Additiv gefertigte metallfreie Werkstoffe: Eindrücke und Ausblicke von der IDS 2023

Dentaler 3D-Druck zeigt hohes Potenzial

Die additive Fertigung (3D-Druck) in der Zahnmedizin hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Angesichts dieses rasanten Fortschritts war zu erwarten, dass auf der IDS 2023 ein wichtiger Fokus auf diesen Bereich gelegt werden würde. Es gab interessante Neuheiten für die Zahnarztpraxis und das Dentallabor, die sowohl Technologie und Werkstoffe als auch Prozessbausteine betreffen.


Druck von Prothesenbasen bei Rapid-Shape


Die dentale Welt hat sich seit der letzten „echten“ IDS im Jahr 2019 gewandelt; dies unterstrich auch die IDS 2023. Höher, schneller, weiter … – wer nach Köln gereist ist, um bahnbrechende Innovationen zu erleben, wird etwas ernüchtert in der Realität angekommen sein. Wer jedoch Einblicke in effektive Lösungen, vereinfachte Prozesse und optimierte Werkstoffe suchte, wird mit inspirierenden Eindrücken nach Hause gefahren sein und ein positives Fazit aus den Messetagen gezogen haben.
Insbesondere der Markt des dentalen 3D-Drucks ist von hoher Dynamik geprägt. Und so zeigte sich auf der IDS eine bunte Vielfalt von Anbietern, deren Namen teilweise für viele Messebesucher bis dato unbekannt waren. Spezialisierte Medizintechnik-Unternehmen wie pro3dure, innovative Start-ups, als Beispiel sei NYTE3D genannt, sowie dentale „Platzhirsche“ wie etwa Dentsply Sirona – an insgesamt 219 Ständen wurden Produkte rund um den 3D-Druck vorgestellt. 161 Unternehmen hatten Werkstoffe für den dentalen 3D-Druck im Portfolio. Allein diese Zahlen verdeutlichen den Fortschritt der additiven Fertigung (AF) und das Potenzial, das ihr zugeschrieben wird.


End-to-End-Workflow
Die derzeit in Dentallabor und Zahnarztpraxis am häufigsten angewandte additive Technologie ist die Stereolithografie (SLA), bei der die Objekte aus Resin gedruckt werden. Nach dem 3D-Druck ist hier ein zuverlässiges Post-Processing unverzichtbar (Abb. 1 und 2). Auffallend ist, dass vonseiten der Hersteller zunehmend der Fokus auf validierte Prozessketten und abgestimmte Abläufe gelegt wird. Viele Anbieter präsentierten Druckstraßen, bei denen für den eigentlichen Druck über die Reinigung bis zur Nachpolymerisation alle Geräte in einem Workflow eingebunden sind. Ziel einer solchen validierten Prozesskette ist es, nicht nur die Technologie zu beherrschen, sondern insbesondere die hohen Qualitätsstandards zu erfüllen, die in der Zahnmedizin gefordert werden. Dentale „3D-Druck-Ökosysteme“ wurden beispielsweise am Stand von DMG und Straumann gezeigt. Das Unternehmen Sprint­Ray geht im End-to-End-Workflow noch einen Schritt weiter und stellt optional über einen Cloud-Design-Service die fertige Konstruktion für den Inhouse-Druckprozess bereit. Und auch Formlabs setzt auf Automatismen. Mit dem Automation Ecosystem kann eine automatisierte Druckerflotte aufgebaut werden. Form Auto ist eine Hardware-Erweiterung für die Form 3B- und Form 3B+-Drucker. Die gedruckten Objekte werden automatisch von der Bauplattform entfernt; der nächste Druckvorgang startet ohne weitere Interaktion des Anwendenden.
Bezüglich der Reinigung des gedruckten Objektes gehen einige Firmen andere Wege, als die bislang oft angewandte Methode mit chemischen Substanzen. Bei RapidShape (Abb. 4) beispielsweise werden die gedruckten Objekte mit hoher Drehzahl geschleudert (Zentrifuge), um Überschüsse zu entfernen. Auf Isopropanol oder Ähnliches kann verzichtet werden, was dem Umwelt- und Gesundheitsschutz zugutekommt. Der Trend der Reinigung mittels Ultraschall wurde auf Grund der Entzündungsgefahr auf Reinigungsgeräte mit Magnetrührern verlagert, Beispiele sind Ivoclar oder Dreve. Auch für die Nachbelichtung wurden auf der Messe zahlreiche neue Geräte vorgestellt. Der Trend geht in Richtung anwenderspezifische Geräte, die modular nach den Bedürfnissen der zu verwendenden Werkstoffpalette aufgebaut werden können, zum Beispiel mit Wärme, Schutzgas und unterschiedlicher Anzahl der Lichtquellen mit variierender Wellenlänge und Lichtintensität.

