Dentinersatz: Neue Indikationen?



Es gibt einige Produkte, die ein ähnliches Indikationsspektrum wie der bioaktive Zement Biodentine besitzen und sich ebenfalls in der Praxis bewährt haben. Was ist das Besondere?

Dammaschke: Biodentine gehört – wie auch MTA – zu den sogenannten Kalziumsilikatzementen. Trotz vieler positiver Eigenschaften haben alle anderen Kalziumsilikatzemente allerdings den Nachteil, dass sie aufgrund ihrer mangelnden mechanischen Festigkeit vor allem hinsichtlich Druck- und Biegefestigkeit sowie E-Modul nicht als (alleiniges) Unterfüllungsmaterial verwendet werden können. Hier bietet Biodentine evtl. einen Vorteil, denn es zeigt hinsichtlich der Festigkeit dem menschlichen Dentin ähnliche Eigenschaften. Die Abbindezeit von Biodentine ist mit 15 min im Vergleich zu anderen Kalziumsilikatzementen auch eher kurz. Nach Anwendung von MTA im Bereich der sichtbaren klinischen Krone kann es unter Umständen zu Verfärbungen kommen. Diese Verfärbungen werden auf verschiedene Metalloxide zurückgeführt, die in Biodentine allerdings nicht vorhanden sind. Daher sind solche Zahnverfärbungen nach Anwendung von Biodentine meines Wissens nach noch nicht beobachtet worden. Auch preislich stellt Biodentine eine interessante Alternative zu anderen Kalziumsilikatzementen dar.

Welche Einsatzgebiete deckt Biodentine konkret ab?

Dammaschke: Die Indikation für die Anwendung von Biodentine liegt in der Reparatur von Defekten des Wurzeldentins wie z. B. für die Deckung von Perforationen des Wurzelkanals oder des Pulpakammerbodens und von internen und externen Resorptionen, zur Apexifikation und als retrograder Verschluss des Wurzelkanals sowie zur Vitalerhaltung der Pulpa bei der direkten und indirekten Überkappung bzw. der Pulpotomie. Darüber hinaus kann Biodentine aber auch als Unterfüllungs- und provisorischer Zement eingesetzt werden.

Welche wissenschaftlichen Studien belegen den Erfolg in den jeweiligen Einsatzgebieten?

Dammaschke: Mittlerweile findet man in MedLine 180 internationale Publikationen unter dem Stichpunkt „Biodentine“, die insgesamt ein recht positives Bild des Materials zeichnen. Wir konnten z. B. in unseren Untersuchungen zeigen, dass Biodentine in den ersten Tagen nach Applikation eine höhere Scherhaftung an Dentin besitzt als ein anderer Kalziumsilikatzement. Die Dentinhaftung ist von den gemessenen Werten her mit der von Glasionomerzement vergleichbar. Auch hinsichtlich der Zellproliferation von humanen parodontalen Ligamentzellen (PDL) nach direktem Kontakt zeigte sich Biodentine (neben einer guten Biokompatibilität) einem anderen Kalziumsilikatzement in unseren Studien signifikant überlegen.

Wird Biodentine als Füllungsmaterial eingesetzt, empfiehlt Septodont ein zweizeitiges Vorgehen. Warum? Zahnärzte befürchten hier Komplikationen …

Dammaschke: Die ursprüngliche Verarbeitungsrichtlinie des Herstellers von Biodentine lautete, zunächst die kariesfreie Kavität vollständig mit Biodentine zu füllen und den Zement für mindestens 48 Stunden, längstens aber sechs Monate als provisorische Füllung zu belassen.

Eine einzeitige Vorgehensweise (d. h., Biodentine wird in derselben Sitzung mit einem definitiven Füllungsmaterial überschichtet) ist aber auch seit April 2012 vom Hersteller zugelassen und hat in meinen Augen mehrere Vorteile: Für den Erfolg einer direkten Überkappung ist es entscheidend, die Kavität sofort, in der gleichen Sitzung, bakteriendicht zu verschließen. Während es für Komposite in Kombination mit Dentinadhäsiven hinreichende Evidenz gibt, bakteriendicht zu sein, sind diesbezüglich bisher für Biodentine nur unzureichende Daten verfügbar. Ein weiteres Argument gegen das zweizeitige Vorgehen ist die möglicherweise fragliche Kooperationsbereitschaft des Patienten, d. h., wird ein zweiter Termin überhaupt wahrgenommen? Darüber hinaus stellt die unvermeidliche wiederholte Kavitätenpräparation in der zweiten Sitzung Stress für das durch die direkte Überkappung ohnehin schon vorgeschädigte Pulpagewebe dar. Dies kann bei einem einzeitigen Vorgehen vermieden werden. Dabei ist es allerdings wichtig abzuwarten, bis das Biodentine ausgehärtet ist (ca. 15 Minuten nach Anmischen), bevor man weiterarbeiten und die definitive Füllung legen kann.

