Prof. Dr. Anton Sculean im Porträt

Der Traum von der Geweberegeneration

Vor Kurzem erhielt er den Distinguished Scientist Award for Research in Periodontal Disease der IADR, so etwas wie der Ritterschlag für zahnmedizinische Forscher. Er selbst nennt es eine „Auszeichnung für das Lebenswerk“, was mit Blick auf sein Alter kaum ernst gemeint ist. Wir sprachen mit Prof. Anton Sculean – natürlich nur digital.


Sculean Porträt

Prof. Sculean liebt die Forschung. Entsprechend wohl fühlt er sich in den dafür eingerichteten Räumen der Berner Universitätsklinik für Parodontologie. © Sculean


Es erfüllt Prof. Dr. Anton Sculean spürbar mit Stolz, dass er als erstes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) den Distinguished Scientist Award der IADR erhalten hat. Für ihn ist es eine Art Auszeichnung für sein „Lebenswerk“ – eine solche Interpretation als „Bilanz-Ehrung“ wäre allerdings angesichts seiner ungebrochen ehrgeizigen weiteren Forschungspläne ganz sicher deutlich verfrüht. Vor allem die Ausrichtung auf die translationale Forschung in Bern dürfte das Preiskomitee zu dieser Vergabe entscheidend motiviert haben. Die rasche Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Entwicklung ist tatsächlich Sculeans Hauptantrieb für die Wissenschaftsarbeit an der Berner Universitätszahnmedizin.

Anton Sculean Preisverleihung

Für die IADR überreichte Prof. Daniel Buser die Auszeichnung an Prof. Anton Sculean. © Sculean

Fasziniert war Anton Sculean von Anfang an von dem Ziel, eine Parodontitis stoppen zu können – und ist es immer noch. Der Wiederaufbau von verloren gegangenem Gewebe, also die regenerative Parodontaltherapie, spielt hier eine zentrale Rolle, um den Zahnhalteapparat wieder aufbauen zu können und mit einem funktionellen Parodont auszustatten. Im Fokus seiner Forschung stehen die Schmelz-Matrix-Proteine. „Sie sind sicher eine interessante Gruppe von Proteinen, quasi ein Cocktail von Proteinen“, betont Sculean.

Sie seien seit mehr als 20 Jahren im klinischen Gebrauch und haben hier quasi einen biologischen Einsatz: „Wir stimulieren mit diesen Proteinen die eigenen Zellen, um ein neues Parodont bilden bzw. regenerieren zu können. Das hat sich sehr gut bewährt – biologisch und klinisch“, ergänzt er. Größte Herausforderung dabei sei allerdings die Applikation der Proteine.

„Osteogain“ industriell bereits herstellbar

In mehreren Jahren habe sein Forschungsteam ein neues Präparat mitentwickelt, der geplante Markenname lautet „Osteogain“. Sculean: „Es ist ähnlich wie Emdogain, aber mit einer anderen Trägersubstanz. Wir haben es in mehr als 15 Studien entwickelt. Man kann dieses Material auch mit anderen Trägersubstanzen mixen – etwa mit Knochenersatzmaterial oder Kollagenen, um die klinische Anwendbarkeit zu verbessern.“ Das Produkt sei fast fertig, es funktioniere und man könnte es bereits industriell herstellen. Allerdings gebe es Zulassungsbedingungen, die alles noch etwas erschweren. Sculean: „Und die andere Frage ist, ob das finanziell machbar ist. Das hat aber mit der Wissenschaft nichts zu tun.“

Anton Sculean Hands-on-Kurs

Neben Forschung und Lehre vermittelt Prof. Anton Sculean in zahllosen Hands-on-Kursen das aktuell Paro-Wissen an KollegInnen. © Sculean

Vor einigen Jahren entdeckten die Berner bei ihrer Forschung zudem eine Substanz wieder, deren „Ruf“ eher negativ belegt ist: die Hyaluronsäure. Sculean: „Hyaluronsäure gibt es in zahlreichen Formen – langkettig, kurzkettig, quervernetzt etc. Wir haben festgestellt, dass sie einen Effekt im Prozess der Wundheilung hat, den wir in verschiedenen Laborversuchen in Weichgewebszellen, Parodontalligamentzellen und Osteoblasten getestet haben.“ Er selbst war verwundert, weil er dachte, das sei eine reine Werbung – etwa für Faltenunterspritzung. „Aber sie hat einen biologischen Effekt, wenn man sie in einer parodontalen Wunde auf die Wurzeloberfläche appliziert. Dadurch haben wir einen positiven Effekt auf die desmodontalen Zellen festgestellt.“ In der noch blutenden Wunde konnte dadurch bei den Tests das Blutkoagulum stabilisiert werden.

