Kampf um den Nachwuchs

Fachkräftemangel in der Zahnarztpraxis

Wenige Bewerber, dafür viele Ausbildungsabbrüche und gekündigte Arbeitsverhältnisse – den Deutschen Zahnarztpraxen laufen die Mitarbeiter davon. Das Berufsbild der Zahnmedizinischen Fachangestellten strahlt offenbar wenig Attraktivität aus. Wie massiv ist das Problem mit dem Praxispersonal wirklich? Und was sind die Gründe? DENTAL MAGAZIN hat bei Zahnärzten und Kammern nachgefragt.


Begehrt und gesucht in den Zahnarztpraxen der Republik: Motivierte und talentierte Assistentinnen – sowohl für die Arbeit am Stuhl wie für die weiteren Aufgaben in der Praxis. Foto: fotolia


Der Bohrer in der rechten Hand, der Sauger in der linken, das Telefon zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, die Schlange am Empfang wird immer länger. Was sich wie ein Horror-Szenario für den Zahnarzt anhört, hat einen realen Anlass: In der Zahnmedizin gibt es einen dramatischen Engpass beim Praxispersonal. Laut der Bundesagentur für Arbeit standen bis Juni 2014 einer gemeldeten Ausbildungsstelle in der Berufsgruppe Arzt- und Praxishilfen gerade einmal 0,6 Bewerber gegenüber. „Aus langer Erfahrung lässt sich feststellen, dass es immer schwieriger wird, geeignetes Personal zu finden“, sagt Dr. Christoph Zirkel, niedergelassener Zahnarzt in Köln. Für die ausgeschriebenen Stellen gebe es kaum Bewerber.

„Das trifft vor allem auf weitergebildetes Personal wie Dentalhygienikerinnen und ZMPs zu. Hier gingen über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten gerade mal fünf Bewerbungen ein.“ Nur zwei dieser Bewerber seien für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen. Auch Prof. Dr. Günther Dhom, niedergelassen in Ludwigshafen und DGI-Fortbildungsreferent, sieht sich mit diesen Problemen konfrontiert. „Es ist ganz eindeutig schwierig geworden, Personal zu finden. Ich denke, abgesehen von kleinen regionalen Schwankungen, geht das allen Kollegen in unserem Land so.“ Seit etwa 2010/11 mache sich die Problematik bemerkbar, und sie werde sich auch nicht verbessern – „sie wird sich verschlimmern, voraussichtlich sogar erheblich“.

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) verzeichnet bisher allerdings keinen allgemeinen flächendeckenden Mangel an Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA). „Insbesondere im ländlichen Raum beobachten wir aber schon Engpässe bei der Besetzung freier Stellen beziehungsweise generell bei der Suche nach geeigneten Auszubildenden“, weiß Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK. Es gebe ein West-Ost-Gefälle, das unter anderem mit der unterschiedlichen Wirtschaftskraft zu erklären sei. Deutschlandweit seien vor allem die Regionen abseits der Ballungsräume von der sogenannten Landflucht betroffen. „Während bundesweit die Gesamtzahl aller Auszubildenden um 3,7 Prozent zurückging, haben die ZFA-Ausbildungszahlen gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 0,24 Prozentpunkte zugenommen“, bilanziert Oesterreich. Die Zahlen aus dem Jahr 2013 belegen dabei deutlich das West-Ost-Gefälle – in den alten Bundesländern wurden bis Ende September 2013 10 951 neue Ausbildungsverträge für ZFA abgeschlossen, in den neuen Bundesländern hingegen nur 1 409. Dr. Konrad Bühler, niedergelassener Zahnarzt in Eislingen an der Fils und Mitglied der Vertreterversammlung der KZV Baden-Württemberg, beobachtet eher Probleme in städtischen Gebieten: „Während im ländlichen Bereich die Zahlen stabil oder allenfalls leicht rückläufig sind, ist in den Ballungsgebieten die Konkurrenz durch andere Branchen sehr groß. Es wird immer schwerer, geeignete Bewerberinnen für das Berufsbild ZFA zu gewinnen.“

