Belastungszeitpunkt bestimmen

GPS für Implantatstabilität

Die ISQ-Messung hilft dem Behandler, Implantate einfach, schnell und sicher zu versorgen. Die Orientierung allein am Drehmoment reicht nicht aus, um den richtigen Belastungszeitpunkt vorhersagbar zu bestimmen, meint Dr. Harald P. Hüskens. Im Interview skizziert er die Vorteile der ISQ-Diagnostik.


Osstell Beacon (© Osstell)


Hohe Primärstabilität gleich hoher ISQ-Wert – geht diese Gleichung auf?
Hüskens:
Nein, eine höhere Eindrehkraft ist zwar relativ häufig mit einem höheren ISQ-Wert vergesellschaftet, aber nicht grundsätzlich. Das Drehmoment misst die Scherkräfte, sprich die Reibungskräfte, die das Implantat im Kochen verursacht. Mit anderen Worten: Bei der Implantatinsertion wird die Primärstabilität durch die Friktion mit den Knochenwänden des Implantatbetts bestimmt. Während der Knochenheilung kommt es dann zu einer direkten Knochenanlagerung an die Implantatoberfläche. Diese biologische Verankerung im Kieferknochen definiert die Implantatstabilität. Resonanzfrequenzanalyse-Geräte wie Osstell Beacon messen anhand der Mikrobeweglichkeit des Implantats die Stabilität. Bei einem ISQ-Wert zwischen 60 und 70 sinkt die Mikrobeweglichkeit um 50 Prozent, sprich, das Implantat erreicht eine hohe Stabilität, es wird osseointegrieren.

Welche Rolle spielt dabei die Knochenqualität?
Hüskens:
Bei sehr weichem Knochen ist der ISQ-Wert nicht hoch, denn der Knochen schwingt mit. Die Primärstabilität kann dagegen auch in weichem Knochen hoch sein. Wir haben Fälle mit einer Primärstabilität von 35 Ncm im Oberkieferbereich, aber einem geringen ISQ-Wert von unter 70 …

… was eine Sofortversorgung ausschließt?
Hüskens:
Bei Einzelzahnimplantaten definitiv. Bei mehreren verblockten Implantaten reicht ein Wert von 70, bei kieferumspannenden Brücken von 65. Ich empfehle die Kombination beider Parameter. Hohe Primärstabilitäten und gute ISQ-Werte bieten das höchste Maß an vorhersagbarer Sicherheit.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Implantatsystem?
Hüskens:
Ein erhebliche. Bei Standardimplantaten kann die Implantatstabilität in den ersten zwei bis vier Wochen nach Insertion sinken. Dies passiert, weil der Knochen umgebaut wird, da die Implantation zu einer Verpressung des Knochens führt. Es entstehen Mikrobewegungen. Bei direkter Einheilung ist das unproblematisch. Von einer Sofortversorgung ist bei ISQ-Werten unter aber 70 abzuraten. Bei speziellen Implantatsystemen, zum Beispiel dem AnyRidge-Sytem, sinkt die Implantatstabilität in den ersten drei bis vier Wochen dagegen nicht.

Wie ist das zu erklären?
Hüskens:
Die spezielle Gewindestruktur und -form des Implantats führt zu einer hohen Primärstabilität und hohen initialen ISQ-Werten. Der Knochen wird weder verdrängt noch komprimiert. Das sehr dünne Gewinde schneidet sich atraumatisch in den Knochen ein. Das hält die Umbauvorgänge im Knochen sehr gering. Und: Mit dem AnyRidge-System kann man den verschiedenen Knochendichten D1 bis D4 gezielt durch Anpassung der Gewindedurchmesser Rechnung tragen.


Wie geht man bei Standardimplantaten vor, wenn der ISQ-Wert zwei bis drei Wochen nach der Insertion sinkt?
Hüskens:
Das Provisorium wird abgenommen, die Einheilung erfolgt ohne Funktion.

