Extrusions-Therapie fürs Implantatbett
Alveoläre Resorptionen nach Zahnextraktionen lassen sich trotz schonender Extraktion und verschiedener augmentativer Verfahren nicht immer sicher vermeiden. Eine neue minimalinvasive Technik stellt bessere Ergebnisse in Aussicht.
Nach der Extraktion eines Zahns kommt es zu einer umfangreichen Resorption der alveolären Strukturen. Durch den Verlust des parodontalen Faserapparats geht auch der Bündelknochen verloren, in dem die Fasern des parodontalen Faserapparats entspringen [1]. Der Resorptionsprozess betrifft vorwiegend die vestibuläre Knochenlamelle und kann mehr als 50 Prozent des ursprünglichen alveolären Volumens betragen [12]. Der daraus resultierende Kieferkammdefekt stellt für jede nachfolgende Zahnersatzbehandlung eine ungünstige anatomische Ausgangssituation dar. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit vor allem chirurgische Verfahrenstechniken vorgeschlagen, um diesen alveolären Defekt zu beheben.
Es gibt jedoch ein biologisches Alternativkonzept: Mithilfe der Extrusion einer ganzen Zahnwurzel wird ein suffizientes Implantatlager geschaffen [10]. Dabei scheinen der Schlüssel für die schnelle, körpereigene Augmentation des alveolären Knochens und des Weichgewebes das parodontale Ligament und die supraalveoläre Faserstruktur zu sein. Die klinischen und röntgenologischen Ergebnisse sind den Resultaten, die durch chirurgische Techniken erzielt werden können, mindestens ebenbürtig.
Der konkrete Fall
Die Patientin stellte sich im März 2010 in unserer Praxis vor. Die spezielle Anamnese ergab ein saniertes Gebiss mit 15 bis 20 Jahre alten Restaurationen im Seitenzahnbereich und eine provisorische Brücke von 13 bis 11 (Abb. 1). Zahn 12 war bereits vor einigen Monaten aufgrund einer rezidivierenden Fistelbildung entfernt worden. Da mehrere Wurzelspitzenresektionen vorab unternommen wurden, stellte sich das Gewebe im Vestibulum sehr stark vernarbt dar. Die Röntgenaufnahme von 2007 (Abb. 3) zeigte eine Transluzenz mesial an der Wurzelspitze von Zahn 12. Die Röntgenaufnahme vom Januar 2010 (Abb. 4) verdeutlicht eine Ausweitung des Defekts in den Approximalraum zu 13. Das klinische Bild war durch einen Fistelgang mesial am 13 charakterisiert. Der Zahn 12 wurde daraufhin extrahiert und mittels einer provisorischen Brücke von 13 auf 11 ersetzt. Da es zu keiner Verbesserung der klinischen Problematik kam, wurde die Extraktion von Zahn 13 vorgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Patientin in unserer Praxis vor.
Klinische Vorstellung
Die klinische Untersuchung zeigte eine 11 mm tiefe Tasche mit Pusaustritt palatinal an Zahn 13 und einen vorwiegend horizontalen knöchernen Defekt in regio 12 (Abb. 2). Das Röntgenbild vom Mai 2011 (Abb. 5) zeigte eine Ausweitung des resorptiven Prozesses bis zur Wurzelspitze von 13 sowie Augmentationsmaterial, das offenbar bei einer der mehrmals durchgeführten Wurzelspitzenrevisionen zur Defektauffüllung eingebracht worden war. Die differenzialdiagnostische Abklärung ließ eine Längsfraktur der Wurzel erkennen, so dass nur eine Entfernung des Zahns 13 infrage kam. Der Patientin wurden die Extraktion des Zahns und eine nachfolgende implantatprothetische Versorgung vorgeschlagen. Da der Nachbarzahn bereits fehlte und eine tiefe putride Tasche vorlag, musste davon ausgegangen werden, dass es nach der Extraktion zu einer sehr umfangreichen Resorption der alveolären Strukturen kommen würde. Die Konsequenz wäre somit darin zu sehen gewesen, dass dieser raumgreifende Defekt nur mit einer umfangreichen Augmentation zu beheben gewesen wäre. Alternativ wurde eine Extrusionstherapie des Zahns 13 zur körpereigenen Regeneration des vollständigen alveolären Hart- und Weichgewebes vorgeschlagen. Die Patientin entschied sich für die Extrusionstherapie.
