Weiß, verschraubt, komplett metallfrei
Die neue Generation der zweiteiligen Keramikimplantate bietet neben zahlreichen Vorteilen die gleiche prothetische Flexibilität wie Titanimplantate. Auch die Datenlage wird stetig besser. Selbst wenn man auf Langzeitüberlebensraten noch warten muss, die Fallbeispiele überzeugen bereits heute.
Ein natürliches und biokompatibles Material für den Ersatz des verloren gegangenen Zahns ist der Wunsch vieler Patienten. In der prothetischen Zahnmedizin hat sich basierend auf diesem Bedürfnis die Vollkeramik durchgesetzt. Auch in der dentalen Implantologie wird mehr und mehr auf die „weiße“ Alternative zurückgegriffen. Denn Zirkonoxid erfüllt die Ansprüche an ein Zahnersatzmaterial in ganz besonderer Weise.
Grundsätzlich unterscheidet sich Zirkonoxid (Oxidkeramik) von anderen keramischen Materialien (z. B. Glaskeramik) in wesentlichen Eigenschaften, deren Ursache im Werkstoff zu finden ist. Zu differenzieren sind verschiedene Arten von Zirkonoxid, denn Zirkonoxid ist nicht gleich Zirkonoxid. Je nach Zusätzen kann das Material in unterschiedlichen Phasen vorliegen. Der Anteil der Zusätze (z. B. Yttriumoxid, Y2O3) bestimmt die Ausbildung der monoklinen, tetragonalen und kubischen Phase. Dies wiederum spiegelt sich in den Materialeigenschaften wider. In der Kronen- und Brückentechnologie wird Zirkonoxid seit vielen Jahren verwendet. Seit einigen Jahren nimmt es nun in der Implantologie erfolgreich seinen Platz ein. Klassisches Zirkonoxid besteht aus einem mit 3 Mol% Y2O3-dotierten tetragonalen polykristallinen Zirkonoxid (TZP: tetragonal zirconia polycrystal). Bei höherer Dotierung von Y2O3 steigt der Anteil der kubischen Phase (4Y-TZP, 5Y-TZP), eine Modifikation, die insbesondere die lichtoptischen und mechanischen Eigenschaften (z. B. Transluzenz, Biegefestigkeit) beeinflusst. Wird der Volumenanteil von Aluminiumoxid erhöht, entsteht eine hohe Biegefestigkeit. Vor allem für Implantate sind die mit Aluminiumoxid verstärkten Zirkonoxide (alumina toughenend zirconia, ATZ) aufgrund ihrer Stabilität prädestiniert. Beispiel ist das NobelPearl-Implantat (Nobel Biocare), das aus heißisostatisch gepressten (HIP) ATZ-Rohlingen gefräst wird. Da nach der Formung der externen und internen Implantatgeometrie keine thermischen Prozesse (Sintern) oder Feinarbeiten mehr stattfinden, sind eine hohe Formgenauigkeit und Präzision gewährleistet.
Aluminiumverstärktes Zirkondioxid (ATZ) am Beispiel von NobelPearl:
- Materialzusammensetzung: 76 % ZrO2, 20 % Al2O3, 4 % Y2O3
- Biegefestigkeit: 2000 MPa
Die Biegefestigkeit spielt eine entscheidende Rolle. Definiert ist dieser Materialkennwert als der Widerstand, den ein Material der Biegung bis zu seinem Bruch entgegenstellt. Bei thermogehipptem Zirkonoxid beträgt der Biegefestigkeitswert zirka 1200 MPa. Titan erreicht 400 MPa. Ermüdungsfestigkeitsuntersuchungen (fatigue strength) haben gezeigt, dass die Festigkeitswerte von Zirkonoxidimplantaten teilweise um 30 % höher liegen als die von Titanimplantaten mit gleichem Durchmesser [5, 8, 9, 13,]. Zudem zeigten In-vitro-Alterungsversuche (30 Jahre Alterungstest) bei Zirkonoxidimplantaten Bruchfestigkeitswerte, die mehr als 30 % über der kritischen Marke von Titanimplantaten liegen.
