Schmerzausschaltung
Die Effekte – auch die unerwünschten – der konventionellen Methoden der Lokalanästhesie sind bekannt; ist das bei der intraligamentären Anästhesie genau so oder vergleichbar? Mit welchen Komplikationen ist bei dieser „minimalinvasiven Analgesiemöglichkeit“ zu rechnen und wo sind die Grenzen dieser Lokalanästhesiemethode?
Wegen der eng begrenzten Ausbreitung des injizierten Anästhetikums und der relativ kurzen Dauer der intraligamentären Anästhesie (ILA) kann diese die Anforderungen für extensive chirurgische Eingriffe nicht erfüllen. Obwohl es möglich ist, den Ausbreitungsraum der Analgesie durch zusätzliche Injektionspunkte und die Erhöhung der Zahl der intraligamentalen Injektionen zu vergrößern, sollte die ILA nicht für länger dauernde und ausgedehnte dentoalveoläre chirurgische Eingriffe gewählt werden (Glockmann et al. 2005 und 2007).
Die in der Literatur im Zusammenhang mit intraligamentalen Injektionen von einzelnen Autoren beschriebenen Komplikationen wurden von Giovannitti und Nique (1983) zusammengefasst und die daraus resultierenden Fragen evidenzbasiert in den Jahren ab 1983 systematisch beantwortet.
Die intraligamentäre Zahnanästhesie ist sicher
Alle histologischen Studien (Walton und Garnick 1982, Fuhs et al. 1983, Galili et al. 1984) kommen zum gleichen Ergebnis: Nach intraligamentalen Injektionen waren kein histologischer Befund von Gewebezerstörungen und kein Beweis irgendwelcher Gewebeschäden, egal auf welcher Ebene, festzustellen. Alle Autoren kommen zu dem Schluss, dass die intraligamentäre Zahnanästhesie sicher ist – mit minimalen, kurzzeitigen und reversiblen Entzündungen – und dass sie die Zahnheilkunde um eine zuverlässige Lokalanästhesiemethode erweitert.
Die Auswirkungen der intraligamentalen Injektion auf das Pulpagewebe wurden von Lin et al. (1985) untersucht. Es wurden keine pathologischen Veränderungen wie hydropische Degeneration, ischämische Nekrosen oder Entzündungen in den Pulpen der untersuchten Zähne beobachtet.
Weder Tsirlis et al. (1992) noch Heizmann und Gabka (1994) konnten beim direkten Vergleich der ILA mit der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie mit Blick auf Wundheilungsstörungen (Dolor post extractionem bzw. trockene Alveole) signifikante Unterschiede feststellen. Wahrscheinlich werden die Infektionen nicht durch die Injektion ausgelöst, sondern speziell durch die apikale Ostitis bei zerstörten Zähnen.
Vergleich von intraligamentaler Injektion und subgingivalem Scaling
Zahlreiche zahnmedizinische Maßnahmen können eine Bakteriämie auslösen (van Husen et al. 1997). Von Interesse ist die Sepsis, die möglicherweise aus der Forcierung von Bakterien in das Gewebe und in die Blutbahn (Bakteriämie) durch die Injektionsnadel resultieren kann. Walton und Abbott (1981) präzisieren, dass dies bei intraligamentalen Injektionen vermutlich der Fall ist, aber wahrscheinlich in keinem größeren Umfang als bei anderen zahnmedizinischen Verfahren. Die intraligamentale Injektion kann mit subgingivalem Scaling (Scaling und Root Planing) verglichen werden, was in einem kleinen Prozentsatz der Fälle zu Bakteriämien führt. Diese Bakteriämien waren transient (Walton und Abbott 1981). Heizmann und Gabka haben während einer mehr als 10jährigen breiten Anwendung der ILA in Klinik und Praxis keine Bakteriämie beobachtet.
Unerwünschte Effekte
Unerwünschte Effekte und Nebenwirkungen (Elongationsgefühl, Druckschmerz) – nach dem Abklingen der intraligamentären Anästhesie – werden in diversen Publikationen beschrieben (Faulkner 1983, Kaufman et al. 1983, Malamed 1982, Plagmann 1987, Glockmann et al. 1997). Bei Vorkontakten, Diskomfort und Elongationsgefühl liegt die Ursache oft darin, dass die Injektion der Anästhesielösung nicht unter ausreichender Berücksichtigung der individuellen anatomischen Verhältnisse des Patienten erfolgt.
