Schnelle Wundheilung und optimales Implantatlager
Mit einem speziellen Instrumentarium lässt sich ein atropher Kieferkamm unkompliziert per Stollenbildung und subperiostaler Auflagerung von alloplastischem Material in den Griff bekommen. Ergebnis: Schnelle Wundheilung und optimales Implantatlager.
Die Atrophie des Kieferknochens kann gewaltige Ausmaße annehmen. Sobald unter „Knochen-armen“ Voraussetzungen ein Implantatbett künstlich geschaffen wird, hat mich seit jeher der Gedanke geleitet, dass dies auf minimalinvasive Weise geschehen sollte. Das heißt in meinem Verständnis, dass einem Patienten herkömmliche Auflagerungsosteotomien erspart bleiben sollten, die eine Knochenentnahme an zweiter Stelle erfordern würden. Vielmehr kann hier die Stollentechnik als Technik der Wahl dienen. Bei der Stollentechnik wird Augmentationsmaterial subperiostal eingebracht. Typische Indikationen sind die Verbreiterung atropher Kieferkämme im Ober- und Unterkieferbereich bzw. Kieferaugmentationen als präimplantologische Maßnahme. Die Methode kann aber auch für einen Höhengewinn herangezogen werden.
Neue Technik – alte Idee
Die Grundidee, den Alveolarkamm nach Untertunnelung durch Auflagerung von nicht resorbierbarem Material zu erhöhen bzw. zu verbreitern, ist nicht neu. Beispielhaft möchte ich hier die Studien von Kent und Mitarbeiter mit Hydroxylapatit hervorheben. Sie zeigten allerdings keinen überzeugenden Langzeiterfolg. Härle und Kreusch übernahmen das Prinzip, entwickelten aber zur submukösen Stabilisierung der Hydroxylapatit-Granula einen Vicrylschlauch, den sog. Kieler Strumpf. Eine Bilanz dieser Technik nach zehnjähriger Anwendung kam zu durchaus positiven Ergebnissen. Ziel damals war jedoch nicht das anschließende Setzen von Implantaten. Die kamen erst später auf den Markt – und damit verlor sich gleichzeitig die Stollentechnik im Boom der dentalen Implantologie.
Gemeinsam mit dem Kollegen Prof. Klaus-Ulrich Benner und der Firma Komet griffen wir den Grundgedanken wieder auf und modifizierten ihn, denn was für ein überzeugendes minimalinvasives Vorgehen bei der Stollenbildung wirklich fehlte, waren die entsprechenden Instrumente für die professionelle Umsetzung. Ziel der Entwicklung des sog. Pipe Augmentation Systems war es, dem Zahnarzt perfekt konstruierte Instrumente für ein atraumatisches Vorgehen an die Hand zu geben. Alle unsere Überlegungen spiegeln sich nun auf vielfältige Weise in dem Set 4626 wider. Zu den Instrumenten des Pipe Augmentation Systems zählen: Handgriff, Rasparato‧rium, Periostschlitzer, Kugelfräser, Fräserprotektor, Einbringhülse für Knochenersatzmaterial und Applizierstab. Alle Instrumente lassen sich kinderleicht mit einem Klick-Verschluss am Handgriff auswechseln.
Den Tunnel bilden
Ganz häufig begegnen wir in der Praxis der folgenden Situa‧tion: Die Zähne 1 bis 5 sind vorhanden, regio 6 bis 8 soll aufgelagert werden, Knife-Ridge-Situation inklusive. Zuerst wird ein 4–5 mm langer vertikaler Initialschnitt durch das gingivale Weichgewebe mit dem Skalpell durchgeführt. Für die Inzision sucht sich der Operateur eine Stelle, die vom Augmentationsgebiet möglichst weit entfernt ist. Auflagern heißt ja, dass man Platz braucht, da unter der Gingiva Raum entstehen muss. Über diesen Zugang wird nun das Rasparatorium 601 eingeführt und sich mit leichten Drehbewegungen unterhalb des Periosts direkt auf dem Knochen entlang vorgearbeitet bis zur entsprechenden regio 8. Das extrem flache Rasparatorium ist an den Seiten entsprechend scharf. Durch die praktische Skalierung weiß man immer, wie weit man vorgedrungen ist. Auf diese Weise bildet sich zügig und sicher der Stollen. Anschließend wird zum Periostschlitzer 602 gewechselt, der drei- bis viermal bis an das distale Ende des Stollens geführt wird. Es folgt eine Rotation um 180˚ und das Instrument wird anschließend wieder zurückgezogen. Dadurch wird das Periost geschlitzt und seine Fläche gedehnt. Hervorzuheben ist die extrem scharfe Schneide dieses Instruments. Mit dem steril verpackten Kugelfräser 141P frischt der Operateur anschließend die bukkale Knochenoberfläche rillenförmig an. Damit der Fräser mit der hohen Initialschärfe nur einseitig arbeitet, wird er in den Fräserprotector 603 eingelegt. Der Kugelfräser 141P arbeitet ohne Wasserkühlung und wird mit geringer Drehzahl (600 U/min) in den Stollen eingeführt. Langsam wird dadurch die Fläche verbreitert und eine Rille produziert, die durch die Kortikalwand bis in die Spongiosa hineinführt. Etwaige Knife-Ridge-Situationen versuche ich dabei zu überspielen. Der Arbeitsschritt mit dem Kugelfräser bringt zwei wichtige Vorteile mit sich: Er provoziert eine permanente Einblutung, die beste Voraussetzungen bietet für den nächsten Arbeitsschritt, die Einführung des Augmentats. Außerdem dient die Rille als Retention für das eingebrachte Knochenersatzmaterial.
