„Primäre Methode der Schmerzausschaltung“
Mit dem Patienten die Risiken und unerwünschten Effekte der konventionellen Lokalanästhesien zu thematisieren, vor allem Nerv- und/oder Gefäßkontakt und stundenlange artikulatorische und mastikatorische Einschränkungen, ist weitgehend überflüssig, wenn die „Alternative intraligamentäre Anästhesie“ vorgeschlagen wird. Die intraligamentäre Anästhesie – lege artis angewandt – ist eine gute Möglichkeit, bei Patienten Vorbehalte gegen „die Spritze“ abzubauen. Sie ist eine primäre Methode der dentalen Lokalanästhesie. Dennoch lässt die Verbreitung zu wünschen übrig. Warum? Das DENTAL MAGAZIN fragte Dr. Maria Csides. Die Oberstabsärztin bei der Bundeswehr befasst sich seit Jahren mit der Thematik.

Frontzahn-ILA © Langenbein
Allen Vorteilen zum Trotz setzt sich die ILA zumindest in Deutschland nicht flächendeckend durch. Was sind die Gründe?
Csides: Die Studierenden der ZHK erlernen die „Schmerzausschaltung“ im Spritzenkurs, der von Chirurgen durchgeführt wird. Für Chirurgen ist die Wirkung der ILA zu eng begrenzt, sowohl hinsichtlich Dauer als auch Ausbreitung.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Csides: Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa und auch in Amerika und Asien ist die „Methode der intraligamentären Anästhesie“ in Deutschland schon deutlich mehr in der Praxis angekommen.
Die meisten ungewünschten Effekte der intraligamentären Anästhesie, etwa Drucknekrosen und nach Abklingen der Anästhesie Vorkontakt, Druckschmerz, Aufbissschmerz oder ein Elongationsgefühl, werden auf die angewandten Instrumentarien zurückgeführt, speziell auf die Injektionssysteme, die die Injektionskraft des Behandlers über integrierte, mehrstufige Hebelsysteme verstärken.
Wie lässt sich das vermeiden?
Csides: Als die Dosierradspritze im Jahr 2000 medizintechnisch zur Verfügung stand, hat Dr. Walter Zugal einen zahnmedizinischen Systemvergleich „Citoject vs. SoftJect“ durchgeführt – 205 Fälle. Zugal wendete die Citoject damals schon einige Jahre erfolgreich an. Er kommt zu der Beurteilung, dass mit der Dosierradspritze eine genaue Druckerzeugung möglich ist. Weil bei diesem lnjektionssystem keine Hebel die aufgewandten Kräfte verstärken, spürt der Behandler den zu überwindenden Gegendruck unmittelbar in der eigenen Hand. Seit zehn Jahren wende ich die intraligamentäre Anästhesie als primäre Methode der Schmerzausschaltung an.
Im Rahmen einer klinischen Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena habe ich die drei ILA-Injektionssysteme Ultraject (Pistolenspritze mit Druckbegrenzung 120 N), Citoject (Dosierhebelspritze) und SoftJect (Dosierradspritze) klinisch-praktisch miteinander verglichen (321 Fälle). Mit allen drei Injektionssystemen konnte ein – fast – vollständiger intraligamentaler Anästhesieerfolg erreicht werden, allerdings waren die generierten unerwünschten Effekte bei der SoftJect signifikant geringer, weil die Injektionsdrücke damit sensibler an die individuellen anatomischen Gegebenheiten des einzelnen Patienten angepasst werden können.
Die Lernkurve wird mit der hebelfreien Dosierradspritze sehr niedrig halten; mit dem eigenen Daumen muss der interstitielle Gegendruck sehr sensibel überwunden werden – das Geheimnis der ILA. Der Zeitaufwand für die sehr langsamen intraligamentalen Injektionen ist ohne Relevanz, da der Anästhesieeffekt unverzüglich – ohne Latenz – eintritt.
Stichwort Drucknekrosen
Vor allem die Konservierende Zahnheilkunde wehrt bzw. hat sich lange gegen die ILA gewehrt, sagt zum Beispiel PD Dr. Peer Kämmerer, Rostock. Große Füllungen seien wegen der Elongation schwierig. Ist das so? Wird oder wurde die Injektion einfach „reingejagt“?
Csides: Wenn die intraligamentalen Injektionen mit sensiblen Instrumentarien lege artis erfolgen, werden keine unerwünschten Effekte generiert, wie die klinischen Studien von Dirnbacher, Weber, Prothmann, Langbein und mir selbst beweisen, weder Druckschmerz noch ein Elongationsgefühl oder Drucknekrosen.
Stichwort Drucknekrosen: Die Drucknekrose bezieht sich auf die Gingiva, also auf die Weichgewebe und nicht auf den Knochen. Und da gibt es zwei Faktoren: Druck und Vasokonstriktor. Wie viel Adrenalin darf/muss es sein bei der ILA?
