Recht/Haftung

Das Problem mit der Auskunftspflicht

Maßgeblich für die Erstattung von Behandlungskosten ist der Beginn der Heilbehandlung. Um diesen Startpunkt zu ermitteln, fordern Versicherer häufig die Behandlungsdokumentation ein. Der Anforderung dieser Unterlagen muss aber ein konkreter Anhaltspunkt zugrunde liegen.


Foto: Zerbor/fotolia.com


Immer wieder lehnen insbesondere Zahnzusatzversicherer Behandlungsrechnungen eines gewissen Umfangs ab. Der Grund: Die Erstattung der Behandlungsleistung sei aufgrund von Vorvertraglichkeit ausgeschlossen. Wo aber beginnt die Heilbehandlung – auf welchen Zeitpunkt ist also bei der Frage der Vorvertraglichkeit abzustellen?

Nach der Rechtsprechung ist der Beginn der Heilbehandlung die erste Inanspruchnahme einer ärztlichen Tätigkeit bezüglich des Krankheitsfalls. Die Behandlung beginnt aber nicht nur und nicht erst mit dem unmittelbaren Heileingriff, sondern schon mit der ärztlichen Untersuchung, die auf ein Erkennen des Leidens abzielt. Dabei wird nicht berücksichtigt, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit der eigent‧lichen Heilmaßnahme begonnen wird. Im Rahmen der Aus‧einandersetzung über die Frage, wann also mit der Heilbehandlung begonnen worden ist, kommt es folglich nicht darauf an, wann tatsächlich mit der Präparation eines Zahns, beispielsweise zur Aufnahme einer Krone, begonnen wurde. Vielmehr ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Zahnarzt erstmals die Feststellung getroffen hat, dass ein Schaden an dem Zahn vorliegt, der es erforderlich macht, ihn zu präparieren und eine Krone zu fertigen. Dies gilt selbst dann, wenn zwischen der ersten Diagnose und tatsächlichem Präparieren des Zahns und Fertigen der Krone ein erheblicher Zeitraum liegt. Aus diesem Grund verlangen die Versicherer daher immer wieder die Vorlage der Behandlungsdokumentation auch weit über den Zeitpunkt des Vertragsbeginns hinaus. Über die Frage, inwieweit der Patient verpflichtet ist, diesem Begehren des Versicherers nachzukommen, wird häufig vor Gericht gestritten.

Bei einem dem Landgericht Köln kürzlich im Rahmen eines Berufungsverfahrens zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalt war der Versicherungsvertrag am 01.08.2009 geschlossen worden. Anfang 2012 erfolgte in regio 25 und 26 eine Implantatbehandlung und anschließend eine prothetische Versorgung. Nachdem die Rechnung beim Zusatzversicherer eingereicht worden war, verlangte dieser zunächst Auskünfte beim behandelnden Zahnarzt, wann erstmals der Befund für die geplante Maßnahme in der regio erhoben wurde. Der behandelnde Zahnarzt teilte dazu mit, dass der Befund erstmals im November 2011 erhoben worden sei. Die Behandlungsunterlagen bezüglich des Eingriffs wurden dem Versicherer zur Verfügung gestellt. Der Versicherer verlangte darüber hinaus auch die Vorlage aller Behandlungsunterlagen rückwirkend bis in das Jahr 2007. Dies wurde außergerichtlich mit der Begründung verweigert, dass es darauf keinen Anspruch gebe. Dazu wurde ausgeführt, dass die Obliegenheit – also Pflicht des Versicherungsnehmers – dahin geht, dem Versicherer die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die dieser benötigt, um zu beurteilen, ob ein Versicherungsfall vorliegt.

