Implantologie: „My First All-on-4“
Mit nur vier Implantaten pro Kiefer lassen sich umfangreiche augmentative Maßnahmen vermeiden. Neue Studien und die aktuelle Literatur zeigen identische Erfolgsraten im Vergleich zur konventionellen Versorgung. Ein Kölner Zahnarzt hat zum ersten Mal das All-on-4-Konzept erprobt. Sein Fazit: Die Patientenzufriedenheit ist enorm.
Als Zahnarzt möchte man für seine Patienten die bestmög‧liche Behandlung. Viele verschiedene Faktoren werden bei der Therapieplanung einbezogen. In der modernen Zahnmedizin ist ein wichtiger Faktor bei der Therapieentscheidung auch die Behandlungsdauer. Der Patient hat den legitimen Wunsch, dass seine Behandlung möglichst schnell beendet ist, ohne dass die Qualität darunter leidet. Kein Patient wünscht sich nach der Zahnentfernung drei Monate Abheilzeit, dann Knochenaufbau mit erneuter Heilungszeit, im Anschluss Implantation und wieder drei bis vier Monate Einheilzeit. Dann kommt die Freilegung und es dauert dann noch ein paar Wochen bis zur Eingliederung des Zahnersatzes. Bei der Versorgung eines zahnlosen Kiefers können so locker zehn Monate verstreichen, die der Patient mit herausnehmbarem Interimsersatz überbrücken muss. Ein Hauptziel moderner Behandlungskonzepte ist deshalb die Reduktion der Behandlungszeit, was mit Sofortimplantation plus Sofortbelastung am effektivsten gelingt.
Als Implantologe möchte man seinen Patienten somit schnell, aber trotzdem sicher – also ohne erhöhtes Verlustrisiko – Implantate und Zahnersatz anbieten. Für Patienten mit zahnlosem Kiefer sowie bei Patienten mit desolatem Restgebiss ist eine festsitzende Versorgung mittels einer reduzierten Zahl von teilweise stark angulierten Implantaten in Sofortimplantation ein bewährtes Behandlungskonzept [3, 5, 9]. Dabei kann durch die Angulation ein recht großes Abstützungsfeld generiert werden, ohne dass augmentative Maßnahmen im Sinus maxilaris oder im Unterkiefermolarenbereich notwendig werden [4]. Dieses Behandlungskonzept wurde vor allem unter dem Namen All on 4 bekannt. Eine festsitzende Versorgung wird auf nur vier Implantaten realisiert. Die Kosten und die Behandlungszeit sind im Vergleich zu klassischen Konzepten deutlich reduziert [2]. Das ursprünglich von Maló entwickelte Konzept haben inzwischen verschiedene Implantathersteller übernommen, die die notwendigen Fertigungskomponenten zur Verfügung stellen.
Überlebensraten
Die implantatbezogene Erfolgsrate im Unterkiefer nach zehn Jahren kann mit 94,8 Prozent als hervorragend angesehen werden [7]. Speziell wenn man in Erwägung zieht, dass vollständig zahnlose Patienten deutliche kardio‧lo‧gische oder parodontale Problematiken vorweisen. Mit gewissen anatomischen Ein‧schrän‧kungen erzielt man mittels navigierter Implantation, flapless durchgeführt, ähnlich hohe Überlebensraten [8]. Bei den angulierten Implantaten konnte kein erhöhter, marginaler Knochenverlust festgestellt werden [8]. Auch die Entfernung der nicht erhaltungswürdigen Restbezahnung und die sofortige Implantation sind kein Problem. Eine Sofortbelastung mit einem festsitzenden Provisorium ist bei ausreichender Primärstabilität (> 35 Ncm) möglich. [10]. Die Patientenzufriedenheit beim All-on-4-Konzept ist besonders hoch und die meisten Patienten würden die Behandlung weiterempfehlen [1].
