Prüfpflicht für Bewertungsportale?
Mit dieser Frage haben sich sowohl der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20) als auch das OLG Saarbrücken (Urteil vom 09.09.2022 – 5 U 11721) befasst – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Das mag auf den ersten Blick verwundern, ergibt bei näherem Hinsehen aber doch Sinn.
Der BGH entschied, dass nach einer bloßen Beanstandung durch den Bewerteten weitere Prüfpflichten des Betreibers des Bewertungsportals erforderlich sind. Aber lassen sich die im Urteil gefundenen Grundsätze ohne Weiteres auf sämtliche Bewertungssituationen im Internet – auch über Arztpraxen – übertragen? Das Urteil des OLG Saarbrücken lässt daran zumindest Zweifel aufkommen, kommt es doch zu dem gegenteiligen Ergebnis und stellte keine Prüfpflicht nach Beanstandung fest.
Fall I: Bewertung einer Behandlungssituation
Das OLG Saarbrücken hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Internetbewertung über eine Behandlungssituation vom bewerteten Zahnarzt beanstandet wurde. Ein Bewertungsportal bot auf seiner Website an, verschiedene Einrichtungen, unter anderem Arztpraxen, zu bewerten. Eine Nutzerin tat dies und schilderte, dass eine geplante Behandlung nicht durchgeführt worden sei, nachdem sie eine Bescheinigung vorgelegt habe, dass die Behandlung aufgrund ihrer Panikattacken nur unter Narkose erfolgen sollte.
Der Arzt wandte sich an den Betreiber des Bewertungsportals. Er gab an, weder die bewertende Person noch die geschilderte Situation stehe im Zusammenhang mit seiner Praxis. In seinen Unterlagen befänden sich dazu keine entsprechenden Informationen. Der Betreiber trat sodann in Kontakt mit der Nutzerin und diese schilderte die Behandlungssituation noch einmal eingehender. Der Betreiber lehnte die Entfernung der Bewertung mit der Begründung ab, es liege keine ohne eingehendere Prüfung erkennbare Rechtsverletzung durch die Bewertung vor. Der Arzt war dagegen der Auffassung, der Betreiber müsse ein Prüfverfahren einleiten und klagte auf Unterlassung der Verbreitung. Dem wurde erstinstanzlich nicht stattgegeben. Die Begründung lautete: Der Betreiber habe seiner Überprüfungspflicht genügt und die Bewertung sei insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen. Eine erkennbare Rechtsverletzung liege dadurch nicht vor.
Kein Patientenkontakt ist kein pauschales Argument
In der Begründung heißt es unter anderem, der Betreiber habe keine weiteren Prüfpflichten gehabt, da das Interesse des Klägers an der Unterlassung der Verbreitung die schutzwürdigen Belange der Beklagten und ihrer Nutzerin nicht überwiege. Wenn eine Beanstandung sowohl richtig als auch falsch sein kann und der Bewertende substantiiert die Beanstandung seiner Bewertung widerlegt, so sei dies dem Bewerteten mitzuteilen und weiterführende Nachweise von diesem seien zu verlangen. Geschehe dies nicht, so muss der Betreiber nicht weiter nachforschen.
Das Gericht begründete sogar, der Betreiber des Bewertungsportals habe eigentlich seine Nachforschungspflichten übererfüllt, indem er die Verfasserin der Bewertung um Stellungnahme gebeten habe. Denn der Bewertete habe wahrheitswidrig und wider besseren Wissens behauptet, ihm sei die Verfasserin nicht bekannt und ein Behandlungsverhältnis habe nicht bestanden. Beanstandungen gegenüber einem Hostprovider, die auf (bewusst) falschen Tatsachenvortrag gestützt werden, können keine Prüfpflichten auslösen. Falsche tatsächliche Behauptungen sind objektiv ungeeignet, die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Bewertung zu begründen. Nur wenn sich auf der Grundlage der Stellungnahme des Bewerteten eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts annehmen und nachweisen lässt, sei der Eintrag zu löschen.
In diesem Fall habe es sich um eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung gehandelt. Auch liege keine Schmähung vor. Zwar übe die Nutzerin deutliche Kritik, tue dies aber mit Sachbezug.
Fall II: Bewertung einer Ferienparkanlage
Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung damit zu befassen, ob die Rüge des Bewerteten, einer Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, weitere Prüfpflichten für den Betreiber eines Hotelbewertungsportals auslöst.
Der Bewertete betrieb eine Ferienparkanlage und erhielt auf dem Portal des Bewertungsportalbetreibers mehrere Bewertungen vermeintlicher Gäste. Der Bewertete rügte diese. Der Betreiber verweigerte jedoch jegliche Nachfrage bei den Nutzern. Der Bewertete klagte auf Unterlassung der Verbreitung der Bewertungen mit der Behauptung, den angegriffenen Bewertungen liege kein Gästekontakt zugrunde. Er war erstinstanzlich mit der Klage erfolglos. Mit der Berufung erzielte er mit Ausnahme einer der Bewertungen Erfolg. Die Revision des beklagten Betreibers des Bewertungsportals beim Bundesgerichtshof blieb erfolglos.
Der BGH entschied zugunsten des Bewerteten für eine Unterlassung. Er stellte klar, dass es einer näheren Begründung der Behauptung fehlenden Gästekontakts nur dann bedürfe, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne Weiteres aus der Bewertung ergibt.
