Implantologie: Update Sofortimplantation und -versorgung

Sofortimplantation: Safety first

In der oralen Implantologie geht der Trend zur Sofortimplantation und sofortigen Versorgung. Der Vorteil dieses Konzepts in der Frontzahnregion liegt im Erhalt der knöchernen Struktur, der für den ästhetischen Outcome wichtig ist. Auch komplexe Versorgungskonzepte wie All-on-X sind mit Sofortimplantation/-versorgung im Seitenzahnbereich voraussehbar umsetzbar. Auf welche Aspekte es ankommt, damit diese sicher und vorhersagbar zum Erfolg führen, erläutert Dr. Detlef Hildebrand aus Berlin. Sein Motto lautet „Safety first“.


Futuristic abstract symbol of a tooth and dental implant Wireframe dental clinic concept in lowpoly 3D geometric style Vector background illustration


Herr Dr. Hildebrand, seit wann wenden Sie Sofortimplantations- und -versorgungskonzepte an? Und: Welchen Stellenwert haben diese mittlerweile in Ihrem im­plantologischen Leistungs­spek­trum?
Dr. Detlef Hildebrand: Mit der Entwicklung aggressiver Implantatdesigns vor circa 15 Jahren und der 3D-Diagnostik mit virtueller Vorplanung werden Sofortimplantations- und -versorgungskonzepte mehr und mehr in meiner Praxis umgesetzt.
Mittlerweile verfolgen wir das Sofortimplantationskonzept im Front- und Prämolarenbereich seit 15 Jahren und im Oberkieferseitenzahnbereich seit circa sieben Jahren – seitdem Implantate mit größeren Durchmessern von 6–8 mm und aggressiven Gewindedesigns auf dem Markt sind. Dank der aggressiven Implantatdesigns erreichen wir in der Regel immer, selbst in einem kompromittierten Knochen, die notwendige Primärstabilität für eine sofortige Implantation.
Kurz gesagt: Wir implantieren bei rund 80 Prozent aller Zahnextraktionen sofort.

Haben sich die Sofortimplantationskonzepte über die Jahre verändert? Aus welchen Fehlern hat man gelernt?
Dr. Hildebrand: Ja natürlich, ein Beispiel: Als vor rund 25 Jahren das Thema Sofort­implantation aufkam, versuchte man noch den Durchmesser der Zähne mit dem Implantatdurchmesser abzugleichen. Das führte im Frontzahnbereich dazu, dass das Implantat auf die vestibuläre Knochenlamelle großen Druck ausübte – aber das sollte natürlich auf keinen Fall passieren und war damals ein großer Fehler.
Heute wissen wir, dass die ideale Sofort­implantation erstens ein Implantat mit einem geringeren Durchmesser erfordert und zweitens das Implantat in der Alveole etwas nach palatinal zu positionieren ist. Dabei entsteht ein Spalt, der nicht größer als 2 mm zum vestibulären Knochen sein darf. Dieser Gap lässt sich mit unterschiedlichen Vorgehensweisen auffüllen: Unter Verwendung von Biomaterialien oder von PRGF/PRF oder von einer Mischung aus PRGF/PRF mit Eigenknochenspänen. Ich bevorzuge die Methode mit PRGF, weil ich damit eine stabile, vorhersagbare Erfolgsquote erziele.
Aber: Rein wissenschaftlich gesehen, ist es nicht notwendig, diesen Gap aufzufüllen, weil er sich von selbst füllt.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Sofortimplantation gegeben sein?
Dr. Hildebrand: In rund 65 Prozent der Fälle geht es um die Extraktion von endontisch vorbehandelten Zähnen, die apikal beherdet und daher nicht mehr erhaltungswürdig sind. Wenn sich im DVT eine apikale Läsion sehr deutlich als abgekapselte Entzündung zeigt, können wir in solchen Fällen in der Regel – unter Berücksichtigung aller Kautelen – sofort implantieren.
Unser Konzept lautet „Safety-First“ und wir erreichen mit unseren Sofortimplantations-/-versorgungskonzepten vergleichbare Erfolgsquoten wie mit einer Spätimplantation. „Safety First“ meint kurz zusammengefasst:
Keine Sofortimplantation bei akuten Entzündungen.
Bei chronischen Entzündungen (apikale Läsion) wird zunächst der entzündete Bereich entfernt. Im Idealfall – im Oberkieferseitenzahnbereich muss eine ausreichende Knochenhöhe vorhanden sein – bohren wir etwas tiefer, biologisieren die Alveole mit PRGF und inserieren dann das ­Implantat.

Stichwort biologisieren, was heißt das für Sie konkret im Zusammenhang mit der Sofortimplantation?
Dr. Hildebrand: Vor jeder OP, egal ob Extraktion, Augmentation oder Implantation, wird den Patienten Blut abgenommen und zentrifugiert. Biologisieren bei der Sofortimplantation heißt für uns, dass wir PRGF (Plasma Rich in Growth Factors) als flüssige Phase für circa zwei bis drei Minuten in die Alveole injizieren. Danach wird das PRGF-Eigenblut abgesaugt, um für die Implantation einen freien Blick auf die Alveole zu haben. Bevor das Implantat dann inseriert wird, wird es noch mit PRGF-Eigenblut benetzt.
Wir sehen, dass mit PRGF eine beschleunigte Osseointegration nach vier bis sechs Wochen festzustellen ist. Das deckt sich auch mit den Studienergebnissen von Dr. Eduardo Anitua aus Spanien. Aber natürlich klappt das Sofortimplantationskonzept auch ohne Biologisierung.