Therapeutisches Vorgehen
Es wurde eine therapeutische provisorische Brückenversorgung von Zahn 14 bis 11 aus gefrästem Hochleistungskunststoff (Copra Temp PMMA, White peaks) im Labor hergestellt. Der Zahn 13 wurde auf Gingivaniveau gekürzt und mit einem Extrusionssteg (Komet) versehen. Dieser wurde mit RelyX (3M ESPE) in vestibulär-oraler Richtung mit der Wurzel verklebt (Abb. 6). Anschließend wurde die laborgefertigte Brücke eingegliedert. Das Zwischenglied von 13 wurde basal für die Extrusion freigeschliffen und die Extrusion mit maximaler Kraft durchgeführt. Dazu wurden zwei Gummis 3,2 mm Ø strong eingehängt (Abb. 7). Die Patientin wurde aufgefordert, die Gummizüge zweimal täglich zu wechseln.
Nach acht Tagen war die Wurzel bis zum Anschlag am Zwischenglied extrudiert (Abb. 8). Deutlich erkennbar war der Niveauunterschied des marginalen Gingivasaums, der bei der Extrusion der Wurzel dem Extrusionsweg um bis zu 80 Prozent gefolgt war. Dies wurde in der Folge dreimal wiederholt, bis lediglich das apikale Segment der Wurzel in der Alveole verblieben war (Abb. 9). Hierfür wurde entweder der Extrusionsweg unter dem Zwischenglied weiter freigeschliffen oder die extrudierte Wurzel gekürzt und ein neuer Extrusionssteg geklebt. Dann wurde das Segment mit flowable Komposit (Estelite, Tokuyama) bei noch in situ befindlichem Gummi am Zwischenglied der therapeutischen Restauration fixiert (Abb. 10).
Da bei der Extrusion nur Zugkräfte wirken und im Gegensatz zur Translation keine Druckkräfte auftreten, werden alveoläre Strukturen nicht ab und wieder neu aufgebaut. Aufgrund dieser reinen Umbauvorgänge wird die Information der ursprünglichen alveolären Struktur in den Proteoglykanen gespeichert. Diese Informationsspeicherung geht erst durch den Abbau dieser molekularen Strukturen verloren [6].
Aus diesem Grund ist nach der Extrusionstherapie die nahezu gleiche Wartezeit einzuplanen wie nach einer Augmentation. [10].
Erst danach ist es möglich, ein Implantat ausreichend stabil zu inserieren und nach einer entsprechenden Einheilzeit zu belasten.
Implantatinsertion
Nach einer Wartezeit von sechs Monaten wurde die extrudierte Wurzelspitze entfernt und ein einteiliges Aesthura Immediate Implantat (Nemris) mit 4,75 mm Durchmesser und 13 mm Länge im ausreichenden ortsständigen Knochen inseriert.
Durch die Extrusionsbewegung der ganzen Wurzel war die Resorption der vestibulären Knochenwand vollständig verhindert worden. Es zeigte sich ein Kieferkammprofil, das dem Ausgangsbefund vor Extraktion des Zahns nahezu vollkommen entsprach. Die klinische Situation war zudem durch eine deutlich verbreiterte angewachsene Gingiva charakterisiert.
Da die ehemalige Alveole nach der Extrusion vollständig durchknöchert war, konnte ein einteiliges Aesthura Immediate Implantat gesetzt werden, das eine höhere Primärstabilität als 30 Ncm besaß. Die Implantatschulter wurde vestibulär 1 mm unter den tiefsten Punkt der Gingivagirlande platziert. Das Implantat wurde mittig an die ehemalige Position des Zahns 13 gesetzt und verfügte über eine ausreichend starke vestibuläre knöcherne Wand.
Die Röntgenkontrolle zeigte ein orthognath inseriertes Implantat im ortsständigen Knochen und eine vollständige Ausheilung des knöchernen Defekts in Regio 12 (Abb. 11). Unmittelbar nach der Implantation wurde mithilfe einer konfektionierten Kompositkappe (Nemris) und eines flowable Komposits (Estelite, Kaniedenta) ein natürliches Emergenzprofil des Zahns erstellt (Abb. 12). Das Zwischenglied in Regio 12 wurde mit Kompositmaterial unterfüttert. Während der viermonatigen Einheilphase wurde das Implantat nicht belastet. Die Patientin konnte den Spalt zwischen der Kompositkappe und dem Zwischenglied mit SuperFloss reinigen (Abb. 13). Da der horizontale Defekt in Regio 12 ein überextendiertes Zwischenglied nötig gemacht hätte, wurde mit einem aus der Tuberregion entnommenen Bindegewebstransplantat der Kieferkamm rekonstruiert (Abb. 14, 15). Vier Monate nach Implantatinsertion zeigten sich optimale Hart- und Weichgewebeverhältnisse im Bereich der zu versorgenden Region.