Es wird insbesondere ausgeführt, dass zwar keine Vorabprüfung von Bewertungen durch den Betreiber erfolgen müsse, aber der Betreiber – wenn er Kenntnis von Rechtsverletzungen erlangt – verpflichtet sein kann, künftig derartige Störungen durch Bewertungen zu verhindern. So wurde es in diesem Fall unter Verweis auf sein Unternehmenspersönlichkeitsrecht bejaht. Es wurde auch anerkannt, dass es vom Einzelfall abhänge, welche konkreten Überprüfungspflichten der Betreiber habe. Dabei komme es auf das Gewicht der Rechtsverletzung und die Erkenntnismöglichkeiten des Betreibers an. Hier spiele auch die Größe des Hotelbetriebs und die dadurch erschwerte Zuordnung der Bewertungen zu tatsächlichen Gästen des Hotels eine Rolle. Dies erschwere die Nachvollziehbarkeit und Darlegungsmöglichkeiten des Hotelbetreibers, um gegen unrichtige Bewertungen vorzugehen. Dabei war sogar unschädlich, dass einzelnen Bewertungen konkrete Fotos beigefügt waren. Im Falle eines unschwer zu bejahenden Rechtsverstoßes habe der Betreiber nach Beanstandung des Bewerteten eine Stellungnahme bzw. Konkretisierung durch den Bewertenden zu erbeten. Falle diese aus, sei von einer berechtigten Beanstandung auszugehen und der Eintrag zu löschen. Der Bewertete könne selbst bei Angaben, die auf Gästekontakt schließen lassen könnten, kaum die Richtigkeit der Angaben überprüfen.
Gleiches Argument, anderer Sachverhalt
Die beiden Urteile kommen zwar zu unterschiedlichen, aber nur scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen. Ausgehend von der BGH-Entscheidung könnte man den Schluss ziehen, dass zukünftig auch für den Arzt eine bloße Beanstandung genüge, um Prüfpflichten auszulösen und die Löschung der Bewertung zu erwirken.
Aber wie man anhand der Argumente des BGHs erkennen kann, bestand in dem Fall die Schwierigkeit für den Bewerteten darin, dass er sich kaum gegen Vorwürfe wehren kann, wenn er sich bei täglich wechselnden Hotelgästen, kurzweiligem Aufenthalt und kaum bis keinem persönlichen Kontakt zu einer Situation erklären soll, die womöglich so nicht einmal stattgefunden hat.
Für den Arzt in seiner Praxis sieht das jedoch anders aus. Der Patientenkreis kann zwar groß sein, ist aber in der Regel doch begrenzter und weniger wechselhaft als im Hotelbetrieb. Der Kontakt besteht nicht nur flüchtig, sondern entsteht in einem Eins-zu eins-Behandlungsverhältnis in der Praxis. Termine werden in der Regel konkret vereinbart und der Arzt bekommt seine Patienten persönlich und einzeln zu Gesicht. Dadurch tritt der Patient aus der Anonymität heraus, wird erkennbar, kann mit einer konkreten Situation verknüpft und womöglich schneller ausfindig gemacht werden.
Hinzu kommt, dass im Fall der Behandlungssituation beim OLG Saarbrücken nachweisbar der Patientenkontakt zum Arzt bestanden hatte und der Betreiber des Bewertungsportals Nachprüfungen angestellt hatte, die dann zur weiteren Konkretisierung der Behandlungssituation durch den Bewertenden geführt hatten. Dies war im Falle des BGH nicht so. Der Bewertungsportal-Betreiber hatte sich geweigert, weiter nachzuprüfen, was es mit den Nutzern und ihrem vermeintlichen Besuch der Ferienanlage, wie in deren Bewertungen beschrieben, auf sich hatte.
Was sich zunächst als die unterschiedliche Beantwortung ein und derselben Frage liest, entpuppt sich als im Detail unterschiedliche Sachverhalte. Im Recht kommt es also am Ende immer auf die Bewertung im konkreten Einzelfall an.
Praxistipp: Ergibt sich die Identität des Bewertenden aus der Bewertung?
Ein Zahnarzt kann eine Bewertung in aller Regel dann pauschal mit der Rüge angreifen, ein Behandlungsverhältnis habe nicht bestanden, wenn sich die Identität des Patienten nicht ohne weiteres aus der Bewertung erschließt. Einer näheren Begründung bedarf es dann, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Zahnarzt ohne Weiteres aus der Bewertung ergibt.
Wird in solchen Fällen (wahrheitswidrig) behauptet, es habe kein Patientenkontakt bestanden, kann diese falsche Tatsachenbehauptung die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Bewertung nicht begründen. In diesem Fall müssen weitere Aspekte hinzukommen.
Dabei liegt auf der Hand: Für die Beurteilung, ob sich die Identität des Bewertenden „ohne Weiteres“ aus der Bewertung ergibt, ist wiederum auf den Einzelfall abzustellen. Bei einer Einbehandlerpraxis werden andere Maßstäbe gelten müssen als für die Geschäftsführung eines MVZ mit einer Vielzahl von angestellten Zahnärzten und Mitarbeitern.
RA Jens-Peter Jahn
Fachanwalt für Medizinrecht in der Kölner Kanzlei
michels.pmks Rechtsanwälte mit ‧einem
Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.
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