Umstellung auf den digitalen Workflow

Aligner-Therapie: Gamechanger Intraoralscanner?

Von Quantensprüngen in der Aligner-Therapie seit Umstellung auf die digitale Abformung berichten Dr. Peter Salge und ZÄ Carolin Hochberger. In der Hildesheimer Mehrbehandler-Praxis werden zudem inzwischen alle Zahnersatzversorgungen im digitalen Workflow durchgeführt. Im Interview skizzieren sie die Etappen von analog zu digital.


Aligner Therapie

Circa 250 Aligner-Patienten pro Jahr werden seit der Umstellung aufs Scannen in der Hildesheimer Gemeinschaftspraxis behandelt, hier ZÄ Carolin Hochberger im Patientengespräch © M-K Rheinländer


Begann für Sie erst mit dem Kauf eines Scanners die wahre Digitalisierung in Ihrer Praxis, auch für die Aligner-Therapie?

Salge: Die optische Abformung ist definitiv der Dreh- und Angelpunkt der Digitalisierung. Als wir uns vor vier Jahren für einen Scanner entschieden hatten, wollten wir eigentlich nur Einzelkronen und kleine Brücken digital versorgen. Doch mit zunehmender Routine und Fallzahl entwickelte sich quasi eine Eigendynamik: Immer mehr umfangreichere prothetische Versorgungen begannen wir digital zu versorgen, heute läuft nichts mehr analog. Das gilt auch für die Aligner-Therapie.

Sprich: Konventionelle Abformmasse gibt es in Ihrer Praxis nicht mehr?

Salge: Richtig, und das hätte ich nie für möglich gehalten, denn ich komme noch aus der Hydrokolloid-Schule. Der Zeitgewinn und die Präzision sind einfach enorm. Und vor allem: Es macht Spaß und ist auch für die Patienten ein angenehmeres Erlebnis. Inzwischen bin ich für das Curriculum des Instituts für digitale Kompetenz in der Zahnmedizin in Witten/Herdecke als Referent für digitale Zahnheilkunde eingeplant. Bei unserem gesamten Praxisteam ist der digitale Funke der Begeisterung übergesprungen. Wir bieten auch regelmäßige Schulungen und Hospitationen für Kollegen an.

Grundsätzlich umfasst die Digitalisierung in der Zahnarztpraxis doch deutlich mehr als nur das Scannen: eHealth, Telematik, Online-Materialwirtschaft, auch die Implementierung der elektronischen Patientenakte (ePa) dürfte neue Impulse geben …

Salge: Das ist richtig und da sind wir auch gut aufgestellt. Insgesamt wird sich sicherlich auch in Zukunft einiges verändern. Aber als echter Gamechanger hat sich das Umstellen aufs Scannen entpuppt. Das zeigen unter anderem unsere Erfolge in der Aligner-Therapie.


Inwiefern? Bitte nennen Sie Beispiele.

Salge: Die Schienen passten einfach perfekt, die Qualität ist deutlich besser als bei analoger Fertigung. Ein echter Quantensprung erfolgte durch den Wechsel auf das ClearCorrect-System (Straumann). Damit ist der Stellenwert der Aligner-Therapie in unserem Behandlungsspektrum ganz erheblich gewachsen. Wir können heute viel komplexere Fälle behandeln.

„Ein echter Quantensprung in der Aligner-Therapie erfolgte durch den Wechsel auf ClearCorrect.“ <span class="su-quote-cite">Dr. Peter Salge</span>

Hochberger: Und die Behandlung ist sicherer geworden. Regelmäßige Kontrollscans zeigen uns beispielsweise, ob wir auch wirklich auf dem richtigen Weg sind. Zusammen mit Tablets und elektronischer Patientenakte lassen sich die Kontrollen sehr einfach in den Praxisworkflow integrieren. Bei Bedarf lässt sich die Aligner-Therapie ganz unkompliziert korrigieren.

Dennoch rüsten selbst renommierte Praxen noch nicht auf Aligner-Therapie um. Worauf führen Sie das zurück?

Salge: Dafür gibt sicherlich vielschichtige Gründe. Eine Rolle dürfte die Altersstruktur der Zahnärzte in Deutschland spielen. Mehr als 40 Prozent der Zahnärzte sind 55 Jahre und älter. Wer umsteigt auf Aligner und Intraoralscanner, muss bereit sein, sein gesamtes Konzept neu aufzusetzen. Es ist nicht ausschließlich damit getan, das technische Equipment anzuschaffen. Das ist natürlich mit einer Lernkurve verbunden …

… und auch aufwendig?

Salge: Ja, denn der Workflow läuft komplett anders. Die Mitarbeiterinnen und auch das Dentallabor müssen integriert werden, die Behandlungszeiten sind anzupassen – das kostet einfach Zeit und ist nur gemeinsam zu bewältigen.