Zur Endodontie: Kalziumhydroxid gilt als Standardmedikament zur Vitalerhaltung der Pulpa. Doch nicht jeder Zahnarzt befürwortet den Einsatz; es wird derzeit diskutiert, ob die „Einlage“ etwas bringt. Welchen Standpunkt vertreten Sie?

Dammaschke: Eine wässrige Kalziumhydroxidsuspension zeigt bei der direkten Überkappung in vielen klinischen und histologischen Studien gute Ergebnisse, da es die Fähigkeit besitzt, in Kontakt mit vitalem Pulpagewebe die Bildung von Hartgewebe zu stimulieren. Dies ist durch grundlegende Forschung und klinische Dokumentation belegt, wobei die Erfolgsrate der direkten Überkappung bei über 80 Prozent liegen kann. Kalziumhydroxid ist daher immer noch das am besten dokumentierte und sicherste Material für die direkte Überkappung der Pulpa. Trotz‧dem gibt es einige Nachteile bei der Anwendung von Kalziumhydroxid:

  • Kalziumhydroxid haftet nur schlecht an Dentin.
  • Es wurden Resorptionserscheinungen und eine mechanische Instabilität des Materials beobachtet.
  • Kalziumhydroxid bietet keinen Langzeitschutz vor Undichtigkeiten (Mikroleakage).
  • Das gebildete Hartgewebe weist Porositäten auf. Diese „Tunneldefekte“ dienen vermutlich als Weg für Mikroorganismen, die sekundär zu einer Entzündung des Pulpagewebes führen können und somit ursächlich für das Scheitern der Vitalerhaltung eines Zahns verantwortlich sind.

Der Vorteil von Kalziumsilikatzementen wie Biodentine als Material für die direkte Überkappung liegt in der im Vergleich zu Kalziumhydroxid höheren mechanischen Festigkeit, der geringeren Löslichkeit und dem dichteren Verschluss. Drei Hauptnachteile von Kalziumhydroxid könnten bei der Anwendung von Biodentine somit vermieden werden: Resorptionserscheinungen des Materials, seine mechanische Instabilität und daraus folgend der fehlende Langzeitschutz vor Undichtigkeiten. Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich Biodentine in den bisherigen Untersuchungen als geeignet für die direkte Überkappung erwiesen hat.

Zement statt Guttapercha – unter welchen Bedingungen kann das gelten?

Dammaschke: Biodentine kann nicht nur als retrograder Verschluss bei Wurzelspitzenresektionen eingesetzt werden, sondern in besonderen Fällen kann man den Zement auch als Wurzelkanalfüllmaterial verwenden. Dies etwa bei Zähnen mit ausgeprägten internen oder apikalen Resorptionen oder Perforationen. Da Kalziumsilikatzemente auch im feuchten Milieu aushärten, kann Biodentine bei Zähnen verwendet werden, bei denen der Wurzelkanal nicht zu trocknen ist. Man muss allerdings bedenken, dass sich, wenn der Wurzelkanal vollständig mit Biodentine gefüllt ist, der Zement nicht revidieren lässt und eine Stiftbohrung eigentlich auch nicht möglich erscheint.

Welche weiteren Behandlungsmöglichkeiten in der Endodontie/Füllungstherapie bieten sich für den Praxisalltag an?

Dammaschke: Die Indikationen für die Verwendung von Biodentine habe ich ja bereits erwähnt. Diese Indikationen lassen sich dann im Praxisalltag auf individuelle Behandlungsfälle übertragen. Die Firma Septodont hat dazu ein Biodentine-Handbuch mit Anregungen und Hilfestellungen für die Anwendung von Biodentine herausgebracht.

Es gibt auch auf den ersten Blick eher außergewöhnliche Indikationen, zum Beispiel die extraorale Versorgung einer Längsfraktur plus Reimplantation …

Dammaschke: Die Behandlung ist extrem selten, das sind Einzelfälle, zu denen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen lassen.

Sie sind Anwender der ersten Stunde, welche Biodentine-Indikation ist Ihre „Lieblingsindikation“?

Dammaschke: Mein besonderes Interesse gilt der Vitalerhaltung der Pulpa, also der direkten und indirekten Überkappung mit Biodentine.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Die Firma Septodont hat ein Handbuch mit Anregungen und Hilfestellungen für die Anwendung von Biodentine herausgebracht. Unter Angabe der Kontaktdaten an info@septodont.de erhält man von Septodont das Biodentine-Handbuch.

Prof. Dr. Till Dammaschke

studierte Zahnmedizin in Göttingen und arbeitet seit 1994 in der Poliklinik für Zahnerhaltung der Universität Münster, 2012 erfolgte die Ernennung zum apl. Professor.

tillda@uni-muenster.de