Huber und Wilhelm-Höft (1988) haben in einer Studie gezeigt, dass Zähne in ihrer Alveole bewegt werden können: Während der intraligamentalen Injektion wird ein Flüssigkeitsvolumen in einen Raum gepumpt, der bereits vollständig ausgefüllt ist. Da Flüssigkeiten inkompressibel sind, kommt primär nur eine Dehnung des Alveolarfachs oder eine Verlagerung des parodontalen Flüssigkeitspolsters nach Art eines hydraulischen Druckausgleichs in Betracht (was von den Zahn umgebenden Nervenendigungen registriert wird).
Um unerwünschte Effekte zu vermeiden, ist das Anästhetikum sehr langsam zu injizieren, um dem Gewebe Gelegenheit zu geben, die applizierte Lösung zu resorbieren (Tobien und Schulz 2000, Zugal et al. 2005, Dirnbacher et al. 2013). Mit zunehmender Injektionszeit nimmt der erforderliche Injektionsdruck zur Überwindung des Gewebswiderstands kontinuierlich ab.
Indikationen
Grundsätzlich ist die intraligamentäre Anästhesie für alle Patientenkategorien anwendbar. Ausnahme: endokarditisgefährdete Patienten (cave). Bei ihnen gilt besondere Vorsicht, da die Absiedlung von Bakterien aus dem Blut (Bakteriämien) zu ernsthaften Komplikationen führen kann. Bei diesen Patienten sind invasive Eingriffe unter Antibiotikaschutz vorzunehmen (Frenkel 1989). Diese Vorsichtsmaßnahme ist nicht nur bei einer ILA, sondern auch bei anderen Manipulationen am Zahnfleischsulkus, z. B. Zahnsteinentfernungen, einzuhalten. Glockmann et al. (2002) definieren, dass das Risiko einer Endokarditis eine absolute Kontraindikation für die ILA ist.
Die intraligamentale Injektion bei jungen, gesunden Patienten (m/w) mit festem Desmodont (Marshall 2001, Dirnbacher 2002, Weber 2005) wird mittels sensibler Instrumentarien erleichtert. Bei PA-vorgeschädigten Patienten muss der aufzubauende Injektionsdruck vom Behandler auf die anatomischen Verhältnisse des Patienten gut abgestimmt werden (Marshall 2001, Prothmann et al. 2010).
Empfehlungen
Bei Hochrisikopatienten nach Herzinfarkten, mit kardialen Bypässen und anderen koronaren Erkrankungen (Garfunkel et al. 1985, Heizmann und Gabka 1994) wird die ILA empfohlen, da sie zuverlässig, einfach und ohne Nebenwirkungen ist. Wegen der nur geringen erforderlichen Anästhetikamengen (Garfunkel et al. 1985) ist sie für Risikopatienten mit kardiovaskulären Erkrankungen die Anästhesiemethode der Wahl.
Dies gilt auch für Patienten mit hämorrhagischer Diathese und unter Antikoagulanzienbehandlung. Andere Lokalanästhesiemethoden sind bei dieser Patientengruppe kontraindiziert (Stoll und Bührmann 1983 Stoll et al. 1986 Schwenzer und Ehrenfeld 2000).
Bei der Behandlung von Kindern und Behinderten (Davidson und Craig 1987, Zugal 2001) treten infolge der feinen Kanülenstiche praktisch keine Schmerzsensationen auf, speziell wenn vor der Insertion der Kanüle ein Tropfen Anästhetikum an der Injektionsstelle (Glockmann und Taubenheim 2002, Langbein et al. 2013) abgelegt wird (Oberflächenanästhesie – Abb. 1). Die Gefahr postoperativer Bissverletzungen ist deutlich reduziert, da keine Taubheit in Wangen, Zungen- und Lippenbereich nachzuweisen ist (Davidson und Craig 1987).
