Füllungsmaterial bald ein Hochrisikoprodukt?
Die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sieht eine Vielzahl verschärfter Anforderungen vor, von denen auch dentale Medizinprodukte betroffen sind. Im Oktober haben die sogenannten Triloggespräche begonnen. Vermutlich tritt die Verordnung Anfang 2016 in Kraft. Werden Füllungsmaterialien und Co. damit sicherer oder nur teurer?
Die Stimmung ist angespannt, und es wird nicht besser. Seit einer gefühlten Ewigkeit hat die Arbeitsgruppe „Dental“ beim Bundesverband der Arzneimittel Hersteller (BAH) stets das gleiche Thema auf der Agenda: die neue europäische Verordnung über Medizinprodukte, die vermutlich Anfang 2016 – mit einer dreijährigen Übergangsregelung – in Kraft tritt.
Erreichen würde man gerne Regelungen, mit denen auch mittelständische Unternehmen leben können, sagt Bernd Walker von der VITA Zahnfabrik, seit Jahren Vorsitzender der AG beim BAH. Gibt es dafür noch Chancen? Die Verhandlungen über den endgültigen Verordnungstext werden seit Anfang Oktober im sogenannten Trilogverfahren geführt. Die Diskussionen sind in vollem Gange. EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat beraten über alle strittigen Punkte.
Medizinprodukten droht Einstufung als Hochrisikoprodukt
Der Hintergrund: Einer Vielzahl von dentalen Medizinprodukten droht die Einstufung als Hochrisikoprodukt. Konkret geht es dabei um Medizinprodukte, die Nanomaterial enthalten. Denn EU-Kommission und nun auch der EU-Rat fordern, dass alle Medizinprodukte, die Nanomaterial enthalten, Hochrisikoprodukte (Klasse III) wie Brustimplantate, Hüftprothesen, Herzkatheter oder Arzneistoffe abgebende Stents werden sollen (Regel 19). Bleibt es dabei, werden 70 Prozent aller dentalen Medizinprodukte in Klasse III eingestuft, nach dem ursprünglichen Vorschlag des EU-Parlaments wären es dagegen nur 10–15 Prozent gewesen.
Die Dentalindustrie hatte vergeblich gehofft, dass sich der EU-Rat dem Vorschlag des Parlaments anschließt. Für die Dentalbranche unverständlicherweise hat er jedoch den Entwurf der EU-Kommission in diesem Punkt eins zu eins übernommen – unverständlich, weil eine Begründung fehle, kommentieren Gregor Stock, Leiter Regulatory Affairs beim Verband der Deutschen Dentalindustie (VDDI), und Dr. Angela Graf, Referentin Medizinprodukte beim BAH in Bonn.
Enormer Aufwand
Die Hersteller und Verbände sind alarmiert. Denn Aufwand und Kosten der Unternehmen würde sich „enorm erhöhen“ (siehe Interview). Stock: „Bei Klasse-III-Produkten sind sowohl in der Herstellungs- als auch in der Entwicklungsphase der betroffenen Produkte nicht nur Zertifizierungen durch Benannte Stellen, sondern auch die Vorlage von klinischen Daten obligatorisch. Darüber hinaus müssen für Klasse-III-Produkte zusätzliche umfangreiche Bewertungen durch geeignete Fachleute der Benannten Stellen stattfinden. Und es ist zu erwarten, dass mit Inkrafttreten der neuen Verordnung für alle Klasse-III-Produkte klinische Studien erforderlich werden.“
Die Auswirkungen sind in der Tat noch nicht abzusehen. Der VDDI geht davon aus, dass allein mindestens 3000 dentale Medizinprodukte und darüber hinaus mehrere Tausend weitere allgemeine Medizinprodukte höhergestuft werden müssten. Und dafür gibt es viel zu wenige Benannte Stellen, die die Zertifizierungen durchführen können, und erst recht viel zu wenige Universitäten oder Institute, die die klinischen Studien abwickeln könnten. So dürfte es in Zukunft mehrere Jahre dauern, bis Medizinprodukte nach dem neuen Recht in Verkehr gebracht werden dürfen.
