Frakturrisiko senken



In regelmäßigen Abständen kommen neue Instrumente auf den Markt, die dem Kollegen die endodontische Arbeit erleichtern, die Arbeitssicherheit verbessern und in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse erzielen sollen. Die Vielzahl der verschiedenen Systeme und Vorgehensweisen erschwert es jedoch, einen Überblick zu behalten, und nicht alles, was in den Webebroschüren steht, hält auch dem Praxisalltag stand. So war die Idee netzartiger Feilen, durch die sehr viel Des‧infektionslösung in das Wurzelkanalsystem gespült wurde, sehr gut, erwies sich aber bei der täglichen Arbeit als nicht unproblematisch bezüglich Formgebung et cetera. Allen rotierenden Systemen ist ein anderes Problem eigen, das viele Kollegen nach wie vor davon abhält, mit diesen Feilensystemen zu arbeiten: die Instrumentenfraktur.

„Worst Case“

Diese Komplikation wird im Allgemeinen als „Worst Case“ empfunden, da es sich mit einer hochwertigen endodontischen Therapie nicht vereinbaren lässt, dass es wegen des Instrumentenfragments Bereiche im Endodont gibt, die weder adäquat gereinigt noch gefüllt werden können. In Abhängigkeit vom zu erwartenden Infektionsgrad und der bis zur Fraktur geleisteten Desinfektion muss vermutlich nicht jedes Fragment sofort entfernt werden. So kann bei einer Vitalexstirpation davon ausgegangen werden, dass es die Situa‧tion nicht verschlimmert, wenn das letzte Instrument auf der Arbeitslänge frakturiert. Anders verhält es sich, wenn im Rahmen einer infizierten Nekrose das erste Instrument im mittleren Kanalabschnitt bricht. In diesem Fall muss von einer ungenügenden Desinfektion des apikal liegenden Endodonts ausgegangen werden, die eine erfolgreiche Behandlung unwahrscheinlich macht. In jedem Fall muss der Patient über die Fraktur aufgeklärt und die weiteren Schritte müssen mit ihm besprochen werden.

Prinzipiell sind frakturierte Instrumente meist wieder entfernbar, jedoch benötigt dies viel Zeit, spezielles technisches Equipment und jede Menge Erfahrung. Daher ist diese Situation von Kollegen ohne Mikroskop und spezielles Know-how meist nicht mehr zu korrigieren. Dementsprechend gilt es, die Instrumentenfraktur unbedingt zu verhindern. Unabhängig vom Feilensystem scheint eine spezielle Feilenbewegung große Vorteile zu bieten, die sogenannte reziproke Bewegung.

In der Hoffnung, dass viele Kollegen zu einer maschinellen Aufbereitung wechseln, wenn die Gefahr der Instrumentenfraktur reduziert ist, möchte ich an dieser Stelle auf die Vorteile dieser Bewegung eingehen. Denn Fehler während der mechanischen Wurzelkanalpräparation (wie zum Beispiel: „Elbow-Zip-Effekt“, Via falsa, Verlust der Arbeitslänge, Verlagerung des Kanalverlaufs und des Foramen etc.) entstehen im Allgemeinen durch Stahlinstrumente während der Handaufbereitung. Die Hauptgefahr der maschinellen Aufbereitung ist, wie bereits besprochen, das Frakturrisiko.

Instrumentenfraktur

Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, wie es zur Separierung eines Instruments kommen kann: erstens durch eine Tor‧sionsfraktur (Torsional Fracture). Sie tritt auf, wenn die Spitze des Instruments eingeklemmt wird und der obere Anteil des Instruments sich weiter dreht.

Die zweite Möglichkeit der Separierung ist der Ermüdungsbruch (Cyclic Fa‧tigue). Dieser entsteht, wenn aufgrund einer starken Krümmung (kleiner Krümmungsradius) des Wurzelkanals das Metallgittergefüge des Instruments immer wieder gestaucht und gedehnt wird. Das ist vergleichbar mit einem Draht, der immer wieder hin und her gebogen wird, bis er bricht.