Hochberger: Vor allem gilt es, das gesamte Team zu begeistern, von den erfahrenen Zahnmedizinischen Fachassistenten (ZMF) bis zur Auszubildenden. Denn das Scannen lässt sich super delegieren. Wir Behandler verlassen uns mittlerweile darauf, dass die Mitarbeiterin den Scan selbstständig vorbereitet hat, bevor wir mit der eigentlichen zahnärztlichen Arbeit beginnen. Unser Team schätzt das sehr und hat die Herausforderung gut angenommen. Umfassende Schulungen und Trainings sind dafür die Voraussetzung.

Mit wie vielen Scannern arbeiten Sie?

Salge: Drei Jahre haben wir mit nur einem Scanner gearbeitet ( TRIOS 3 / 3Shape), jetzt ist zusätzlich der TRIOS 4 Move im Einsatz.


Reichen denn zwei Intraoralscanner für das ganze Team?

Salge: Definitiv! Pro Behandlung ist ein Intraoralscanner schließlich nur eine kurze Zeit in Gebrauch. Für die Planung einer Aligner-Behandlung benötigen wir für den Ganzkieferscan inklusive digitalem Bissregistrat gerade einmal drei bis fünf Minuten. Und: Wir behandeln im Schichtsystem, die Früh- und Spätschicht übernehmen jeweils drei Zahnärzte. Der Scannereinsatz muss natürlich exakt kalkuliert werden. Dann rechnet sich das Ganze auch. Unser Behandlungsspektrum hat sich seit der Umstellung auf den optischen Abdruck jedenfalls enorm erweitert. Wie gesagt, nicht nur für Kronen- und Brückenversorgungen wird gescannt, wie ursprünglich geplant. Das TRIOS-System unterstützt die Indikationen Inlays, Onlays, Veneers, Brücken bis zu fünf Gliedern sowie individuelle Abutments bis hin zu Implantatbrücken und Funktionsschienen.

Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf dürfte entsprechend eine perfekte Organisation sein …

Hochberger: … und die übernimmt unser Team inzwischen in Eigenregie. Unsere ZFA sprechen sich ab: Eine scannt vor und gibt den Scanner nach Desinfektion direkt weiter, sodass eine problemlose Übergabe möglich ist. Es hilft enorm, dass jeder Zwischenschritt direkt im System gespeichert wird. Man kann jederzeit wieder den vorherigen Behandlungsfall aufrufen und nahtlos an den letzten Schritt anknüpfen.

Kommen wir zum Scanpfad: Worauf gilt es besonders zu achten?

Salge: Beim Ganzkieferscan startet man im Bereich der Molaren über die Inzisalflächen der entsprechenden Frontzähne, scannt dann die Lingual-/Palatinalflächen und final die Vestibulärflächen. Je nach Hersteller und Gerät variiert der Scanpfad allerdings etwas. Den eigentlichen Abdruckscan führt in unserer Praxis stets der Behandler durch, der das Scanergebnis gemeinsam mit dem Patienten am Monitor erläutert.

Mit der optischen Abformung eröffnen sich auch in der Implantologie und Teleskop-Prothetik neue Optionen. Bitte nennen Sie Beispiele.

Salge: Wir managen seit der Umstellung die digitale Planung der Implantatposition mit der Planungssoftware coDiagnostiX. Das erleichtert das Prozedere. Die Software bietet beispielsweise eine automatische Nervenkanalerkennung sowie verschiedene Abstandsmess- und Überwachungsfunktionen. Neue Wege gehen wir auch in der Teleskop-Prothetik: Wir scannen die Präparation und lassen die Primär-Teleskope auf dieser Basis fräsen. Anschließend wird im Labor das Primärteil taktil abgescannt, um dann mit einem anderen Block des entsprechenden Materials die Sekundärkonstruktion zu fräsen. Das ist so präzise, dass wir mit einem anderen Faktor rechnen, um keine zu starke Friktion zu erzeugen. Vor zehn Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sich eine solche Dynamik mit dem digitalen Workflow entwickelt.


Zurück zur Aligner-Therapie, wann haben Sie sich für ClearCorrect entschieden?

Hochberger: Seit 2016 führen wir Aligner-Therapie in der Praxis durch. Anfangs mittels analoger Abformung. Seit der lDS 2019 arbeiten wir digital. Der Wechsel zur digitalen Abformung und zum ClearCorrect-System (Straumann) erfolgte mit der Markteinführung und war für uns ein echter Schritt nach vorne.

Welchen Anteil nimmt die Aligner-Therapie in Ihrer Praxis ein? Ist das inzwischen tatsächlich ein zweites Standbein?

Salge: Wir behandeln circa 250 Aligner-Patienten pro Jahr. Das zahnmedizinische Spektrum wird in unserer Praxis seit der Umstellung auf die optische Abformung immer ganzheitlicher. Jeder Neupatient wird gescannt, die Mundsituation wird erfasst und in Echtzeit auf dem Bildschirm abgebildet. Nach Abschluss des Scanvorgangs wird das Ergebnis im Beisein des Patienten überprüft und erläutert. Das schafft Transparenz und Vertrauen. Bei einer bis zu 150-fachen Vergrößerung und anderen perspektivischen Betrachtungen ist eine Fehlstellung für den Patienten oft viel sichtbarer. Zum Teil registrieren die Patienten auch in der Prophylaxe-Sitzung, dass ihre Zahnstellung verbesserungsbedürftig ist.

