Kieferkammdefekte

Allogene Knochenblöcke – eine Fallserie

Moderne Behandlungsalternativen für ausgeprägte Kieferkammdefekte setzen sich mehr und mehr durch. Dazu gehören unter anderem patientenindividuelle allogene Knochenblöcke. Basierend auf dreidimensionalen Röntgendaten des Defektbereichs, wird mittels CAD/CAM-Technologie ein individueller Knochenblock angefertigt. Für die Patienten ist dieses Vorgehen weniger belastend. Ist das die Zukunft?


Simulation des Knochenblocks im Modell (© Back/Blume, 25 Bilder)


Ausgeprägte Kieferkammdefekte, vor allem in der vertikalen Ebene, stellen nach wie vor eine große Herausforderung dar. Zwar gilt die Verwendung von autologen Knochen-, Bindegewebs- und Schleimhauttransplantaten nach wie vor als Goldstandard, doch es gibt entscheidende Nachteile: Dazu zählen nicht nur die begrenzte Verfügbarkeit, sondern auch die verlängerte OP-Zeit und das Risiko der Entnahmemorbidität. Welche weniger invasive Behandlungsalternativen sich für die Alveolarkammrekonstruktion anbieten, zeigt die Falldokumentation.

Fallbeispiel 1

Aufgrund einer ausgeprägten Alveolarkammatrophie im Bereich des rechten Oberkiefers wurde uns eine 62-jährige Patientin zur Augmentation und Implantation überwiesen. Sie hatte ein Implantat regio 16 aufgrund einer Periimplantitis verloren, der Zahn 14 war kurze Zeit vorher extrahiert worden, der Kieferkamm regio 15 war schon lange Jahre zahnlos. Nach wie vor kam für die Patientin nur festsitzender Zahnersatz infrage. Zahn 18 war zwar noch in situ, für eine Brückenversorgung war die Schaltlückenspanne von Zahn 13 auf Zahn 18 aber deutlich zu groß. Nach eingehender klinischer und radiologischer Untersuchung, ausführlicher Besprechung aller Alternativen und einer eingehenden Risikoaufklärung entschied sich die Patientin für die Alveolarkammrekonstruktion mittels CAD/CAM-gefertigtem individualisierten allogenen Knochenblocks. Die DICOM Daten des angefertigten Oberkiefer-DVTs wurden an die botiss biomaterials GmbH übermittelt. Dort wurde der allogene Spenderblock digital designt, virtuell wurden Implantate aufgestellt und die Planung wurde zur Korrektur zurück an unsere Praxis gesendet. Nach Freigabe durch den Operateur konnte mit der Fertigung des allogenen Blocks begonnen werden.

Nach etwa sechs Wochen wurde der CAD/CAM-gefertigte Knochenblock steril doppelt verpackt in unsere Praxis geschickt. Die Operation zur Alveolarkammrekonstruktion erfolgte in Intubationsnarkose. Die Patientin bekam nach Blutabnahme für eine PRF-Membran intraoperativ 1000 mg Ampicillin i. v. verabreicht.


