Neues interdisziplinäres Netzwerk

„Funktionsdiagnostik auf ein anwendbares Basiswissen reduzieren“

M. Sc. Kerstin Jäger möchte die Funktionsdiagnostik aus ihrem Nischendasein befreien und massentauglich machen, indem sie alte Methoden neu denkt, auf praxisnahe Wissensvermittlung setzt und moderne Plattformen bietet.


Netzwerktreffen 2018

Einmal im Jahr trifft sich das Netzwerk um M. Sc. Kerstin Jäger in Leipzig, um sich auszutauschen. Im Rahmen des Treffens findet auch die DGZMS-Jahrestagung statt. © DGZMS


Die Funktionsdiagnostik ist eigentlich revolutionär: Die ganzheitliche Betrachtung und Behandlung des Patienten eröffnet zahlreiche Möglichkeiten. Doch bisher scheint das Fachgebiet für viele Zahnärzte ein Buch mit sieben Siegeln, an das man sich lieber nicht heranwagt. Das möchte M. Sc. Kerstin Jäger ändern. Ihr Ziel ist es, das komplexe Fachwissen für jeden Zahnmediziner zugänglich zu machen.

Vernetzung für Weiterbildung und Patientenwohl

Hierfür hat die ehemalig niedergelassene Zahnärztin aus Leipzig in den letzten 20 Jahren ein Netzwerk aufgebaut, das fächerübergreifend medizinische Richtungen vereint.

Kerstin Jäger Netzwerktreffen 2018

Zahnärztin Kerstin Jäger hat in ihrer ehemaligen Praxis jahrelang Spitzensportler behandelt und konzentriert sich nun vollkommen auf das Netzwerk und die Kompetenzvermittlung im Bereich der Funktionsdiagnostik. © Hoffmann/Deutscher Ärzteverlag

Viele Kontakte beruhen auf Jägers früherer Tätigkeit. Nachdem sie ihre eigene Praxis mit Schwerpunkt Sportzahnmedizin abgegeben hatte, wurde sie immer wieder nach Empfehlungen für Praxen gefragt, die sich mit Schienen und ganzheitlicher Betreuung auskennen. So entstand die Idee der Vernetzung. Heute sieht Jäger ihre Aufgabe darin, dieses langjährig bestehende Netzwerk weiter auszubauen, zu strukturieren und zu verwalten. Zur Förderung der beruflichen Weiterbildung der Kollegen und schließlich zum Wohle der Patienten. Denn der systemische Ansatz soll helfen, einen schnelleren Behandlungserfolg zu ermöglichen. „Oft wird an einem Patienten jahrelang und kostenintensiv herumgedoktert. Wenn man fachübergreifend Experten zurate ziehen würde, könnten Erkrankungsursachen häufig viel schneller gefunden und behoben werden“, ist sich Kerstin Jäger sicher.

Jährlich veranstaltet sie ein Netzwerktreffen in Leipzig für den gemeinschaftlichen Austausch. Dort sprechen Experten verschiedener Disziplinen (u. a. aus Zahnmedizin, Zahntechnik, Physiotherapie, Medizin und Sportwissenschaft) über ihre Herausforderungen und Behandlungsansätze. „Das Netzwerk soll dabei helfen, sich in effizienter Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dazu sind keine hochkomplizierten Spezialfortbildungen notwendig. Es gibt auch einfache Wege, ein gutes funktionsdiagnostisches Konzept anzuwenden“, sagt Jäger.

DGZMS: Fachübergreifende Gesellschaft

Stefan Liebezeit DGZMS

Beim Netzwerktreffen teilen Experten aus verschiedenen Bereichen ihr Wissen, wie Sportwissenschaftler Stefan Liebezeit. © Hoffmann/Deutscher Ärzteverlag

Im Rahmen des Netzwerktreffens findet auch die Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft Zahn- und Medizin für Sportler (DGZMS) statt, in der sich Jäger als Vize-Präsidentin engagiert. Seit Ende 2018 ist die erste Sport-Fachgesellschaft mit interdisziplinärem Ansatz ein universitäres Institut, das evidenzbasierte Studien durchführt und eine eigene Sportakademie in Leipzig aufbaut. Hier sollen einerseits Sportler gezielt gefördert werden, andererseits dient die Akademie zur Weiterbildung der Netzwerk-Partner und DGZMS-Mitglieder.

Kernpunkte des Konzeptes

Das Sport-Konzept in den Praxisalltag zu integrieren, ist kein großer Aufwand, da es nur zwei wesentliche Kernpunkte umfasst: zum Einen die „ganzheitliche“ Funktionsdiagnostik, oder auch „Orthodentie“, die sich mit muskulär-statisch-orthopädischen Inhalten befasst, und zum Anderen das bereits ohnehin schon in den meisten Praxen integrierte Behandlungsgebiet der Prävention, Früherkennung und Behandlung von chronisch entzündlichen Erkrankungen (Prophylaxe und PA-Therapie), mit systemisch-internistischer Relevanz – beide Säulen haben einen bedeutsamen Einfluss auf die sportliche Leistung.

Mit ihrem Netzwerk und der DGZMS will Jäger Kompetenzen in beiden Bereichen vermitteln. Und zwar an das gesamte Praxisteam. Aus diesem Grund gibt es beim Leipziger Netzwerktreffen auch ein separates Vortragsprogramm mit Schwerpunkt Prophylaxe für die Praxismitarbeiter.

