Digital Dentistry

Scanner als Therapie- und Diagnostiktool

Intraoralscanner gelten schon längst nicht mehr als bloße Alternative zum herkömmlichen Abdruck. Neue Softwaretools eröffnen ungeahnte Therapie- und Diagnosemöglichkeiten. Das Spektrum reicht von Kariesdiagnostik über Patientenmonitoring bis hin zur dynamischen Artikulation. Wie die neuen Tools den Behandlungsablauf revolutionieren, erklärt Scan-Pionier Dr. Andreas Adamzik aus Dorsten/Gelsenkirchen.


Ausgangssituation


Herr Dr. Adamzik, obgleich es die Tools erst jetzt standardmäßig gibt, sind Patientenmonitoring und die dynamische Artikulation in Ihrer Praxis schon etabliert. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Adamzik: Seit rund vier Jahren nutzen wir unseren TRIOS 3-Scanner immer mehr auch für diagnostische Maßnahmen. Dazu werden alle Neupatienten erst einmal gescannt, bei neuen zahnmedizinischen Fragestellungen aber auch Bestandspatienten. Der Ganzkieferscan dient uns zusätzlich und ähnlich wie ein OPG als Ausgangsbefund. Im jährlichen Recall lassen sich Veränderungen nachvollziehen, vom Okklusionsmuster über Verschiebungen im Biss bis hin zu Abrasionen. Man vergleicht die Ausgangsaufnahmen mit den Folgescans. Musste ich bislang die Daten dafür an ein externes Labor leiten, das über eine entsprechende Matching-Software verfügt, bietet das auf der IDS vorgestellte Upgrade dafür ein spezielles Tool. Das beschleunigt die Diagnostik natürlich ungemein.

… weil die Daten automatisch über die neu integrierte Software gematcht werden?
Adamzik: Richtig. Und das spart mindestens zehn Minuten Zeit pro Fall. Das „Ans-Labor-Schicken“ und das aufwendige Vergleichen entfallen.

Kontrovers diskutiert wird und wurde stets, dass sich die schädelbezügliche Position nicht in den Artikulator überführen lässt. Ist das Problem mit dem Motion-Tool vom Tisch?
Adamzik: Es ist bedingt vom Tisch, wenn die neue Funktion „Motion“ kommt. Mit dieser Funktion lassen sich die tatsächliche Bewegungen – Seitwärts- und Protrusionsbewegungen – des Patienten aufzeichnen und in den Dental-Designer der CAD-Software überführen.

In den Dental-Designer, nicht in den Artikulator?
Adamzik: Ja, ich bevorzuge den virtuellen Artikulator der CAD-Software. Das schädelbezügliche Einartikulieren liefert letztlich nur Mittelwerte, wie Untersuchungen der Universität München gezeigt haben.


Warum?
Adamzik: Es existiert kein zentraler Kondylenpunkt, an dem man sich orientieren könnte. Dieser Kondylenpunkt wird zwar per Gesichtsbogen einartikuliert, und alle Winkel und alle Bewegungsbahnen haben den Ausgangspunkt in diesem zentralen Kondylenpunkt, doch MRT-Aufnahmen verschiedenster Untersucher haben gezeigt, dass es diesen Punkt nicht gibt, dass es sich also um einen imaginären Punkt handelt. Deshalb sind alle Einartikulationen Mittelwertsbetrachtungen! Diese Untersuchungen wurden schon 2008 von Pallat veröffentlicht und in einer Dissertation der Kollegin Anne End von der Uni München nunmehr zahnmedizinisch bestätigt.

Was ist die Lösung?
Adamzik: Systeme zu wählen, die die Mittelwertsbetrachtung nicht mehr als State oft the Art betrachten, sondern die tatsächlichen Bewegungen der Patienten übertragen. Und diese „Motion“-Funktion bringt 3Shape voraussichtlich Ende des Jahres, und das ist ein wichtiger Schritt in der digitalen Herstellung interferenzfreien Zahnersatzes.