Medizinische Notwendigkeit klären

 Grundsätzlich sind dem Versicherer also nur die Unterlagen zu überreichen, die er benötigt, um die Frage zu beantworten, ob die medizinische Notwendigkeit der Behandlung gegeben ist. Dies konnte durch die bereits überreichten Unterlagen beginnend mit dem Jahr 2011 ausreichend geprüft werden. Nachdem keine Zahlung des Versicherers erfolgte, wurde Klage erhoben. Der Versicherer vertrat den Standpunkt, es sei die Pflicht des Versicherungsnehmers, ihm alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die der Versicherer benötige, um festzustellen, ob er zur Leistung verpflichtet sei – hierzu gehöre auch die Behandlungsdokumentation rückwirkend bis 2007. Im gerichtlichen Verfahren erfolgte ohne nähere Begründung dann erstmals die Behauptung, die Unterlagen seien zur Prüfung der Vorvertraglichkeit erforderlich, schließlich sei der Versicherungsnehmer etwa eine Woche vor dem Versicherungsantrag im Juli 2009 noch beim Zahnarzt gewesen. Auf die Klage der Patientin hin entschied das Amtsgericht Köln zunächst, dass der Versicherer zurzeit nicht zur Leistung verpflichtet sei, da er ohne Vorlage der Behandlungsunterlagen rückwirkend bis 2007 nicht erkennen könne, ob möglicherweise eine Vorvertraglichkeit gegeben sei. Dazu führte das Gericht aus, dieser Anspruch sei dadurch begründet, dass der Versicherungsnehmer acht Tage vor Beantragung der Zahnzusatzversicherung beim Zahnarzt gewesen sei, und schloss daraus, dies sei ein Indiz für Vorvertraglichkeit. Auf die Berufung hin erließ das Landgericht Köln, Az. 23 S 21/13, am 27.11.2013 den Hinweisbeschluss, dass aus der zeitlichen Nähe der Antragstellung zu einer Befunderhebung nicht der Schluss gezogen werden könne, dass die Mitteilung des Zahnarztes falsch sei, er habe den entsprechenden Befund für die streitgegenständliche Behandlung erst im November 2011 erhoben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung machte das Gericht deutlich, dass Zweifel des Versicherers, ob ein entsprechender Befund nicht bereits vorher gegeben war, anhand der Unterlagen, die zu der Befundung im November 2011 eingereicht worden seien, sich hätten ableiten lassen müssen.

Gegenstandslose Behauptung

Da dies nicht geschehen sei, sei die Behauptung der Vorvertraglichkeit ins Blaue hinein erfolgt, so dass es keine recht‧liche Anknüpfung für die Forderung des Versicherers gebe, rückwirkend bis 2007 Behandlungsunterlagen herauszugeben. Die verklagte Versicherung erklärte daraufhin Anerkenntnis, um ein begründetes Urteil zu vermeiden. Die Rechtsauffassung des Landgerichts überzeugt. Es kann nicht sein, dass ein Versicherer mit der pauschalen Behauptung, der Versicherungsnehmer sei vor der Antragstellung noch beim Zahnarzt gewesen, Vorvertraglichkeit begründen kann und seine Leistung verweigern darf, solange nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag alle Behandlungsdokumentationen vorgelegt werden. Richtigerweise ist zu verlangen, dass der Versicherer einen konkreten Anhaltspunkt darlegen muss, der sich aus der Behandlungsdokumentation des fraglichen Eingriffs ergibt, der die Forderung zur Vorlage weiterer Unterlagen rechtfertigt. Anderslautende Urteile werden weder den Anforderungen, die an die Darlegungspflicht des Versicherers zu stellen sind, gerecht, noch den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur informationellen Selbstbestimmung des Patienten aufgestellt hat.

 RA Frank Heckenbücker
ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei Dr. Zentai-Heckenbücker in Köln. Tätigkeitsschwerpunkte: Gesellschaftsrecht der Heilberufe (Praxisverträge), (zahn)ärztliches Berufsrecht und Forderungseinzug sowie Arbeitsrecht und Mietrecht, speziell zu berufsspezifischen Besonderheiten von Arzt- und Zahnarztpraxen.
Kontakt: kanzlei@d-u-mr.de