso abgelehnt wie die elektronische Erfassung der Fortbildungspunkte.


Foto: Deutscher Ärzte-Verlag/Fedra


Bald ist es wieder so weit: Bis zum 30. Juni 2014 müssen alle Vertragszahnärzte, die am 1. Juli 2009 zugelassen waren und seitdem durchgehend tätig sind, nachweisen, dass sie ihre Fortbildungspflicht erfüllt haben. 125 Punkte werden verlangt. Wer sie nicht erworben hat, muss Honorarkürzungen oder sogar den Zulassungsentzug in Kauf nehmen. Obwohl alle Zahnärzte bereits über ihr Berufsrecht zur Fortbildung verpflichtet sind, hat der Gesetzgeber dies im SGB V § 95 d verankert.

Der Unmut war groß, als das Gesetz – ein Relikt der Ära Ulla Schmidt im Bundesgesundheitsministerium – am 1. Juli 2004 in Kraft trat, erinnert sich Prof. Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK). Dr. Sebastian Ziller, Leiter der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung bei der BZÄK, hält diese „Zwangsfortbildung“ auch heute noch schlicht für „überflüssig“. Schließlich hätten die Zahnärzte schon vor der gesetzlichen Verpflichtung in „sehr breitem Maße freiwillige Fortbildung betrieben“.

Während die Reglementierung den Zahnärzten nach wie vor ein Dorn im Auge ist, hat sich der Ärger übers „Punktesammeln“ gelegt. Die vorgeschriebenen 125 Punkte binnen fünf Jahren zu erreichen betrachten zahnärztliche Standes‧organisationen als unproblematisch: „Das tut keinem Zahnarzt weh“, wie Benz unterstreicht. An das Punktesammeln hätten sich die Zahnärzte inzwischen ohnehin gewöhnt.

Bekannt ist, dass es auch unter den Zahnärzten – „wie in jeder Berufsgruppe“, so Benz – bis zu fünf Prozent schwarze Schafe geben soll. Das meint auch der Fortbildungsreferent der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI), Prof. Dr. Günter Dhom. Beide setzen sich aber für eine Stärkung von Motivation und Eigenverantwortung ein und halten gesetz‧liche Kontrollen für wenig hilfreich. Angesichts der hohen Zahnarztdichte in Deutschland ist die Qualität, die sich auch in Fortbildungsaktivitäten manifestiert, ohnehin zum Wettbewerbsparameter geworden. Motivation und Eigenverantwortung ließen sich durch restriktive Maßnahmen nicht verbessern, betont Dhom. Er hält die gesetzlichen Kontrollen schlicht für „absoluten Quatsch“.

Kaum Sanktionen

Dass es dem Gros der Zahnärzte an Eigenverantwortung und Motivation nicht mangelt, machen die Ergebnisse des ersten Prüfquartals deutlich: Die im § 95 d Abs. 3 SGB V verankerten Sanktionen mussten kaum verhängt werden: „Direkt nach der Einführung der punktfixierten Fortbildung hat die Erfüllungsquote im ersten Prüfintervall bei fast hundert Prozent der Vertragszahnärzte gelegen“, berichtet die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV). „Die wenigen Fälle, in denen die Nachweise nicht rechtzeitig vorgelegt wurden, waren auf Erkrankungen der Zahnärzte oder bevorstehende Praxisaufgabe zurückzuführen, sagt Dr. Jürgen Fedderwitz, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KZBV. Das bestätigen auch die Landes-KZVen, die ja letztlich für die Umsetzung dieser Maßnahmen verantwortlich sind. „Tatsächlich haben bislang nahezu alle nordrheinischen Zahnärzte die Erfüllung der Fortbildungspflicht innerhalb der gesetz‧lichen Fristen nachgewiesen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der KZV Nordrhein, Martin Hendges. Und die KZV Berlin berichtet von lediglich einem Zulassungsentzug seit 2004 und rund 20 Honorarkürzungen, davon zehn um 25 Prozent (siehe Kasten Honorarkürzungen).

Anwesenheit checken?

Anwesenheitskontrollen auf mehrtägigen Fortbildungsveranstaltungen – in der Medizin durchaus nicht unüblich – wird es perspektivisch in der Zahnmedizin wohl nicht geben. „Wir sind doch keine Steuerbehörde“, entrüstet sich Benz, und Dhom fügt hinzu: „Schließlich kann ich ja auch nicht überprüfen, ob der Teilnehmer aufmerksam zuhört oder schläft.“ Dazu Benz: „Ich plädiere für Pulsmessgeräte.“

In der Medizin ist man da rigider: Beim viertägigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der abwechselnd in Berlin und München stattfindet, bilden sich täglich regelrechte Schlangen vor den Tagungsschaltern, wie Prof. Dr. Hartwig Bauer, bis 2012 DGCH-Generalsekretär, berichtet. Grund: Die Vorgaben der zuständigen Landesärztekammern Berlin und München verlangen ein täglich neues Einchecken, wie die MCN Medizinische Congressorganisation Nürnberg AG erklärt.

