Trockenlegung

Gingivaretraktion: Was ist die beste Technik?

Die Basis für eine perfekte Abformung ist ein eröffneter und trockener Sulcus. Bislang galt die Gingivaretraktion mittels Faden als wichtigste Methodik zur Exposition der Präparationsgrenze. Hat sich das geändert? Holen Retraktionspasten auf? Ist zum Beispiel die Patienten-Compliance höher? Welche Neuentwicklungen gibt es? Im Interview skizziert ZA/ZT Klaus Peter Hoffmann aktuelle Trends.


Gingivaretraktion

Ausgangssituation (Kronenpräparation von 11) vor Einsatz der VOCO RetractionPaste © Prof. Dr. Jürgen Manhart


Die heute bekannten Techniken der temporären Gingivaverdrängung oder Gingivaretraktion können eingeteilt werden in mechanische, chemische, chirurgische Techniken oder Kombinationen dieser drei Techniken. Wann ist welche Technik indiziert bzw. kontraindiziert?

Hoffmann: Die rein mechanische Technik bei der Gingivaretraktion wird mit ungetränkten Baumwollfäden durchgeführt. Dabei kommt es spätestens bei der Entnahme des Fadens zu einer Reaktion der Gingiva, sie beginnt zu bluten. Diese reaktive Hyperämie kann nur schwerlich kontrolliert werden und macht eine Abformung, insbesondere mit stark hydrophoben Silikon-Abformmassen, nahezu unmöglich.

Aus diesem Grund werden in der Mehrzahl aller Fälle getränkte Fäden für die temporäre Gingivaverdrängung verwendet, also eine chemo-mechanische Technik. Dabei kommen sog. Adstringentien zum Einsatz, die für ein Sistieren der Gingiva-Blutungen sorgen. Verwendet werden Aluminium- und Eisensulfat-Verbindungen, die etwas unterschiedliche Wirkungsweisen haben, aber beide für die temporäre Sulcuseröffnung sorgen, um eine möglichst präzise Abformung des Präparationsrandes zu ermöglichen. Vasokonstringentien, hier insbesondere Adrenalin, haben ein anderes Wirkprinzip als Adstringentien: Durch die Konstriktion der gingivalen Gefäße bei Kontakt mit Adrenalin wird eine lokale Blutleere hervorgerufen, was die Trockenlegung der Präparationsgrenze zur Folge hat. Allerdings besteht bei Vasokonstringentien, die zur Tränkung von Retraktionsfäden verwendet werden, die Gefahr der Adrenalin-Überdosierung mit den entsprechenden sehr unwillkommenen Komplikationen für Herz-Kreislauf und Blutdruck des Patienten.

Chirurgische Techniken unterscheiden sich grundlegend von den beiden vorgenannten: Dabei wird das Weichgewebe im Bereich der Präparationsgrenze nicht nur temporär verdrängt, sondern permanent entfernt. Wird dazu ein Elektrotom verwendet, erfolgen Gingivaentfernung und Blutstillung in einem Arbeitsschritt. Chirurgische Maßnahmen für das Weichgewebsmanagement sollten nur nach strenger Indikation eingesetzt werden, da die Entfernung von Gingiva-Anteilen irreversibel ist.


Lange galt eine chemo-mechanische Technik, also das Einbringen von imprägnierten Retraktionsfäden in den gingivalen Sulcus, als die am häufigsten angewendete Methode für die Abdrucknahme von Restaurationen. Ist eine Trendwende in Sicht? Setzen sich Retraktionspasten mehr und mehr durch? Wenn ja, warum?

Hoffmann: Der Anwender kann seine Auswahl für die temporäre Gingiva-Erweiterung nach der jeweiligen klinischen Situation treffen. Bis auf die irreversiblen chirurgischen Maßnahmen, die nur bei strenger Indikation angewendet werden sollten, stehen verschieden Alternativen zur Verfügung. Retraktionspasten sind längst im klinischen Alltag angekommen, weil sie sich aufgrund der einfachen Anwendung und positiven Resultate bewährt haben.

Es geht also schneller?

Hoffmann: Ja, da feine Kanülen – wie sie z. B. die VOCO Retraction Paste bieten – die Applikation der Retraktionspaste in den Sulcus erleichtern. Es wird auch kein Instrument wie beim Legen eines Retraktionsfadens benötigt und keine Schere zum individuellen Kürzen. Retraktionspasten müssen aber genau so sorgfältig angewendet werden wie alle anderen Methoden des Weichgewebsmanagements.