Hochberger: Wir senden den Scan im Anschluss an ClearCorrect und besprechen mit dem Patienten mögliche Behandlungsoptionen anhand des ClearCorrect-Planungsangebotes. Dem Patienten entstehen bei der Planung keine Kosten, das ist ein echter Mehrwert. Wir zeigen dem Patienten, wie sein Lächeln optimiert werden kann, wenn er sich für eine Aligner-Behandlung entscheidet. Auch ältere Patienten begeistert, wie unkompliziert das funktioniert. Die ClearCorrect-Planungsangebote sind online im Portal gespeichert, sodass alle Behandlungsoptionen auch zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit abrufbar sind. Wir können diese auch per E-Mail verschicken. So haben Patienten die Möglichkeit, sich mit ihren Angehörigen zu beraten. Der Aligner-Therapie-Start muss ja nicht sofort erfolgen. Man kann durchaus einige Monate nach dem Planungsangebot starten.

<strong>Scannen der Präparationsgrenze</strong>
  • Die Vorbereitung des Scannens startet mit der Sanierung des Defekts und der Präparation der zu versorgenden Zähne.
  • Um eine optimale Darstellung der Präparationsgrenze im Scan zu erhalten, empfiehlt sich eine akzentuierte Präparation mit zylindrischen Diamanten und ein anschließendes Finieren, um Rauigkeiten im Randbereich der Präparation zu vermeiden.
  • Bei subgingivaler Präparation ist als Vorbereitung zur digitalen Abformung ein spezielles Gingivamanagement anzuwenden, ähnlich wie bei der Vorbereitung einer Hydrokolloidabformung. Da man nur scannen kann, was man sieht, müssen die Präparationsgrenzen sichtbar gemacht werden. Das gelingt durch Legen von Retraktionsfäden und der Anwendung von plastischen Verdrängungsmethoden.
  • Tangiert Gingiva die Präparationsgrenze, empfiehlt sich eine schonende Gingivektomie mit dem Elektrotom. Um Blutungen zu vermeiden, wird dann eine Retraktionspaste in den Randbereich eingebracht.

Braucht es dann ein neues kostenloses ClearCorrect-Planungsangebot und einen neuen Scan? Schließlich kann sich ein Engstand in zwei Jahren ja auch verändern. Und: Ist das dann auch kostenlos?

Hochberger: Natürlich kann es sein, dass sich ein Engstand verschlechtert. Ich kann bei ClearCorrect jederzeit einen Kontrollscan einfügen und überprüfen lassen, ob die alte Planung noch korrekt ist. Dadurch entstehen für den Patienten keine zusätzlichen Kosten. Das überzeugt viele Patienten, mit der Aligner-Behandlung zu beginnen. Die Kosten für die Standardversorgung halten sich übrigens mit 2000 und 3000 Euro für eine Versorgung von Ober- und Unterkiefer inklusive Retainer in Grenzen.


Salge: Anfangs war die Aligner-Therapie für uns ein „Abfallprodukt“ der digitalen Abformung. So sind wir dazu gekommen. Heute etabliert sie sich zu einem erfolgreichen Behandungssegment.

Hochberger: Wir bieten das gesamte Spektrum der modernen Zahnmedizin. Das beginnt mit der Vorsorgeuntersuchung über sämtliche konservierende Behandlungen bis zum hochwertigen Zahnersatz. Da wir einen großen Anteil des Konzeptes im Bereich Prophylaxe und Parodontaltherapie umsetzen, schließt sich die Aligner-Therapie als Behandlungsoption einfach an. Die Aligner-Therapie erfordert Kariesfreiheit, und auch Parodontitis muss behandelt sein. Wenn ein Patient aufgrund eines Engstandes nicht richtig reinigen kann und die Funktion gestört ist, hat die Aligner-Therapie primär einen therapeutischen Ansatz, nicht nur den rein ästhetischen.

Salge: Zudem dient die Aligner-Therapie auch der Patientenneugewinnung. Wir stellen diese auch in den Sozialen Medien (Facebook, Instagram) und natürlich auf unserer Website vor. Als echter „Renner“ haben sich Gesundheits- und Hochzeitsmessen entpuppt. Auf diesen lokalen Events präsentieren wir regelmäßig unsere modernen digitalen Ansatz und Workflow.

 


Die Experten

Carolin Hochberger

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ZÄ Carolin Hochberger
Zahnmedizinstudium in Hannover, seit 2017 angestellte Zahnärztin in der Zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis Zahnmedizin im Zentrum Hildesheim, info@zahnarzt-hildesheim.de

Peter Salge

© privat

Dr. Peter Salge
Zahnarzt & Zahntechniker, Zahnmedizinstudium in Göttingen, seit 2010 niedergelassen in Zahnärztlicher Gemeinschaftspraxis in Hildesheim, info@zahnarzt-hildesheim.de