Niedergelassene Vertragsärzte müssen mit 250 Fortbildungspunkten allerdings auch doppelt so viele Punkte in fünf Jahren sammeln und nachweisen wie die Vertragszahnärzte. Ob es schon einmal zu Honorarkürzungen kam, wird von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zentral nicht erfasst. Wer seinen Nachweis zum Beispiel aktuell noch nicht erbracht hat, wird daran erinnert – sowohl von den Kammern als auch von den KVen. Das wird genauso gehandhabt wie bei den zahnmedizinischen Kollegen. 4300 Vertragsärzte von insgesamt 10 385 – also fast 45 Prozent – werden zum Beispiel in Nordrhein aktuell an ihre Nachweispflicht erinnert, sagt Karin Hamacher, Pressereferentin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Aber wie bei den Zahnärzte wurden auch bei den Humanmedizinern im jüngsten Prüfquartal kaum Sanktionen verhängt. Prof. Dr. Susanne Schwalen, Geschäftsführende Ärztin der Ärztekammer Nordrhein, spricht von „einigen wenigen Betroffenen, die dann zum Teil gerichtlich dagegen vorgegangen sind“. Auch der KVNO „sind solche Fälle bekannt“, wie ihr Vorsitzender Dr. Peter Potthoff einräumt. Sein Kommentar: „Die Punkte gibt es nicht geschenkt – ihr Erwerb ist mit Zeitaufwand und Kosten verbunden.“

Vertragszahnärzte müssen den Punktenachweis schriftlich führen. Wie das zu erfolgen hat, kann von KZV zu KZV durchaus variieren. Mit der ersten Erinnerung verschicken die KZVen in der Regel auch den Erfassungsbogen, der vom Zahnarzt unterschrieben an die KZV zurückgeschickt wird. Zertifikate sind nicht einzureichen, sondern vom Zahnarzt aufzubewahren. Ist der Erfassungsbogen bei der KZV eingegangen, erhält der Zahnarzt eine schriftliche Bestätigung. Während die KZV Bayerns nur pauschal den Fortbildungsnachweis erfasst, möchte die KZV Berlin eine detaillierte Aufstellung bereits auf dem Erfassungsbogen sehen.

Schriftliche Erinnerungen

Sind die fünf Jahre abgelaufen, erhält der Zahnarzt das Zertifikat, dass er seiner Fortbildungspflicht nachgekommen ist, und erfährt, wann sein neuer Fünfjahreszeitraum begonnen hat. Die KZVen sind verpflichtet, den jeweiligen Zahnarzt mindestens drei Monate vor Ablauf „seines“ persönlichen Fünfjahreszeitraums zur Abgabe des erforderlichen Nachweises aufzufordern. Zur Sicherheit erinnern viele KZVen einen Monat vor Ablauf der Frist ein zweites Mal.

Zahnärzte gegen elektronische Erfassung

Um die in dem Nachweisverfahren anfallende Datenflut zu bewältigen, setzen in der Medizin die Bundesärztekammer und die Länderkammern gemeinsam seit 2005 ein elektronisches Erfassungssystem ein (siehe Kasten).

Die Zahnärzte dagegen haben Barcodes und elektronischen Fortbildungsausweise aus datenschutzrechtlichen Gründen abgelehnt. „Die Verbandsmitglieder hatten sich seinerzeit für eine einfache Dokumentation entschieden, die vor allem dem Primat der Datensicherheit gerecht wird“, erläutert Ziller. „Die aktuelle kritische Reflexion von EDV-basierten Systemen im Allgemeinen – Stichworte NSA und Online-Banking – sowie im Besonderen – Stichworte eCard, elektronische Patientenakte oder Diebstahl von Versichertendaten – stellt immer wieder die Anfälligkeit dieser Bereiche heraus. Inwieweit sich die Dokumentation personenbezogener Fortbildungsdaten perspektivisch ändert, unterliegt einer ständigen Diskussion in den Gremien der Selbstverwaltung.“

Die KZV Nordrhein hält Barcodes auf Fortbildungszertifikaten „für eine weitere Ausweitung der immer weiter steigenden bürokratischen Belastung und Kontrollmanie, die nur Zeit kostet, die wir eigentlich für unsere Patienten da sein sollten“, formuliert der stellvertretende Vorsitzende Hendges. Er sieht „überhaupt keinen Anlass, immer neue Kontrollmaßnahmen einzuführen“.

