Minimalinvasive Implantologie

Weichgewebserhalt durch lappenloses chirurgisches Protokoll

Untersuchungen zu verschiedenen Implantationsverfahren stützen sich häufig in erster Linie auf ‧Überlebens- und Erfolgsraten sowie auf die Veränderung des Knochenniveaus als Bewertungskriterien. Doch nicht zuletzt aus ästhetischen Gesichtspunkten stellen zudem insbesondere Veränderungen des Weichgewebes einen interessanten Faktor dar. Der folgende Beitrag wirft daher anhand einer ‧Auswahl von Studien einen Blick darauf, welche Auswirkungen auf das periimplantäre Weichgewebe lappenlosen Implantationsverfahren zugeschrieben werden.



Khzam et al. nahmen [1] bei ihrer Untersuchung eine Reihe von klinischen Fällen in den Blick. Insgesamt 13 Patienten, bei denen im vorderen Oberkiefer mindestens ein lappenlos sofortinseriertes Implantat inklusive sofortiger provisorischer Versorgung zum Einsatz kamen, wurden auf diese Weise in die Studie miteinbezogen (Abb. 1 und 2). Sie wurden über einen Zeitraum von zwölf bis 37 Monaten hinweg (durchschnittliche Dauer von 23,2 ± 7,6 Monaten) alle sechs Monate zu Nachuntersuchungsterminen einbestellt. Nachdem drei Monate nach der Implantation die Versorgung der Patienten mit einer definitiven Restauration erfolgte, fand mindestens weitere neun Monate danach eine Nachuntersuchung statt, bei der neben Überlebens- und Erfolgsraten sowie der Veränderung des Knochenniveaus ganz explizit auch Weichgewebsveränderungen untersucht wurden.


Weichgewebsparameter im Fokus

Für die Beurteilung der Hartgewebsveränderung griffen die Autoren auf Röntgenaufnahmen zurück, die Messungen des Weichgewebes erfolgten anhand von Fotografien. Hierzu wurden Aufnahmen aus einem festgelegten Winkel und mit festgelegtem Zoomfaktor angefertigt, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Eine von den Inzisalkanten der Nachbarzähne gezogene Linie diente als Referenzebene, von der aus das Ausmaß der mesialen sowie der distalen Papille sowie die Distanz zur Mitte des bukkalen Gingivasaums gemessen wurden (Abb. 3). Für die Kalkulation der jeweiligen Strecken setzten die Wissenschaftler eine Software zur Analyse der klinischen Fotos ein. Darüber hinaus bewerteten die Autoren der Studie die Papillen zwischen der implantatgetragenen Restauration und den Nachbarzähnen auf Basis des Papillen-Index nach Jemt [22]. Bei den abschließenden Nachuntersuchungen beobachteten die Wissenschaftler weder Implantatverluste noch mit den Implantaten assoziierte Pathologien. Bei der röntgenologischen Bewertung der Hartgewebsniveaus konnte ein statistisch signifikanter durchschnittlicher mesialer Knochenzuwachs von 1,20 ± 1,01 mm (p < 0,0001) festgestellt werden. Als ebenfalls statistisch signifikant stellte sich der durchschnittliche distale Knochenzuwachs von 0,80 ± 1,14 mm (p = 0,01) dar.

Abb. 3 Wie groß sind die mesiale und die distale Papille sowie die Distanz zur Mitte des bukkalen Gingivalsaums? Als Referenzebene dient eine Linie durch die Inzisal‧kanten der Nachbarzähne.

Mit Blick auf die Weichgewebeveränderungen stellten die Wissenschaftler einen durchschnittlichen Rückgang von 0,20 ± 0,78 mm (p = 0,44) bei der Distanz zur Mitte des bukkalen Gingivasaums sowie Rezessionen von 0,50 ± 1,12 mm (p = 0,24) und 0,30 ± 0,82 mm (p = 0,27) bei der mesialen und distalen Papille fest. Keine dieser Veränderungen erreichte jedoch ein statistisch signifikantes Niveau. Der Vergleich der Papillen-Indizes nach Jemt zum Zeitpunkt der Implantation mit denen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung ergab zudem weder bei den mesialen noch bei den distalen Papillen einen signifikanten Unterschied. Diese Beobachtung weise auf eine kurz- bis mittelfristig stabile Weichgewebearchitektur im Umfeld der Implantate hin. So sei das Ausmaß des in dieser Studie festgestellten Weichgewebsverlustes von minimaler klinischer Signifikanz und scheine auch das ästhetische Ergebnis nicht zu beeinträchtigen. Zurückzuführen sei der relativ geringe Weichgewebeverlust auf die atraumatische Extraktion der zu ersetzenden Zähne, den lappenlosen chirurgischen Ansatz und die Verwendung von partikulärem xenogenen Knochenersatzmaterial.

