Glaskeramik vorbehandeln ohne Flusssäure?
Die 68-jährige langjährige Patientin hadert schon seit einigen Jahren mit dem optischen Erscheinungsbild ihres Zahns 14 (Abb. 1 und 2). An dem etwas dunkleren, aber vitalen Zahn imponiert eine leicht abradierte, bukko-okklusale Reparatur-Kompositrestauration, die nach Fraktur der Zahnschmelzwand an dieser Stelle vor zirka zehn Jahren als provisorische Reparaturfüllung angefertigt worden war. Da keine Beschwerden vorlagen, überdauerte dieses Provisorium doch eine ganze Weile. Doch nun siegte der Wunsch nach einer ästhetischen Versorgung über die Angst vor einer Zahnarztbehandlung: Die Patientin konnte sich zu einer definitiven restaurativen Therapie durchringen.
Aufgrund der noch als ausreichend anzusehenden palatinalen Zahnhartsubstanz erschien eine adhäsive Teilkronenversorgung der vernünftigste Kompromiss aus ästhetischem Potenzial und substanzschonender Präparation zu sein. Nach Lokalanästhesie und Entfernung der alten Kompositrestaurationen zeigte sich eine okklusal sehr tiefe, aber bis auf eine Stelle mesial nahezu komplett schmelzbegrenzte Kavität (Abb. 3). Im Bereich des Dentins des palatinalen Höckers imponiert eine Infraktionsline – der Zahn war hingegen beschwerdefrei. Allein schon aus der vorgefundenen Infraktionslinie ergab sich die Indikation für eine Teilkronenfassung [5] mit einer hochfesten Keramik auch des palatinalen Höckers, um diesen zu immobilisieren.
Um den Zahn bukkal etwas zu verbreitern und um den dunkleren Zahn optisch etwas zu kaschieren, war eine Präparation der Bukkalfläche bis epigingival erforderlich. Der tiefe Substanzdefekt okklusal wurde nach dem Prinzip des „Immediate Seal“ nach adhäsiver Versiegelung [10] mit einer Schicht aus einem Bulk-Flow-Komposit (Tetric EvoFlow Bulkfill) aufgebaut. Die Laborarbeit wurde durch das Dentallabor Hildegard Hofmann, Mainz, erstellt. Die Wahl fiel auf das gepresste IPS e.max (Ivoclar), das für derartige Teilkronen das Restaurationsmaterial der ersten Wahl darstellt, wie die aktuelle S3-Leitlinie zu keramischen Versorgungen [11] anhand von klinischen Studien [7, 12] belegt. Die Abbildung 4 zeigt die IPS e.max-Teilkrone auf einem Spiegel positioniert.
Try-in-Paste war entbehrlich
Bei dem Eingliederungstermin erfolgte eine erneute Anästhesie des Zahnes, gefolgt von der Abnahme des Provisoriums und einer sorgfältigen Versäuberung der Klebeoberflächen mithilfe eines Ultraschallgeräts und einer fluoridfreien Reinigungspaste. Die Einprobe ergab eine sehr gute Passung und den gewünschten ästhetischen Effekt. Zur präziseren Überprüfung der Farbwirkung hätte noch eine zu dem Befestigungsmaterial passende Try-in-Paste verwendet werden können – dieser separate Schritt erschien im vorliegenden Fall jedoch entbehrlich.
Nach gründlicher Reinigung der Teilkrone (Wasserspray und Ultraschallbad) erfolgt deren Chairside-Vorbehandlung. Dazu ist das Befestigen eines „Haltegriffs“ sinnvoll, der eine Vorbehandlung der Kroneninnenseiten ermöglicht, ohne dass der Behandler die Krone selbst mit den Fingern halten muss. Dazu wurde die Krone mithilfe eines lichthärtenden Provisoriummaterials an einem Pinselhalter befestigt. Dies ermöglicht zudem eine einfache Platzierung während des Befestigungsprozederes. Alternativ könnte auch ein OptraStick zur Anwendung kommen.
Als Standardprozedere der Keramikkonditionierung hat sich die Flusssäureätzung mit einer 5%iger Konzentration [7] gefolgt von einer Silanisierung etabliert [1, 2, 4, 6, 8, 9, 15–17]. Die Flusssäureätzung stellt allerdings aus Arbeitsschutzgründen auch einen der kritischsten Arbeitsabläufe in einer Zahnarztpraxis dar [14, 18]. Das Vorrangige für die Anwendung in der Zahnmedizin ist dabei der Augenschutz, der als unverzichtbar beim Umgang auch mit der „nur“ 5%igen Flusssäure angesehen werden muss. Um diese Problematik zu umgehen, lassen viele Kollegen die Keramik bereits geätzt und silanisiert vom Labor liefern. Dann ist allerdings eine Einprobe am Patienten obsolet, da dadurch eine Kontamination der Oberfläche erfolgt. Zudem ist nur eine frisch aufgebrachte Silanschicht reaktiv, eine zusätzliche Nachapplikation von Silan in der Praxis hingegen von untergeordneter Bedeutung.