Durchführung
Medizintechnischer Fortschritt hat dazu geführt, dass heute Injektionssysteme zur Verfügung stehen, mit denen der erforderliche Injektionsdruck leicht und durch den Behandler gut zu kontrollieren aufgebaut werden kann. Zur Vermeidung von ungewünschten Effekten sollten nur Spritzensysteme für die intraligamentale Injektion von Anästhetikum verwendet werden, bei denen der Druckaufbau ohne integrierte mehrstufige Hebelsysteme erfolgt. Bereits 1983 bewertete die ADA (American Dental Association) Spritzen mit integrierten mehrstufigen Hebelsystemen zur Kraftverstärkung als nur bedingt geeignet für periodontale Ligamentinjektionen (Giovannitti und Nique 1983), da der Behandler dabei nur sehr begrenzt die Möglichkeit hat, die individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten zu spüren und seinen Injektionsdruck entsprechend anzupassen.
DIN-genormte Dosierradspritzen
Ohne ein integriertes mechanisches Hebelsystem wird bei den DIN-genormten Dosierradspritzen die Injektionskraft verstärkt (DIN 13989: 2013). Der Druckaufbau erfolgt über ein Dosierrad und gibt dem Behandler bei der Injektion die Möglichkeit, den Gegendruck des Gewebes direkt in seinem Daumen (oder Zeigefinger) zu spüren und den eigenen Injektionsdruck entsprechend anzupassen. Die auf das Dosierrad ausgeübte Kraft wird – infolge des Größenverhältnisses des Radantriebs – im Verhältnis 5,5:1 verstärkt und direkt auf die Zahnkolbenstange übertragen (Abb. 2). Auch mit elektronisch gesteuerten Injektionssystemen, z. B. dem STA-System (Abb. 3), sind intraligamentale Injektionen ohne unerwünschte Effekte uneingeschränkt möglich.
Die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechenden Injektionssysteme ermöglichen eine sichere Schmerzausschaltung sowohl vor indizierten Einzelzahnextraktionen als auch vor konservierenden, restaurativen und auch vor endodontischen Behandlungen (Heizmann und Gabka 1994, Dirnbacher et al. 2003, Weber et al. 2006, Prothmann et al. 2010, Langbein et al. 2013).
Subgingivale Kürrettage
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Möglichkeit der vollständigen Schmerzausschaltung bei subgingivaler Kürettage (Scaling und Root Planing) im Rahmen einer geschlossenen Parodontaltherapie. Pro Quadrant wurden bei 31 dokumentierten Fällen durchschnittlich ca. 0,85 ml Anästhetikum appliziert. Diese geringe Anästhetikummenge wurde durch zahnüberspringende intraligamentale Injektionen von jeweils 0,1 ml Anästhetikum pro Injektionspunkt (9 Injektionspunkte pro Quadrant) erreicht. Es wurde ein 100%iger Anästhesieerfolg festgestellt. Die Sensibilität kehrte kurz nach Abschluss der Kürettage zurück. Beim Recall wurden keine pathologischen Befunde diagnostiziert (Prothmann et al. 2009, Langbein et al. 2013).
Systemadaptierte Kanülen
Für eine minimalinvasive intraligamentäre Anästhesie sollten mit dem Injektionssystem systemadaptierte Kanülen mit einem Durchmesser von 0,3 mm und einer Länge zwischen 12 und 16 mm mit extrakurzem Anschliff kombiniert werden. Als Anästhetikum wird Articainhydrochlorid 4 % mit Adrenalin 1:200.000 empfohlen, z. B. Ultracain DS. Die Applikation von Anästhetikalösung mit Adrenalin (Gray et al. 1987) führte zu einer signifikant höheren Erfolgsrate (91,6 % bei Lignocaine 2 % mit Adrenalin 1:80.000 gegenüber 42,0 % bei Lignocaine 2 % ohne Adrenalin). Das Anästhetikum ist unter minimalem Druck in den Desmodontalspalt zu injizieren. In Kontakt mit dem Zahnhals wird die Kanülenspitze etwa 1–2 max. 3 mm in den Parodontalspalt eingeführt, bis Knochenkontakt spürbar wird. Das intraligamental injizierte Anästhetikum breitet sich entlang der Zahnwurzel und intraossär aus und erreicht in etwa 30 Sekunden das Foramen apikale (Abb. 4). Auf diese Weise werden sowohl die Pulpa als auch die zahnumgebenden Nervenendigungen desensibilisiert (Garfunkel et al. 1983, Plagmann und Jaganow 1984, Tagger et al. 1994).
