Neue S3-Leitlinie

Spülen als Ergänzung zum reinigen

Mundspüllösungen sind eine effektive Ergänzung für eine wirksame Vorbeugung von Zahnfleischentzündungen, einer Parodontitis oder Gingivitis. Ein Team von Autoren, darunter Prof. Dr. Nicole Arweiler, hat nun eine S3-Leitlinie zum chemischen Biofilmmanagement vorbereitet.


Leitlinie Biofilmmanagement Arweiler

Je nach Gesundheitsgrad der Mundhöhle wird eine andere Form der Prophylaxe empfohlen. © Arweiler


Prof. Arweiler, es wird zurzeit die Veröffentlichung einer S3-Leitlinie zum chemischen Biofilmmanagement in der Prävention und Therapie bei Gingivitis vorbereitet. Können Sie kurz erläutern, wie dieser Prozess der Leitlinienerstellung abläuft?
Prof. Arweiler: Eine neue Leitlinie hat einen recht langen Vorlauf. Der Wunsch nach einer Leitlinie auf S1-Niveau zum Thema der antibakteriellen Wirkstoffe kam bereits vor einiger Zeit auf. Doch die DG Paro wollte die Erstellung einer Leit‧linie auf S3-Niveau (Abb. 1).

Dazu musste zunächst die sogenannte PICO-Frage formuliert werden: Welchen Effekt hat bei Patienten ohne parodontale Erkrankungen oder mit Gingivitis (Problem/Patientengruppe) das chemische Biofilmmanagement durch eine Mundspüllösung in Kombination mit mechanischer Mundhygiene (Interven‧tion) im Vergleich zur reinen mechanischen Mundhygiene (Comparison/Vergleich) während eines Beobachtungszeitraums von mindestens 6 Monaten in Bezug auf gingivale Parameter (primäres Outcome) und Plaque Parameter (sekundäres Outcome) (O)? Kurz gesagt: Was bringen antibakterielle Mundspüllösungen zusätzlich zum normalen Zähneputzen?

In diesem Sinne hat ein kleines Team aus „Erstautor“ Prof. Dr. Thorsten Auschill, „Methodikerin“ Dr. Sonja Sälzer, PhD, und mir als „Koordinatorin“ ein Manuskript verfasst, das neben einer Datenanalyse aller publizierten Ergebnisse noch zahlreiche formelle Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und der DGZMK enthalten musste.

Wer ist an der Erstellung dieser Leitlinie beteiligt und wann wird sie veröffentlicht?
Arweiler: Es waren zahlreiche Interessengruppen frühzeitig beteiligt. Sie haben im Vorfeld einer Konsensuskonferenz im Oktober 2017 das Manuskript erhalten und vor Ort in Arbeitsgruppen oder schon vorab Verbesserungsvorschläge eingebracht. In der abschließenden Abstimmung gab es bei fast allen formulierten Statements einen einstimmigen Konsens. Derzeit durchläuft die Leitlinie zahlreiche Formalitäten und Abstimmungen, sodass sie vielleicht erst Ende des Jahres zugänglich sein wird.

Methodischer Hintergrund von Leitlinien: S-Klassifikation
S3Evidenz- und konsensbasierte LeitlinieRepräsentatives Gremium, systematische Recherche, Auswahl, Bewertung der Literatur strukturierte Konsensfindung
S2eEvidenzbasierte LeitlinieSystematische Recherche, Auswahl, Bewertung der Literatur
S2kKonsensbasierte LeitlinieRepräsentatives Gremium, strukturierte Konsensfindung
S1Handlungsempfehlungen von ExpertengruppenKonsensfindung in einem formellen Verfahren

Wie gut ist die Studienlage zu diesem Themenbereich?
Arweiler: Die Studienlage zu antibakteriellen Wirkstoffen ist wirklich sehr gut. Auch wenn es international keine ähn‧liche Leitlinie gab, auf die wir hätten zurückgreifen können, gab es doch bereits einige Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zu Wirkstoffen, die bereits zahlreiche Einzelstudien analysiert hatten. Diese mussten natürlich nochmals überprüft werden, ob sie unserer Fragestellung entsprechen.

Warum können chemische Prophylaxeprodukte wichtig für das Biofilmmanagement sein?
Arweiler: Die mechanische Mundhygiene, bestehend aus Zähneputzen und Interdentalraumreinigung, ist aus verschiedenen Gründen häufig nicht ausreichend. Zahnfleischentzündungen sind sehr häufig und können bekanntermaßen unbehandelt zu der schwerwiegenderen Parodontitis führen, die wiederum weitreichende Folgen für die Allgemeingesundheit hat. Daher sollten wir alle Möglichkeiten zur Reduktion der auslösenden Bakterien ausschöpfen, und dazu gehören Mundspüllösungen mit ihren antibakteriellen Wirkstoffen.

Welche Bedeutung hat die Substantivität beim chemischen Biofilmmanagement?
Arweiler: Retention und Wirksamkeit einer Mundspüllösung über die reine Spülzeit (von etwa 1 Minute) hinaus sind ein ganz wichtiger Faktor, damit antibakterielle Wirkstoffe auch in der Mundhöhle sinnvoll eingesetzt werden können. Ansonsten werden solche Wirkstoffe schnell wieder vom Speichel weggespült oder inaktiviert. Sie sollen aber nachhaltig auf die Mikroorganismen einwirken und auch solche abtöten, die sich in den nächsten Stunden auf den Zähnen ansiedeln.