Auf Ammoniumpolyfluorid basierendes Konditionierungsmittel
Der Schutz der silanisierten und geätzen Keramikoberfläche mit einem Bonding erschien zwar möglich, ergibt aber die Notwendigkeit einer „Reaktivierung“ unmittelbar vor der Eingliederung – lauter zusätzliche und fehlerbehaftete Arbeitsschritte. Somit bleibt die Vorbehandlung einer glasbasierten Keramik durch den Behandler nach der Einprobe am Patienten unmittelbar vor der adhäsiven Befestigung für den Haftverbund die beste Lösung. Alternativ steht jetzt für diejenigen, die die Flusssäure aus ihrem Praxisbetrieb verbannen möchten, ein neues, auf Ammoniumpolyfluorid basierendes Konditionierungsmittel (Monobond Etch&Prime, Ivoclar Vivadent) zu Verfügung.
Durch das aktive Einarbeiten (Einreiben) über 20 s auf die Klebefläche (Abb. 5) erfolgt eine Entfernung von verbliebenen Speichel und Silikonverunreinigungen. Durch die weiteren 40 s Einwirkzeit (Abb. 10) reagiert das Ammoniumpolyfluorid mit der Keramikoberfläche und erzeugt damit ein raues Ätzmusters, das zwar keine so ausgeprägte Rautiefe aufweist wie die Flusssäure [3], aber dennoch zu vergleichbaren Haftwerten führt [3]. Durch die somit geschaffene vergrößerte Oberfläche findet die Aktivierung der keramischen Fügefläche statt. Durch das anschließende Abspülen mit Wasser werden das Ammoniumpolyfluorid und seine Reaktionsprodukte wieder entfernt. Gleichzeitig kann durch den Kontakt mit Wasser die Reaktion zwischen dem enthaltenen Silan und der aktivierten Glaskeramik beginnen. Nach dem Verblasen bleibt dann eine chemisch gebundene, dünne Silanschicht auf der Keramik zurück. Somit kombiniert dieses Produkt die Schritte Flusssäureätzung und Silanisierung und scheint sogar die Ivoclean-Reinigung vorab überflüssig zu machen.
Kommunikation mit dem Labor ist sinnvoll
Aber auch hier bleibt wie bei der Flusssäurekonditionierung die Frage „Wer macht’s?“: Theoretisch könnte dieser Schritt sogar vom zahntechnischen Labor übernommen werden; dies macht – außer mit dem Argument, dass man so die Anschaffung eines Neuprodukts dem Labor überlässt – überhaupt keinen Sinn: Das neue Produkt ist gegenüber der Flusssäure deutlich unkritischer einzuschätzen und man würde sich erneut die Chance auf eine Einprobe verbauen. Somit sollte die Vorbehandlung der Keramik auch bei Monobond Etch & Prime unbedingt vom Behandler (oder der Assistenz) nach der Einprobe und unmittelbar vor der adhäsiven Befestigung vorgenommen werden.
Auch dabei ist eine Kommunikation mit dem Labor sinnvoll: Es sollte darüber informiert werden, dass die Keramik ungeätzt geliefert werden soll. Selbst wenn das Labor aber doch einmal zusätzlich eine Flusssäureätzung vornimmt dürfte letztlich der additive Effekt aus Flusssäure + Monobond Etch & Prime deutlich unkritischer sein als eine zweimalige Flusssäurekonditionierung – einmal durch das Labor und dann noch einmal mal durch den Behandler. Wie in allen Lebenssituationen zeigt sich auch hier der immense Vorteil, wenn man ab und zu mal miteinander redet …
Die auf der Website unter www.ivoclarvivadent.de im Downloadcenter abrufbaren In-vitro-Daten rechtfertigen inzwischen durchaus die zurückhaltende Anwendung des Neuprodukts als Ersatz der Kombination aus Flusssäureätzung und Silan. Da der Haftverbund zu Glaskeramik eh als das unproblematischste Interface bei der Klebung indirekter Restaurationen gilt, dürfte es dabei zu keinen klinischen Überraschungen kommen.