Doch selbst wenn alles passt und Arbeitgeber und Bewerber zusammen kommen, hakt es: Häufig wird die Ausbildung abgebrochen. Für Zirkel hat es sich bewährt, immer drei Auszubildende in unterschiedlichen Ausbildungsjahren gleichzeitig zu beschäftigen. Allerdings könne er diese Konstellation in jüngster Zeit nicht mehr beibehalten – „in den vergangenen beiden Jahre wurde ich mit häufigen Ausbildungsabbrüchen konfrontiert. Besonders in solchen Situationen ist es wichtig, schnell Ersatz zu finden. Doch leider gibt es immer weniger Bewerbungen.“ Bühler sieht den Grund dafür nicht bei den Zugangsbedingungen. Die Schwierigkeiten lägen eher bei den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Vorbildungen der Bewerber, eine Aufnahmeprüfung gebe es nur für die Fortbildung zur Dentalhygienikerin.

Was sind die Gründe für den Fachkräftemangel? Der Implantologe Dr. Ralf Rößler im Interview

Mangelnde Perspektive

Das Problem der Berufsabbrüche kennt auch Dr. Ralf Rößler, niedergelassener Zahnarzt in Ludwigshafen. „Am Anfang der Ausbildung sind viele interessiert, aber im Zuge des Berufslebens steigen sie aus.“ Grund sei die mangelnde Perspektive. „Wie viele ZMF oder ZFA haben wir, die mit 50 oder 60plus diesen Beruf noch ausüben? Wer möchte in den nächsten 30 oder 40 Jahren in diesem Beruf arbeiten?“, fragt Rößler. Sylvia Gabel, Referatsleiterin beim Verband medizinischer Fachberufe, sieht hier auch ein politisches Problem, das die Unsicherheit der Perspektive im ZFA-Beruf verstärke.

Es gebe nur vier Tarifpartner (Hamburg, Hessen, Westfalen-Lippe und Saarland), die über die Arbeitsbedingungen von ZFA Verträge abzuschließen. „In den anderen Kammerbereichen ist das leider nicht so – seit Jahren gibt es ZMP, ZFA und ZMV – nur sind die Weiterbildungs-Curricula bundesweit derzeit nicht einheitlich.“ Daher seien die Perspektiven im Beruf nur schwer erkennbar, da man sich nicht auf bundesweit geregelte Tarifbedingungen verlassen könne: „Wenn junge Leute die Wahl zwischen verschiedenen Ausbildungen haben, dann ist das schon ein wesentlicher Punkt“, sagt Gabel.

Wenige Bewerber, häufig schlechte Voraussetzungen und viele Ausbildungsabbrüche – das Thema Nachwuchs- und Fachkräftemangel in den deutschen Zahnarztpraxen angekommen. Doch was sind die Gründe?

Einer der greifbarsten Gründe ist der demografische Wandel – was niemanden verwundern dürfe, weil das bereits seit Längerem absehbar gewesen sei. Das bestätigt auch Sylvia Fresmann: „Der demografische Wandel macht sich bemerkbar: Weniger Nachwuchs steht einem erhöhten oder gleich bleibenden Angebot gegenüber“, sagt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Dentalhygienikerinnen e.V. (DGDH).

Problem: Generation Y

Erschwerend komme hinzu, dass die sogenannte „Generation Y“ oft schwierig zu befriedigende Vorstellungen von Einsatz und Ertrag ihrer Berufstätigkeit habe – Stichwort Work-Life-Balance. „Zahnarztpraxen sind häufig wegen der Arbeitszeiten und der vergleichsweise geringen Verdienstmöglichkeiten besonders für leistungsstarke und motivierte Jugendliche nicht mehr so attraktiv“, sagt Fresmann. Diese Beobachtung macht auch Zirkel bei der Suche nach neuem Personal: „Es sinkt die Bereitschaft, einen Beruf zu erlernen, bei dem auch mal eine Überstunde anstehen kann oder im Schichtbetrieb gearbeitet wird – gerne möchten die Schulabgänger wenig arbeiten und viel verdienen.“