Anwendungsbereiche
Größter Treiber für den 3D-Druck ist die zu erwartende Verbreitung von Intraoral­scannern und die daraus resultierende Notwendigkeit der digitalen Modellherstellung. Doch der Anwendungsbereich des 3D-Drucks geht deutlich über den Modelldruck hinaus. Abformlöffel, Bissschablonen, Prothesenbasen, Mock-ups, Schienen oder Provisorien – all diese Indikationen haben sich in den vergangenen Jahren etabliert. Mittlerweile werden zunehmend Werkstoffe für permanenten Zahnersatz angeboten, zum Beispiel von Bego oder Detax. Herstellerseitig wird von einem keramisch gefüllten Hybridmaterial gesprochen. Aus Sicht der Werkstoffkunde handelt es sich um mit anorganischen Partikeln gefüllte Polymersysteme. Der Füllstoffgehalt ist im Vergleich zu den konventionellen Kompositen – etwa direkte Füllungs- oder Verblendkomposite – sehr gering.
Interessante Perspektiven im Dentalbereich bietet auch der Multi-Material-Druck. Schon länger ist es möglich, innerhalb eines Druckprozesses verschiedene Materialien zu kombinieren. Bislang waren die auf der Polyjet-Technologie (Stratasys) basierenden Drucker vergleichsweise groß und kamen daher vorwiegend in Fertigungszentren zum Einsatz. Auf der IDS 2023 hatte ein kleiner Multi-Material-Drucker sein Debüt. Mit dem J5 DentaJet können drei Materialien gleichzeitig auf einer Plattform verdruckt werden. Das sind beispielsweise die Bohrschablone mit zugehörigem Modell und Gingivamaske oder ein Modell mit Modellgussgerüst aus ausbrennbarem Material.
Im Bereich der dentalen 3D-Druckresine wurden Werkstoffe für die verschiedensten extra- und intraoralen Anwendungen vorgestellt. Interessant sind etwa biomimetische Polymere, die das Unternehmen pro3dure in Zusammenarbeit mit der Unilever-Tochter Penrhos Bio entwickelt hat. Mit der MSI-Technologie (Multi-Species Inhibition) soll die Biofilmadhäsion vermindert werden. Inspiriert durch die Natur (Rotalge) wurde die Technologie in verschiedene intraoral anzuwendende 3D-Druckwerkstoffe von pro3dure integriert, um Verfärbungen und/oder Ablagerungen auf dem Objekt zu verhindern. Der gleiche Hersteller zeigte auf der IDS auch ein Schienenmaterial, welches über einen patentierten Thermo-Memory-Effekt verfügt. Die gedruckte Schiene passt sich bei Körpertemperatur der Zahnreihe an, wodurch sich Tragekomfort und Bruchstabilität erhöhen.

3D-Druck von Keramik
Keramische Werkstoffe sind im Bereich der additiven Fertigungsverfahren recht neu und so stieß der 3D-Druck von Keramik auf der IDS 2023 auf großes Interesse. Schon seit längerer Zeit befasst sich die Wissenschaft mit dem Druck von Keramik im Dentalbereich. Die Forschung und Entwicklung ist hier sehr aktiv. Auf der IDS präsentierte das Unternehmen ­Lithoz den Druck von Keramik. Der Werkstoff basiert auf IPS e.max Lithium-Disilikat-Pulver (Ivoclar) und ermöglicht den Druck vollkeramischer Restaurationen, etwa dünne Veneers (ab 0,3 mm) oder Kronen mit detailgenauer Darstellung und den bekannt guten ästhetischen Eigenschaften. Das auf Stereolithographie basierende LCM-3D-Druckverfahren von ­Lithoz ermöglicht durch die Verwendung von abgestimmten Keramiken den Druck komplexer und sehr feiner Keramikstrukturen. So ist nicht nur der Druck von Zahnersatz möglich. Auch bioresorbierbarer Kieferknochen (Hydroxylapatit oder Tricalciumphosphat) und additiv seriell gefertigte Zahn­implantate aus Zirkonoxid (TZP-A) oder aluminiumoxid-gehärtetem Zirkonoxid (ATZ) können auf diesem Weg gefertigt werden. Auf der Messe konnten sich die Besucher über den Stand des Projektes informieren. Das Drucken von Keramiken bietet spannende Perspektiven. Es bleibt abzuwarten, bis ein routinemäßiger Einsatz in Zahnarztpraxis und Dentallabor absehbar ist.