Überlegen in puncto Formerhalt

Als für den Formerhalt der periimplantären Mukosa von Vorteil bewerteten Lee et al [3] die lappenlose Implantation in ihrer prospektiven klinischen Studie. Sie hatten sich das Ziel gesetzt, die Veränderungen des Weichgewebeprofils im Umfeld lappenlos inserierter Implantate zu untersuchen. Zu diesem Zweck beobachteten sie insgesamt 44 Patienten über einen Zeitraum von vier Monaten nach der Implantation bei denen in Summe 76 Implantate lappenlos inseriert wurden. Um die Veränderungen des Weichgewebes nachvollziehen zu können, fertigten die Wissenschaftler unmittelbar vor der Implantation sowie eine Woche, einen Monat und vier Monate danach Alginatabformungen an und erstellten daraus entsprechende Modelle. Darüber hinaus wurden im Rahmen einer klinischen Untersuchung vier Monate nach der Implantation die Taschentiefen, Gingivaindizes, sowie das Auftreten von bleeding on probing (BOP) und das Vorhandensein keratinisierter Gingiva im Umfeld der Implantate dokumentiert.
Anhand digitalisierter Abbilder der zuvor angefertigten Modelle konnten die Forscher schließlich die Entwicklung des Weichgewebes mesial, distal, bukkal und lingual eines jeden Implantats nachvollziehen. Dabei stellten sie eine Woche nach der Implantation ein durchschnittliches koronales Wachstum von 0,7 ± 0,3 mm fest. Einen Monat post OP betrug dieser Wert 0,2 ± 0,2 mm, nach vier Monaten 0 ± 0,3 mm. Entsprechend ließ sich festhalten: Im Zeitraum eine Woche nach der Implantation bis vier Monate danach konnten zwar signifikante Veränderungen beobachtet werden, verglich man jedoch den Zustand vor dem Eingriff mit demjenigen vier Monate danach, so waren die Unterschiede nicht signifikant – temporär nehme das Weichgewebeniveau etwas zu, um schließlich wieder zum Ausgangsniveau zurückzukehren. Auf Basis einer durchschnittlichen Sondierungstiefe von 0,9 mm, niedriger Gingiva- und BOP-Indizes attestierten die Autoren den periimplantären Mukosen in ihrer Stichprobe zudem eine exzellente Gesundheit.
Diese Ergebnisse legten nahe, dass die lappenlose Implantation der Lappen-Implantation in puncto Formerhalt der periimplantären Mukosa überlegen sei. Die Erkenntnisse stellten demnach ein Argument für den Einsatz der lappenlosen Chirurgie im Frontzahnbereich dar, um die ästhetischen Resultate zu optimieren.

Flapless weitergedacht:

  • Ein lappenloses Implantationsverfahren heißt MIMI (Champions Implants, Flonheim). Mit einer Besonderheit: Es ergänzt die lappenlose Vorgehensweise (flapless approach) in der ‧chirurgischen Phase um einen entscheidenden Aspekt in der prothetischen Phase. Denn dank des sogenannten Shuttles muss hier keinerlei Wiedereröffnung der Gingiva erfolgen.
  • Der Shuttle fungiert dabei gleichzeitig als ‧chirurgische Verschlussschraube und als ‧Gingivaformer. Das mit der Wiedereröffnung der Gingiva assoziierte Risiko von Weich- und Hartgewebsabbau wird auf diese Weise vermieden (Abb. 4). So kombiniert das MIMI-Verfahren die Vorzüge der lappenlosen Insertion mit einem relevanten Vorteil in der prothetischen Phase.
  • Der chirurgische Eingriff erfolgt im Low-Speed-Verfahren, zunächst mit langen, konischen ‧Dreikantbohrern. In der Kompakta sieht das ‧MIMI-Bohrprotokoll eine Umdrehungszahl von 250 U/min vor, in der Spongiosa 50 bis 70 U/min. Dies ermöglicht die sogenannte ‧CNIP-Navigation (Cortical Navigated Implantation Procedure), bei der der Bohrer von der kortikalen Schicht des Kieferknochens geführt wird und dementsprechend stets in der Spongiosa verbleibt (Abb. 5–10).
  • Bei der Wahl des letzten Bohrers kommt zudem ein Durchmesser zum Einsatz, der ‧circa 0,5 mm größer ist als der Implantatdurchmesser. Auf diese Weise wird eine ‧krestale ‧Entlastung sichergestellt. Lässt es die Anatomie zu, wird optimalerweise 1 bis 2 mm subkrestal implantiert – so bleibt der „Platform-Switching-Effekt“ vollumfänglich erhalten.
  • Bei schmalen Kieferkämmen ist die Implantation im MIMI II-Verfahren nach Dr. Ernst Fuchs-Schaller möglich, das ebenfalls auf der CNIP-Navigation basiert. Zusätzlich kann bei Bedarf ein interner, direkter Sinuslift als minimal‧invasive Vorgehensweise zur Anhebung des Kieferhöhlenbodens erfolgen.

Gesundes periimplantäres Weichgewebe

Eine Bewertung der Weichgewebeverhältnisse sowie der Veränderungen des marginalen Knochenniveaus ein Jahr post implantationem nahmen Jeong et al. [4] in ihrer prospektiven klinischen Studie vor. Dabei untersuchten sie 241 Patienten, bei denen insgesamt 432 Implantate mittels lappenlosen chirurgischen Vorgehens inseriert wurden. Bei rund der Hälfte (50,3 Prozent) der Patienten handelte es sich um Einzelimplantatversorgungen, 31,2 Prozent wurden mit zwei und 13,9 Prozent mit drei Implantaten versorgt. Die übrigen 4,6 Prozent der Patienten erhielten vier oder mehr Implantate.

Alle Patienten erhielten enossale Implantate mit einem Durchmesser von 3,5 mm, 4,0 mm, 4,5 mm oder 5,0 mm und einer Länge zwischen 8,5 und 15 mm. Unmittelbar im Anschluss an die Insertion wurden die Implantate mit Heilabutments mit einem Durchmesser von 4,5 mm oder 5,5 mm und einer Länge von 3 mm oder 5 mm versehen. Nach einer Einheilzeit von drei bis vier Monaten wurde die Stabilität überprüft und die definitive Versorgung vorgenommen.

Zwölf Monate nach der Implantation wurde dann das periimplantäre Weichgewebe eines jeden Implantats nach den folgenden Kriterien untersucht: Es erfolgte eine Messung der Taschentiefen durch Sondieren, Gingiva- und BOP-Indizes wurden erhoben und das Fehlen bzw. das Vorhandensein keratinisierter Gingiva im Umfeld der Implantate wurde festgestellt. Darüber hinaus verglichen die Wissenschaftler unmittelbar nach der Implantation sowie ein Jahr später angefertigte Röntgenaufnahmen des krestalen Knochenniveaus, um Aussagen über das Ausmaß des Knochenabbaus treffen zu können.
Nach dem Beobachtungszeitraum von einem Jahr war keines der 432 Implantate verlorengegangen. Die durchschnittliche Sondierungstiefe betrug 2,1 ± 0,7 mm. Sowohl für den durchschnittlichen BOP-Index als auch für den Gingivaindex dokumentierten die Forscher einen Wert von 0,1 ± 0,3. Lediglich bei sechs der Implantate stellten die Autoren ein Fehlen keratinisierter Mukosa bukkal des Implantats fest. Mit Blick auf die Hartgewebsveränderungen notierten die Wissenschaftler einen durchschnittlichen Knochenverlust von 0,3 ± 0,4 mm bei einer Spannweite von 0,0 bis 1,1 mm.