Schnittführung

Die Schnittführung wurde nach dem Pillar-Sockel-Design (Blume) vorgenommen. Dabei liegt die Inzision weit im Vestibulum und verbindet zwei vertikale Entlastungsschnitte. Im Gegensatz zu der herkömmlichen krestalen Schnittführung bleibt das Periost über dem augmentierten Bereich damit völlig intakt. Nach der streng subperiostalen Präparation erfolgte die Kontrolle der Passung des CAD/CAM-Blocks. Ein ganz entscheidender Punkt ist, vor jeglichem Kontakt des Blockes mit Blut diesen in steriler Kochsalzlösung und am besten in der PRF-Flüssigkeit zu wässern, sodass sich keine Poren des Blocks mit Blutkoageln verschließen und innerhalb des Blocks ein nicht mit Blut gefüllter Hohlraum bildet. Vor der Befestigung des Blocks wurde die Kompakta des Empfängerbetts mit einer kleinen Kugelfräse mehrfach perforiert um sogenannte Bleeding Points zu setzen, die die Durchblutung des Knochenblocks gewährleisten. Mit zwei Osteosyntheseschrauben mit dem Durchmesser 1,5 mm und der Länge 9 mm wurde der allogene Knochenblock rotationssicher fixiert. Das Augmentat wurde mit einer dünnen Schweinepericard-Membran (Jason membrane, botiss biomaterials GmbH, Vertrieb Straumann) und der PRF-Membran abgedeckt. Der spannungsfreie Wundverschluss erfolgte mit der modifizierten vertikalen Matratzennaht nach Laurrell mit resorbierbarem Nahtmaterial (Vicryl 4.0). Postoperativ wurde ein Oberkiefer-DVT angefertigt. Die Nahtentfernung wurde im Rahmen der Nachsorgeuntersuchung sieben und 14 Tage postoperativ vorgenommen. Nach einer Heilzeit von sechs Monaten erfolgte die Implantation in Lokalanästhesie unter antibiotischer Abschirmung mit 2 g Amoxicillin oral eine Stunde präoperativ. Die Schnittführung erfolgte krestal, und nach subperiostaler Präparation wurde der Knochenblock dargestellt und die Osteosyntheseschrauben wurden entfernt. Danach wurden drei Implantate (Straumann) in den Knochenblock gesetzt und mit 0er-Verschlussschrauben abgedeckt. Die Wundrandadaptation erfolgte mit resorbierbarem Nahtmaterial, das bei der Verlaufskontrolle sieben Tage postoperativ vollständig entfernt wurde. Nach dreimonatiger gedeckter Einheilung wurden die Implantate im Rahmen einer Vestibulumplastik freigelegt. Dafür wurde eine erneute krestale Schnittführung regio 14 bis 17 vorgenommen und ein Splitflap präpariert. Der vestibuläre Wundrand wurde mit Einzelknopfnähten im Vestibulum fixiert. Im Bereich der Implantate wurde der Splitflap perforiert, um die Abdeckschrauben gegen Gingivaformer auszutauschen, und der Bereich des nun freiliegenden Bindegewebes wurde mit einer 3D-vernetzten Kollagenmatrix (mucoderm, botiss biomaterials GmbH, Vertrieb Straumann) abgedeckt. Diese wurde zunächst gewässert, um die Verarbeitung zu erleichtern, und an den Stellen der Gingivaformer gestanzt. Die Nahtentfernung erfolgte neun Tage postoperativ. (Abb. 1a bis 1f)

Fallbeispiel 2

Nach missglückter Augmentation im rechten Oberkiefer stellte sich ein 42-jähriger Patient in unserer Praxis vor. Für die gewünschten Implantate im rechten Oberkiefer regio 16 und 17 war vertikal deutlich zu wenig Knochen vorhanden. Ein Sinuslift hätte zwar die Höhe des Knochens wieder hergestellt, die prothetische Position der Zahnkronen wäre aber somit in einer Infraokklusion zu liegen gekommen oder die Implanatkronen hätten völlig überdimensioniert werden müssen. Daher entschied sich der Patient für die Rekonstruktion mittels allogenen CAD/CAM-Knochenblocks. Das Prozedere gestaltete sich wie in Fallbeispiel 1. Auch die Einheilzeiten wurden entsprechend eingehalten.


Fallbeispiel 3

Ein 29-jähriger Patient stellte sich mit einer massiven Alveolarkammatrophie im rechten Unterkiefer in unserer Praxis vor. Diese lag in langen Jahren der Zahnlosigkeit begründet. Eine Beckenkammaugmentation kam für den Patienten nicht in Betracht. Dennoch wünschte er die Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz. Nach ausführlicher Beratung entschied sich auch dieser Patient für eine Augmentation mit einem patientenindividualisierten allogenen CAD/CAM-gefertigten Knochenblock. Die DICOM-Daten des Unterkiefer-DVTs wurde an die Firma Zimmer gesendet, und es erfolgten wie im oben beschriebenen Fall eine virtuelle Planung und das virtuelle Design des allogenen Knochenblocks anhand der geplanten Implantatpositionen. Nach der üblichen Kontrolle und Freigabe des Chirurgen erfolgte die eigentliche Fertigung und Übersendung des Knochenblocks in die Praxis. Die Augmentation erfolgte auch in diesem Fall in Vollnarkose unter antibiotischer Abschirmung perioperativ mit Ampicillin. Die Schnittführung im Unterkiefer unterscheidet sich von der Sockelschnittführung im Oberkiefer aufgrund der Anatomie (N. mentalis). Auch bei diesem Patienten wurde eine tief im Vestibulum liegende bogenförmige Inzi‧sion durchgeführt, jedoch ohne die vertikalen Entlastungen. Nach streng subperiostaler Präparation erfolgte die Darstellung des N. mentalis. Die Vorbereitung des Spenderbetts sowie die Wässerung, Einpassung und Befestigung des allogenen Knochenblocks gestalteten sich wie im Fallbeispiel 1. Die Heilzeit des Knochenblocks dauerte ebenfalls sechs Monate. Zwei Implantate (Straumann) wurden nach krestaler Schnittführung in Lokalanästhesie eingebracht und heilten subgingival binnen drei Monaten ein. Aufgrund des massiven Volumenzuwachses war auch ebenfalls eine Vestibulumplastik im Zuge der Implantatfreilegung notwendig. Das Prozedere verlief ebenfalls wie im Fallbeispiel 1. Das freiliegende Gewebe wurde mit einer Kollagenmatrix abgedeckt. Dadurch konnte die Breite der befestigten Gingiva deutlich verbreitert werden.