Erwarten Sie, dass mit dem nun immer größer werdenden Spektrum an Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten bald mehr Zahnärzte scannen werden als bislang?
Adamzik: Ich will es hoffen. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, warum so viele Zahnärzte an komplett digital arbeitende Labore nach wie vor analoge Arbeitsunterlagen schicken.
Da sich der Scanner heute in immer mehr Bereichen einsetzen lässt, angefangen bei der Diagnostik und Prävention über den prothetischen Workflow bis hin zur CMD-Therapie und Archivierung, eröffnen sich für die Praxen ganz neue Geschäftsfelder. Das schlägt sich in unserer Praxis – ich scanne seit acht Jahren an meinen beiden Standorten in Gelsenkirchen und Dorsten – in der Wirtschaftlichkeit ganz deutlich nieder. Über kurz oder lang wird das die Kollegen überzeugen. Da bin ich mir sicher.


Dennoch gilt der Modellscanner derzeit als Standard, sogar 3Shape hat zur IDS eine neue, schnellere Variante präsentiert. Wieso läuft die Entwicklung derart schleppend?
Adamzik: Das frage ich mich auch. Intraoralscanner formen deutlich genauer ab, da kommt das Modellscannen nicht mit. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Präparationsgrenzen. Das Konventionelle birgt definitiv zu viele Risiken. Das beginnt bereits beim Ausgießen des Modells. Wie wird der Polyether/Silikon gelagert, wann wird ausgegossen und unter welchen Voraussetzungen, bei welcher Temperatur, bei welchem Luftdruck, bei welchem Workflow? All das vergrößert das Fehlerpotenzial.
Würden die Kollegen darüber hinaus noch realisieren, dass die Umstellung auf den digitalen Scan nicht nur genauer, sondern auch wirtschaftlicher ist, würde die Digitalisierung schneller voranschreiten. Wir machen je Standort – in Dorsten und Gelsenkirchen – allein durch das Scannen seit 2013 je System jedes Jahr 8.000 bis 10.000 Euro Gewinn vor Steuern. Rechnet man die Zeitersparnis noch dazu, steigt der Gewinn auf 20.000 Euro vor Steuern pro Jahr und Standort.

Viele halten für die Totalprothetik die Situations- bzw. Funktionsabformung auch heute noch für ein Muss. Sie haben sich bereits 2013 komplett von der konventionellen Abformung verabschiedet. Wie gelingt das für die Totalprothetik?
Adamzik: Dafür haben wir spezielle Bissrelationsbestimmungen erarbeitet. Ich scanne den zahnlosen Ober- und Unterkiefer. Mit dem TRIOS ist das möglich, die Orientierungsstrukturen reichen aus. Im Oberkiefer scanne ich den Gaumen mit. Dann lasse ich einen Bissschlüssel, einen sogenannten JIG, anfertigen, um die Zuordnung der zahnlosen Kiefer in der richtigen Bisshöhe darzustellen. Anschließend wird die Basis gefräst und die Wachsaufstellung darauf vorgenommen. Vorteil: Aufgrund des Scans werden anders als bei der Funktionsabformung „unter sich gehende Bereiche“ des Kiefers nicht ausgeblockt, und die Prothesen haften perfekt.


Auf der IDS stand vielfach die Scanschnelligkeit im Fokus, was hat sich da getan?
Adamzik: In unserer Praxis scannen wir inzwischen jeden Kiefer in weniger als einer Minute.

Aber nicht mit Präparation?
Adamzik: Mit Präparation liegen wir etwa bei 2 bis 2:30 Minuten. Für acht präparierte Zähne für eine teleskopierende Arbeit brauchen wir in der Regel circa 3:30 Minuten! Unsere „schlechteste Zeit“ betrug 5:20 Minuten, allerdings bei schwierigen Bedingungen, zum Beispiel 2–3 Millimeter subgingivale Präparation und entzündliche Gingivaprozesse.

Delegieren Sie das Scannen der Präparationen?
Adamzik: Nein, ich lasse sie wohl von meinen ZFAs vorscannen. Die tatsächliche Präparationsgrenze wird dann von mir bestimmt, genauso wie das Bissregistrat.