Augmentat applizieren
Es empfiehlt sich, ein Material zu verwenden, das aushärtet, sobald es in Kontakt mit Körperflüssigkeit tritt. Durch die mate‧rialtypischen Eigenschaften ist easy-graft Classic oder easy-graft™ Crystal (Sunstar) besonders gut für diese Art von Eingriff geeignet. Das Knochenersatzmaterial wird – je nach Tunnellänge und -weite in mehreren Portionen – in den vorbereiteten Stollen mithilfe von Einbringhülse und Applizierstab eingeführt und mit Daumen bzw. Zeigefinger passend zurechtgeformt. Durch leichte „Massage“ gelangt das Augmentat an die gewünschte Stelle. Doch Achtung: Sobald die „sticky granules“ in Kontakt mit Körperflüssigkeit (z. B. Blut) kommen, härten sie durch das Eindringen von Wassermolekülen binnen zwei Minuten aus. Die Modellation sollte also binnen dieses Zeitfensters abgeschlossen sein. Das Ergebnis ist ein richtig fester und in Form gebrachter Knochenblock. Der Patient wird nach zirka einer Woche erneut in die Praxis einbestellt: zum Fäden ziehen und für eine allgemeine Kontrolle. Eine Implantation ist nach einer Einheilzeit von zirka drei Monaten möglich.
Lamelläre Grundstruktur
In den Patientenfällen, bei denen drei Monate nach Stollenbildung und Unterfütterung mit easy-graft mit einem Trepanfräser Gewebskerne entnommen und an denselben Stellen Implantate inseriert wurden, zeigt sich ein einheitliches Bild: Das Knochengewebe ist klinisch fest und stellt anhand des Bohrwiderstands eine ausreichende Primärstabilität für die Fixierung von Implantaten dar. Feingewebliche Schnitte durch den Trepankern liefern keinen Hinweis mehr dafür, dass hier ursprünglich ein Knochenaufbaumaterial eingebracht wurde. Bei stärkerer Vergrößerung ist sogar eine z.T. lamelläre Grundstruktur zu erkennen, die sich an den feingeweblichen Bau eines funktionsfähigen Knochens anlehnt. Postaugmentativ hat sich hier also ein grob spongiöses Knochengerüst gebildet.
Fazit
Die Restauration einer lokalen Alveolarkammatrophie nach Kieferkammauflagerung mit dem Pipe Augmentation System ist zeitsparend, unblutig und mündet durch das geringe OP-Trauma in eine schnelle Wundheilung. Den Operateur leiten und unterstützen während der gesamten Prozedur die übersichtlichen Profi-Instrumente optimal durch die einzelnen Arbeitsschritte. Die Technik erlaubt eine Modellierung des Augmentats nach Einbringung in den Stollen. Beeindruckend ist das minimalinvasive Konzept vor allem dann, wenn der kleine Initialschnitt mit nur zwei bis drei Stichen zugenäht werden kann. Abschließend erhält der Operateur eine präimplantologische Situation, die zum Implantieren geradezu einlädt. Das neu gebildete Gewebe zeigt alle Merkmale eines funktionell brauchbaren, suffizienten Implantatlagers.
Dr. Dr. Karl-Heinz Heuckmann
ist seit 1983 in Chieming am Chiemsee niedergelassen. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen vor allem die Implantologie und Oralchirurgie. Der national und international gefragte Referent hat viele eigene Entwicklungen für die Praxis vorangetrieben. Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher Publikationen.
Kontakt: praxis@bohrturm.de
Live-Webinar
Ein Live-Webinar zur Stollentechnik steht als archivierter Kurs kostenfrei zur Verfügung und kann unter www.kometdental.de, Komet Webinare, jederzeit aufgerufen werden. Der Link führt direkt auf die Homepage des dtstudyclub.de.
Literaturverzeichnis