Einteilung der Mundspüllösungen

Für welche Patientengruppen empfiehlt die Leitlinie die Anwendung antimikrobieller Mundspüllösungen als Ergänzung des täglichen Biofilmmanagements?
Arweiler: Zunächst einmal sollten alle Personen, bei denen die mechanische Mundhygiene verbessert werden muss, aber nicht mehr verbessert werden kann, eine Ergänzung mit Mundspüllösungen in Erwägung ziehen.

Im Gegensatz zur internationalen Literatur wird in Deutschland und der EU üblicherweise die Anwendung höher konzentrierter Chlorhexidin-Lösungen von ≥0,1 Prozent (deklariert als Arzneimittel), und anderen, als Kosmetika deklarierten Produkten, abgegrenzt. Prinzipiell kann man Indikationen einteilen in:

  1. Situationen, bei denen kurzfristig (etwa zwei bis vier Wochen) als zusätz‧liche oder auch als alleinige Maßnahme eine hohe Keimzahlreduktion notwendig ist. Dazu bieten sich Chlorhexidin-Lösungen in 0,1- bis 0,2-prozentiger Konzentra‧tion oder einprozentige Gele an. Solche Situationen sind z. B. kurzfristige Einschränkungen mechanischer Mundhygiene nach intraoralen Operationen. Abhängig vom Entzündungszustand der Gingiva können bei intermaxillärer Fixation, bei festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen (z. B. Brackets, Bänder) sowie bei Personen mit motorischen Einschränkungen bei der mechanischen Mundhygiene kurzfristig Chlorhexidin-Lösungen (≥0,1 Prozent) oder längerfristig andere Wirkstoffe zum Einsatz kommen.
  2. Personengruppen, die längerfristig eine Ergänzung ihrer täglichen mechanischen Mundhygiene benötigen. Dazu bieten sich antibakterielle Lösungen an, die als Kosmetika für den deutschen Markt zugelassen sind und den Schwerpunkt nicht auf der Therapie, sondern auf der Prävention von Gingivitiden haben. Zu ihnen werden auch die niedrig dosierten Chlorhexidin-Lösungen (0,06-prozentig) gerechnet. Davon profitieren insbesondere folgende Patienten-/Personengruppen:
    • mit mechanisch schwer oder nicht zugänglichen Bereichen (z. B. fest‧sitzenden kieferorthopädischen Apparaturen, prothetischen Konstruktionen),
    • mit besonderem Unterstützungs‧bedarf (z. B. Pflegebedürftige),
    • mit chronischen Erkrankungen
    • die unter besonderer Medikation stehen (z. B. bei/nach Chemotherapie und/oder Bestrahlung),
    • Schwangere sowie Kinder und Jugendliche, bei denen ebenfalls ein besonderes Augenmerk auf adäquate/effektive Mundhygiene gelegt werden soll,
    • Patienten mit Implantaten und implantat‧getragenem Zahnersatz, die ein intensives Biofilmmanagement benötigen.

Welche Formulierungen eignen sich auch für die langfristige tägliche Anwendung?
Arweiler: Die Ergebnisse der Literatursichtung zeigen, dass Chlorhexidin und „ätherische Öle“ (aber immer eine bestimmte Formulierung ätherischer Öle) die beste Datenlage mit jeweils einem „großen Effekt“ auf Gingivitis sowie auf Plaque haben. Alle eingeschlossenen Studien hatten als Einschlusskriterium eine Dauer von sechs Monaten, sodass die Wirkstoffe sich „längerfristig“ bewährt haben und somit auch längerfristig angewendet werden könnten.

Eine „langfristige“ Anwendung ist allerdings ein nicht eindeutig definierter Begriff. Das Ziel soll es sein, Patienten mit einem optimierten Konzept aus mechanischem und antibakteriellem Biofilmmanagement in eine gesunde Mundhöhle zu überführen. Daher sollte man immer wieder neu evaluieren, ob zusätzliche antibakterielle Maßnahmen über lange Zeit (ich würde von etwa sechs Monaten sprechen) notwendig sind.

Langfristige Anwendung

Wenn man Chlorhexidin ausnimmt, haben sich die ätherischen Öle für die langfristige Anwendung am besten bewährt. Allerdings bezieht sich die hervorragende Datenlage der ätherischen Öle auf eine Formulierung mit Alkoholgehalt. Gegen diesen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber bei Kindern und Schwangeren oder Patienten, die aus anderen Gründen keine alkoholhaltigen Spüllösungen verwenden möchten, wird oft eine Alternative gewünscht. Kürzlich wurde die entsprechende alkoholfreie Alternative in einer klinischen Sechsmonatsstudie untersucht (Lynch et al. 2018), sie konnte aber im Oktober 2017 noch nicht eingeschlossen werden.

Längerfristig können aber auch die alkoholfreien Spüllösungen mit den Wirkstoffen Aminfluorid/Zinnfluorid oder Cetylpyridiniumchlorid eingesetzt werden. Als Ergänzung zur mechanischen Mundhygiene zur Reduktion einer Gingivitis haben sie einen moderaten Evidenzgrad.

Wird es durch die neue Paro-Klassifika‧tion Auswirkungen auf diese aktuelle Leitlinie geben?
Arweiler: Da wir uns auf die parodontale Erkrankung „Gingivitis“ fokussiert haben und es in der neuen Klassifikation dazu nur kleine Modifikationen gab, wird es keinerlei Auswirkungen auf unsere Leitlinie geben. Auch im Sinne der Primärprävention der Parodontitis, die uns mit unserer Leitlinie am Herzen lag, wird die neue Klassifikation keine Änderungen an unserer S3-Leitlinie notwendig machen. Denn dort sind chronische und aggressive Parodontitisformen in einem Staging und Grading zusammengefasst.