Zentrale Rolle der Trägersubstanzen

Parodontaldefekte werden seit Jahren, ja Jahrzehnten mit „irgendetwas“ aufgefüllt – also einem Knochenersatzmaterial. Das sei, so Sculean, einerseits sicher gut, weil man den Defekt fülle. Aber andererseits sei das ja keine biologische Regeneration. Sculean: „Ich träume davon, einen Defekt mit komplett neuem, eigenen Gewebe zu regenerieren.“ Eine wichtige Rolle spielen dabei bestimmte Trägersubstanzen – zum Beispiel Kollagene. „Wir arbeiten seit einigen Jahren an quervernetzten Kollagenen, die das Volumen halten und das Blutkoagulum stabilisieren können und gleichzeitig Träger sein können für bestimmte biologisch aktive Substanzen wie zum Beispiel Schmelz-Matrix-Proteine, eventuell Wachstumsfaktoren oder sogar Hyaloronsäure“, erklärt Sculean. In Knochendefekten, Furkationen oder auch Weichgewebsdefekten wie gingivale Rezessionen könne das mit entsprechend verfeinerter chirurgischer Technik zu einer Regeneration führen, die sowohl histologisch wie klinisch relevant ist.

Ein weiteres Feld in Sculeans Arbeit ist die Arbeit mit Substanzen, die man für die Behandlung einer Infektion einsetzen könne. Sculean: „Da ist zum Beispiel das Taurolidin, ein Derivat der Aminosulfonsäure Taurin und ein Molekül mit antibiotischem Effekt, das aber kein Antibiotikum ist und an dem wir seit vier Jahren forschen.“ Es ließen sich dadurch Bakterien abtöten und man könne den Biofilm zerstören, ohne dass die Patienten eine Resistenzentwicklung aufweisen. Das sei in Zeiten um sich greifender Resistenzentwicklungen ein wesentlicher Vorteil. „Diese Substanz könnte auch in der Therapie der Periimplantitis eine wichtige Rolle spielen“, ist Sculean von den Perspektiven des Taurolidin überzeugt.

Anton Sculean Vortrag

Sieben Sprachen spricht Sculean – in fünf davon hält er seine wissenschaftlichen Vorträge. © Schunk

Als „auch so ein Hobby von mir“ bezeichnet Professor Anton Sculean die Regeneration von Weichgewebe, vor allem die Deckung von fortgeschrittenen Rezessionen. Er habe mit seinem Team Modifikationen der Tunneltechnik mit entsprechenden Weichgewebstransplantaten entwickelt, die Ergebnisse gewährleisten, die bisher noch nicht erreicht wurden – vor allem im Unterkiefer-Frontzahnbereich. Er habe mehr als 960 Patienten selbst behandelt, die dokumentiert seien. Und: „Es scheint eine sehr vorhersagbare Technik zu sein.“

Studium als Statussymbol

Zur Zahnmedizin ist der 1965 im rumänischen Targu-Mures (deutsch: Neumarkt am Mieresch) geborene Klinikdirektor und Hochschullehrer quasi durch die Familie gekommen: „Mein Vater war Professor für zahnärztliche Prothetik in Siebenbürgen. Er war mein Vorbild“, berichtet Sculean. „Früher hat man in Rumänien großen Wert gelegt auf eine intellektuelle Ausbildung; daher war ein Studium in Medizin oder Jura für uns so eine Art Statussymbol. Das hat uns geprägt.“ Und das multikulturelle Umfeld Siebenbürgens prägte dann auch das Sprachtalent Sculeans, der heute – neben Deutsch und Englisch – auch fließend Rumänisch, Ungarisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch spricht und in fünf von diesen Sprachen auch Vorträge hält. Er hält nach wie vor sehr enge Kontakte in seine Heimatregion und zu den Menschen dort – „weniger zu der dortigen Politik“.

Dass Sculean neben seinem zahnmedizinischen Engagement viel Zeit für den Sport aufbringt, hat seine Wurzeln ebenfalls in der Kindheit. Bereits mit 14 Jahren stieg er in den Umgang mit Gewichten und Gegnern ein – als Kraft-Dreikämper, Freistilringer und Bodybuilder. Sehr erfolgreiche Teilnahmen an Rheinland-Pfalz- und Deutschen Meisterschaften im Bodybuilding sind Zeugnisse dieses auch heute noch intensiv betriebenen Ausgleichs zur Kopfarbeit. „Manchmal gehe ich da, wie in der Forschungsarbeit auch, bis ins Extreme – also bis in den Bereich, in dem eine weitere Wiederholung nicht mehr geht.“

Anton Sculean Kraftsport

Seit der Kindheit betreibt Sculean Kraftsport. Erfolgreich war er vor allem als Bodybuilder – mit Preisen in vielen Wettbewerben. © Sculean