Sind Pasten für den Patienten bei der Gingivaretraktion angenehmer als Fäden?

Hoffmann: Definitiv! Die mechanische Komponente, also das Pressen des Fadens in den Sulcus, ist unangenehmer als die nahezu drucklose Applikation der Retraktionspaste. In der Literatur zu dem Thema Weichgewebsmanagement wird von einem Trauma für den Faserapparat und das Epithel gesprochen, was sogar eine Rezession zur Folge haben kann. Der Retraktionsfaden wird, der Zirkumferenz des Zahnes folgend, aus dem Sulcus gezogen. Das Entfernen der Retraktionspaste erfolgt mittels „kontaktlosem“ Absprühen, was alleine schon wegen einer erneuten Blutungsgefahr entsprechend vorsichtig und mit dosiertem Druck erfolgen sollte.

Adstringierende Lösungen, mit denen die Retraktionsfäden getränkt werden können, schmecken unangenehm, aber auch einige Retraktionspasten. Die Einwirkzeit, besser die Verweildauer, von Fäden und Pasten für das Weichgewebsmanagement ist unterschiedlich, meistens benötigen jedoch die Retraktionspasten weniger Zeit. Hier spielen der Zustand der Gingiva nach der Präparation und die vorsichtige Anwendung der unterschiedlichen Methoden eine große Rolle und wie so oft die klinische Erfahrung.

Um möglichst gewebeschonend arbeiten zu können, hat VOCO mit seiner „Retraction Paste“ ein Produkt in der Kompule entwickelt, das die Applikation in den Sulcus erleichtert, das Weichgewebe effektiv temporär verdrängt und anschließend leicht abzusprühen ist.

Gingivaretraktion

Präzise Abformung mit V-Posil © Prof. Dr. Jürgen Manhart

Wie genau setzen sich die neuen Retraktionspasten zusammen? Wie entsteht zum Beispiel die adstringierende Wirkung?

Hoffmann: Die Zusammensetzung variiert von Hersteller zu Hersteller. Generell handelt es sich bei den Retraktionspasten um eine Rezeptur mit dem Hauptbestandteil Kaolin. Dieses natürliche Verwitterungsprodukt des Feldspats wird häufig in der Pharmazie eingesetzt. Die adstringierende Wirkung entsteht durch die Zugabe von Aluminiumverbindungen wie Aluminiumchlorid, Aluminiumsulfat oder Aluminium-Kalium-Sulfat. Diese verengen die Gefäße, ähnlich wie Adrenalin, jedoch ohne dessen mögliche Nebenwirkungen. Andere Rezepturen verwenden Eisensulfat, das bei Kontakt mit Blut für eine sofortige Koagulation sorgt. Die Blutkoagel verstopfen die feinen Blutgefäße und stillen so die Blutung. Das Kaolin bewirkt zusätzlich eine mechanische Kompression der eröffneten Blutgefäße.

In welchen Fällen braucht es bei der Gingivaretraktion zusätzlich einen Retraktionsfaden? Wann ist eine Kombination indiziert?

Hoffmann: „Tiefe“ Präparationen – z.B. im parodontal vorgeschädigten Gebiss – erfordern die Zwei-Faden-Technik, bei der zunächst ein dünnerer Faden, gefolgt von einem dickeren Faden in den Sulcus gelegt werden. Hier kann der zweite Faden durch die Retraktionspaste ersetzt werden. Minimale Präparationen, z. B. für ein Veneer, wo die Präparationsgrenze para- oder nur minimal subgingival liegt, lassen das „Eintauchen“ einer Kanülenspitze für die Applikation von Retraktionspaste nicht zu und erfordern eine stärkere mechanische Öffnung, als durch die Retraktionspaste erreicht werden kann.

Werden Retraktionspasten die Retraktionsfäden über kurz oder lang ersetzen?

Hoffmann: Ich persönlich glaube, dass beide Methoden der Gingivaretraktion sehr gut nebeneinander verwendet werden können und unbedingt auch in Kombination. Daher werden die Retraktionsfäden durch die Retraktionspasten wirkungsvoll ergänzt, aber nicht gänzlich ersetzt.


Der Experte

Foto: VOCO

Klaus Peter Hoffmann
Zahnarzt und Zahntechniker, seit 2008 bei VOCO, bis 2011 Leiter des Produktmanagements, ab 2011 Leiter der Abteilung Wissenskommunikation, seit Oktober 2017 in der Abteilung „Dental Knowledge“
k-p.hoffmann@voco.de