VDDI-Chef Mark Stephen Pace im Interview

Wie sich die Dentalindustrie auf die MDR vorbereitet

Maximal bis zum 26. April 2024 gelten Herstellerzertifikate, die nach altem Recht durchgeführt wurden. Dann ist endgültig Schluss. Stichtag für die Anwendung der Europäischen Verordnung über Medizinprodukte (MDR) ist der 26. Mai 2020. Die bis dann erteilten Zertifikate gelten bis zum Ablaufdatum, maximal vier Jahre. Was dann? Mark Stephen Pace, der Vorstandsvorsitzende des VDDI, über die aktuelle Situation und die Auswirkungen der MDR auf Hersteller, Zahnärzte und Labore.


Dentalindustrie MDR

Welche Auswirkungen wird die MDR auf Hersteller, Zahnärzte und Labore haben? Im Interview äußert sich Mark Stephen Pace vom VDDI. © Meinardus


Wie bereitet sich die Dentalindustrie auf die MDR vor?

Pace: Die Dentalindustrie ist unseren Informationen nach recht gut auf die MDR vorbereitet. Bereits 2017 hat der VDDI in seinen Gremien die notwendigen Schritte analysiert und daraufhin die einzelnen Aufgaben abgearbeitet. Wir haben gemeinsam mit den Herstellerverbänden in der Arbeitsgemeinschaft der Medizintechnikhersteller eine Reihe von Informationsveranstaltungen durchgeführt und mit den Vertretern der EU auf allen Ebenen Gespräche geführt. Erfreulich ist, dass auch das Bundesministerium für Gesundheit sich des Themas angenommen und seinen Einfluss in Brüssel für eine Fristverlängerung geltend gemacht hat.

Stand heute sind die meisten Implementierungsschritte vollzogen, natürlich nur so weit, wie Behörden und Benannte Stellen mitspielen. Viele Unternehmen haben bestehende Zertifikate noch nach den geltenden Vorschriften der Richtlinie 93/42 bis in die Jahre 2023, 2024 verlängert, andere werden in den nächsten Wochen schon nach der MDR auditiert. Zur Vorbereitung auf diese Maßnahmen ist neues Personal eingestellt worden, das sich fast ausschließlich mit den dokumentarischen Anforderungen befasst.

Sicherlich gibt es aber auch Einzelfälle, in denen sich die Abläufe problematischer darstellen. Besonders schwierig wird es für Unternehmen, deren Benannte Stellen sich nicht mehr für eine MDR-Notifizierung beworben haben. Für sie ist es aktuell nahezu unmöglich, eine neue Benannte Stelle zu finden, die noch fristgerecht neue Aufträge erledigen könnte.

Das dürfte zu Engpässen führen …

Pace: Der Gesetzgeber hat vernünftigerweise in Art. 120 MDR eine Übergangsregelung eingebaut. Alle Zertifikate, die die Hersteller schon besitzen, gelten bis zu dem im Zertifikat genannten Ablaufdatum. Zusätzlich können Hersteller noch bis zum 26.05.2020 Audits nach geltendem Recht durchführen, d. h., auch diese erteilten Zertifikate gelten bis zum Ablaufdatum, maximal jedoch bis zum 26.05.2024.

Mit dem am 27.12.2019 im EU-Amtsblatt veröffentlichten zweiten Korrigendum sind auch Klasse-1-Produkte in die Übergangsregelung einbezogen worden. Welche Bedeutung hat diese Regelung für Dentalindustrie und Anwender?

Pace: Es gibt viele Produkte, die nach heutigem Recht noch zur Klasse 1 gehören, zukünftig aber unter der MDR höhergestuft werden müssen, womit die Einbindung einer Benannten Stelle erforderlich wird. Dazu gehören z. B. wiederverwendbare Instrumente oder auch die Vielzahl von Produkten, die Nanomaterial enthalten, wie z. B. Abformmaterialien. Für diese Produkte hätte am 26.05.2020 ein nach MDR gültiges Zertifikat vorliegen müssen. Da dies jedoch aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Benannten Stellen nicht zu verwirklichen gewesen wäre, hätten die Produkte ab Mai 2020 nicht mehr auf den Markt gebracht werden können. Insofern mussten die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten handeln, und sie haben dies auch angesichts der massiven Einsprüche der medizintechnischen Industrieverbände getan.