Was ist vor einer Sofortimplantation bei der Diagnostik und Extraktion zu beachten?
Dr. Hildebrand: Für Sofortimplantations- und -versorgungskonzepte ist vor der Zahnextraktion eine 3D-Diagnostik mit virtueller Vorplanung der Standard. Die 2D-Diagnostik reicht nicht.
Mithilfe einer modernen KI-gestützten Planungssoftware spiele ich virtuell die Extraktion durch, simuliere die Sofortimplantation und plane die Implantatpo­sition digital präzise vor. Die geplante Position kann ich mit der navigierten Implantation exakt 1:1 umsetzen. Seit sechs Jahren arbeite ich mit Navident, weil ich Freihand und doch navigiert vorhersagbar implantieren kann. Beginnern empfehle ich für ein Einzelzahnimplantat die guided Variante mit Bohrschablone. Das ist für jede Sofortimplantation Pflichtprogramm.
Und: Eine atraumatische Extraktion ist die Voraussetzung, dass überhaupt sofort implantiert werden kann. Dafür habe ich mit dem „Magnetic Mallet“, ein kleiner pneumatischer Hammer, ein sehr ­gutes Hilfsmittel gefunden. Grundsätzlich gilt: Auf gar keinen Fall gleich zur Zange ­greifen.

Geben Sie als Überweiser dem überweisenden Kollegen nach der Sofort­implantation „etwas“ mit auf den Weg im Hinblick auf die Nachsorge des Patienten?
Dr. Hildebrand: Grundsätzlich fallen nach einer Sofortimplantation- und -versorgung folgende Termine an: circa 14 Tage nach einer Sofortimplantation mit prothetischer Erstversorgung erscheint der Patient bei uns zur Nachsorge. Kann dieser Kontrolltermin nicht in unserer Praxis stattfinden, bitten wir den Hauszahnarzt explizit darum, die Okklusion zu prüfen – vor allem bei komplexen Versorgungen wie All-on-X.
Nach sechs bis acht Wochen erfolgt im nächsten Termin die Messung des Implantationsstabilitätsquotienten (ISQ-Wert). Dieser dokumentiert, wie fest ein Implantat im Knochen verankert ist. Gleichzeitig wird das Erstprovisorium unterfüttert, um auf das Weichgewebe Druck zur Ausformung auszuüben. Der dritte Termin findet in der Regel drei bis sechs Monate nach Implantatinsertion statt, um nach Abheilung der Weichgewebe noch einmal final abzuformen.
In unserem Zusammenspiel mit dem Überweiser übernehmen wir immer die Leistungen 3D-Diagnostik und Erstprovisorium. Die Überweiser erhalten das Implantatmodell und auf Wunsch auch vorgefertigte Abformlöffel, um nach der Einheilzeit die finale Abformung zu übernehmen. In der Regel liegt auch die finale Prothetik des Patienten bei ihnen.

Haben Sie für Kollegen, die mit Sofortimplantations- und -versorgungskonzepten beginnen wollen, drei Tipps?
Dr. Hildebrand: Tipp eins lautet ganz klar: Das richtige Implantatsystem aussuchen. Mit „richtig“ meine ich ein modernes System auf der Höhe der Zeit, das im Hinblick auf eine möglichst hohe Primärstabilität mit einem aggressiven Gewindedesign ausgestattet ist und eine breite prothetische Variabilität mitbringt. Zu meinem Implantatportfolio gehört daher unter anderen das AnyRidge-Implantatsystem von MegaGen.
Zweitens ist auf alle Fälle mit einer echten Planungssoftware zu arbeiten, um die Implantate virtuell planen zu können. Bei der Wahl des Planungssystems ist beispielsweise nach den konkreten Kosten zu fragen, und auch wie viel eine Bohrschablone kostet. Diese Kosten sind je nach Planungssystem durchaus unterschiedlich. Bei einem navigierten Inserieren entfallen die Kosten für eine Bohrschablone. Die deutliche Botschaft lautet: Eine Ansichtssoftware für die Befundung von 3D-Aufnahmen reicht nicht aus.
Mein dritter Tipp gilt der Patientenevaluation: Vor einer Sofortimplantation ist darauf zu achten, dass der Patient parodontal saniert ist, eine gute Mundhygiene zeigt und auch einen zuverlässigen Eindruck im Hinblick auf die Compliance macht.
Ergänzend möchte ich noch dafür sensibilisieren, dass an den klassischen Behandlungskriterien festzuhalten ist. Diese dürfen auf gar keinen Fall aufgegeben werden, nur um eine Sofortimplantation und -versorgung unbedingt durchziehen zu wollen.

Herzlichen Dank für das hoch informative Gespräch, Herr Dr. Hildebrand.

Dr. Detlef Hildebrand
ist Zahnarzt, Zahntechniker und Spezialist für Orale Implantologie, Navigation und Robotik. Er ist national sowie international als Referent tätig und Autor zahlreicher Fachartikel. Von 2007 bis 2020 war er Generalsekretär des BDIZ und ist weiter Mitglied im Vorstand des BDIZ.
www.zahnarztpraxis-hildebrand.de
Foto: privat