Isolierung des Arbeitsfelds mit Kofferdam
Nach Einprobe und Vorbehandlung erfolgte die Isolierung des Arbeitsfelds mit Kofferdam (Abb. 6). Eine Zahnhalsklammer erlaubte unterstützend die optimale Darstellung des bukkalen, zervikal liegenden Präparationsrands. Der Kompositaufbau am Zahn 14 wurde bereits mit Aluminiumoxid (50 µm) abgestrahlt (Rondoflex, KaVo, Biberach). So kann eine volladhäsive Befestigung unter Zuhilfenahme eines MDP-haltigen Universaladhäsivs auch auf dem Komposituntergrund erfolgen. Universaladhäsive lassen sich sowohl in der Etch&Rinse-Technik verwenden, in der Schmelz und Dentin mit Phosphorsäuregel konditioniert werden, als auch rein selbstkonditionierend sowie in der „Selective-Enamel-Etch“-Technik, bei der nur der Zahnschmelz mit dem Phosphorsäuregel konditioniert wird. Dieses Prozedere wurde auch im vorliegenden Fall angewandt: In der Abbildung 7 ist die Konditionierung des verbliebenen palatinalen Schmelzanteils zu erkennen. Die ursprünglich noch vorhandenen zervikalen Schmelzanteile (Abb. 3) fielen leider der Nachpräparation hin zu einer approximalen und bukkalen Hohlkehle zum Opfer.
Da als adhäsives, dualhärtendes Befestigungskomposit Variolink Esthetic DC ausgewählt wurde, kam als Adhäsiv – dem Systemgedanken bei der adhäsiven Befestigung folgend – das vom Hersteller dafür favorisierte Adhäsiv Adhese Universal (Ivoclar Vivadent) zur Anwendung. Adhese Universal wurde gemäß Gebrauchsanleitung für mindestens 20 Sekunden auf der zu behandelnden Zahnoberfläche aktiv eingerieben (Abb. 8). Diese Zeit darf laut Herstellerangaben nicht verkürzt werden; ein alleiniges Verteilen des Adhäsivs auf der Zahnoberfläche wäre nicht ausreichend. Anschließend wurde das Adhäsiv so lange verblasen, bis ein glänzender, unbeweglicher Film entstanden war.
Lichthärtung mit Hochleistungs-LED-Lichtpolymerisationsgerät
Danach erfolgte die Lichthärtung für 20 Sekunden mit einem Hochleistungs-LED-Lichtpolymerisationsgerät (Bluephase G2, Ivoclar Vivadent, Abb. 9). Die Abbildung 10 zeigt die polymerisierte Adhäsivschicht auf dem Zahn 14. Das Befestigungskomposit wird über die Automix-Spritze direkt auf die Teilkronenklebefläche aufgebracht und mit einem Microbrush verteilt. Obwohl Variolink Esthetic ein „Tack-Cure“ ermöglicht, wurde der Überschuss an Befestigungskomposit vor der Polymerisation mithilfe eines Bondingpinsels und mit Superfloss-Zahnseide weitestgehend entfernt. Die Polymerisation erfolgte dann für jeweils 20 Sekunden aus okklusaler Richtung und über alle vier approximalen Flanken, nachdem zur Verhinderung der Sauerstoffinhibitionsschicht ein Airblock-Gel auf die Klebefugen aufgebracht worden war. Um dabei eine Überhitzung der Pulpa zu vermeiden, wurde gegenüber dem Lichtaustrittsfenster jeweils der große Sauger positioniert, der durch den Luftstrom so eine effektive Kühlung ermöglichte. Eine Adjustierung der Kaufläche war nicht erforderlich, die Teilkrone war laborseitig perfekt auf Okklusion und Artikulation eingestellt.
Die Abbildungen 11 und 12 zeigen die adhäsiv befestigte Lithiumdisilikat-Teilkrone bei einer weiteren Kontrolle nach drei Monaten. Die Gingiva zeigt sich reizlos, durch die Neuversorgung war dem ästhetischen Wunsch der Patientin genüge getan – sie war mit der gewählten Therapieform sehr zufrieden.
Fazit
Für die Anwendung derart innovativer Verfahren bzw. Produktinnovationen braucht es doch etwas Mut; es fehlen klinische Daten, ganz zu schweigen von den gerne geforderten Langzeitstudien – dafür sind die vorliegenden In-vitro-Daten ermutigend. Aber irgendwo muss dann doch mal begonnen werden: Für diejenigen, die lieber heute als morgen die Flusssäure aus ihrer Praxis verbannen würden, dürfte der beschriebene selbstkonditionierende Keramikprimer eine interessante Alternative sein.
Prof. Dr. Claus-Peter Ernst
ist in der zahnärztlichen Gemeinschafts-praxis zahnÄrzte im Gutenberg-Center in Mainz und als OA in der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Universitätsmedizin Mainz tätig.
ernst@uni-mainz.de