Csides: Üblicherweise werden für intraligamentäre Anästhesien die gleichen Anästhetika wie für die konventionellen Lokalanästhesiemethoden appliziert: Articain mit Adrenalin 1:200.000. Da bei der ILA aber viel weniger Anästhetikum – nur etwa 25 Prozent – injiziert wird, ist die systemische Belastung entsprechend geringer.
Bakteriämie wird diskutiert. Ist das klinisch relevant, oder lässt sich das umgehen, indem man zum Beispiel durch die Papille sticht?
Csides: Die intraligamentale Injektion kann mit subgingivalem Scaling (Scaling und Root Planing) verglichen werden, was in einem kleinen Prozentsatz der Fälle zu Bakteriämien führt. Diese Bakteriämien waren transient, wie Walten und Abbott schon 1981 in der JADA schrieben.
An welchen Universitäten wird die ILA gelehrt?
Csides: Üblicherweise wird an deutschen Universitäten die ILA zur Komplettierung empfohlen, wenn die konventionellen Lokalanästhesiemethoden keinen Anästhesieerfolg gebracht haben. Als primäre Methode hat sie sich nur an wenigen Universitäten etabliert, was auch mit den Kosten für die Hardware zusammenhängt.
War es schwierig, diese Methode bei der Bundeswehr zu etablieren?
Csides: Die nachwachsenden BW-Stabsärzte haben während des Studiums meistens nur die konventionellen Lokalanästhesiemethoden gelernt und eingeübt, was sie dann auch in die BW-Zahnarztgruppen übertragen.
Wo haben Sie selbst diese Alternative zur Infiltrations- und Leitungsanästhesie gelernt? Bei der Bundeswehr oder an der Uni?
Csides: Während meiner zahnärztlichen Truppenversorgung in Neubiberg hatte ich Gelegenheit, mich mit der intraligamentären Anästhesie vertraut zu machen. In wissenschaftlicher Begleitung durch die Uni Jena – Professor Glockmann – hatte ich dann bei der Bundeswehr-Zahnarztgruppe Burg die Möglichkeit, die o. g. ILA-Studie durchzuführen.
Gerade die intraossäre Anreicherung des Lokalanästhetikums im Bereich des Prozessus alveolaris macht es möglich, diese Anästhesieform auch für kleinere oralchirurgische Eingriffe, wie die heute oft praktizierte Socket-Preservation-Technik oder kleine Lappenoperationen zur plastischen Deckung von Alveolen nach Zahnentfernung mit dem Ziel eines möglichst gut erhaltenen Kieferkamms zu nutzen. Auch notwendige Gingivaexzisionen oder Weisheitszahnfreilegungen lassen sich so behandeln. Bei welchen Eingriffen klappt es definitiv nicht? Wie kritisch sind die UK-Anwendungen?
Csides: Die intraligamentäre Anästhesie ist für fast alle Indikationen geeignet, auch für Osteotomien und Reihenextraktionen – und selbst für die Osteotomie retinierter Dentes serotini, wie Andrea Langbein in ihrer Studie (Uni München) zeigen konnte. Nur für lang dauernde und großflächige dentalchirurgische Eingriffe sind die konventionellen Lokalanästhesiemethoden nach wie vor indiziert.
Warum genau gelten Endokarditis, Herzklappenfehler, -prothesen, Immunsuppression als ILA-Kontraindikationen? Man nimmt zunächst einmal das Gegenteil an, weil die Risikopatienten weniger „hart“ anästhesiert werden …
Csides: Wegen des Risikos einer denkbaren Bakteriämie sollte bei diesen Patienten – selbst unter antibiotischer Abdeckung – keine ILA angewandt werden, schreiben Glockmann und Taubenheim schon 2002.
Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die ILA gilt heute als primäre Anästhesieform. Was ändert sich dadurch in der Praxis?
Csides: Da die ILA eine „primäre Methode der Lokalanästhesie“ ist, muss die Zahnärztin/der Zahnarzt den Patienten nicht nur über die Risiken der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie aufklären, sondern auch über die „Alternative ILA“ (Patientenrechtegesetz). Der Patient muss entscheiden, welche Methode der Schmerzausschaltung er für sich wünscht.
Wie läuft die ILA-Aufklärung?
Csides: Bei konsequenter Anwendung der ILA kann die Risikoaufklärung minimiert werden. Bei der ILA ist kein Gefäß- und/oder Nervkontakt möglich, im Desmodontalspalt gibt es keine.

Dr. Maria Csides
studierte Zahnmedizin in München, promovierte in Jena und ist seit 2007 Oberstabsärztin bei der Bundeswehr, zurzeit stationiert im Sanitätszentrum Berlin. Ihr Spezialgebiet ist die intraligamentäre Anästhesie
dr.csides@gmx.de