Einige Produkte könnten verschwinden
Prof. Dr. Klaus Dermann, der die Interessen der Hersteller vertritt, rechnet mit Lieferengpässen. Denn die voraussichtlich dreijährige Übergangsfrist nach Inkrafttreten der Medizinprodukteverordnung werde wegen der Vielzahl der betroffenen Produkte nicht ausreichen, um diese alle nach Klasse III zuzulassen: „Einige Produktgruppen, die nur selten oder in geringen Mengen benötigt werden, könnten sogar ganz vom Markt verschwinden.“
Auch beim Endo-Hersteller VDW GmbH in München ist man besorgt: Träte der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission in Kraft, wären die meisten nicht aktiven Produkte von VDW betroffen. Petra Altmann-Peichl, Director Quality & Regulatory Affairs, VDW GmbH, hält den finanziellen und organisatorischen Aufwand dann für beträchtlich. Fachpersonal (klinisch/regulatorisch) müsste aufgestockt werden. „Wir führen Produkte, die dann unter Umständen aufgrund des erhöhten Aufwandes nicht mehr zu akzeptablen Preisen verkauft werden könnten und ggf. eingestellt werden müssten. Und für neue Produkte würde das eine Verzögerung der Inverkehrbringung um mindestens die Dauer der klinischen Studie bedeuten.“
„Die Problematik liegt in der EU-Definitionsempfehlung für ‚Nanomaterial‘, die in die Verordnung über Medizinprodukte 1:1 übernommen werden soll“, weiß Dr. Hans-Peter Hollwege, Leiter Qualitätssicherung bei der VOCO GmbH in Cuxhaven, „denn danach fallen praktisch alle Farbpigmente und Füllstoffe unter diesen Begriff“ (siehe Interview).
Neue Definition nötig
Laut EU-Definition ist ein Material dann ein Nanomaterial, „wenn mehr als 50 Prozent der Partikel (Partikel für Partikel ausgezählt) Nanopartikel sind“, erläutert Hollwege, der als Sachverständiger für die Dentalindustrie an Beratungen zur Überarbeitung der Definitionsempfehlung beteiligt ist. Und das „macht praktisch jede pulverförmige Substanz zu einem Nanomaterial und damit viele, die sicherlich nicht gemeint sind“. Selbst der Sand am Meer werde dieser Definition zufolge zu Nanomaterial, weil beim Aneinanderreiben der Sandkörner auch Nanopartikel entstehen. Und gerade einmal 1 µg Nanopartikel reiche aus, um aus einer Tonne Nordseesand Nanomaterial zu machen. Betroffen sind körnige Substanzen jeglicher Art und Größe, von der Geröllhalde über Bauzemente und kosmetischen Pulver bis hin zu Kaffee- oder Milchpulver, und deswegen eben auch alle dentalen Pulver (Zemente) und Dentalprodukte, die Farbpigmente oder Füllstoffe enthalten und freisetzen können (Lacke, Komposite, Abformmaterial, Okklusionspapierchen etc.).
Drei verschiedene Möglichkeiten stehen zur Diskussion
In einem von der EU-Kommission beauftragten Gutachten wurde inzwischen auch festgestellt, dass Änderungen an der Definition für Nanomaterial notwendig sind. Man wolle, so Dermann, aber an der 50-Prozent-Partikel-Grenze festgehalten. Diskutiert werden derzeit drei verschiedene Möglichkeiten:
- Die Nanopartikel müssen einen noch festzulegenden Gewichtsanteil überschreiten.
- Die Oberfläche der Nanopartikel pro Volumeneinheit muss einen bestimmten Wert überschreiten.
- Die mittlere Korngröße nach Gewichtsanteilen muss unter einem noch zu bestimmenden Wert liegen.
Und schon kommt das nächste Problem: „Es gibt weder Analyseverfahren für die Bestimmung von Nanopartikeln in ,gröberen’ Pulvern noch für freigesetzte Nano-partikel, deren Zuverlässigkeit und breite Anwendbarkeit nachgewiesen wäre“, wie Qualitätssicherungsleiter Hollwege anführt.
Wie das Ganze ausgeht, ist völlig offen. Während Dermann nicht damit rechnet, dass am Ende weniger Dentalprodukte unter die von der EU-Kommission vorgeschlagene Version der Regel 19 fallen werden, hegen die Verbände noch Hoffnung, dass sich der ursprüngliche Vorschlag des EU-Parlaments doch noch durchsetzen wird. Unterstützung erhalten sie dabei auch von der Bundeszahnärztekammer (BZÄK).
