Ästhetische Zahnheilkunde aus einer Hand
Die zahnärztliche Füllungstherapie hat sich über die letzten Jahrzehnte hinweg gewandelt. Heute kommen unter anderem für minimalinvasive Therapien bevorzugt adhäsive Restaurationsmaterialien zum Einsatz. Auch Zahnarzt Wolfgang M. Boer zeigt sich seit vielen Jahren fasziniert von den Möglichkeiten der Adhäsivtechnik. Wie viele andere Kollegen absolvierte er sein Studium in einer Zeit, als noch deutlich rigoroser mit Zahnsubstanz umgegangen wurde.
Die heutigen minimalinvasiven Therapieformen seien daher ein enormer Schritt nach vorn, und das derzeit fortgeschrittenste minimalinvasive Material ist aus seiner Sicht unbestreitbar Komposit. Ein guter Haftverbund ist Voraussetzung, denn erst der Langzeiterfolg einer Restauration macht diese laut Boer wirklich substanzschonend: „Eine Restauration, die in kurzen Abständen immer wieder erneuert werden muss, schadet dem Zahn mehr, als sie ihm nützt.“
Materialentwicklung
Neben dem Streben nach minimalinvasiven Therapieansätzen beeinflussen auch ökonomische und demografische Entwicklungen sowie letztlich der Patient, welcher Werkstoff bei der Füllungstherapie eingesetzt wird. Doch was ist der forschenden und entwickelnden Industrie bei der Konzeption von Dentalmaterialien gemeinhin wichtig? Dr. Janine Schweppe, Global Scientific Affairs Manager bei Heraeus Kulzer, blickt bei der Entwicklung neuer Produkte auf den Zahnarzt und die Herausforderungen, die dieser täglich in seiner Praxis zu meistern hat:
„Uns geht es in erster Linie darum, ihn dabei optimal zu unterstützen. Daher entwickeln wir Produkte, die ihm helfen, seine Patienten besser, sicherer und einfacher zu versorgen.“ Kompositsysteme, die mehrere Werkstoffe in einem Sortiment vereinen, sind das Resultat dieses Denkansatzes (z.B. Venus Mix & Match). Diese Konzepte wollen für jede Indikation und jeden Geschmack das passende Material bieten, wobei laut Schweppe bei Venus Mix & Match alle Materialien aufeinander abgestimmt wurden. Das Farbsystem des Flow-Komposits Venus Diamond Flow beispielsweise ist analog zu dem der beiden pastösen Komposite Venus Diamond und Venus Pearl.
Erklärungs- und Schulungsbedarf
Venus Bulk Fill liegt als fließfähiges Komposit in einer Universalfarbe vor, das in bis zu vier Millimeter dicken Schichten appliziert werden kann – außer bei Milchzähnen sollte es okklusal mit einem konventionellen Komposit wie Venus Diamond oder Venus Pearl überschichtet werden. Mithilfe der Malfarben Venus Color wiederum können die genannten pastösen Komposite und Venus Diamond Flow individualisiert werden. Dies klingt vielversprechend, doch eine breite Materialauswahl kann auch Unsicherheiten schaffen. Boer sieht bei Venus Mix & Match zunächst den wesentlichen Vorteil, dass alle angebotenen Kompositmassen und Flowables der Venus-Familie nach Bedarf miteinander kombiniert werden können. Dies hätte für den Anwender den Vorteil, dass er nicht auf eine bestimmte Schichttechnik festgelegt ist, sondern jede denkbare Systematik beim Schichten ästhetischer Füllungen anwenden kann.
Um die gebotene Vielfalt auch ausnutzen zu können, bedarf es jedoch einer fundierten Kenntnis der Materie. Ist diese nicht vorhanden – beispielsweise weil der Zahnarzt seinen Schwerpunkt in anderen Bereichen hat –, können das reichhaltige Angebot und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten die Anwender nach Ansicht von Boer unter Umständen überfordern: „Hier sehe ich für den interessierten Zahnarzt einen entsprechenden Erklärungs- und Schulungsbedarf.“ Dem versuchen die Hersteller unter anderem mit multimedialem Anschauungsmaterial entgegenzukommen: Das Venus Mix & Match-Konzept wird auf der entsprechenden Webseite mithilfe von Grafiken anschaulich erläutert, so dass Unsicherheiten, wann welches Material verwendet werden sollte, laut Schweppe vermieden werden können.
Klinische Datenlage
Um valide Aussagen zur Performance eines Werkstoffs zu treffen, sind wissenschaftliche Studien elementar – auch zu den Venus-Kompositen liegen zahlreiche klinische Untersuchungen mit überzeugenden Resultaten vor. Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann hält klinische Studien für außerordentlich wichtig, da nur in klinischen Studien das wirkliche Leben überprüft werden kann: „Sie sind der letzte Beweis, dass alles so funktioniert, wie es soll. Ohne geht es nicht, aber erwarten Sie von klinischen Studien nicht zu viel. Diese Untersuchungen werden mit relativ groben klinischen Kriterien durchgeführt – das heißt, man wird auch nur große Unterschiede zwischen einzelnen Werkstoffen feststellen können.“
Für die Praxis sind bestimmte Eigenschaften besonders wichtig; in diesem Zusammenhang verweist Kunzelmann auf eine Priorisierung von Lutz et al.: Die wichtigste Aufgabe einer Füllung ist der Schutz vor Verlust der Vitalität der Pulpa, dann muss die Funktion wiederhergestellt werden und erst danach kommt die Ästhetik ins Spiel. Dies bedeute, „dass eine Füllung kombiniert mit einem guten Dentinadhäsiv dauerhaft dichte Füllungsränder sicherstellen muss“. Als nächstes sollte die Füllung gut modellierbar – zum Beispiel wichtig im Zusammenhang mit dem Approximalkontakt – sowie sicher zu polymerisieren und unter Kaulast formbeständig sein, das heißt wenig Verschleiß haben und eine hohe Biegefestigkeit aufweisen. „Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, möchte ich mit wenig Aufwand eine gute Farbanpassung erzielen. Darüber hinaus soll das Material auch eine gute Politur ermöglichen“, führt Kunzelmann aus.