Status quo: Zirkonoxid
Aufgrund seiner biologischen Eigenschaften – ausgezeichnete Biokompatibilität, geringe Plaqueakkumulation, positive Eigenschaften für periimplantäre Weichgewebe – stellt ATZ-Zirkonoxid in der Implantologie eine echte Alternative zum bewährten Titan dar. Zirkonoxid ermöglicht eine mit Titan vergleichbare Osseointegration. Der Removal Torque (RTQ) und der Bone to Implant Contact (BIC) sind dabei wichtige Kriterien für die Beurteilung der Osseointegration. Zwischen Titan und Zirkonoxid konnte kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt werden [7]. In verschiedenen Übersichtsarbeiten wurde gezeigt, dass Zirkonoxidimplantate biokompatible sowie gute mechanische Eigenschaften aufweisen und mit ihnen im Vergleich mit Titanimplantaten bessere Weichgewebereaktionen und ästhetischere Ergebnisse bei ebenso guter Osseointegration erzielt werden können [2, 15]. Und auch die Ergebnisse hinsichtlich des krestalen Knochenniveaus sowie der kumulativen Überlebensrate von Keramik- und Titanimplantaten sind ähnlich gut [10, 11]. Es zeigte sich in einem Vergleich (4-Jahres-Zeitraum), dass es in Bezug auf das krestale Knochenniveau keine Unterschiede zwischen ein- und zweiteiligen Zirkonoxidimplantaten zu geben scheint [14]. Zudem sind die Ergebnisse hinsichtlich der biologischen Eigenschaften vielversprechend. In einem systematischen Review konnte beispielsweise eine geringere Anlagerung von parodontologisch pathogenen Bakterien auf Zirkonoxidimplantaten festgestellt werden [12]. Betrachtet man das Verhalten des periimplantären Weichgewebes auf Zirkonoxid bzw. die Durchblutung des Gewebes um die Implantate, sind mit natürlichen Zähnen vergleichbare Reaktionen festzustellen. Die Mikrozirkulation an Keramikimplantaten in die periimplantäre Mukosa ist vergleichbar mit jener um einen natürlichen Zahn [6]. Die wissenschaftlichen Daten bestätigen sich auch im klinischen Praxisalltag. Das periimplantäre Weichgewebe und die ästhetischen Parameter sind sowohl bei Zirkonoxidimplantaten als auch bei Bone-Level-Titanimplantaten mit Zirkonoxidaufbauten sehr natürlich. Zugleich weist Zirkonoxid eine geringere Plaqueakkumulation und niedrigere Blutungsneigung auf als maschinierte Titanabutments [3]. Darüber hinaus konnte in einem systematischen Review eine geringere Anlagerung von parodontologisch pathogenen Bakterien auf Zirkonoxidimplantaten festgestellt werden [12]. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die wissenschaftliche Datenlage zu Zirkonoxidimplantaten umfangreich ist. Es sind zahlreiche klinische Studien- und Untersuchungsergebnisse verfügbar, die die Evidenz ergänzen. Dem Praktiker wird somit Sicherheit gegeben, keramische Implantate im Arbeitsalltag einzusetzen.
Prothetische Flexibilität
Idealerweise bieten keramische Implantate auch hinsichtlich der prothetischen Versorgung gleich gute Möglichkeiten wie bewährte zweiteilige Titanimplantate. Kompromisslösungen sind unbefriedigend. Die Vorzüge zweiteiliger Implantate gegenüber den einteiligen liegen u. a. in der prothetischen Flexibilität. Ein weiterer besonderer Vorteil der Zweiteiligkeit besteht in der Möglichkeit der verschraubten Suprakonstruktion. Der Zementierungsspalt entfällt. Somit ist eine mögliche Ursache für Periimplantitis beseitigt. Ebenso ein Vorteil der Zweiteiligkeit ist die Möglichkeit der geschlossenen Einheilung mit simultaner horizontaler Augmentation. Und es ist ein direkter oder indirekter Sinuslift nach einem Protokoll wie bei Titanimplantaten möglich. Derzeit fehlen für zweiteilige Implantatsysteme zwar noch ausreichend Langzeitdaten, die insbesondere für den Seitenzahnbereich Sicherheit geben, doch die Prognosen scheinen gut. Eine retrospektive statistische Analyse einer Innsbrucker Arbeitsgruppe untersuchte zweiteilige Zirkonoxidimplantate. Ausgewertet wurde die Rate der an den Hersteller zurückgesendeten Implantate in Relation zu den ausgelieferten Implantaten innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren. Die „Success-Rate“ lag zwischen 96,7 und 99,4 % unter Annahme einer 2%igen Quote von nicht eingeschickten, verloren gegangenen Implantaten [4].
Material und Oberfläche
Sollen einzelne Zähne im Seitenzahngebiet ersetzt werden und werden dabei alle Herstellerparameter sowie die funktionellen Gegebenheiten präzise eingehalten, sind nach Ansicht des Autors zweiteilige Zirkonoxidimplantate eine echte Alternative zu Titanimplantaten. Beispiel für ein keramisches Implantatsystem ist NobelPearl (Nobel Biocare); eine 100 % metallfreie zweiteilige Lösung mit zementfreier Innenverbindung. NobelPearl-Implantate werden aus hartem, gehipptem Zirkonoxid (ATZ) mittels spezifischer Bearbeitungstechnik hergestellt. Das NobelPearl-Implantat hat eine hydrophile sandgestrahlte und geätzte Oberfläche (Zerafil), was für die Osseointegration ebenso vorteilhaft ist wie die teilweise maschinierte Schulter [2].