0,2 ml pro Zahnwurzel
Pro Zahnwurzel sind etwa 0,2 ml Anästhetikum zu applizieren. Damit das Anästhetikum problemlos ins Desmodont diffundieren kann, muss es sehr langsam – den anatomischen Verhältnissen des Patienten angepasst – injiziert werden (Glockmann und Taubenheim 2002, Zugal et al. 2005, Weber et al. 2006, Prothmann 2009, Dirnbacher et al. 2013). Die Injektionszeit beträgt:
- bei der ersten Wurzel etwa 20 Sekunden,
- bei der zweiten Wurzel desselben Zahns > 20 Sekunden und
- bei einer dritten Wurzel desselben Zahns ≥ 25 Sekunden.
Dadurch wird vermieden, dass es zu einer Depotbildung kommt, sich der Zahn minimal in der Alveole bewegt (Huber und Wilhelm-Höft 1988) und unerwünschte Effekte nach Ende der Anästhesie generiert werden (Druckschmerz, Elongationsgefühl). Diese angepasst langsame Injektion ins Ligament beugt gleichfalls druckbedingten Gewebsveränderungen (Nekrosen) vor, die ggf. iatrogen sind (Zugal et al. 2005). Damit bei der Umplatzierung der Kanüle kein Anästhetikum – unnötigerweise – in den Mund des Patienten läuft, sollte der Injektionsdruck am Ende der Injektion durch den Behandler abgebaut werden können (Zugal 2001).
Nach etwa 30 Sekunden wirksam
Die Anästhesie tritt unverzüglich ein und ist nach etwa 30 Sekunden in voller Tiefe ausgeprägt; bei entzündetem Gewebe kann sich der Anästhesieeintritt leicht (60–90 sec) verzögern, da das Anästhetikum aufgrund des veränderten pH-Werts des Gewebes langsamer anflutet (Weber 2005, Weber et al. 2006). Nach circa 30 Minuten ist das Empfindungsvermögen wieder zurückgekehrt. Bei länger dauernden Behandlungen kann problemlos intraligamental nachinjiziert werden, ggf. in die Furkation. Dank der kurzen Anästhesiedauer ist die Dispositionsfähigkeit des Patienten nach Abschluss der Behandlung – gleich welcher Art – nicht eingeschränkt, im Gegensatz zu den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie (Dirnbacher und Weber 2006).
Der gewachsene Stand von Wissenschaft, Technik und Klinik wurde von S. F. Malamed zusammengetragen und publiziert (Malamed 2013).
Fazit
Die intraligamentäre Anästhesie – lege artis angewandt – ist eine gute Möglichkeit, bei Patienten Vorbehalte gegen „die Spritze“ abzubauen. Da der Bereich der Anästhesie sehr eng begrenzt ist, empfindet der Patient diese Schmerzausschaltung nicht im angrenzenden Bereich und fühlt sich nicht beeinträchtigt – weder während noch nach Abschluss der Behandlung. Den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie ist sie bei fast allen zahnmedizinischen Indikationen und Patientengruppen signifikant überlegen. Die Grenzen dieser anwenderfreundlichen und patientenschonenden Methode der Schmerzausschaltung liegen im chirurgischen Bereich, wo die ILA für länger dauernde und ausgedehnte dentoalveoläre chirurgische Eingriffe die Anforderungen nicht erfüllen kann.
Die konventionellen Lokalanästhesiemethoden Infiltrations- und Leitungsanästhesie sollten wegen der bekannten unerwünschten Effekte und Risiken nur noch angewendet werden, wenn die intraligamentäre Anästhesie die Anforderungen nicht erfüllen kann oder der Patient sie ausdrücklich wünscht.

Dr. Wolfgang Bender
studierte Zahnmedizin in Bonn und Düsseldorf und war von 1972 bis 2009 niedergelassen in eigener Praxis in Düsseldorf. Er ist zurzeit als Dozent am Zentrum für Implantatdiagnostik ZID, Düsseldorf, tätig, Schwerpunkt Optimierung der Praxisorganisation.
dr.w.bender@gmx.de

Lothar Taubenheim
ist als Autor und Dozent zum Thema minimalinvasive Schmerzausschaltung aktiv.
LT.Lothar.Taubenheim@t-online.de
Benz, Prothmann und Taubenheim (2015) haben das publizierte Wissen zur ILA im „Curriculum Anesthesiae Intraligamentare“ zusammengefasst.