Umfangreiche Studien belegten die auch im internationalen Vergleich einmalig hohe Qualität der zahnmedizinischen Versorgung hierzulande. Hendges: „Des Weiteren erreicht die Zufriedenheit der Patienten in Deutschland mit ,ihrem Zahnarzt‘ – egal wie erhoben – immer neue Rekordwerte. Die zahlreichen qualitativ hochwertigen Fortbildungsveranstaltungen und Kongresse, die Zahnärztekammern und Fachgesellschaften anbieten, werden von den Zahnärzten weit über das vorgeschriebene Maß hinaus besucht.“

Zertifikate: blanko oder personalisiert?

Zu Beginn der Zwangsfortbildungen mag es häufiger zu einer laxen Handhabung bei den Fortbildungszertifikaten gekommen sein, glaubt Ziller. Sollten auch heute noch Blanko-Zertifikate vergeben werden, handele es sich um Einzelfälle. Denn nach den Leitsätzen der BZÄK, der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und der KZBV zur zahnärztlichen Fortbildung aus dem Jahr 2005, zuletzt aktualisiert im Jahre 2013, gilt: „Eine Teilnehmerliste soll geführt und Teilnahmebescheinigungen sollen in der Regel am Abschluss der Fortbildung ausgestellt werden, die mindestens enthalten: Veranstalter, Veranstaltungsdatum, Veranstaltungsdauer, Veranstaltungsort, Thema, Referenten, eventuell Art der Lernerfolgskontrolle sowie den Vermerk, dass die Leitsätze der Bundeszahnärztekammer zur zahnärztlichen Fortbildung anerkannt werden, einschließlich der Punktebewertung von BZÄK/DGZMK.“ Bei von der KZV Nordrhein durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen werden personalisierte Teilnahmebescheinigungen zum Beispiel persönlich übergeben. Andere Veranstalter senden die Zertifikate per Post.

Am 30. Juni endet für die Zahnärzte, die bereits am 1. Juli 2009 zugelassen waren, das Prüfquartal, für viele war es bereits das zweite. Nach dem Stichtag geht die „Punktejagd“ von vorne los, das Punktekonto steht wieder auf null. Ein „Punktepolster“ lässt sich nicht anlegen, nicht ein Punkt wird aufs neue Prüfquartal übertragen.

Das passende Video-Interview mit Prof. Dhom finden Sie ab Mitte Mai auf www.dentalmagazin.de.

Elektronische Fortbildungsausweise

Bundesärztekammer und die Landesärztekammern führten gemeinsam seit dem Jahr 2005 ein elektronisches Erfassungssystem ein. Jeder Arzt erhielt einen Fortbildungsausweis mit einem Barcode und einer 15-stelligen Fortbildungsnummer. Die von den Ärztekammern anerkannten Fortbildungen erhalten ebenfalls eine Kennnummer; diese wird nach Teilnahme an einer Fortbildung vom Veranstalter in Verbindung mit der Fortbildungsnummer des Arztes an einen zentralen Server übermittelt und von dort an die jeweils zuständige Landesärztekammer weitergeleitet. Weitere Informationen zur „Elektronischen Erfassung und Verteilung von Fortbildungspunkten“ unter www.eiv-fobi.de. Alternativ gibt es aufklebbare Barcode-Etiketten mit der jeweiligen Fortbildungsnummer. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein läuft das beispielsweise so.

Honorarkürzungen und Zulassungsentzug

Erbringt ein Vertragszahnarzt den Fortbildungsnachweis auch nach mehrfachem Erinnern nicht, sind die KZVen zur Honorarkürzung verpflichtet.

  • Für die ersten vier Quartale, die auf den jeweiligen „Fünfjahreszeitraum“ folgen, um zehn Prozent, ab dem fünften um 25 Prozent.
  • Bildet sich der angestellte Zahnarzt nicht ausreichend fort, so wird das Honorar des Arbeitgebers entsprechend gekürzt.
  • Fehlende Nachweise können binnen zwei Jahren nachgereicht werden, die Honorarkürzung bleibt aber bis zum Quartalsende, in dem der Nachweis vorgelegt wurde, bestehen.
  • Kommt ein Zahnarzt auch nach zwei Jahren seiner Fortbildungspflicht nicht nach, wird ihm die Kassenzulassung entzogen.