Vermischtes

Berliner Praxis mit literarischem Wartezimmer

In einer Berliner Zahnarztpraxis können Patienten im Wartezimmer Bücher kaufen. 200 Stück stehen zum Schmökern bereit – vom Bestseller bis zum Kochbuch. Was gefällt, kann man direkt mit nach Hause nehmen. Ein paar Tage nach der Behandlung kommt die Rechnung.


Yevgeni Viktorov, Alexander Planert und Sebastian Zorn (v.l.n.r.) bieten in ihrer Praxis Bücher zum Verkauf an. Das Konzept kommt an. Ufuk Ucta


Es gibt kaum einen Menschen, der gerne wartet. Die verschenkte Zeit auf dem Weg zur Achterbahn oder dem Konzert der Lieblingsband ist erträglich, denn die Vorfreude macht einiges wett. Wenn man jedoch in einem Wartezimmer auf die Zahnbehandlung wartet, sieht die Sache mit der Vorfreude anders aus. Denn laut einer vor Kurzem durchgeführten Umfrage freuen sich rund 61 Prozent der Deutschen nicht unbedingt auf ihren nächsten Zahnarztbesuch. Doch Wartezimmer ist nicht gleich Wartezimmer: Drei junge Ärzte aus Berlin-Mitte bieten ihren Patienten eine angenehme Ablenkung vor der Behandlung – mit Büchern.

ZA Alexander Planert, Dr. Sebastian Zorn und Dr. Yevgeni Viktorov MSc eröffneten im April vergangenen Jahres ihre eigene Praxis, „Leipziger 14“, nachdem sie bereits zuvor gemeinsam in Berlin gearbeitet hatten. Eine „08/15-Praxis“ sollte es jedoch nicht werden: Der Wartebereich wirkt eher wie ein gemütliches Wohnzimmer, kein steriles Weiß, keine spartanische Einrichtung. „Wir wollten den Wartebereich so angenehm und bequem wie möglich gestalten“, erklärt Viktorov. Da alle drei gern lesen, wurden unter anderem große Bücherregale angeschafft, die dann gefüllt werden mussten. Die Idee: Ein Kaufhaus als Kooperationspartner ins Boot holen, um den Patienten die Wartezeit zu versüßen. Bei den Verantwortlichen des KulturKaufhauses Dussmann auf der Berliner Friedrichstraße stießen Planert, Zorn und Viktorov auf offene Ohren: „Wir wollten etwas Neues ausprobieren und das kam gut an. Jetzt sind unsere Regale voll und die Patienten können immer auf eine Auswahl an aktuellen Büchern zurückgreifen“, sagt Viktorov.

Freundschaftliche Beziehung zu den Patienten aufbauen

Ins Bewusstsein der Patienten gerufen wird das Angebot bei einem Praxisrundgang, auf dem jeder neue Patient zur Begrüßung die Räumlichkeiten kennenlernen kann. Zwei Aufsteller und Flyer weisen zudem auf die Kooperation zwischen Zahnarztpraxis und Kaufhaus hin. Zum dauerhaften Bestand zählen Bücher über Berlin, Kochbücher, Reiseliteratur und Bücher über den Garten. Hinzu kommen aktuelle Bestseller, die vom Kaufhaus regelmäßig nachgeliefert werden. Zirka 200 Bücher sind es insgesamt – und alle können gekauft werden. „Wenn sich einer unserer Patienten dazu entscheidet, ein Buch mitzunehmen, geben wir die Kontaktdaten an das Kaufhaus weiter. Der Kunde erhält dann eine Rechnung“, erklärt Viktorov das Prozedere. Das Angebot werde sehr gut angenommen. Viele der Patienten hätten zu wenig Zeit, um in einen Buchladen zu gehen – bei „Leipziger 14“ kann man das Literatur-Shopping mit dem Zahnarztbesuch verbinden.

„Gerade in der Weihnachtszeit können unsere Patienten so auf andere Gedanken kommen und gleichzeitig noch ein Geschenk einkaufen“, sagt Viktorov. Auf die Frage, ob das Praxisteam die Patienten jetzt aus dem Wartezimmer zerren und von den Büchern loseisen muss, lacht er. „Die Patienten dürfen gerne nach der Behandlung ins Wartezimmer zurückgehen und weiterlesen – das ist das Beste, was uns passieren kann.“ Schließlich wolle man eine warme, freundschaftliche Beziehung zu den Patienten aufbauen. Wer fühlt sich bei seinem Zahnarzt schon so heimisch, dass er freiwillig nach der Behandlung noch einmal Platz nimmt? Und wer sich gar nicht mehr losreißen kann, der nimmt das Buch einfach mit nach Hause und kann dort weiterlesen.

Das Alleinstellungsmerkmal als einzige Praxis mit „literarischem Wartezimmer“ ist den drei Berlinern aber nicht besonders wichtig: „Es geht ja in erster Linie darum, dass die Patienten profitieren und sich wohl fühlen. Wenn unsere Kollegen das für ihre Praxen übernehmen, haben wir natürlich nichts dagegen. Wir wären stolz darauf, unseren Berufsstand um eine Idee bereichert zu haben“, schmunzelt Viktorov.