Wäre es nicht sinnvoll, die Übergangsfrist über den Stichtag hinaus deutlich zu verlängern?

Pace: Für alle Beteiligten, ob Mitgliedstaaten, EU-Kommission, Benannte Stellen, Behörden, Industrie oder Anwender, wäre eine Verlängerung der Übergangsfrist nicht nur sehr sinnvoll, sondern unbedingt notwendig. Erst wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind (ausreichende Zahl an benannten Stellen, delegierte Rechtsakte, gemeinsame Spezifikationen, Leitlinien zur Umsetzung, volle Funktionsfähigkeit von Eudamed), wäre eine reibungslose Anwendung der MDR möglich. Die Politik hat allerdings deutlich gemacht, dass eine Verlängerung der Übergangsfristen nicht beabsichtigt ist. Ein holpriger Start ist damit gewiss.

Warum? Was sind die größten Probleme?

Pace: Viele Hersteller von Materialien wissen heute noch nicht, wie ihre Produkte zukünftig klassifiziert werden sollen. Sofern die Produkte Nanomaterial enthalten, kann es Klasse IIa, IIb oder III werden. Die Einstufung ist abhängig von der internen Exposition des Produkts. Diese kann „unbedeutend, niedrig, mittel oder hoch“ sein. Noch weiß niemand, wie diese Begriffe definiert werden und wie eine Abgrenzung zu der nächsthöheren Stufe erfolgen soll. Die EU-Kommission soll eine Leitlinie dazu erarbeiten; ob diese jedoch die mit dieser Regelung verbundenen zahlreichen Probleme lösen kann, ist mehr als fraglich. Hersteller benötigen diese spezifischen Informationen dringend, damit sie rechtzeitig Planungssicherheit haben, denn viele unternehmerische Entscheidungen hängen davon ab, dass wir genau wissen, was auf uns zukommt.

Welche Herausforderungen müssen die Zahnärzte stemmen zum Beispiel mit Blick auf chairside hergestellte CAD/CAM-Produkte?

Pace: Die MDR definiert den Begriff „Sonderanfertigung“ in Artikel 2 Absatz 3. Ein Medizinprodukt gilt als Sonderanfertigung, wenn es eigens für einen namentlich genannten Patienten geschaffen wird, spezifischen Auslegungsmerkmalen genügt und den angestrebten therapeutischen Nutzen entfaltet.

Wesentliches Merkmal einer Sonderanfertigung ist die Herstellung des Produkts aufgrund einer Verordnung von einem qualifizierten Berufsträger (z. B. Zahnarzt). Ob die Herstellung manuell oder mittels eines industriellen Verfahrens erfolgt, ist dann nicht mehr von Belang.

Der VDDI hat diese Problematik ausführlich in einem Positionspapier „über den Umgang mit Sonderanfertigungen entsprechend der MDR“ erörtert. Auch die EU-Kommission hat sich bereits dazu geäußert und die Herstellungsmethode als „nicht relevant“ bezeichnet.

Haben Zahnärzte zukünftig auch erweiterte Pflichten?

Pace: Solange der Zahnarzt (und auch das Zahnlabor) ausschließlich Sonderanfertigungen herstellt, ist er von der CE-Kennzeichnungspflicht und damit auch von den Pflichten, die von Herstellern gefordert werden, befreit. Er muss allerdings die in Anhang XIII (siehe Infobox) aufgelisteten Informationen zur Konformität der Sonderanfertigung ausnahmslos beifügen. Bislang war dies nur bei Sonderanfertigungen der Klasse IIa und höher erforderlich.

Aus Zahnarztpraxen und Zahnlaboren dringt häufiger die Frage an die Dentalindustrie, ob Produkte, die sie erworben haben und bei ihnen gelagert werden, weiterverwendet werden dürfen.

Pace: Grundsätzlich gilt, dass alle Produkte, die der Anwender bereits verwendet oder die sich bereits in seinem Bestand oder seinem Lager befinden, von den neuen Regelungen nicht betroffen sind. Darüber hinaus dürfen Medizinprodukte, die Praxen und Labors bis zum 25.50.2025 erwerben, gemäß dem wichtigen Paragrafen 120, Absatz 4 der Verordnung sowohl nach den Regeln der MDD als auch der MDR in Verkehr gebracht worden sein. Medizinprodukte, die nach dem 26.05.2025 erworben werden, müssen entsprechend der MDR in Verkehr gebracht worden sein. In allen Fällen ist natürlich ein eventuelles Ablaufdatum zu beachten.