Auch die heute eher üblichen höheren Schulabschlüsse (z. B. Abitur) und die Möglichkeit des Studierens trügen laut Fresmann dazu bei, dass viele junge Leute sich eher für attraktive Ausbildungsplätze bei Versicherungen, in Verwaltungen, bei Banken etc. entscheiden würden. „Die Berufsbezeichnung ZFA hat einen wenig attraktiven Klang – wenn in der Clique jemand zum Beispiel Kommunikationsdesigner ist, dann ist Zahnmedizinische Fachangestellte schon auch etwas weniger cool“, fügt Dhom an. Die Annahme, dass schulisch besser ausgebildete Absolventen eher den Weg in andere Berufsfelder suchen, bestätigt Sylvia Gabel: „In den vergangenen Jahren haben sich gerade für den Beruf ZFA viele Hauptschüler/innen entschieden.“ Hängt der Mangel an Nachwuchs- und Fachkräften also nicht einzig mit der durch den demografischen Wandel negativ beeinflussten Anzahl, sondern auch mit der Qualität der Bewerber zusammen? Fresmann meint, die Qualität der Anwärter auf zahnärztliche Assistenzberufe habe immer mehr abgenommen – häufig parallel zum erworbenen Bildungsabschluss. Auch Zirkel erhält oft Bewerbungen, die lieblos und unvollständig eingereicht werden. „Weiterhin sind die wenigen eingehenden Bewerbungen sowohl in der Form als auch mit Blick auf Noten oder Fehlstunden so schlecht, dass ich diese Bewerber erst gar nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen kann.“ Von zehn Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz könne er im Schnitt nur ein bis zwei Personen in die Praxis bestellen.

Was tun?

Doch wie kann man dem Trend entgegen wirken? Oesterreich schlägt die nachträgliche Formung der Bewerber als möglichen Weg vor. Neue Wege der Nachqualifizierung müssten entwickelt und vorhandene stärker genutzt werden. Hier böten sich zum Beispiel die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) der Arbeitsagenturen an, die noch immer viel zu selten in Anspruch genommen würden. Auch das erfolgreiche Instrument der Einstiegsqualifizierung (EQ) könne stärker von den Praxen genutzt werden. „Oft stellt sich heraus, dass viele Jugendliche, die auf den ersten Blick das Bewerberprofil verfehlen, sich als ausgezeichnete Auszubildende erweisen“, weiß Oesterreich.

Des Weiteren sieht er im Einsatz von Fachlehrkräften aus dem Berufsstand einen wichtigen Faktor, um in den Berufsschulen qualifizierte Ausbilder stellen zu können. Doch das ist erst der zweite Schritt – zunächst müssen sich die jungen Leute für diese Ausbildung entscheiden. „Hier engagieren sich die Kammern kontinuierlich vor Ort. Das belegen zahlreiche Aktivitäten zur Gewinnung neuer Ausbildungsbetriebe und zur Nachwuchsbewerbung“, sagt Oesterreich. Bühler nennt die konkreten Maßnahmen, die von der LZÄK BW unternommen werden: ein „sehr gut gemachter“ Ausbildungsfilm auf YouTube, eine Ausbildungsbroschüre und Werbeplakate für öffentliche Räume, ein Infostand für Ausbildungsmessen und Infotage an Schulen, Info und Beratung für Ausbildungsberater bei der Agentur für Arbeit, Seminare für Zahnärzte als Ausbilder und Empfehlungen zur Ausbildungsvergütung. Die Liste ist lang – aber leider sind nicht alle Konzepte erfolgreich: „Informationsprogramme in Schulen oder Tage der offenen Tür führen jedenfalls nicht zum Erfolg“, berichtet Dr. Karl-Ludwig Ackermann, Zahnarzt in Filderstadt, aus eigener Erfahrung. Gerade der Einsatz neuer Medien – wie der erwähnte YouTube-Film – könnte bei der Zielgruppe jedoch auf Resonanz stoßen. „Die Praxen müssen in das Bewusstsein der zukünftigen Azubis gelangen. Moderne Kommunikationsmittel wie facebook und andere soziale Netzwerke bieten gute Möglichkeiten“, sagt Fresmann. Zur Eigeninitiative jeder einzelnen Praxis rät auch Dhom, der sich von den Ärztevertretungen im Stich gelassen fühlt. „Grundsätzlich ist das ein politisches Thema, und es ist nicht in Ordnung, dass unsere bundesweiten Standesorganisationen uns Praxen damit allein lassen.“