Dentaler Filamentdruck
Positiv überraschten auch die dentalen Filamentdrucker (Fused Deposition Modeling, FDM), die in Köln von einigen Herstellern wie Heimerle + Meule oder Renfert) (Abb. 3) vorgestellt worden sind. Dank der Prozessoptimierung konnte die Genauigkeit des dentalen Filamentdrucks deutlich gesteigert werden. Auch die oft bemängelte lange Druckdauer gehört der Vergangenheit an, denn die Geräte sind schnell geworden. Derzeit werden mit dem Filamentdruck hauptsächlich Modelle hergestellt und so einer der wohl wichtigsten Anwendungsbereiche in Labor und Praxis abgedeckt. Aber auch andere Objekte, wie Abformlöffel oder Kronen und Brücken für den provisorischen Bereich, sind möglich. Zudem ist auch hier die Werkstoffkundeforschung sehr rege, sodass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis weitere Anwendungen möglich sind. In der Zahnmedizin werden an das Druckobjekt hohe Qualitätsstandards gestellt. Hierzu gehören zusätzlich zu Fertigungspräzision und Genauigkeit Faktoren wie Umwelt- und Gesundheitsschutz. Und an dieser Stelle bietet der Filamentdruck einige Vorzüge, beispielsweise kein Post-Processing oder keine gesundheitsschädlichen Dämpfe.


3D-Druck und Nachhaltigkeit
Die Betrachtung der ökologischen Nachhaltigkeit von Technologien und Werkstoffen sollte fester Bestandteil des Praxis- und Laboralltags sein. Grundsätzlich fallen beim 3D-Druck je nach Technologie Abfallprodukte an. Stützstrukturen müssen entsorgt werden (Sondermüll). Hinzu kommen Reinigungsmittel, Altmaterial, Fehldrucke, diverse Lösungsmittel sowie sonstiger Abfall wie Einmalhandschuhe oder Papiertücher. Außerdem erfordert die Herstellung von 3D-Druckwerkstoffen häufig die Nutzung fossiler Ressourcen. Zwar gibt es biologisch abbaubare Kunststoffe (z. B. Filamente aus Polylactiden, PLA), doch sind auch diese nicht immer völlig frei von umweltbelastenden Nebenprodukten. Für eine ökologisch nachhaltigere Zukunft ist es wünschenswert, dass dentale Druckwerkstoffe entwickelt werden, bei deren Herstellung auf fossile Ressourcen verzichtet werden könnte. Grundsätzlich sollten sich Anwender der Umweltauswirkungen bewusst sein, die durch Herstellungsprozesse verursacht werden, und alle Ressourcen mit Bedacht einsetzen.

IDS 2023: Positives Fazit
Die IDS 2023 führte die Veränderungen in der dentalen Welt während der vergangenen vier Jahre deutlich vor Augen. Und so waren es in dieser einen Messewoche eben nicht die bahnbrechenden Innovationen, die für Aufmerksamkeit sorgten. Vielmehr war zu spüren, dass sich die Hersteller auf eine Konsolidierung etablierter Prozesse und eine Weiterentwicklung validierter Workflows konzentrieren und dies von den Anwendenden dankbar aufgenommen wird. Im Fokus stehen Lösungen, welche die Arbeit in der Zahnarztpraxis und dem Dentallabor einfacher, effizienter und sicherer machen, um das Wohl der Patienten und auch die Qualität der Arbeit zu verbessern. Die IDS 2023 hat gezeigt, dass es oft kleine Entwicklungen sind, die mit wirkungsvollen Optimierungen die Arbeitsatmosphäre, das Wohlbefinden und den Spaß an der Arbeit verbessern. Der dentale 3D-Druck hat sich zu einer gängigen Fertigungstechnologie entwickelt. Das Verfahren ist in der Gegenwart etabliert und wird sein hohes Potenzial in der Zukunft weiter ausspielen.


Annett Kieschnick

Freie Fachjournalistin für Zahntechnik & Zahnmedizin
www.annettkieschnick.de
Foto: privat