Kontrolle von Patienteninfos im Web
Gezielt durchforsten Funktionsdiagnostikexperte Prof. Dr. Jens Christoph Türp und Co. das Netz auf „Murks“ aus der Hand zahnärztlicher Verbände und Organisationen. Werden sie fündig, wird nichts unter den Teppich gekehrt. Wachrütteln lautet das Ziel der Kampagne.

Prof. Dr. Jens Christoph Türp möchte mit seinen "Übungen" wachrütteln Foto: privat
UMFRAGE: Wer soll Patienteninfos im Web prüfen?
Nach harscher und öffentlichkeitswirksamer Kritik am ZahnRat 72 „Wenn das Kiefergelenkt zum Knackpunkt wird“ – herausgegeben von fünf Zahnärztekammern – hat sich das Team nun einen Patienten-Selbsttest des CMD-Dachverbands vorgeknöpft. Ergebnis: Von elf Fragen des CMD-Screenings dienten lediglich zweieinhalb dazu, echten CMD-Behandlungsbedarf herauszufiltern.
Wieder ein aus Patientensicht seriöser Herausgeber, wieder zeichnen Zahnärzte verantwortlich, und wieder liegt etliches im Argen. Falls ,,mehrere Fragen‘‘ mit ,,ja‘‘ beantwortet werden sollten, sei es sinnvoll, ,,einen Spezialisten für Diagnostik und Therapie von CMD zu kontaktieren und abzuklären, ob ein Behandlungsbedarf besteht“, so die Vorabinformation. „Will man so Patienten in die Praxen locken?“, fragt Türp. Denn nach seiner Analyse zielen nur die Frage 1, der zweite Teil von Frage 2 und Frage 3 auf einen möglichen CMD-Behandlungsbedarf (siehe Seite 9). Die übrigen Fragen „verunsichern Patienten und leiten allenfalls unnötige Therapien ein“, so sein vernichtendes Urteil. Migräne, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Tinnitus könnten bekanntlich die unterschiedlichsten Ursachen haben, warum also sofort an CMD denken? Sein Fazit: „Wegen fehlender inhaltlicher Validität kann der Fragebogen nicht empfohlen werden.“
Der Verband reagierte umgehend auf die Schelte. Ruckzuck war der Selbsttest offline. Dr. Hermann Söhngen, Arzt und stellvertretender Vorsitzender, kündigte im Gespräch mit dem DENTAL MAGAZIN an: „Auf der kommenden Jahreshauptversammlung Ende September werden wir das Thema diskutieren. Ich werde auch weitere Experten ins Boot holen, damit wir einen validen Selbsttest auf den Weg bringen.“ Auch personell werde man sich neu aufstellen. Im Beirat des CMD-Dachverbands soll es dann zum Beispiel auch wieder einen Zahnarzt geben.
Türps „Überprüfung der Eignung eines Fragebogens“ erschien im August dieses Jahres in der „Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen“. Zum Herausgebergremium zählen u. a. das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS), die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, das Deutsche Cochrane Zentrum und das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin.
Türp möchte wachrütteln
Türp scheint mit seinen „Übungen“ zu erreichen, was er bezweckt: Er rüttelt wach! Er macht klar, dass sich Wissenschaftler, Fachgesellschaften und die DGZMK, aber auch Zahnärztekammern und die Bundeszahnärztekammer mit diesem Thema befassen müssen. „Wir müssen im eigenen Haus mit dem Besen kehren, bevor sich andere darum kümmern“, meint er. Denn das würde die Zahnärzteschaft erst richtig belasten.
Dass er Gehör findet, zeigen die Reaktionen: Wie zuletzt der CMD-Selbsttest, so wurde auch die von den Zahnärztekammern Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen herausgegebene Patientenschrift ZahnRat 72 kurz nach dem Verriss in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ) im April aus dem Netz verbannt. Türp legt Vertretern sämtlicher zahnärztlicher Disziplinen nahe, auch die übrigen mehr als 70 ZahnRäte, die ja noch mehr oder weniger ungeprüft im Netz ständen, unter die Lupe zu nehmen.
Das Thema „Wer kontrolliert die Patienteninformationen?“ rückt mehr und mehr in die öffentliche Diskussion, auch bei der Bundeszahnärztekammer und der DGZMK. Es sei nicht die Aufgabe der Fachgesellschaften, Internetpolizei zu spielen, stellt DGZMK-Präsident Prof. Dr. Henning Schliephake klar. Es liege in der Natur des Netzes, dass dort viel Falsches steht. Doch wer für seine Patienteninfo wissenschaftliche Rückendeckung brauche, dürfe mit DGZMK-Unterstützung rechnen. „Voraussetzung ist, man kommt auf uns zu“, sagt Schliephake. Ausdrücklich weist er in diesem Zusammenhang auch auf die aktualisierten und patientengerecht aufbereiteten Infos auf der DGZMK-Homepage hin.
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), wünscht sich eine engere Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften. Er erinnert an einen Vertrag zwischen der BZÄK und der DGZMK, wonach Patienteninformationen eigentlich gemeinsam auf den Weg gebracht werden sollen. Leider sei diese Kooperation nicht fortgesetzt worden. So publizierten die wissenschaftlichen Fachgesellschaften eigenständig Patienteninformationen ohne Information oder Einbindung der Bundeszahnärztekammer.