Unangekündigte Audits
Teuer für die Hersteller wird es auch durch die zunehmenden Audits: Vor allem die Zahl der unangekündigten Audits steigt, obwohl es „dafür nach unserer Einschätzung gar keine Rechtsgrundlage gibt“, wie Graf vom BAH unterstreicht. Es handele sich lediglich um eine Empfehlung der EU-Kommission (2013/473 /EU), so der Verband. Damit sind natürlich nicht die unangekündigten Audits gemeint, die Benannte Stellen durchführen, wenn ein Anlass wie erhöhte Vigilanzzahl oder Verdacht der Täuschung besteht (Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG), wie Stock betont.
Er hält es wie Graf für „problematisch, dass die Kommission eine solche ‚Empfehlung‘ beschlossen hat“. Alle medizintechnischen Verbände und auch ein in Auftrag gegebenes Gutachten kämen zu dem Ergebnis, dass diese „Empfehlung“ nicht die gleiche Rechtsverbindlichkeit wie eine Verordnung oder eine Richtlinie entfalte.
ZLG fordert Umsetzung
Zu einem anderen Ergebnis komme allerdings die Zentralstelle der Länder für den Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG), führt er an. Die ZLG, Überwachungsbehörde für die Benannten Stellen in Deutschland, verlange die Umsetzung der Empfehlung durch die Benannten Stellen und fordere von den Benannten Stellen, die Empfehlung 1:1 umzusetzen. Die ZLG liefert laut Stock jedoch keine plausible Begründung dafür. Für die Benannten Stellen und auch für die Hersteller habe das aber nachhaltige Konsequenzen. Stock: „Die Benannten Stellen werden von der ZLG akkreditiert und bewertet. Würde eine Benannte Stelle keine unangekündigten Audits durchführen, müsste sie sich für dieses Verhalten gegenüber der ZLG rechtfertigen. Möglicherweise könnte diese Verweigerung bei der nächsten Erneuerung der Akkreditierung zum entscheidenden Faktor werden und im schlimmsten Fall die Akkreditierung abgelehnt werden.
Diesen Druck der ZLG geben die Benannten Stellen an die Hersteller weiter. Sie fordern eine Ausweitung der bestehenden Auditverträge auch auf die unangekündigten Audits und scheuen sich nicht, die Möglichkeit der Kündigung der Verträge zu erwähnen, sollte der Hersteller nicht zustimmen.“
Insofern nähmen die Hersteller diese Folgen in Kauf und stimmten den unangekündigten Audits zu, „wohlwissend, dass die Suche nach einer neuen Benannten Stelle deutlich zeit- und kostenintensiver werden würde“.
Audits sind lukrativ
Unangekündigte Audits sind für die Benannten Stellen allerdings auch eine lukrative neue Einnahmequelle. Pro Tag werden für zwei Auditoren rund 7000 Euro in Rechnung gestellt, schätzt Stock.
In vielen Unternehmen gab und gibt es diese neuen unangekündigten Audits bereits, obwohl es sich nur um eine Empfehlung der EU-Kommission handelt − und zwar nicht nur in Deutschland. „Die britische Überwachungsbehörde setzt diese Empfehlung ebenso um wie die ZLG“, weiß Dermann. Er hält diese Empfehlung für ebenso verbindlich wie die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Medizinproduktegesetzes (MPGVwV) vom 30. März 2012. Diese regelt die Überwachung der Hersteller, aber auch der Händler und Anwender von Medizinprodukten. Sie sieht unter anderem unangekündigte Überwachungsbesuche durch die Gesundheitsbehörden der Länder vor. Auch diese hätten einen hohen Grad an Verbindlichkeit.