In ihrer Schlussfolgerung bewerteten die Autoren die lappenlose Implantation aufgrund der vorliegenden Ergebnisse als vorteilhaft für den krestalen Knochenerhalt und die Gesundheit des periimplantären Weichgewebes. Zugleich zeigten die Resultate, dass sich durch ein lappenloses chirurgisches Vorgehen die Erfolgsrate in der Implantologie erhöhen lasse.

Wann besser „Lappenlos“?

In einer prospektiven randomisierten kontrollierten klinischen Studie untersuchten Tsoukaki et al. [5] klinische, röntgenologische, mikrobiologische und immunologische Parameter sowohl von lappenlos als auch nach Lappen-Präparation inserierten Implantaten. Dabei wurden 20 Patienten mit insgesamt 30 Implantaten versorgt, von denen je 15 lappenlos (Testgruppe) und 15 nach Lappen-Präparation (Kontrollgruppe) eingebracht wurden.

Um die Ergebnisse beider chirurgischer Verfahren miteinander zu vergleichen, wurden die Patienten nach einer, zwei, sechs und zwölf Wochen zur Nachuntersuchung einbestellt. Bei den Sondierungstiefen zeigten sich in der Kontrollgruppe nach sechs und zwölf Wochen signifikant höhere Werte als in der Testgruppe: 2,59 ± 0,06 mm vs. 1,88 ± 0,06 mm nach sechs Wochen und 2,43 ± 0,06 mm vs. 1,93 ± 0,06 mm nach zwölf Wochen. Ebenfalls signifikant höher fiel in der Kontrollgruppe der modifizierte Plaqueindex nach Mombelli et al. [6] beim Sechs-Wochen-Recall aus. Und auch beim modifizierten Gingivalindex nach Mombelli et al.[6] kamen in der Kontrollgruppe nach sechs und zwölf Wochen signifikant höhere Werte zustande. Mit Blick auf diese klinischen sowie die ebenfalls untersuchten röntgenologischen, mikrobiologischen und immunologischen Parameter brachte die lappenlose Implantation demnach bessere Ergebnisse hervor als die Implantation nach Lappen-Präparation.

Analyse zentraler Marker-Moleküle

Einen Erklärungsansatz für die positive Weichgewebsentwicklung nach lappenloser Implantation liefern Müller et al. [8]. Im Rahmen ihrer Split-Mouth-Studie inserierten sie zwölf Minischweinen jeweils acht Implantate im Oberkiefer – je vier davon per lappenloser Vorgehensweise und vier nach Bildung eines Mukoperiostlappens. Eine, zwei, vier und zwölf Wochen nach der Insertion wurden Biopsien des periimplantären Weichgewebes genommen und diese auf die Expression von Integrin 4 (ITGB4) und Laminin 2 (LAMC2) hin analysiert. Dabei handelt es sich um zwei wichtige Marker-Moleküle für die Bildung des periimplantären Saumepithels.

Die Autoren stellten fest, dass die LAMC2-Expression in der lappenlosen Gruppe zu allen Messzeitpunkten signifikant höher war als in der Lappen-Gruppe. Die Expression von ITGB4 lag in der lappenlosen Gruppe zwei, vier und zwölf Wochen nach dem Eingriff signifikant höher. In den hier beobachteten Unterschieden sehen die Wissenschaftler eine mögliche Erklärung für die signifikant niedrigeren Sondierungstiefen nach lappenlosen Implantationen, welche You et al. [8] bei ihren Untersuchungen festgestellt hatten. Aufgrund der vorteilhafteren Architektur des periimplantären Saumepithels könnten lappenlos inserierte Implantate zudem weniger anfällig für periimplantäre Läsionen sein.

Fazit
Unter Berücksichtigung der den Studien zugrundeliegenden Einschränkungen [9] fällt auf: Der lappenlosen Chirurgie wird in allen Untersuchungen ein vorteilhafter Effekt auf das periimplantäre Weichgewebe zugeschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die lappenlose Implantation insbesondere dort in Betracht zu ziehen, wo der Erhalt von Form und Gesundheit des periimplantären Weichgewebes von besonderer Bedeutung sind. Es versteht sich von selbst, dass zur besseren Einschätzung der Resultate weitere Publikationen und insbesondere direkte Vergleiche der Weichgewebeverhältnisse nach lappenlosen und Lappen-Implantation herangezogen werden sollten.