Piezotome: Die atraumatische Zukunft?


Vergleich der Knochenschnittpräzision und des iatrogenen Knochenverlusts bei Knochenblockentnahme mit Piezotomen, rotierenden Instrumenten und Lasern (© Trödhan, 10 Bilder)


Noch favorisieren die meisten Zahnärzte rotierende Instrumente, selbst für Arbeiten am Kieferknochen nahe der Schneider’schen Membran. Warum?
Trödhan: Das frage ich mich auch. Gerade beim Sinuslift bietet sich die piezoelektrische Methode als sichere Alternative an. Im Gegensatz zur konventionellen Osteotomie mit Rosenbohrern und Diamantkugelköpfen mindert die Piezotechnik das Risiko der Perforation der Schneider’schen Membran erheblich. Sobald die Präparation des Knochenfensters mit den dafür vorgesehenen Piezotome-Arbeitsspitzen beendet ist, lassen sich die Ansätze wechseln und mit kleinen, tellerartigen Präparationsansätzen die ersten Schritte zur Ablösung der Schleimhaut von den Knochenrändern, eine der heikelsten Phasen beim Sinuslift, problemlos auch für ungeübte Oralchirurgen durchführen, wie ich aus zahlreichen Praxiskursen für Einsteiger weiß.
Einer der Hauptgründe für die Überlegenheit der Piezotome-Chirurgie ist ja, dass die Ultraschalltechnologie mit Hart- und Weichgewebe auf der Basis der Ultraschallfrequenz, der Schwingungsamplitude und des Kavitationseffekts in unterschiedlicher Weise und zerstörungsfrei interagiert, rotierende Instrumente zerstören Hart- und Weichgewebe gleichermaßen.

Wie funktioniert das eigentlich?
Trödhan: Die vom Ultraschallgerät übertragenen Ultraschallwellen erlauben wegen des Kavitationseffekts zwar eine hochpräzise und verlustfreie Durchtrennung von mineralisiertem Gewebe wie Knochen oder Zähnen, das umliegende Weichgewebe wird aber durch denselben Kavitationseffekt vergleichbar einem Luftpolster stets in sicherem Abstand von der Arbeitsspitze gehalten, also verletzungsfrei in harmonischer Resonanz mit der Arbeitsspitze weggedrückt. So lässt sich kalzifiziertes Gewebe selektiv schneiden und abtragen und das Verletzungsrisiko des umliegenden Weichgewebes minimieren. Aufgrund der Ultraschallfrequenz werden auch Heilungsvorgänge signifikant beschleunigt, die Osteoblastenaktivität in den ersten vier Wochen nach der OP ist im Vergleich zu rotierenden Instrumenten viermal höher.

Die Anwendung von Piezotomen galt bislang allerdings als zeitaufwendiger als die Arbeit mit rotierenden Geräten. Was hat sich da getan?
Trödhan: Die neueste Generation von Piezotomen hat eine Schneidleistung, die rotierende Instrumente teilweise sogar übertrifft, wie mir auch Kieferchirurgen, die mit den älteren Ultraschallchirurgiegeräten gearbeitet haben, weltweit bestätigen. Objektive klinische Studien haben aber bereits für die früheren Gerätegenerationen nachgewiesen, dass die OP-Dauer nach einer Eingewöhnungsphase nicht länger ist als mit rotierenden Instrumenten. Subjektiv mag der Eindruck weiterhin bestehen, denn alle Stressfaktoren bei einer kritischen OP mit rotierenden Instrumenten fallen weg, die Arbeit erledigt das Piezotome, der Chirurg „dirigiert“ nurmehr das Instrument.

Was sind die Hauptindikationen?
Trödhan: Ob Weisheitszahnoperationen, chirurgische Zahnentfernungen, vermeintlich einfache Zahnextraktionen, Osteotomien, Sinuslift, Knochenentnahmen oder Kammerweiterung – wir setzen Piezotome bei allen Indikationen ein. Von rotierenden Instrumenten – Hartmetallbohrern, Hartmetallfräsen, langsam oszillierenden Sägen – sollte man sich in der Oralchirurgie und Implantologie verabschieden.


Haben Sie das bereits?
Trödhan: Schon vor mehr als zehn Jahren. Seit 2007 nutzen wir abgesehen von spezifischen Implantatbohrern kein rotierendes Chirurgieinstrument mehr. Unsere Patienten honorieren das. Denn die postoperativen Schmerzen und Schwellungen halbieren sich nachweislich, wie wir bereits 2011 als erste Forschungsgruppe in einer randomisierten klinischen Studie nachweisen konnten. Unsere Ergebnisse wurden weltweit für alle oral- und kieferchirurgischen Eingriffsarten in zahllosen klinischen Studien anderer Forschungsgruppen vollinhaltlich bestätigt, selbst von den Kritikern. Zudem sind auch die Heilungsergebnisse nachgewiesenermaßen signifikant besser.

Haben Sie viele Kollegen davon überzeugen können?
Trödhan: Heute dürfte zirka die Hälfte der Oral- und Kieferchirurgen weltweit auf die Piezotome-Chirurgie gewechselt haben, wie wir aus unserer Tätigkeit im Rahmen der Internationalen Akademie für Ultraschallchirurgie und Implantologie wissen. Zwar sind rotierende Instrumente in der Oralchirurgie noch nicht vom Tisch, wie wir es 2007 prognostiziert haben, aber die Piezochirurgie ist klar auf dem Vormarsch.

Wann wird sich die Piezochirurgie komplett durchgesetzt haben, also „wirklich“ der neue Goldstandard sein?
Trödhan: Hoffentlich in den nächsten zehn Jahren! Dann würden bei kieferchirurgischen und oralchirurgischen OPs endlich keine rotierenden Instrumente mehr zum Einsatz kommen. Denn sie zerstören letztlich den Knochen. Die Durchsetzung fortschrittlicher Technologien ist in der Zahnmedizin und Oralchirurgie leider sehr zäh, wie es auch schon Professor Brånemark erfahren musste. Erst nach jahrzehntelanger mühevoller Aufklärungsarbeit im letzten Jahrtausend hat sich die Implantologie in diesem Jahrtausend durchgesetzt und wird auch in der Ausbildung gelehrt. Ich hoffe, wir sind da mit der Piezotome-Chirurgie schneller unterwegs.

Zum Video-Interview mit Prof. Dr. Dr. Trödhan.