Knifflig wird es also nur bei der Sofortbelastung …
Hüskens:
Richtig. Alles, was gedeckt bzw. einzeitig einheilt mit einem Gingivaformer, ist unproblematisch, weil ja keine großen Kräfte auf das Implantat kommen. Eine Mikrobeweglichkeit des Implantats birgt keine Gefahr.

Kommen wir zum Bereich der Knochenregeneration …
Hüskens:
Da spielt die RFA-Methode wieder ihre Vorteile aus. Beispiel: Sinuslift bei einem Restknochen von drei Millimetern nach drei bis vier Monaten erfolgt die Insertion. In der Vergangenheit hatte man nur die Möglichkeit, den besten Belastungszeitpunkt „aus dem Bauch“ heraus zu wählen – etwa am Implantat zu wackeln oder darauf herumzuklopfen und bei einem hellen Klopfton zu hoffen, dass die Osseointegration stattgefunden hat. Man hat dann den Abdruckpfosten eingesetzt und sich gefreut, wenn das Ganze einen festen Eindruck machte. Tatsächlich ist es aber so, dass wir bei der ISQ-Messung feststellen müssen, dass gerade dann, wenn eine initiale Osseointegration stattgefunden hat, die Mikrobeweglichkeit nicht immer so gering ist wie gedacht. Im Oberkiefer-Seitenzahnbereich messen wir manchmal ISQ-Werte zum Freilegungszeitpunkt, die unter 60 liegen.

Was eine direkte Versorgung unmöglich machen dürfte …
Hüskens:
… richtig, wir arbeiten aus dem Grund dann erst einmal mit einem Gingivaformer, nach zwei Wochen folgt ein verkürztes Kunststoffprovisorium. Anschließende intervallmäßig durchgeführte Messungen zeigen eine kontinuierliche Steigerung der ISQ-Werte. Denn durch das Knochentraining verfestigt sich der das Implantat umgebende Knochen. Nach vier Wochen kommen wir in der Regel auf Werte von mehr als 75 und können guten Gewissens definitiv versorgen.

Bei welchen Indikationen wenden Sie heute die ISQ-Diagnostik an?
Hüskens:
Bei allen, seit zwölf Jahren. Unsere Verlustraten liegen seitdem bei unter einem Prozent.

Wie aufwendig sind die Messungen?
Hüskens:
Die ISQ-Messung bedeutet schon einen höheren Arbeitsaufwand und Kosten. Der Smart-Peg, also der kleine Magnetstift, der die Messung ermöglicht, muss jedes Mal auf das Implantat geschraubt und nach der Messung wieder entfernt werden. Ein ISQ-Messgerät kostet je nach Ausführung zwischen 2500 und 3000 Euro. Dazu kommen die Kosten für die Smart-Pegs, die nur einmal verwendet werden dürfen. Dennoch möchte ich darauf nicht verzichten. Wir haben in unserer Praxis mit fünf Behandlungszimmern heute vier Osstell-Geräte.

Warum so viele?
Hüskens:
Ich möchte, dass meine Mitarbeiter stets das richtige Equipment nutzen können. Ein Osstell-Gerät für die gesamte Praxis halte ich für unwirtschaftlich.

Dürfen die ZFAs denn in Eigenregie messen?
Hüskens:
Natürlich, es gilt ja nur die Smart-Pegs, das sind Einmalprodukte, auf das Implantat zu schrauben und das Osstell-Gerät in einem bestimmten Abstand daranzuhalten. Auf dem Display erscheint ein Wert, der linear zum Ausmaß der Festigkeit und der Osseointegration ist. Dank der neuen Ampelfunktion beim Beacon sind die Werte ganz einfach nachzuvollziehen. Leuchtet das Gerät grün, ist die Stabilität hoch, größer/gleich ISQ 70, leuchtet es gelb, liegt die Stabilität im Mittelfeld, rot signalisiert eine geringe Stabilität, ISQ unter 60.