Medizinprodukte, die nach dem 26.05.2025 erworben werden, darf die Dentalindustrie nur noch entsprechend der MDR in Verkehr bringen. In allen Fällen ist natürlich ein eventuelles Ablaufdatum zu beachten.

Die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen bei den Herstellern sind enorm. Höhere Kosten aufgrund zusätzlichen Personals, deutlich höhere Gebühren, die die Benannten Stellen verlangen: Müssen wir damit rechnen, dass die Dentalindustrie Produkte wegen der MDR vom Markt nehmen wird?

Pace: Die Frage kann heute noch niemand beantworten. Jedes Unternehmen entwickelt eigene Geschäftsmodelle; dabei wird auch geprüft, inwieweit die Herstellung bestimmter Produkte aus wirtschaftlicher Sicht noch vertretbar ist. Produkte mit einem geringen Umsatz und hohen regulatorischen Anforderungen stehen fraglos vorrangig auf dem Prüfstand. Es dürfte aber als sicher gelten, dass die bisherige Produktvielfalt und damit auch die Produktauswahl eingeschränkt werden.

MDR - Anhang XIII: Verfahren für Sonderanfertigungen
  1. Bei Sonderanfertigungen stellt der Hersteller oder sein Bevollmächtigter eine Erklärung unter Angabe aller folgenden Informationen aus:
    — Name und Anschrift des Herstellers sowie aller Fertigungsstätten,
    — gegebenenfalls Name und Anschrift des Bevollmächtigten,
    — die zur Identifizierung des betreffenden Produkts notwendigen Daten,
    — eine Erklärung, dass das Produkt ausschließlich für einen bestimmten Patienten oder Anwender bestimmt ist, der durch seinen Namen, ein Akronym oder einen numerischen Code identifiziert wird,
    — Name der Person, die das betreffende Produkt verordnet hat und die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation durch nationale Rechtsvorschriften dazu befugt ist, und gegebenenfalls Name der betreffenden medizinischen Einrichtung,
    — die spezifischen Merkmale des Produkts, wie sie in der Verordnung angegeben sind,
    — eine Erklärung, dass das betreffende Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I entspricht, und gegebenenfalls ein Verweis auf die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, die nicht vollständig eingehalten wurden, mit Angabe der Gründe,
    — gegebenenfalls ein Hinweis, dass zu den Bestandteilen oder Inhaltsstoffen des Produkts ein Arzneimittel gehört, einschließlich eines Derivats aus menschlichem Blut oder Plasma, oder Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs gemäß Verordnung (EU) Nr. 722/2012.
  2. Der Hersteller verpflichtet sich, für die zuständigen nationalen Behörden die Dokumentation bereitzuhalten, die seine Fertigungsstätte bzw. Fertigungsstätten angibt und aus der die Auslegung, die Herstellung und die Leistung des Produkts, einschließlich der vorgesehenen Leistung, hervorgehen, sodass sich beurteilen lässt, ob es den Anforderungen dieser Verordnung entspricht.
  3. Der Hersteller trifft alle erforderlichen Maßnahmen, damit im Herstellungsverfahren die Übereinstimmung der hergestellten Produkte mit der in Abschnitt 2 genannten Dokumentation sichergestellt wird.
  4. Die in der Einleitung von Abschnitt 1 genannte Erklärung wird für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren nach dem Inverkehrbringen des Produkts aufbewahrt. Bei implantierbaren Produkten beträgt dieser Zeitraum mindestens 15 Jahre.
    Es gilt Anhang IX Abschnitt 8.
  5. Der Hersteller prüft und dokumentiert die Erfahrungen, die in der der Herstellung nachgelagerten Phase u.a. bei der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen gemäß Anhang XIV Teil B gewonnen wurden, und trifft angemessene Vorkehrungen, um erforderliche Korrekturen durchzuführen. In diesem Zusammenhang meldet er gemäß Artikel 87 Absatz 1 den zuständigen Behörden jedes schwerwiegende Vorkommnis oder jede Sicherheitskorrekturmaßnahme im Feld oder beides, sobald er davon erfährt.

Der Experte

© privat

Mark Stephen Pace
Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Deutschen Dental-Industrie (VDDI) in Köln.