BZÄK wünscht Kooperation
BZÄK und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) wollen eine bessere Zusammenarbeit. Gleichzeitig soll das Zahnärztliche Zentrum Qualität (ZZQ) als gemeinsame Einrichtung im Bereich der Erstellung von Patienteninformationen weiter ausgebaut werden. „Wir erhoffen uns von diesem Schritt neben der Qualitätssicherung auch einen Ausbau der am Versorgungsalltag orientierten Patienteninformationen.“ Oesterreich: „Aus unserer Sicht wird die Erstellung von Patienteninformationen nicht zuletzt im Interesse der Akzeptanz im Versorgungsalltag immer eine gemeinsame Aufgabe von Wissenschaft und Berufspolitik sein. Vor dem Hintergrund der täglichen Herausforderungen im Rahmen der Patientenaufklärung in der Praxis wird der Berufsstand dies sicherlich als hervorragende Unterstützung wahrnehmen und nutzen. Gleichzeitig müssen sich die Themen der Patienteninformationen aber auch am Praxisalltag orientieren und patientenverständlich sein.“ Die kommende Koordinierungskonferenz der Öffentlichkeitsarbeit der zahnärztlichen Körperschaften werde sich auf Initiative der BZÄK intensiv mit der Thematik auseinandersetzen.
Eines steht jedenfalls fest: Türp und Co. werden nicht lockerlassen und zumindest in ihrem Fachgebiet den „Murks im Netz“ aufspüren und nach allen Kriterien der Evidenz analysieren. Würden sich Vertreter anderer zahnärztlicher Fachdisziplinen die gleiche Mühe machen, „stände so manches nicht mehr online“, ist sich Türp sicher. „Doch ich kann nur für mein eigenes Fachgebiet sprechen.“
Wer kontrolliert Patienteninfos?
Bei Patienteninformationen zahnmedizinischer Vereinigungen und Körperschaften scheint vieles im Argen zu liegen. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich nimmt Stellung:
Herr Prof. Oesterreich, inwiefern kümmert sich die BZÄK um die Validität der Patienteninfos?
Die Bundeszahnärztekammer hat die Satzungsaufgabe, eine fortschrittliche, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Zahnheilkunde zu fördern, die die Gesundheit des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Somit ist es unsere Aufgabe, der Öffentlichkeit fachlich abgesicherte Informationen zu zahnmedizinischen Sachfragen zur Verfügung zu stellen.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine effektive Zusammenarbeit von Wissenschaft und Berufspolitik zwingend erforderlich. Es ist also nicht unsere Aufgabe zu kontrollieren, sondern mit unseren Informationen eine Benchmark zu setzen.
Gerade von zahnmedizinischen Verbänden und Körperschaften erwartet der Patient hundertprozentige Validität – wie lässt sich das umsetzen?
Sowohl die zahnärztlichen Körperschaften als auch die DGZMK und die wissenschaftlichen Fachgesellschaften besitzen eine hohe Verantwortung bei der Veröffentlichung von fachlichen Stellungnahmen. Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass Patienteninformationen mit möglichst hoher Evidenz, nach einer klaren Methodik und vor allem patientenverständlich erstellt werden. Sofern die wissenschaftliche Datenlage keine klaren Antworten liefert, sollte ein Expertenkonsens auf Ebene der DGZMK herbeigeführt werden. Als eine Maßnahme hat die BZÄK ihrerseits ihre Website freiwillig zertifizieren lassen. Darüber hinaus plant die BZÄK, gemeinsam mit der KZBV das Zahnärztliche Zentrum Qualität (ZZQ) in dem Bereich Patienteninformationen auszubauen.
Sollte jede Fachgesellschaft wie Prof. Türp das Netz nach fehlerhaften Infos durchforsten und davor warnen?
Wir hegen Zweifel – nicht zuletzt aufgrund der entstandenen Informationsfülle im Internet –, ob dies machbar und sinnvoll ist. Wir würden uns vielmehr wünschen, dass diese Energie auch als eine selbstkritische Schlussfolgerung aus den Publikationen in die gemeinsame Erstellung von Patienteninformationen auf Grundlage einer einheitlichen Methodik investiert wird. Gleichzeitig kann man gemeinsam mit den Zahnärztekammern für eine Verbreitung dieser Informationen zu sorgen. Dies hilft den Praxen bei der Aufklärung, sorgt für hohe Fachlichkeit des Berufsstandes und nutzt dem Patienten. Wir freuen uns auf eine gute und effektive Zusammenarbeit mit allen Beteiligten im Sinne unserer Patienten.
Literatur
Türp JC, Schindler HJ, Antes G: Wenn „ZahnRat 72“ zum Knackpunkt wird: Über qualitative Mängel einer Patienteninformation. Dtsch Zahnärztl Z 2013;68:99–108
Türp JC, Schindler HJ, Antes G: Kraniomandibuläre Dysfunktionen: Überprüfung der Eignung eines Selbsttest-Fragebogens. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2013;107:285–290