Problem für die Kleinen
Eine Erhöhung der Anzahl der Audits, auch unangekündigter, ist nach dem sogenannten PIP-Skandal (siehe Kasten) wohl auch politisch gewollt und stellt Benannte Stellen und Hersteller gleichermaßen vor Probleme, die sich letztlich in der Preisgestaltung niederschlagen werden, vermutet die Bundeszahnärztekammer. Der BAH kann das jedoch nicht nachvollziehen. Das initiale Audit und die üblichen Re-Audits alle drei Jahre, wie bislang vorgeschrieben, seien ausreichend. Dass die unangekündigten Audits je nach Produktrisiko einmal in drei Jahren, bei Klasse-III-Produkten sogar jährlich stattfinden sollen, hält Graf für verfehlt: „Unangekündigte Audits dauern etwa zwei Tage, auch die Zulieferer werden überprüft und stellen dies dem Hersteller in Rechnung. Für einen großen Hersteller mag das noch verkraftbar sein, die überwiegende Zahl der kleinen Unternehmen wird dies jedoch vor enorme Schwierigkeiten stellen. Zumal dies die bereits hohen Standards beim Patientenschutz nicht weiter verbessert.
Branchenkenner sind sich sicher: Kriminelle Machenschaften, wie bei dem PIP-Skandal, ließen sich so jedenfalls nicht verhindern. Die Klassifizierung der Medizinprodukte erfolgt zurzeit nach den in der Richtlinie 93/42 EWG festgelegten Kriterien. Diese Richtlinie gilt bis zum Inkrafttreten der neuen Verordnung, die nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss, sondern dann sofort gilt.
„Geeignete Messmethoden fehlen“
Alle Medizinprodukte, die Nanomaterialien enthalten, sollen Hochrisikoprodukte der Klasse III werden. Welche Konsequenzen drohen? Das DENTAL MAGAZIN fragte Dr. Hans-Peter Hollwege, Leiter Qualitätssicherung bei der VOCO GmbH in Cuxhaven.
Die Problematik liegt offenbar in der EU-Definition von „Nanomaterialien“ begründet, die auch in die Verordnung über Medizinprodukte übernommen werden soll? Was ist das Problem?
Hollwege: Danach fallen praktisch alle Farbpigmente und Füllstoffe unter diesen Begriff. Nach dieser EU-Definition für Nanomaterial sind aber auch Getreidemehl und der Sand am Meeresstrand Nanomaterial. Hinzu kommt, dass in einem von der EU-Kommission beauftragten Gutachten festgestellt wird, dass Änderungen an der Definition für Nanomaterial notwendig seien. Weiterhin müssten noch geeignete Messmethoden entwickelt werden, um die in der Definition enthaltenen Parameter überhaupt erst bestimmen zu können. Es gibt also noch keine Analyseverfahren für freigesetzte Nanopartikel, deren Zuverlässigkeit und breite Anwendbarkeit nachgewiesen wäre. Vielleicht ist auch noch interessant, dass es für Produkte wie z. B. Lebensmittel und Kosmetika, mit denen Nanomaterial sogar in freier Form und mengenmäßig unbegrenzt den Organen direkt zugeführt wird, nach aktuellen Verordnungen zu keinen besonderen Beschränkungen kommt.
Das beträfe dann mehr als 70 Prozent der dentalen Medizinprodukte, von Füllungsmaterialien über Zahnersatz, Kronen und Brücken bis hin zum Okklusionspapier. Glauben Sie, dass sich dies durchsetzt?
Hollwege: Leider hilft hier der Glaube nicht. Vielmehr handelt es sich um den Entwurf zu einer europäischen Verordnung und solche Verordnungen treten unmittelbar, d. h. ohne nationale Umsetzung, in Kraft. Die Benannten Stellen in Deutschland werden bei unveränderter Verabschiedung der Verordnung nicht anders können, als die Verordnung Punkt für Punkt umzusetzen.
Und was würde das für Ihr Unternehmen bedeuten? Welche Konsequenzen hätte das etwa für die Zulassung von Neuprodukten?
Hollwege: Der Aufwand würde sich enorm vergrößern. Es ist zu erwarten, dass deutlich mehr als bisher aufwendige klinische Prüfungen durchgeführt und ausgewertet werden müssen. Das größte Problem entsteht aber dadurch, dass keine Parameter bekannt sind, die die mögliche Gefährlichkeit von möglicherweise freigesetzten Nanomaterialien klinisch zufriedenstellend beschreiben und eindeutig bewertbar machen. Welche Studie weist dann also die Unbedenklichkeit nach, die dann von einer Benannten Stelle, Behörde auch akzeptiert wird?
Zudem ist mit erheblichen Engpässen bei allen nötigen externen Ressourcen und deutlichen Kostensteigerungen zu rechen. Verschärft würde die Situation noch dadurch, dass auch Altprodukte nach und nach diesen Vorgaben unterliegen würden.
Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang sind die unangekündigten Audits, die bereits heute durchgeführt werden, obwohl dafür eigentlich die Rechtsgrundlage fehlt, wie der BAH kritisiert. Es handelt sich lediglich um eine Empfehlung der EU-Kommission (2013/473/EU). Warum akzeptiert man das?
Hollwege: Nach der geltenden Richtlinie sind unangekündigte Besuche durch die Benannte Stelle schon jetzt jederzeit möglich, allerdings nur „aus wichtigem Grund“. Die Überinterpreta‧tion der Empfehlung fordert abweichend davon unangekündigte Audits mindestens einmal in drei Jahren. Alle Hersteller sind auf eine bestehende Zertifizierung durch eine Benannte Stelle angewiesen, so dass es die Tendenz gibt, den Forderungen ihrer Benannten Stellen nach Aufnahme einer Regelung zu unangekündigten Audits in das gegenseitige Vertragswerk zuzustimmen.
Auch wird die Regelung wohl teilweise über eine einseitige Änderung der AGBs der Benannten Stellen eingeführt. Ist ein Hersteller nicht einverstanden, müsste er sich mit seiner Benannten Stelle, immer mit dem Risiko, die Grundlage seines Vertriebs zu verlieren, womöglich bis hin zur Klage auseinandersetzen. Viele kleinere Unternehmen oder auch Firmen, die nur Private-Label-Produkte anbieten, aber selbst nicht produzieren, haben da einfach auch nicht die fachlichen Ressourcen, so etwas zu wagen, und akzeptieren deshalb diese Regelungen, denen sie dann ohne Rechtsgrundlage unterliegen.
Welche zusätzlichen Kosten könnten da auf die Unternehmen zukommen? Müssen zum Beispiel Urlaubsvertretungen einkalkuliert werden etc.?
Hollwege: Die Kosten und der Aufwand liegen in der gleichen Größenordnung wie für die regulären jährlichen Rezertifizierungs- und Überwachungsaudits. Insofern steigen diese insgesamt um ca. 30 Prozent. Allerdings muss man, anders als für die regulären Audits, tatsächlich sicherstellen, dass immer die Verantwortlichen der betroffenen Abteilungen oder ihre Vertreter anwesend sind, was eine strikte Urlaubs- und Abwesenheitsplanung erfordert. Kleine Unternehmen kommen da schnell an ihre Grenzen. Der Aufwand multipliziert sich aber schnell, wenn Hersteller auch einen Private-Label-Bereich haben, wo dann unangekündigte Audits von den Benannten Stellen aller ihrer Kunden hinzukommen können.
Auch die Benannten Stellen verlangen Geld, können Sie etwas zu den Kosten sagen?
Hollwege: Viele Benannte Stellen haben sicher die Möglichkeit erkannt, zusätzliche Einnahmen durch diese Audits zu generieren, und beginnen diese zu nutzen. Bevorzugt werden dann aber Audits in Deutschland, da z. B. Audits in der Schweiz oder sogar China eben nicht so einfach möglich sind.
Honorieren Ihre Kunden (Zahnärzte/Patienten) diese verschärften Qualitätskontrollen? Schließlich kommen dadurch auch Neuprodukte langsamer auf den Markt …
Hollwege: Es handelt sich bei den oben angesprochenen Maßnahmen eben nicht um „verschärfte Qualitätskontrollen“. Qualitätskontrollen werden entsprechend der Risikobewertung jedes einzelnen Produkts routinemäßig für jede Produktionscharge durchgeführt.
Das heißt?
Hollwege: Die zusätzlichen bürokratischen Anforderungen aus der „Nanomaterial-Regel“ und den unangekündigten Audits bringen kein Plus an Sicherheit für Patienten und Zahnärzte. Alle Hersteller werden nicht umhin können, die in der Summe nicht unerheblichen Kosten an den Markt weiterzugeben. Es besteht sogar die Gefahr, dass sich die Vielfalt des Angebots an Dentalmaterialien für den Zahnarzt verringert und der Patient eventuell sogar eine schlechtere und teurere Versorgung bekommt, da womöglich kleinere Firmen mit speziellen, qualitativ sehr hochwertigen Produkten, aber nicht so großem Volumen, den Anforderungen nicht vollständig nachkommen können.