Fazit

Der Einsatz von allogenem Knochenersatzmaterial, sei es in granulärer oder in Blockform, ist aus unserer Sicht eine viel versprechende Behandlungsalternative zu autologen Transplantaten. Wir beobachteten eine hohe Volumenstabilität und und stellten nach Belastung im Nachuntersuchungszeitraum von bis zu fünf Jahren kaum Anzeichen von Knochenresorption fest. Unsere neu entwickelte Sockelschnittführung hat sich bewährt. Denn sie führt zu einem spannungsfreien Wundverschluss, Wunddehiszenzen werden vermieden. Im Hinblick auf das Weichgewebsmanagement bei ausgeprägten Kieferkammdefekten zeigten sich xenogene 3D-vernetzte Kollagenmebranen als sehr erfolgreiche und schmerzreduzierte Therapieoption, um eine ausreichende Breite an keratinisierter Gingiva zu generieren. Weitere Case Reports, Case Series und Studien werden benötigt, um diese Erfolg versprechenden Ergebnisse zu bestätigen.

Die Indikationen für allogene Knochenblöcke umfassen ein breites Spektrum von horizontalen und vertikalen Kieferkammaugmentationen, dazu zählen unter anderem:

  • Rekonstruktionen in der ästhetischen Zone im Oberkiefer,
  •  schwierige Knochendefekte im Seitenzahnbereich,
  • Spaltosteoplastiken wurden bereits erfolgreich mit allogenen CAD/CAM-Blöcken versorgt.

Im Gegensatz zum Einsatz allogener Knochenersatzmaterialien (KEM) gibt es noch kaum Publikationen zum Einsatz CAD/CAM-gefertigter Blöcke. Eine retrospektive Studie zu den von uns eingebrachten CAD/CAM-Blöcken ist derzeit in Vorbereitung.

Kein Implantatverlust

In 67 unserer derzeit 91 eingebrachten allogenen Knochenblöcke konnten wir bereits 117 Implantate einsetzen. Bis zum heutigen Datum kam es noch zu keinem Implantatverlust. Der Beobachtungsraum beschränkt sich allerdings nur auf fünf Jahre, Langzeitergebnisse gilt es abzuwarten. Bemerkenswert ist das stabile Volumen der eingesetzten allogenen Blöcke, insbesondere in der vertikalen Höhe. Diese Volumenstabilität ist auch eines der Hauptargumente, warum wir diese Augmentationsmethode empfehlen. Wie alle biologischen Gerüstmaterialien müssen allogene Knochenblöcke vor ihrer Anwendung natürlich umfangreich vorbehandelt werden. Immer wieder diskutiert wird das Risiko einer Infektionsübertragung oder einer immunologischen Reaktion aufgrund des geringen Proteinanteils. Bei einer geschätzten Anwendung im Millionenbereich gab es während der letzten 25 Jahre allerdings keinen einzigen Fall einer Infektionstransmission durch dezellularisierte Knochenpräparate. In unserer Praxis haben wir in den letzten zehn Jahren bei Augmentationsoperationen 27 Prozent rein allogenes partikuläres Knochenersatzmaterial eingesetzt und in 71 Prozent der Fälle partikuläres allogenes Knochenersatzmaterial mit anderen Knochenersatzmaterialien kombiniert. Der Anteil der Augmentationen mit allogenen Knochenblöcken machte rund zwei Prozent aus.

Patientenskepsis sinkt

Unsere Erfahrung: Patienten stehen allogenem KEM und Knochenblöcken immer aufgeschlossener gegenüber, die Bereitschaft, einen Zweiteingriff in Kauf zu nehmen, sinkt deutlich. Wichtig ist dabei aber, die Patienten detailliert präoperativ über alle möglichen Behandlungsalternativen und Materialien aufzuklären.

 

Die Experten

Dr. Dr. Dr. Oliver Blume
Dr. Michael Back
Dr. Teresa Born
setzen in der Praxisgemeinschaft im Tal in München erfolgreich auf Augmentationen mit individuell gefrästen allogenen Knochenblöcken. In Kürze erscheint die erste Studie zum Thema.