Der konkrete Fall
Der dargestellte Fall war die erste All-on-4-Versorgung unserer Praxis. Trotz der großen Zahl von Implantaten, die in unserer Praxis gesetzt werden, ist die schräge Implantation herausfordernder, als man erwarten würde. Die 74-jährige Patientin trug bis zur All-on-4-Behandlung eine auf den Unterkiefereckzähnen verankerte Teleskopprothese. Die Eckzähne waren nach endodontischen Vorbehandlungen frakturiert und trotz endodontischer Behandlung und „Rezementierung“ konnten die Eckzähne aufgrund von fehlendem Ferrule nicht für einer neue Prothese genutzt werden. Die Eckzähne waren alio loco bereits vor drei Monaten bzw. zwei Wochen entfernt worden. Mit einer Restbezahnung von 32–42 wurde schnell klar, dass für eine ausreichende Verankerung einer Prothese bzw. festsitzenden Zahnersatzes Implantate eine sinnvolle Behandlung wären (Abb. 1, 2). Die Patientin wurde über die verschiedenen Kariesstellen und die apikale Aufhellung im Oberkiefer aufgeklärt. Sie wollte die Unterkieferbehandlung abwarten, da sie die zu lockere Prothese als sehr belastend empfand, während im Oberkiefer noch keine Beschwerden bestanden.
Im Vorfeld der Implantation wurden Abformungen des Oberkiefers und des Unterkiefers ohne Zahnersatz angefertigt. Das Oberkiefermodell wurde mittels arbiträrer Scharnierachsenbestimmung mittels Gesichtsbogen (Axioquick III, SAM, München, Deutschland) einartikuliert. In einem zweiten Termin wurden die Zentrikbissnahme und die Bestimmung der vertikalen Relation mittels eines Stützstiftregistrats durchgeführt (Abb. 3) Des Weiteren wurde ein DVT angefertigt und es wurde geprüft, ob genug Knochen vorhanden ist, um Implantate von mindestens 4 mm Durchmesser aufzunehmen. Das DVT wurde alio loco angefertigt und die DICOM-Daten wurden ins Planungsprogramm coDiagnostix (Dentalwings, Leipzig, Deutschland) geladen. Wenn gewünscht, kann in diesem Stadium eine Bohrschablone designt und gedruckt werden, ohne dass der Patient während des DVTs eine Röntgenschablone getragen haben muss.
In Vorbereitung auf die OP wurden die Zähne 32–42 auf dem Unterkiefermodell radiert. Die Behandlung wurde in Lokalanästhesie durchgeführt. Nachdem die Betäubung vollständig wirkte, wurde eine OptraGate (Ivoclar‧Vivadent GmbH, Schaan, Liechtenstein) eingesetzt und mit Gore CV-5 (W. L. Gore & Associates, Flagstaff, USA) mittels einer Einzelknopfnaht im Vestibulum fixiert. Nach der Entfernung der vier restlichen Zähne wurde eine krestale Schnittführung durchgeführt. Es wurde ein Mukosa-Periostlappen gebildet. Die Austrittspunkte des Nervus alveolaris inferior wurden dargestellt, um bei der Implantation die endständigen Implantate möglichst weit distal zu inserieren, ohne eine Nervschädigung zu riskieren. Der Alveolarknochen zwischen regio 33 und 43 wurde mittels einer Khoury-Säge (FRIOS MicroSaw, DENTSPLY Implants, Mannheim, Deutschland) deutlich gekappt. Der entfernte Knochen kann gegebenenfalls für augmentative Maßnahmen genutzt werden. Dies war im vorliegenden Fall nicht notwendig.
Implantation erfolgt schrittweise
Wenn keine Bohrschablone für eine navigierte Implantation verwendet wird, kann nun die Standard-All-on-4-Schablone genutzt werden. Dafür wird genau mittig zwischen regio 31 und 41 eine Pilotbohrung gesetzt, in die der Führungsstift der All-on-4-Schablone eingesetzt wird. Über die senkrechten Linien auf dem All-on-4-Guide können die Bohrungen in der idealen Angulation gesetzt werden.
Im vorliegenden Fall wurden die von Maló empfohlenen NobelSpeedyGroovy Implantate der Firma Nobel Biocare (Kloten, Schweiz) verwendet. Die Implantation erfolgte schrittweise. Zuerst wurden die beiden Implantate regio 35 und 45 inseriert. Diese Implantate wurden anguliert gesetzt. Dabei bietet sich ein Implantationswinkel von 30° bis 45° an. Es wurde versucht, den Implantatkopf ca. oberhalb des Nervaustrittspunkt zu positionieren. Wenn distal des Foramen mentale adäquates Knochenangebot ist, kann der Austrittspunkt des Implantats sogar distal des Foramen mentale liegen. Je weiter distal die angulierten Implantate austreten, desto größer ist die Belastungsfläche des Zahnersatzes, desto größer ist allerdings auch die Gefahr einer Nervschädigung.
