„Das Ergebnis fällt nicht einfach aus dem Drucker“
Als deutscher Vertreter in der Referentenriege des WORLD DENTAL FORUM 2019 sprach Prof. Dr. Jan-Frederik Güth (LMU München) zum Thema „Digitale Biomimetik“. Was sich hinter diesem Ansatz verbirgt, wie weit die Digitalisierung der Zahnmedizin seiner Meinung nach tatsächlich schon ist und warum 3D-Druck mehr als nur „Drucker bedienen“ bedeutet, erklärt er im Interview mit DENTAL MAGAZIN.
Herr Prof. Dr. Güth, Sie sprechen von zwei aktuellen „Megatrends“ in der Zahnmedizin: die digitale Revolution einerseits, biomimetische Konzepte andererseits. Wie stehen die beiden Entwicklungen zueinander?
Prof. Dr. Jan-Frederik Güth: Eigentlich widersprechen sich die Begrifflichkeiten in ihrer ursprünglichen Bedeutung. Digital heißt, mit Nullen und Einsen zu agieren – schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Biologie ist anders. Sie ist zwar auch sehr konsequent, aber hier haben wir es mit lebenden, wachsenden und sich verändernden Strukturen zu tun. Biomimetik wiederum bedeutet, wir beobachten, wie die Natur komplexe Probleme löst und versuchen daraus zu lernen. Diese Probleme sind häufig so komplex, dass wir sie mit herkömmlichen Methoden gar nicht abbilden oder analysieren und schon gar nicht umsetzen können. Hier können uns digitale Technologien helfen, Ergebnisse vorhersagbarer und besser zu gestalten.
Als Beispiel sei die Funktionsdiagnostik genannt: Wir bilden uns heute ein, dass wir über einen Artikulator und ein, zwei Einzelbewegungen eine komplexe Kaubewegung abbilden können und hoffen dann, dass keine Interferenzen mit dem Zahnersatz auftreten. Mit einem virtuellen Artikulator können wir diese Bewegung heute schon digital viel präziser und umfassender aufnehmen und in der CAD-Software widerspiegeln. Sicherlich ist das heute noch nicht Standard und es gibt noch einige Schnittstellen abzustimmen – aber so können wir uns durch digitale Technologien stärker an die natürlichen Gegebenheiten und Funktionen annähern. Denn neben der eigentlichen Geometrie haben wir in allen Bereichen auch immer einen funktionellen Aspekt.
Was steckt hinter dem von Ihnen beschriebenen „key to aesthetics“?
Güth: Hinter dem beschriebenen „key to aethetics“ steckt eine sogenannte Zahnstrukturdatenbank. Ein Patent, das Zahntechniker Josef Schweiger ins Leben gerufen hat. Unser Ziel ist es, nicht nur die äußere Geometrie des Zahns zu erfassen, sondern auch in den Zahn hineinzugucken. Denn der Schlüssel zur natürlichen Funktion des Zahns liegt in seinem Aufbau – im Dentinkern und der umhüllenden Schmelzstruktur. Die Idee hinter dem „key to aesthetics“ ist, sich diesen Aufbau anzuschauen und zu reproduzieren. Im Bereich Polymere sind wir heute schon so weit, diesen Aufbau mittels Multimaterial-3D-Druckverfahren nachzuempfinden. Das sind nun die Hausaufgaben auch für eventuelles zukünftiges Bio-Printen. Das heißt, auch für eine Umsetzung mit anderen Materialien wie Keramik oder irgendwann vielleicht auch naturidentischen Zahnhartsubstanzen.
Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der 3D-Druck-Technologie für die Zahnmedizin ein?
Güth: Wir müssen hier indikationsabhängig unterscheiden. Die gedruckte Chirurgieschablone sowie 3D-gedruckte Modelle haben jetzt schon ihre Berechtigung. Was Zahnärzte und Zahntechniker jedoch beachten sollten, wenn sie sich einen 3D-Drucker anschaffen: Das Ergebnis fällt nicht einfach so fertig aus dem Drucker, sondern muss noch „postprocessed“ – sprich nachbearbeitet werden. Wir müssen uns anschauen, wie sich die Materialien im Labor bewähren oder wie exakt das Gedruckte überhaupt ist.
Im Bereich Mundeinsatz hatten wir gefühlt ja erst einmal eher eine Bruchlandung mit 3D-gedruckten Schienen: Diese waren häufig zu spröde und je länger das Material im Mund verbleiben soll, desto sicherer müssen wir sein, auch was die Biokompatibilität betrifft.
Wie weit ist die dentale Digitalisierung Ihrer Meinung nach bereits vorangeschritten? Werden Zahnärzte irgendwann nicht mehr um digitale Prozesse in der Praxis drum herumkommen?
Güth: Die Frage ist, wo man die Grenze zieht. Am digitalen Röntgen beispielsweise geht heute kein Weg mehr vorbei. Ich glaube kaum, dass sich heute noch jemand ein analoges Röntgengerät kauft oder eine analoge Kamera für den professionellen Einsatz in der Zahnarztpraxis. Da sieht man ganz klar eine Entwicklung. Und digital heißt ja nicht nur Intraoralscan.
Auf welche drei digitalen Geräte würden Sie selbst im klinischen Alltag nicht mehr verzichten wollen?
Güth: Auf den Intraoralscanner, das DVT und meine Digitalkamera.
Vielen Dank für das Gespräch!
Der Experte
Prof. Dr. med. dent. Jan-Frederik Güth
Stellvertretender Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Klinikum der Universität München, Spezialist für Prothetik der DGPro, Stellvertrender Vorsitzender der ADT