„Zahnmedizinische Behandlungen können enorme Auswirkungen auf den menschlichen Bewegungsapparat haben. Schon eine Einzelkrone kann das i-Tüpfelchen sein und eine Dysfunktion zum Vorschein bringen, die jahrelang vom Körper kompensiert wurde“, erklärt die Spezialistin. Deshalb sei – nicht nur in der Sportzahnmedizin – die Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten und anderen Experten so essentiell für eine ganzheitliche Behandlung.

Interdisziplinäres Curriculum

Den interdisziplinären Ansatz verfolgt auch das 360-Grad-Curriculum der DGZMS, das Teilnehmern einen Abschluss als zertifizierter Sport-Zahnarzt und Spezialist nach den Leitlinien der Gesellschaft erlaubt. Das fünfmonatige Curriculum wird jeweils im Frühjahrs- und Herbstsemester angeboten. Es vermittelt die Grundlagen der Prophylaxe und Funktionsdiagnostik, Detailwissen zu Theorie und Analyse, Case Studies sowie die konkrete Anwendung des standardisierten 360-Grad-Sport-Check-ups der DGZMS. Die Teilnehmer erhalten unter anderem Antworten auf die Fragen: Wie analysiere ich die Symptome? Wie erstelle ich eine Diagnose? Wie werte ich Messdaten aus?

Die Theorie ist dabei auf das Nötigste reduziert. Es geht vielmehr um Praxisnähe. „Das kann man morgen gleich anwenden,“ sagt Jäger und ist überzeugt: „Man kann die verstaubte Funktionsdiagnostik auf ein Minimum an Grundwissen reduzieren.“ Das Curriculum baut außerdem auf das Prinzip der aktiven Mitarbeit. Der Sport-Check-up soll gemeinsam mit den Teilnehmern weiterentwickelt und optimiert werden.

Darüber hinaus wird über den Tellerrand geschaut – nicht nur hinein in andere medizinische Bereiche, sondern auch in Themen wie das Praxismarketing. Prof. Dr. Günter Dhom beispielsweise erläutert, wie funktionsdiagnostische Leistungen erfolgreich in den Praxisalltag integriert werden können. Schließlich ist eine funktionsdiagnostische Behandlung in Hinblick auf prothetische Versorgungen nicht ganz unlukrativ. Neben Prof. Dhom ist unter anderem auch Prof. Dr. Ralf Rößler als Referent und Beiratsmitglied der DGZMS tätig.

DGZMS Lizenz Curriculum

Das Curriculum der DGZMS verfolgt einen 360-Grad-Ansatz und vermittelt praxisnah das notwendige Grundwissen. © DGZMS

DGZMS-Lizenzen

Die Zertifizierung durch die DGZMS nach erfolgreich abgeschlossenem Curriculum ist für zwei Jahre gültig. Durch die Teilnahme am jährlichen medizinisch-wissenschaftlichen Symposium werden zertifizierte Zahnärzte automatisch nach zwei Jahren zum Spezialisten nach den DGZMS-Richtlinien. Diese Lizenz ist ebenfalls jeweils für zwei Jahre gültig und an die Symposium-Teilnahme geknüpft. Wer nicht am Netzwerktreffen teilnehmen kann, kann sein Wissen auch über einen Fragebogen belegen. Grund hierfür ist die ständige Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des Sport-Check-ups. Kerstin Jäger versteht das Netzwerk als qualitätsorientierte Gemeinschaft, die voneinander lernt und sich gemeinsam weiterentwickelt.

Sportzahnmedizin und Funktionsdiagnostik

Kerstin Jägers Leidenschaft für Funktionsdiagnostik und Sportzahnmedizin kommt nicht von ungefähr: Ihre Heimatstadt Leipzig erfreut sich einer bekannten Sportfakultät und beherbergt als Olympiastützpunkt zahlreiche Leistungssportler. „Das erste, was ich mir damals in meiner eigenen Praxis angeschafft habe, war ein Vermessungsgerät“, verrät sie.

Und die therapeutische Verknüpfung der beiden Bereiche liegt auf der Hand: Die Sportzahnmedizin ist ohne systemische Betrachtung des Patienten kaum denkbar. Konkrete Fälle zeigen eindrücklich, wie erheblich eine Schienen-Therapie die Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit der Sportler steigern kann. Und auch der Zusammenhang zwischen Parodontitis und Bluthochdruck ist hinlänglich bekannt. Eine parodontale Erkrankung bedeutet eine Leistungsminderung. Bei Sportlern sind die Auswirkungen noch viel schwerwiegender als beim „Normalpatienten“.

Jäger ist sich sicher: Im Zuge des Work-Life-Balance-Trends wächst das Interesse an Bewegung und Fitness in der gesamten Bevölkerung. Infolgedessen wird für Zahnarztpraxen die Versorgung sowohl von Freizeit- als auch Spitzensportlern immer attraktiver.

Das nächste und mittlerweile 13. Netzwerktreffen inklusive DGZMS-Jahrestagung findet vom 31. Mai bis 2. Juni 2019 in Leipzig statt. Mehr Infos zum Netzwerktreffen sowie zum Curriculum gibt es unter www.dgzms.de.


ZÄ Kerstin Jäger DGZMS

Bild: © privat

M. Sc. Kerstin Jäger

hat ihren Master of Science in Oral Implantology und Parodontologie absolviert. Seit 2018 ist sie Vize-Präsidentin der DGZMS und als Referentin unter anderem in den Bereichen Funktionsdiagnostik, Parodontologie und Zahntechnik tätig.