Findet eine solche Messung auch im Rahmen der PZR statt, also ein-, zweimal im Jahr?
Hüskens:
Nein, die Suprakonstruktionen müssten dann ja bei jeder PZR abgenommen werden. Routinemäßig messen wir beim Einsetzen, bei der Freilegung bzw. der Abdrucknahme und beim Einsetzen der definitiven Versorgung. Wird – warum auch immer – die Prothetik entfernt, messen wir natürlich noch einmal nach.

Und angenommen, dann wäre der ISQ-Wert nicht mehr o.k.? Was machen Sie dann? Wenn zum Beispiel ein Einzelzahnimplantat vier Jahre in situ ist und der ISQ-Wert bei 60 liegt?
Hüskens:
Dann gehen wir der Sache auf den Grund: Liegt das am Knochen? Lässt die Knochenstabilität als solche nach? Könnten Stoffwechselstörungen im Knochen die Ursache sein, etwa bei einem Bisphosphonat-Patienten?

Reduziert Osstell Beacon den Aufwand im Vergleich zu dem „normalen“ Osstell-Gerät?
Hüskens:
Osstell Beacon ist ohne Frage ein tolles, praktisches Feature und verbessert auch die Patientenkommunikation. dank der Ampelfunktion, die die Implantatstabilität anschaulich zeigt, hat Osstell Beacon eine echte Marketingkomponente. Aber behandlungstechnisch hat sich für mich durch das neue Tool nichts geändert. Osstell Beacon macht ja letztlich nichts anderes, als ISQ-Werte zu messen, eben kabellos und mit patientenfreundlicher Ampelfunktion.

Nutzen Sie denn auch die Plattform Osstell Connect?
Hüskens:
Selbstverständlich, wir nutzen die Bluetoothschnittstelle und speichern die Daten. Das ist kein Muss, aus unserer Sich aber sinnvoll.

Was empfehlen Sie dem Praktiker, der nicht täglich implantiert?
Hüskens:
Ein Osstell-Gerät, das kostentechnisch in den Rahmen passt; das Handling ist bei allen Geräten einfach. Ich favorisiere Einzelgeräte, es gibt aber auch Kombigeräte.

Ihr Fazit?
Hüskens:
Osstell ist die einzige metrisch reversible und wissenschaftlich anerkannte Methodik, um die Primärstabilität eines Implantats oder Abutments zu prüfen. Und das nicht nur beim Setzen des Implantats, sondern auch nach der Einheilung. Ich möchte meine Osstell-Geräte nicht mehr missen. Mit ISQ-Werten können wir sicher bestimmen, wie schnell sich ein Implantat definitiv versorgen lässt: sofort, besser nach zwei, vier oder nach sechs Wochen. Unnötige Wartezeiten entfallen. Für die Patienten ist der richtige Versorgungszeitpunkt dank der Ampelfunktion verständlich nachvollziehbar.

Wann rechnen Sie mit einer flächendeckenden Anwendung der ISQ-Messung?
Hüskens:
Sobald die Behandler die Vorteile nachvollziehen. Die Nachfrage nach Instrumenten, die objektive Daten als Basis für effizientere, optimierte Implantationsbehandlungen liefern, wird steigen, da bin ich mir sicher,– nicht nur in schwierigen, sondern auch in unkomplizierten Fällen. So gewinnt die ISQ-Diagnostik als objektive Grundlage für bessere Ergebnisse und eine höhere Behandlungsqualität immer mehr an Bedeutung. Wie gesagt: Die Implantatverlustrate liegt dank der Messung der Implantatstabilität in unserer Praxis bei unter einem Prozent.

 

Der Experte

Dr. Harald P. Hüskens
seit 1997 niedergelassen in eigener Praxis in Uedem am Niederrhein. Schwerpunkte: Sofortimplantation und -versorgung und Augmentationen, seit zwölf Jahren Osstell-Nutzer.

Weitere Informationen zu Osstell-Produkten gibt es hier.