Kein Interesse an „drill and fill“

Im Studium stellte Sculean rasch fest, dass ihn weder die Kariologie noch die Prothetik „fesseln“ konnten: „Ich dachte damals: Was willst Du damit, das lernt man doch in ein oder zwei Wochen? Fünf Kavitäten zu lernen ist auch nicht so intellektuell und ,drill and fill‘ hat mich nicht so interessiert: Ich war etwas frustriert.“ Das änderte sich schlagartig, als die Chirurgie und die Parodontologie dazu kamen. „Das hat mich fasziniert. Wir wussten damals noch so wenig darüber, wie die Parodontitis abläuft und wie man sie behandelt.“ Er wollte schon damals vor allem von den Besten lernen, und deshalb ging er zu Prof. Dieter E. Lange, dem damaligen Guru für Parodontologie, nach Münster und wechselte später zu den Professores Thorkild Karring und Jørgen Theilade nach Aahus in Dänemark für ein Master of Science-Programm in Periodontology. Dort habe er viel gelernt über wissenschaftliches und evidenzbasiertes Arbeiten und dass man kritisch sein müsse.

Hochschullehrer auf Talentsuche

Angesprochen auf seine Lehrtätigkeit, gerät Professor Anton Sculean ins Schwärmen: „Man hat die Aufgabe, das Wissen an die junge Generation weiterzugeben, aber noch wichtiger ist es, Studenten für die Zahnmedizin zu begeistern. Was wir in 30 Jahren gelernt haben, müssen wir vermitteln für die Praxis. Ich betrachte mich als Trainer, der Talente sucht, die rezeptiv sind und gefördert werden wollen. Und davon gibt es genug.“ Sein Vorgänger in Bern ist Prof. Klaus Lang, und der arbeitet nach wie vor als „Professor emeritus“ an der Klinik für Parodontologie der Universität Bern. Sculean: „Er ist wie eine lebende Enzyklopädie der Parodontologie mit einem wahnsinnigen Wissen, das wir gerne in der Lehre und Forschung nutzen.“

Es sei sicher, so beschreibt sich Sculean, eine seiner Stärken, dass er mit vielen verschiedenen Charakteren zusammenarbeiten könne. So lädt er viele unterschiedliche hochkarätige Kollegen regelmäßig nach Bern zu Vorträgen ein, und auch Niedergelassene, die in seiner Klinik ihre Weiterbildung absolviert haben, werden als Lehrbeauftragte in den Uni-Betrieb eingebunden. Der Umgang mit seinem Team erfolge „auf Augenhöhe“, dies sei ein wichtiges Merkmal der Zusammenarbeit in Bern: „Damit stärke ich mein Team.“

Anton Sculean Behandlung

Die Behandlung der Patienten an der Universität in Bern ist eine Kernaufgabe von Prof. Anton Sculean. © Sculean

Arbeitsalltag in Corona-Zeiten

Als geschäftsführender Direktor der Zahnklinik war – und ist – die Corona-Zeit äußerst fordernd. „Wir haben die Klinik rund sechs Wochen geschlossen und viele der Mitarbeiter ins Home-Office geschickt.“ Das galt natürlich nicht für die Helferinnen und die Dentalhygienikerinnen, die an den Patienten arbeiten. Er habe in dieser Krise viel gelernt – zum Beispiel was es heißt, eine Klinik komplett runterzufahren und in Schichten nur für Notfälle zu arbeiten. Froh ist er, dass man den Studentenunterricht via Zoom komplett auf virtuellen Unterricht umgestellt hat: „Wir mussten keine einzige Vorlesung ausfallen lassen.“ Einer seiner Oberärzte mit entsprechendem Know-how habe sich um die technische Ausstattung dazu gekümmert.

Sculean glaubt, dass diese Corona-Zeit Auswirkungen auf die künftige Gestaltung von großen Kongressen haben wird. Als Vorstandsmitglied der European Federation of Periodontology (EFP) ist er stark eingebunden in die Planung für den nächsten EFP-Kongresses Anfang Juni 2021 in Kopenhagen. „Wir bereiten eine Kombination aus Virtuell- und Präsenzveranstaltungen vor. Man diskutiert das noch. Eines aber ist zu beachten: Nicht nur die Vorträge sind wichtig, auch die menschliche Interaktion auf solchen Meetings ist relevant – wir brauchen dieses Networking für unsere Arbeit.“ Und so sieht Sculean die künftige Kongresswelt als eine gemischte Präsenz- und Digitalveranstaltung: „Man wird zwei Teilnehmerzahlen kommunizieren – eine mit den Teilnehmern vor Ort und eine mit den digital zugeschalteten.“

Präsenz und digital – Hand in Hand

Der jüngste EFP-Kongress war die Master-Clinic am 5. und 6. März diesen Jahres – also unmittelbar vor dem Lockdown. Und dort gab es schon Kollegen mit Online-Vorträgen – rund 50 Prozent der Vorträge waren digital zugeschaltet. Sculean: „Und es war der erfolgreichste EFP-Master-Clinic-Kongress bislang.“ Er ist sich sicher, dass das ein Zukunftsmodell sein wird. Für ideal hält Sculean einen digitalen Anteil von rund zwei Dritteln gegenüber einem Drittel als Präsenzteil – etwa als Hands-on-Angebot.