Verschraubbare Innenverbindung
Die Innenverbindung bei zweiteiligen keramischen Implantaten war lange Zeit eine Fragestellung, mit der sich die Forschung intensiv auseinandergesetzt hat. Nobel Biocare löste das Problem mit einer neuartigen Technologie, die komplett auf ein Verkleben oder Zementieren verzichtet. Ähnlich wie bei bewährten Titanimplantaten wird auf das Verschrauben gesetzt, nur eben komplett metallfrei. Basis für die Keramik-Keramik-Verbindung ist die Viacarbo-Schraube. Die karbonfaserverstärkte Polymerschraube hält aufgrund der durchgehenden, längs verlaufenden Karbonfasern hohen Zugkräften stand. Das spezielle Design (Inter-X-Innenverbindung) wurde eigens für die Keramikimplantate entwickelt. Die passgenaue Innenverbindung in Kombination mit der Schraube ist das Herzstück von NobelPearl. Die Verbindung erreicht eine hohe Ermüdungsfestigkeit, ist rotationsgesichert und spannungsfrei.
Der konkrete Fall
Die 20-jährige Patientin konsultierte die Praxis mit einer Nichtanlage der Zähne 35 und 45. Die persistierenden Milchzähne 75 und 85 konnten aufgrund einer kompletten Wurzelresorption nicht erhalten werden (Abb. 1 und 2). Aufgrund einer multiplen Unverträglichkeitsreaktion (u. a. Neurodermitis) wurde gemeinsam mit der Patientin entschieden, die Zähne nach der Extraktion mit Keramikimplantaten und Vollkeramikkronen zu ersetzen.
Chirurgischer Ablauf
Nach einer Oberflächenanästhesie und folgender Infiltrationsanästhesie wurden die Zähne 75 und 85 mit einem Periotom minimalinvasiv entfernt. Anhand der Nachbarzähne wurde mit einem dreidimensional ausgerichteten Pilotbohrer eine Pilotbohrung (11 mm) vorgenommen (Abb. 3). Entsprechend dem Bohrprotokoll wurde die Pilotbohrung auf den notwendigen Durchmesser erweitert (Abb. 4). Die Bohrer haben eine Bone-Kollektor-Eigenschaft (Abb. 5), sodass die gesammelten Bohrspäne ggf. für eine Augmentation verwendet werden können. Nach der Aufbereitung wurde die Bohrkavität mit einer stumpfen Sonde taktil kontrolliert. Das doppelt steril verpackte NobelPearl-Implantat konnte unkompliziert dem Blister entnommen und das Eindrehinstrument entsprechend aufgebracht werden. Das formschlüssige Instrument ist speziell für die Inter-X-Innenverbindung konstruiert, sodass eine optimale Kraftübertragung während der Insertion gewährleistet wird. Cleveres Detail: Die Eindrehinstrumente sind so konzipiert, dass ein zu hohes Drehmoment automatisch eine Fraktur forciert (Sollbruchstelle). So wird eine irreversible Schädigung des Keramikimplantats vermieden. Es folgte die manuelle Insertion des Implantats, wobei das finale Drehmoment von 25–30 Ncm mit einer Handratsche erreicht wurde (Abb. 6). Hinsichtlich der Platzierung gilt, dass das NobelPearl-Implantat mit der Implantatschulter suprakrestal positioniert sein sollte (Abb. 8) und insbesondere im Frontzahnbereich aus ästhetischen Gründen zirka 1–2 mm vom Weichgewebe bedeckt ist. Nach der Insertion der Implantate und dem Einbringen der Verschlusskappen wurde das OP-Areal minimalinvasiv mit Matratzenumschlingungsnähten (6/0) verschlossen (Abb. 8 und 10). Die Nahtentfernung erfolgte sechs Tage später.
Vollkeramische Implantataufbauten
Nach einer Einheilzeit von drei Monaten konnte die Stabilität der beiden Implantate für gut befunden werden. An beiden Implantaten wurde beim Periotest ein Wert von jeweils –7 evaluiert. Die keramischen Verschlussschrauben (Abb. 10) wurden entfernt und der Innenraum der Implantate wurde gereinigt sowie desinfiziert. Um ein Eindringen von Keimen und die Reinfektion des periimplantären Gewebes zu verhindern, erfolgte eine Versiegelung mit dem Silikonmatrix-Wirkstoffkomplex GapSeal (Fa. Hager & Werken).