Implantatprothetische Versorgung
Als prothetische Versorgung wurde eine Krone auf Implantat 13 mit einem Anhänger zum Ersatz von 12 gewählt. Es wurde dazu eine präfabrizierte konfektionierte Zirkonoxidkappe (Nemris) verwendet, die mit Multilink Implant Zement (IvoclarVivadent) mit dem gefrästen Zirkongerüst aus LAVA Zirkon (3M ESPE) verklebt wurde.
Anschließend wurde das Gerüst mit Creation ZI Keramik Willi Geller verblendet. Die restlichen Zähne des Oberkiefers wurden mit Zirkonkronen aus den genannten Materialien hergestellt. Die Zirkonkronen wurden wiederum mit selbstadhäsivem Zement RelyX (Fa. Ivoclar/Vivadent) und die Zirkonkrone auf Implantat mit Flex Phosphat Zement eingesetzt.Das klinische Ergebnis zeigt einen vollständig erhaltenen Kieferkamm und einen harmonischen Verlauf der marginalen Gingiva im Bereich des Implantats und der Nachbarzähne. Die Extrusion der Wurzel von 13 hat auch am Zahn 14 die marginale Gingiva nach coronal bewegt und so neben einer Verbreiterung der angewachsenen Gingiva auch den Margo gingivalis positiv beeinflusst.. Das Bindegewebstransplantat in Regio 12 hat zu einer natürlichen Kieferkammkontur geführt, so dass eine ästhetische Zwischengliedgestaltung möglich war (Abb. 17). Die Stippelung der Gingiva in Regio 13 weist auf den vestibulär auf dem Implantat vorhandenen Knochen hin, was die Langzeitprognose für die implantatprothetische Rekonstruktion entscheidend verbessert.
Fazit
In dem vorliegenden Patientenfall wurde eine biologische Implantatlagervorbereitung durch Extrusion einer längsfrakturierten Wurzel beschrieben. Durch die forcierte Extrusion der Wurzel mittels hoher Kräfte und die nachfolgende Wartezeit bis zur Knochenreifung ist es zu einem vollständigen Erhalt bzw. einer Regeneration des Kieferkamms und zu einem zusätzlichen Gewinn an Weich- und Hartgewebe gekommen. Die 11 mm tiefe Tasche an Zahn 13 konnte eliminiert und der Knochen in vertikaler Dimension vollständig regeneriert werden. Die vorhandene Resorption in Regio 12 wurde durch ein Bindegewebstransplantat rekonstruiert. Die anschließende Implantation konnte in ausreichendem ortsständigem Knochen ohne jegliche Augmentation transgingival durchgeführt werden. Die Extrusionstherapie ist in der Praxis einfach umsetzbar, beansprucht wenig Zeit, ist kostengünstig und belastet den Patienten kaum. Sie beruht auf rein biologischen Gesetzmäßigkeiten und sollte als alternative Behandlungsmethode für eine Implantatbettgestaltung im Vergleich zu augmentativen Verfahren herangezogen werden.Kurz: Mit der Extrusionstherapie können wir unseren Patienten viele umfangreiche operative Eingriffe ersparen bei oft gleichwertigen oder sogar überlegenen Ergebnissen. Bei jedem als hoffnungslos diagnostiziertem Zahn sollte deshalb über das biologische Potenzial reflektiert werden, das sich im paradontalen Faserapparat auf der Wurzeloberfläche widerspiegelt.
Dr. Sabine Hopmann studierte Zahnmedizin in Köln und ist seit 1996 niedergelassen in der Gemeinschaftspraxis Dr. Hopmann/Dr. Maak in Lemförde. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten zählen neben der Prothetik und Implantatprothetik insbesondere die minimalinvasive Chirurgie und Extraktionstherapie.
Kontakt: hopmann@hopmann-maak.de
Literatur
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11. Reitan K., Clinical and histologic Observations on tooth movement duringand after orthodontic treatment. Am J Orthod 1967. 53: 721–745
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13. Seibert JS, Salama HAlveolar ridge preservation and reconstruction. Periodontol 2000 1996. 11: 69–84
14. Skerry TM, Bitensky L., Chayen J., Lanyon LE. Loading-related reorientation of bone proteoglycan in vivo. Strain memory in bone tiss