Weniger Risiken

Hier setzt nun die reziproke Bewegung an, die diese Risiken minimieren soll.

Bisher wurden die meisten Ni-Ti-‧Systeme in einer Vollrotationsbewegung eingesetzt, mit dem bereits angesprochenen Nachteil: Es kommt zu Frakturen. Eine reziproke Bewegung bedeutet, dass das Instrument eine definierte Gradzahl in die schneidende Richtung dreht und dann eine geringere Gradzahl in die entgegengesetzte Richtung dreht. Das hat den Vorteil, dass sich das Metallgittergefüge immer wieder zurückstellen kann und so die plastische Phase (theoretisch) nie erreicht. Nach circa drei dieser Zyklen (Links-rechts-Bewegung) hat das Instrument eine volle Umdrehung (360°) absolviert. Wenn das Instrument nicht auf und ab bewegt (Pecking Motion) und die Spitze so stark verklemmt wird, dass sie sich auch in der Rückwärtsbewegung des Instruments nicht löst, kann es zwar trotzdem zu Fraktur kommen. Es dauert aber deutlich länger. Dieser Fall ist zwar etwas konstruiert, soll aber verdeut‧lichen, wie wichtig die permanente Auf-und-ab-Bewegung des Instruments ist (Pecking Mo‧tion). Die reziproke Bewegung reduziert auch das Risiko eines Ermüdungsbruchs deutlich.

Natürlich spielen auch andere Faktoren bei der Frakturanfälligkeit von Nickel-Titan-Instrumenten eine Rolle, wie zum Beispiel

  • der Instrumentenquerschnitt,
  • die Legierung,
  • die Anzahl der Verwendungen,
  • Korrosionserscheinungen und
  • die Rotationsgeschwindigkeit.

Bei der Neuentwicklung spezieller Feilen wurden auch die oben aufgeführten Punkte, die ebenfalls Einfluss auf die Fraktur von Instrumenten haben, (soweit möglich) berücksichtigt.

MikRosisse: Neue Studien

Die Studienlage be‧züglich der reduzierten Bruchgefahr ist eindeutig, fraglich bleibt, ob man durch die Verwendung des jeweiligen Systems andere Probleme kreiert. So liegt diesen Systemen meist ein reduzierter Feilensatz zugrunde. Daher muss die einzelne Feile einen erhöhten Abtrag leisten. Dies könnte sich ungünstig auf das Spannungsgefüge im Wurzelkanal auswirken und dies wiederum könnte zu Microcracks führen. Die Studienlage ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Teilweise sind die Mikrorisse schon vor der mechanischen Aufbereitung nachweisbar [De Deus 2014] bei anderen Studien hingegen treten diese erst nach der Behandlung auf [Zaslansky 2014].

In diesen Fällen ist allerdings nicht klar, ob diese Microcracks durch die mechanische Aufbereitung entstanden sind oder durch die Kräfte, die im Rahmen der Wurzelkanalfüllung auftreten. Einen großen Stellenwert bezüglich der Microcracks nimmt sicherlich die laterale Kompaktionstechnik ein [Shemesh H, 2009] und auch vollrotierende Aufbereitungssysteme erzeugen teilweise mehr Mikrorisse als ein reziprokes System [Liu R, 2013]. Entscheidend ist sicherlich, möglichst wenig Krafteinwirkung auf die Wurzeldentinwände im Rahmen der Behandlung entstehen zu lassen, sei es durch die Aufbereitung oder die Wurzelkanalfüllung.

Nichtsdestotrotz bietet die reziproke Bewegung Vorteile in der Arbeitssicherheit und möglicherweise auch in der Formgebung. Aufgrund dessen besteht die Hoffnung, dass diese Neuerung keine Eintagsfliege ist, sondern eine nachhaltige Innovation, die es den Kollegen ermöglicht, eine sichere und schnelle maschinelle Bearbeitung des Wurzelkanalsystems durchzuführen, um im Anschluss genügend Zeit für eine ausgiebige Desinfektion zu haben.