Bulk-Fill und All-in-one
Neben den klinischen sind auch ökonomische Faktoren wichtig – bei Kompositversorgungen betrifft dies insbesondere den Zeitaufwand. Sogenannte Bulk-Fill-Materialien versprechen unter anderem kürzere Behandlungszeiten und werden daher speziell im Rahmen der Kinderzahnheilkunde vermehrt eingesetzt. Zahnarzt Boer weiß aus eigener Erfahrung, dass die kleinen Patienten meist nur begrenzte Zeit zur Mitarbeit bereit und in der Lage sind – daher sei in der Kinderbehandlung meist Eile geboten. Boer: „Da bieten Bulk-Fill-Komposite sicher einen Vorteil, da durch die größere Durchhärtungstiefe und den reduzierten Schrumpfungsstress in der Regel Milchzahnkavitäten mit einem oder höchstens zwei Inkrementen komplett gefüllt werden können.“
Das Restaurationsmaterial stellt die Füllung, doch welchen Stellenwert hat das Bonding bei der Versorgung mit adhäsiv befestigten Kompositen? Wie oben erwähnt, hat für Kunzelmann der Schutz der Vitalität die oberste Priorität für eine Restauration – dieser Schutz beginnt mit der adhäsiven Vorbehandlung der Zahnoberfläche. „Daraus ist abzuleiten, dass der Bonding-Arbeitsschritt für mich die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Langzeitversorgung ist. Dieser Schritt muss mit den besten Dentinadhäsiven und der sorgfältigsten Verarbeitung durchgeführt werden, denn nur auf einem soliden Fundament kann man erfolgreich bauen!“, bekräftigt Kunzelmann. Eine aktuelle Entwicklung im Bereich der Adhäsive sind universell einsetzbare Einkomponenten-Bondings, die „alles aus einer Flasche“ bieten und dabei dem Trend hin zur Vereinfachung folgen.
All-in-one-Systeme
Es begann mit All-in-one-Systemen, die in einer Flasche erhältlich waren und keine Phosphorsäure mehr benötigten. Nun existieren Universaladhäsive, die dem Behandler zudem die Freiheit zur Wahl seiner bevorzugten Ätzstrategie lassen (z. B. iBOND Universal). Sie haften auf den unterschiedlichsten Oberflächen, so dass ein System für alle Materialien und Indikationen verwendet werden kann. Daher eignen sich diese Adhäsive auch zur Reparatur indirekter und direkter Restaurationen – was sich gerade zu einem nachvollziehbaren Trend entwickelt. „Wieso sollte der Behandler bei einer kleinen, gut erreichbaren Randkaries oder einem kleinen Randdefekt einer Restauration die gesamte, noch intakte Versorgung austauschen und die Kavität dadurch vergrößern?“, so Schweppe.
Auch Zahnarzt Boer verwendet iBOND Universal seit der Markteinführung zur IDS 2015 vorwiegend für die direkte Füllungstechnik; insbesondere „für Füllungsreparaturen, beim adhäsiven Zementieren von Kronen und Brücken sowie zur Versiegelung präparierter Zähne gegen bakterielle Invasion während der Phase, in der der Patient mit Provisorien versorgt ist“.
Fazit
Mit modernen Materialkonzepten kann die Praxis den aktuellen Anforderungen und Trends der Füllungstherapie in weiten Teilen entgegenkommen – und doch suchen findige Köpfe kontinuierlich nach Optimierungspotenzial. Prof. Dr. Kunzelmann sieht in Venus Diamond wie auch Venus Pearl „sehr gute Komposite, dennoch ist meines Erachtens die Polierbarkeit bei beiden Kompositen optimierungsfähig“. Wie nimmt dies ein Unternehmen auf, das am Puls der Zeit entwickelt?
„Wir freuen wir uns über jegliches Feedback zu unseren Produkten. Denn nur eine ehrliche Rückmeldung hilft uns dabei, unsere Materialien so anzupassen, dass sie im praktischen Einsatz den Nutzen haben, den sich Zahnärzte und Patienten wünschen“, so Schweppe. Um zu sehen, ob sich eine Produktentwicklung unter den Bedingungen der Zahnarztpraxis auch bewährt, würden Praxistests vor jeder Markteinführung durchgeführt. Nur wenn darin bestanden wurde, findet ein neuer Werkstoff den Weg auf den Dentalmarkt – womit sich der Kreis zum Beginn dieses Beitrags schließt.
Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, München
karl-heinz@kunzelmann.de
ZA Wolfgang M. Boer
Praxis für Ästhetische Zahnheilkunde Euskirchen
kontakt@zahnarzt-boer.de
Dr. Janine Schweppe
Scientific Affairs Restoratives & Impressions, Heraeus Kulzer GmbH
janine.schweppe@kulzer-dental.com