Als Implantataufbau ergänzen die NobelPearl-Abutments das System. Die Abutments bestehen ebenfalls aus dem hochstabilen ATZ-Zirkonoxid und sind gerade sowie abgewinkelt (15°) verfügbar. Zudem gibt es die NobelPearl-CeramicBase für den digitalen Workflow. Die Abutments lassen sich beschleifen und können so individuell der Situation angepasst werden. In diesem Fall wurden 0°-NobelPearl-Abutments mit einem Finierdiamanten (Körnung 30 Mikrometer) bei hoher Drehzahl und unter Wasserkühlung okklusal reduziert (Abb. 11). Es ist auf ein druckloses Schleifen zu achten, um das Zirkonoxidabutment nicht zu schädigen. Anschließend wurden die Abutments mit der Vicarbo-Verschlussschraube im Implantat verschraubt, die Schraube wurde mit Teflonband abgedeckt und der Schraubenkanal mit einem Silan (Monobond plus, Ivoclar Vivadent) konditioniert sowie mit Flowkomposit verschlossen.
Vollkeramische Kronen
Für das Herstellen der Kronen wurde die Situation mit dem Intra‧oralscanner (True Definition, 3M) erfasst und die Datensätze wurden an das Labor übermittelt. Der Zahntechniker importierte die STL-Daten direkt in die CAD-Software. Die Gefahr von Übertragungsfehlern, wie sie auf konventionellem Weg auftreten können, ist im digitalen Verfahren signifikant reduziert. In der CAD-Software wurde das Zirkonoxidgerüst (NobelProcera, Nobel Biocare) in verkleinerter Kronenform (anatomisch unterstützt) konstruiert (Abb. 12). Parallel dazu wurden 3D-Druckmodelle beim Fertigungsdienstleister (Drewe) geordert. Basierend auf den physischen Modellen erfolgte unter Berücksichtigung der ästhetischen sowie funktionellen Belange die individuelle keramische Verblendung. Eine Einprobe der Kronen im Mund der Patientin bestätigte Passung, spannungsfreien Sitz, Hygienefähigkeit sowie ideale optische Integration. Zudem wurden die funktionellen Gegebenheiten (statische und dynamische Okklusion) überprüft. Insbesondere Frühkontakte in der Laterotrusion gilt es zu vermeiden. Für die adhäsive Befestigung der Kronen auf den Zirkonoxidabutments wurden die Kroneninnenflächen gereinigt sowie mit Rocatec soft (3M) bei einem Druck von 2 bar angestrahlt. Die konditionierte Oberfläche bildete die Basis für die sichere adhäsive Befestigung. Nach der Polymerisation des selbstadhäsiven Befestigungsmaterials (RelayX unicem transparent, 3M) wurden die Überschüsse mit einem Scaler entfernt und der Kronenrand wurde mit einem diamantierten Poliergummi geglättet. Die Patientin konnte nach einem Briefing zur häuslichen Mundhygiene und dem Recallplan aus der Praxis entlassen werden. Die reizfreien Weichgewebe bestätigen klinisch die hervorragende Integration der Keramikimplantate (Abb. 13).
Resümee
Vom Einzelzahn bis zur implantologischen Komplettversorgung besteht heutzutage die Möglichkeit, dem Patienten metallfreie Rekonstruktionen anzubieten. Für eine optimale Osseointegration werden die Oberflächen von Zirkonoxidimplantaten industriell minimal angeraut (Sa-Wert 0,5–1 Mikrometer). Diese Mikrorauigkeit bietet hervorragende Eigenschaften für die Osseointegration [1, 16]. In aktuellen wissenschaftlichen, tierexperimentellen Studien durch die Friedrich-Schiller-Universität Jena konnten o. g. Ergebnisse bestätigt werden. In der Praxis des Autors werden seit mehr als zehn Jahren keramische Implantate verwendet. Es gibt umfangreiche positive Erfahrungen mit einteiligen Keramikimplantaten. Die zweiteiligen NobelPearl-Implantate bilden eine optimale Ergänzung des Behandlungsportfolios und ermöglichen es, die Erwartungen der Patienten bezüglich Ästhetik, Biokompatibilität, Hygienefähigkeit und langlebigen Behandlungssicherheit zu erfüllen.
Der Experte
Dr. Wolfram Olschowsky
Seit 1994 niedergelassen in eigener Praxis in Hörselberg-Hainich, Zahntechniker und Zahnarzt, Tätigkeitsschwerpunkte Implantologie und Parodontologie, Fortbildungsreferent.