Vermittlungsprämie

Dhom und seine Mitarbeiter haben eine eigenen Webseite für die Mitarbeitersuche eingerichtet und sogar einen eigenen Werbefilm über die Arbeit und die Praxis gedreht. „Das hat eine Menge Spaß gemacht, und es war auch wirklich rührend, wie sich meine Mitarbeiter eingebracht haben“, berichtet Dhom. Auch finanzielle Anreize sollen die Bewerber in seine Praxis locken. Mitarbeiterinnen, die neue Kollegen werben, erhalten nach deren erfolgreich überstandener Probezeit eine „ordentliche“ Prämie. „Das ist für alle Seiten gut und spart nicht zuletzt oft Anzeigenkosten“, erklärt Dhom.

Ein weiteres Modell zur Personalbeschaffung wäre die Rekrutierung im Ausland. Die Hürden für eine schnelle und unbürokratische Durchführung sind aber noch hoch. Hier brauche es nicht nur eine zentrale Prüfungsstelle, sondern auch weitere Maßnahmen, meint Dhom: „Da müssen Strukturen geschaffen werden, Sprachkurse, Fachkurse, Aktivitäten in den potenziellen Regionen.“ Vom Gesetzgeber vorgesehen ist bisher die Integration in Deutschland lebender Migranten. Das Gesetz trat am 1. April 2012 in Kraft, zwischen April 2012 und September 2013 gab es laut BZÄK 237 Anfragen und 29 gestellte Anträge zur Überprüfung der Gleichwertigkeit im ZFA-Bereich sowie neun teilweise als gleichwertig bewertete Überprüfungsentscheidungen. „Allerdings ist dies für beide Seiten, Antragsteller und –prüfer, ein recht komplexes Verfahren“, erklärt Oesterreich.

Das Image des Berufes konstituiere sich in der öffentlichen Wahrnehmung auch aus der Wertschätzung der Hilfsberufe. Haus- und Fachärzte etwa würden mittlerweile auch in der Öffentlichkeit betonen, dass der Beruf der Medizinischen Fachangestellten wichtig sei und dass das ambulante Gesundheitswesen ohne die Mitarbeiter in den Arztpraxen nicht funktionieren würde. Diese Wertschätzung fehle bei den Zahnärzten – sie sei zwar vorhanden, würde aber nur selten kommuniziert. „Wenn also der Beruf von den Arbeitgebern in der Öffentlichkeit nicht entsprechend wertgeschätzt wird, warum sollen sich dann gute Bewerber dafür entscheiden?“, fragt Gabel.

Für Zahnärzte bedeute das konkret, die Rolle der Mitarbeiterinnen der Zahnarztpraxis in der Patientenversorgung und vor allem im Prophylaxebereich hervorheben zu müssen. Auch Fresmann hält ein gutes Team, ein positives Arbeitsklima und eine wertschätzende Zusammenarbeit für sehr wichtige Argumente für eine Praxis. Hoch qualifizierte und kompetent leitende Mitarbeiter seien Erfolgsfaktoren und nicht selten Alleinstellungsmerkmale einer Praxis. „Bei Gesprächen mit Kolleginnen sind das die herausragenden Argumente – das Gehalt spielt da nicht immer die Hauptrolle“, meint Fresmann. An dieser Stelle beginnt auch für Gabel die Suche nach guten Mitarbeitern. Wenn die Patienten merken, dass man sich gegenseitig im Team schätze, dann würden sie vielleicht ihrem Sohn oder der Tochter raten, sich über den Beruf zu informieren. „Wenn die Kollegen Spaß am Beruf haben, dann interessieren sich auch andere dafür und nehmen die Ausbildung nicht nur als zweite Wahl wahr“, sagt Gabel.

Die Praxen können also nicht früh genug beginnen, sich über eine positive Außendarstellung und engagiertes Eigenmarketing als potenzielle Arbeitgeber zu empfehlen. Dhom sieht hier eine klare Chance, da häufig Jugendliche als Patienten zu Gast sind. Und die müsse man unbedingt nutzen: „Unsere potenziellen Mitarbeiter sitzen vielleicht gerade in diesem Moment in unserem Wartezimmer…“.