TRIOS-Marktbegleiter werben mit einer subgingivalen Scantiefe von 20 mm …
Adamzik: Wichtiger als die Scantiefe ist richtige Schleimhautmanagement. Denn man kann nur das scannen, was man sieht. Wir nutzen dafür die Doppelfadentechnik oder lasern erst und legen dann einen ganz dünnen Faden ein, in 0-er- oder 1-er-Größe, da gibt es Spezialfäden. Die Primärfäden werden unterhalb der Präparationsgrenze gesetzt und für den Scan im Sulkus belassen. Dann erkennt der Scanner die Präparationsgrenze genau. Das lässt sich auch überprüfen.

Reicht denn die TRIOS-Scantiefe aus?
Adamzik: Definitiv, sie liegt bei 16 bis 17 mm, damit lassen sich problemlos alle subgingivalen Präparationen abformen. Viele Systeme nehmen jedoch nur bis 10 oder 12 Millimetern Scantiefe auf, das reicht natürlich nicht, um jede Indikation abzuformen.


Welche Unterschiede gibt es zwischen den gängigen etablierten Systemen?
Adamzik: Die neueste Studie von Prof. Dr. Albert Mehl, Zürich, bestätigt, dass führende Scanner so gut geworden sind, dass der Ganzkieferscan möglich ist, was meine vor zwei Jahren getätigte Aussage bei Ihnen bestätigt, da ich auch zu diesem Zeitpunkt schon über einen TRIOS 3 und die entsprechende Software verfügte, die nunmehr von Herrn Prof. Mehl und Team untersucht worden ist. Leider hinkt da die Wissenschaft der Zeit hinterher! Ganz wichtig ist das Einhalten des Scanpfads. Unbedingt gilt es die vom Hersteller vorgegeben Scanwege einzuhalten.

Sie haben den Ganzkieferscan ja schon vor der Studie in Angriff genommen.
Adamzik: Richtig, und wir konnten die höhere Genauigkeit ebenfalls nachweisen. Wir messen bei konventionellen Abdrücken Abweichungen von etwa 120 µm, und die unterschreiten wir mit dem Intraoralscanner mit 46–60 µm deutlich. Schwierig wird es zwar, wenn die Pfeiler divergieren. Das ist aber eine Trainingssache. Vor allem bleibt die Dimensionstreue gewahrt, da die Verwindung des Unterkiefers anders als beim konventionellen Abdruck bei der richtigen Scanstrategie nur bedingt eine Rolle spielt. Das ist auch der Grund, weshalb es in der Implantologie mit divergierenden Settings so gut funktioniert! Wir freuen uns, dass dies nun auch in einer wissenschaftlichen Studie belegt wurde.

Sind die Scanwege unterschiedlich oder indikationsabhängig?
Adamzik: Ja, die Scanstrategien sind in jedem Fall indikations- und situationsabhängig! So spielt die Scanstrategie bei Einzelkronen und kleinen Seitenzahnbrücken nur eine untergeordnete Rolle! Bei ausgedehnten Frontzahnrestaurationen muss zum Beispiel der Scanpfad von 4–4 ohne Unterbrechung und nach Herstellerangaben ausgeführt werden, da die Algorithmen genau darauf ausgerichtet sind. Dies gilt auch für teleskopierende prothetische Arbeiten, wenn nur wenige Restzähne vorhanden sind! Genau deshalb bilde ich Zahnärtzte/-innen in unseren Kursen immer indikationsbezogen aus.


Kommen wir zum neuen Tool „Kariesdiagnostik“. Braucht es dafür den neuen TRIOS 4, oder reicht das nächste Upgrade?
Adamzik: Man bekommt grundsätzlich alle Updates, also das Patientenmonitoring, die Motion-Funktion, nicht aber das Tool zur Kariesdiagnostik. Denn dafür braucht es ein anderes LED-Licht und einen anderen Aufsatz, um die Approximalkaries optimal darstellen zu können – eine neue Technik, aber mit besseren Ergebnissen als mit herkömmlichen Kariesdetektionsgeräten!

Sprich: Wer derzeit einen 3Shape 3 hat, muss auf die Kariesdiagnostik verzichten, es sei denn, er kauft sich einen neuen Scanner?
Adamzik: Korrekt, aber wie gesagt, er erhält sämtliche anderen Updates und Diagnostiktools wie Farbauswahl, HD-Fotos, Patientmonitoring und so weiter.