Im Folgenden wurden die beiden „geraden“ Implantate in regio 32/33 und 42/43 gesetzt. Speziell im Oberkieferfrontzahnbereich können diese Implantate ebenfalls anguliert stehen. Während die Angulation der distalen Implantate in mesiodistaler Richtung ausfällt, hat man hier die eine orovestibuläre Angulation, die im postoperativen OPG nicht auffällt. In diesem Fall fiel im postoperativen OPG die Überlagerung von Foramen mentale und Implantat 35 auf. Aufgrund der klinischen Situation wurde das Implantat belassen. Während der Wartezeit auf das Provisorium gab die Patientin bereits wieder Gefühl in beiden Kinn- und Lippenregionen an und reagierte positiv auf jegliche Sensibilitätsprüfung in dieser Region. Alle vier Implantate wurden mit einer Multi-Unit versehen und der Wundverschluss erfolgte mittels Double-Single-Sutures und Einzelknopfnähten (Gore CV-5, Gore).
Perfekte Basis
Die Multi-Unit ist ein Abutment, das die Basis für den späteren, verschraubten Zahnersatz bildet. Die Multi-Units gibt es in den Varianten Straight (0°), 17° und 30° und sie können somit den Angula‧tionswinkel der Implantate ausgleichen. Vor allem, da man die Multi-Units aufgrund des Außensechskants in sechs verschiedenen Positionen fixieren kann. Für die Multi-Units stellt Nobel Biocare spezielle Abformpfosten, Multi-Unit Impression Copings, zur Verfügung. Somit kann nach dem Wundverschluss direkt eine offene Abformung erfolgen. Dafür wurde die präprothetische Aufstellung in einen offenen Abformlöffel überführt.
Im nächsten Schritt wurden Healing Caps auf die Multi-Units geschraubt. Mittels einer Übertragungsschablone aus klarem Autopolymerisat wurde eine Bissnahme durchgeführt (Abb. 9). Dazu wurde die durchsichtige Prothese mit Registriersilikon (Kanibite extrem, Kanidenta, Herford, Deutschland) „unterfüttert“. An den Stellen, an denen die Healing Caps (Gingivaformer) Impressionen verursacht hatten, wurde der Kunststoff der Schablone so lange freigeschliffen, bis die Healing Caps minimalen Freiraum hatten. Dann wurde erneut eine „Unterfütterung“ mit Kanibite vorgenommen. Mithilfe der Übertragungsschablone konnte das im Labor angefertigte Unterkiefer-Implantat-Modell korrekt einartikuliert werden.
Während die Patientin in der Praxis wartete, wurde ein festsitzendes Provisorium angefertigt. Das Provisorium wurde nach ca. vier Stunden der Patientin eingegliedert und die Schraubkanäle wurden mittels Teflonband und Tetric Evo Flow verschlossen (IvoclarVivadent, Schaan, Liechtenstein). Zur Nahtentfernung wurde das Provisorium nochmals entfernt und direkt wieder eingegliedert. Das postoperative OPG zeigt die eingegliederte, provisorische Brücke. Nach ca. fünf Monaten wurde das Provisorium entfernt. Es zeigten sich leichte Druckstellen regio 42/43 und um das Implantat 45. Die Implantate wurden abgeformt und das Provisorium wurde an diesen Stellen entlastet. Es wurde ein Titangerüst bei HeraeusKulzer gefräst und anprobiert, um den spannungsfreien Sitz zu gewährleisten. Im Folgenden wurde das Gerüst mit Wachs verblendet und erneut anprobiert. Die Wachsanprobe wurde in Komposit übertragen und eingegliedert.
Die Patientin war bereits mit dem Provisorium sehr glücklich, bestand aber darauf, dass der definitive Zahnersatz auch die Zähne 37 und 47 umfasst. Dieser Wunsch konnte in diesem Fall erfüllt werden, kann aber in vielen Fällen nicht gewährleistet werden. Für das Provisorium wurden die Zähne 35 bis 45 versprochen und für den definitiven Zahnersatz wurden die Zähne 36 bis 46 avisiert. Die Patientin ist jetzt seit ca. einem Jahr festsitzend versorgt und von der neu gewonnen Lebensqualität begeistert. Das All-on-4-Konzept ist ein Behandlungskonzept, das in einer implantologischen Praxis nicht fehlen darf, da es für viele Patienten ein hervorragendes und schnelles Therapiekonzept sein kann.
Dr. Nikolas Ganß
studierte Zahnheilkunde in Köln und arbeitete als angestellter Zahnarzt in verschiedenen Praxen – und ist seit 2009 niedergelassen in Köln mit Dr. Klaus Nobis.
praxis@nobisundganss.de